@Kniva - entschuldige die späte Replik, ich war gestern mit Brutpflege ausgelastet (Sohnemann hat mich in neuem Domizil besucht).
Zu Deinen Ausführungen. Grundsätzlich hast Du natürlich recht, daß man eine künstlerische Darstellung nicht einfach \"as it is\" übernehmen kann (da sind schon etliche Fehlschlüsse gezogen worden
) sondern sie im Kontext ihrer zeitgenössischen Darstellungsmethodik (Symbolik, Proportionskanon etc.) sehen muss.
Es ist durchaus auch richtig, daß die griechische bildende Kunst nicht den Auftrag hatte die Realität abzubilden wie Du richtig ausgeführt hast, ist das eine im weltweiten gesamtkunsthistorischen Kontext eher kurze Episode im Europa der Neuzeit. Ebenso muß man immer im Auge behalten, wieweit ein Fund repräsentativ für eine Epoche/ Gegend ist. Ich bin auch immer skeptisch wenn aus dem Fund eines Helmfragments und einer Schwertspitze gleich die Ausrüstung und Taktik einer Armee über 200 Jahre abgeleitet wird
Wie komme ich also zu meinen Aussagen betreffs der Vasendarstellungen - nunja ich habe eine ganz gut fundierte Ausbildung in Kunstgeschichte und Darstellungsmethodik, interessiere mich seit Kindesbeinen an für die griechische Kunst und bin mit ihr sagen wir mal vertraut. (ich habe auch jahrelang an der Uni Darstellungsmethodik unterrichtet
- im Gegensatz zur landläufigen Meinung besteht ein Kunststudium nicht nur darin, mit einer Paintballpistole Farbkleckse auf eine Leinwand zu schießen und sie dann einem Prof als Kunst zurecht zu interpretieren, sondern umfasst auch eine sehr fundierte theoretische Ausbildung über Geschichte, Darstellungsmethodik, Materialkunde etc.)
Betreffs der griechischen Kunst, ja sie bildet nicht (und soll auch gar nicht) die Natur ab. Ich glaube nicht, daß es einen gesunden Menschen gibt bei dem Stirn und Nase eine gerade Linie bilden
(Schönheits OPs mal ausgeschlossen). Allerdings war die griechische Kunst (ich spreche jetzt mal vom klassischen Zeitraum - die griechische Kunstgeschichte erstreckt sich immerhin über ein Jahrtausend und hat dabei ähnlich große Entwicklungsschritte gemacht wie die mitteleuropäische vom Mittelalter bis zur Neuzeit
) sehr wohl von der Natur \"inspiriert\". MAn kanbnte die Auswirkungen optischer Täuschungen (die Stufen der Tempel sind z.B. leicht nach oben gewölbt, da bei einer langen Geraden der Effekt des scheinbaren Durchänges auftritt. Man erkannte Grundsätze der Zentralerspektive und experimentierte mit ihr (wenn man auch die genaue Mathematik dahinter nicht erkannte) und lieferte damit den Renaissancekünstlern das fundament für ihre perspektivischen Darstellungen. Und man liebte Geometrie, Symmetrie, Spannung und Entspannung (und Farben - auch wenn das heute nicht so präsent erscheint).
Kurzum ich denke man kann sagen, die Intention der griechischen Kunst war es die Natur wie sie sein sollte wiederzugeben. (ok stimmt für Keramikmalerei wieder nur bedingt, die hat einen eigenen sehr komplexen Proportionskanon) Das resultiert darin, daß manches nicht so sehr der Realität entsprach (die Portraits der griechischen Prominenz sehen ihren Modellen vermutlich nur eher oberflächlich ähnlich, da wurde an den Gesichtsproportionen sehr viel gedreht um sie den griechischen Idealen anzupassen) anderes, das von der idealisierung nicht beeinflusst wurde kommt hingegen der Realität wahrscheinlich sehr nahe.
Zu den Tonbildern selber: Zwar kenne wir vermutlich nicht mal 1% der produzierten griechischen Töpferware, allerdings erstrecken sich unsere Funde über einen sowohl zeitlich als auch geographischen recht großen Zeitraum und weisen dabei (in ihrem zusammengehörigen Konnex) durchgehende Elemente und Inhalte auf, sodaß man eine gewisse Repräsentativität annehmen darf. Natürlich gibt es Ausnahmen (die von Dir erwähnten übergroßen Phalli, die es üblicherweise nur bei Darstellungen im Zusammenhang mit dem Gott Priapus gibt - normalerweise wurden die männlichen Sexualorgane ästhetisch verkleinert, die weiblichen überhaupt weggenommen), wobei ich die Duellszenen zwischen Hektor und Achilles gar nicht als Ausnahme für die Speerhaltung sehe, da es sich dabei um einen Zweikampf und nicht um eine Phalanx handelt. Aber ich bin auch überzeugt, daß es irgendwo Darstellungen einer Phalanx gibt, die den Speer in Hüfthöhe hält - vielleicht muß an sie erst ausgraben, aber bei der Vielfalt der griechischen Kunst gibts davon Bestimmt zumindest ein Exemplar. (Ich habe meine Verallgemeinerung absichtlich so formuliert, daß es Platz für Ausnahmen gibt) Ich glaube auch nicht, daß die Griechischen Phalangiten nur überkopf gekämpft haben, es gab imo für verschiedene Situationen auch verschiedene Speerhaltungen/ stösse. (Auch die Pikeniere des 30jährigen Krieges lernten 30 verschiedene Handgriffe für ihre Pike - die 30sind jetzt aus dem Gedächtnis, bitte net auf der genauen Zahl rumreiten).
Allerdings denke ich, daß der Speer überkopf sowas wie eine Standardhaltung war, denn er ist in der bildliche Darstellung sehr verbreitet, die Haltung hat - im Gegensatz zu \"Deinem\" nackten Fuß - auch keine bekannte Symbolik (wobei die von Dir erwähnte Interpretation nur eine, wenn auch wahrscheinlich korrekte, Interpretationsmöglichkeit ist - die Symbolik des nackten Fußes in der griechischen Kunst - und nicht nur dort - ist eine sehr komplexe und vielschichtige
) und sie entspricht auch keiner geometrischen oder symmetrischen Anforderung, die die Griechen so liebten. Man könnte am ehesten noch mit Körperspannung arguimentieren, aber da halte ich dagegen, daß dafür diese Haltung (überkopf) nicht notwenig ist, man kann ja bei den erwähnten Duellszen zwischen Achilles und Hektor sehen, daß selbige auch in anderer Haltung machbar ist.
Kurzum, da die Überkopfhaltung des Speers keiner (uns bekannten) idealisierungsanforderung entspricht, war sie vermutlich - Realität
Und die Häufigkeit der Darstellung lässt den Schluss zu, daß es eine zumindest sehr übliche, bzw. Standardhaltung war.
So wers tatsächlich bis hierher geschafft hat: 1. Gratulation zum Durchhaltevermögen und 2.Danke - sie haben einen einfachen Wargamer sehr glücklich gemacht.
So long and thanks for all the fish!
pS: ich bin nach diesem Schreibmarathon nimmmer motiviert Korrektur zu lesen, wer also Recht schreib/ Grammatik oder sonstige Fehler findet darf... Ihr wisst schon
Edith: Du hast meine Aussage bez. experimenteller Archäologie falsch verstanden - ich bin eine großer Anhänger von ihr und finde sie sehr wichtig. Es war auch nicht in meiner Intention zu sagen, daß sie den schriftlichen und Bildlichen Quellen nicht das Wasser eichen kann.
Wie Du richtig sagst können wir mithilfe der e.A. des öfteren Dinge ausschliessen, weil sie sich eben als nicht möglich erweisen. Da leistet sie ganz große Dinge. Sie ist auch großartig um zu zeigen, daß Dinge, die \"man doch gar nicht so gemacht haben kann\" durchaus möglich sind und kann dadurch helfen \"traditionelle\" Quellen zu untermauern.
Was ich meinte ist (das passiert halt leider manchmal auch), daß man nur weil man entdeckt, daß man etwas auch anders (meist leichter oder besser) machen kann, damit meint bewiesen zu haben, daß die Realität von der Quelle abwich - Menschen nehmen nicht immer den besseren bzw. leichteren Weg. Sowas passiert auch seltener bei Experimentalarchäologfen mit archäologisch wissenschaftlichem Background, als im Umfeld wo experimentelle Archäologie und Reenactment aufeinander treffen und dann oft von peronen ohne fachlicher Ausbildung postuliert wird - kein vernünftiger Mensch würde es so machen (wie in der Quelle beschrieben), wenn es viel einfacher geht - und das haben wir bewiesen - das ist ein gefährlicher Umkehrschluss, der nicht immer stimmt. (Und bevor jetzt wer losfetzt, nein das ist auch keine Pauschalverurteilung von Reenactoren, es kommt nur manchmal bei ein paar Personen vor.)