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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches

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steffen1988:
Hallo, ich würde gerne folgendes Thema Diskutieren: Der Untergang des Westteils des Imperium Romanum.

Eines der meist diskutierten und umstrittensten Themen der Antike ist der Untergang des Weströmischen Reiches. Häufig werden verschiedene Ereignisse als Zeitpunkt des Untergangs aufgeführt, doch kann man wirklich sagen des der Westteil des Imperium Romanum \"untergegangen\" ist?

Schauen wir uns mal diese Ereignisse an, die als mögliche Enden gelten.

476 - Odoaker setzt Romulus Augustulus ab
Im Jahre 476 wird der sogenannte letzte Kaiser Romulus Augustulus von einem Germanischen Heerführer namens Odoaker abgesetzt. Odoaker erklärt sich daruafhin zum \"Rex Italie\" (König von Italien) und wird vom Ostkaiser sogar als Herrscher des Westens anerkannt.

480 - Julios Nepos stirbt in Dalmatien
JuliusNepos war der letzte Kaiser im Westen der vom Osten anerkannt wurde. Er floh nach der Absetzung von Romulus Augustulus 476 nach Dalmatien, von wo aus er bis 480 den Rest des Westreiches beherrscht.

493 - Die Ostgoten oder Theoderich dem großen erobern Odoakers Reich
Nach der sogennanten Rabenschlacht von Ravena setzt Theoderich der Große Odoaker ab und erklärt dessen Herrschaftsgebiet zum seinem Reich. Unter Odaker bliebt bis dahin die alte Ordnung in Italien erhalten, der einzige unterschied war, das es keinen Kaiser mehr gab.

554 - Ostrom erobert Italien von den Ostgoten
Nach knapp zwanzig Jahren Krieg mit den Ostgoten gelingt es den Generälen Kaiser Justinians I. Italien zu erobern, allerdings zu einen hohen Preis. Der lange Krieg hat die Halbinsel stark verwüstet und die meisten überreste der Antiken Kultur werden zerstört. Nachdem die Goten bei einer Belagerung Roms im Jahr 537 die Hauptwasserversorgung zerstört hatten, war das Stadtzentrum dauerhaft nicht mehr Bewohnbar und wurde aufgegeben. Wurde unter Theoderich dem Großen die Antike Römische Kultur noch ein letztes mal gefördert so gab es nun nichts mehr davon. Gleichzeitig wurde der immernoch bestehende Hof des Kaisers im Westen aufgelöst.

568 - Invasion Italiens durch die Langobarden
Die Langobarden fallen in Italien ein und erobern in wenigen Wochen weite Teile Norditaliens. Historisch endet hier die Antike in Italien und die Oberherrschaft des Kaisers von Konstantinopel.

715 - Untergang des Westgotenreiches
Mit der Eroberung Spaniens durch die Araber hört der letzte sogenannte \"Nachfolgestaat des Weströmischen Reiches\" auf zu existieren. Im Westgotenreich blieb die alte Römische Ordnung Spaniens weitestgehend erhalten. Mit der Herrschaft der Muslime endet sie.

Militärisch hatte das Westreich bereits vor 476 keinerlei bedeutung mehr. Betrauchtet man es als Staat, so kann man sagen das es 480 aufgehört hat zu existieren, den wirklich untergegangen ist es nicht, der Staat hat sich viel eher schrittweise aufgelöst. Versteht man unter dem Römischen Reich aber ein Kulturell und teilweise auch Ethnisch zusammenhängendes Gebilde, gelöst von der Existenz eines Staates, so ging der Westteil kulturell erst 554 bzw 715 unter. Während der Herrschaft Odoakers und später Theoderich sowie seiner Erben hatte sich eigentlich sogut wie nichts im öffentlichen Leben der Romanischen Bevölkerung Italiens geändert. Selbst der Senat im Westen wurde unter Odoaker beibehalten und bestand sogar noch lange Zeit fort. Die Absetzung Romulus Augustulus war sogesehen nicht das Ende \"Roms\" als solches, den der wirkliche Untergang des Imperium Romanum als ganzes war das Ende des Byzantinischen Reiches 1454.

Was ist eure Meinung zu diesem Thema? Meiner Meinung nach endet das Westreich als Staat 480, nicht wie meistens genannt 476.

Koppi (thrifles):
Die Jahre 476 und 480 werden von der neueren antikken Forschung nicht mehr als Epochengrenze angesehen. Heute sieht man vielmehr eine Transformation des Reiches und des Reichsgedanken, als das plötzliche Ende.
Eine Zäsur bildet auf jeden Fall das Ende des ostgotischen Reiches in Italien und die Herrschaft Justinians. Nicht umsonst sieht auch eines der Grundwerke historischer Ausgangsforschung, nämlich Oldenbourgs Grundriß der Geschichte in dem Band Spätantike und Völkerwanderung, genau hier den Bruch.
\"In diesem Sinne kann man Justinians Westpolitik als den letzten Versuch begreifen, den Westen wieder als Raum der res publica oder politeia zurückzugewinnen, ihn unter unmittelbare Verwaltung des Kaisers zu stellen, was er ja in den eroberten Gebieten auch getan hat. Nicht nur damit steht er am Ende der Spätantike. Das Westreich als res publica ging unter; das imperium als mit dem Kaisertum verbundene umfassende Ordnungsvorstellung blieb erhalten.\" (S. 59)

severus:
Die große Frage ist doch, hat sich unter \"barbarischer Herrschaft so viel für die einzelnen Gemeinden geändert. Die Wahl von Zäsuren und auch ihre Überschätzung durch die Forschung ist ein Grundproblem der Geschichtswissenschaft. Es kommt auf den Blickwinkel an. Vielleicht sollte man auch den Begriff Untergang grundsätzlich vermeiden. Schon allein die Tatsache, dass es mehr als ein Ereignis gibt, das sich als Zäsur anbietet, nährt den Verdacht, dass sich jeweils garnicht so gravierend viel geändert hat, als dass man von einem Untergang ausgehen kann. Letztlich sind alle hier genannten Ereignisse doch eher Schlusspunkte einer langen Entwicklung.

hunwolf:
Für mich kann es keinen Zweifel geben, daß das weströmische Reich schon 476 (spätestens!) zu bestehen aufgehört hat. Die Frage berührt ja keine kulturhistorischen oder juristischen oder ethnischen Felder, sondern ein politisches. Und da hat Odoaker Fakten geschaffen. Für das Ende eines Staatskörpers ist es unrelevant, ob irgendwo noch ein Thronprätendent haust, wie Julius Nepos. Die Westgoten scheiden als Charakteristikum völlig aus, wenn man die heranzieht, dann ist Westrom nie untergegangen, denn die Franken sitzen immer noch in Gallien.
Odoaker hat nicht nur Romulus Augustulus abgesetzt, er hat auch die Reichsinsignien nach Konstantinopel geschickt, und wurde von dort als König von Italien anerkannt. Nichts, was von alten römischen Reich als Verfassungsorgan übrig war, hat ab dieser Zeit noch politisch auf staatlicher Ebene gewirkt. Der römische Senat war ein Stadtparlament ohne Macht, eine römische Armee gab es nicht mehr, Steuern wurden an die aufeinander folgenden germanischen Könige gezahlt usw.
Die kurzfristige Rückeroberung Italiens und Nordafrikas unter Justinian war ja keine Wiederherstellung Westroms, sondern eine Erweiterung des oströmischen Machtbereichs. Dass das römische Recht für Bürger römischer Abkunft noch lange in Geltung war, ist für die Fixierung des Endes Westroms irrelevant.

severus:
DEr Argumentation mit der Absetzung des Romulus Augustulus kann ich mich durchaus anschließen. Die Frage nach dem Untergang impliziert aber meiner Meinung nach eine falsche Vostellung, was das römische Imperium überhaupt war. Denn für die allermeisten Gemeinden im Imperium waren sowohl Kaiser als auch politische Institutionen weit weg. Rom war genau da, wo eine römische Garnison stand oder sich gerade der KAiser aufhielt. Ansonsten hat das Eich kaum eine politische Rolle für die Gemeinden vor Ort gespielt. Die hatten ihre eigenen Magistrate, eigen Rechtssprechung, eigene Kulte usw. Ende des Imperiums im Westen trifft es eher als Untergang. Denn im Begriff Untergang schwingt ein totaler Zusammenbruch staatlicher Ordnung mit, den es so nie geben konnte, eben weil die Gemeinden weitestgehend autark waren.

Allerdings meine ich mich erinnern zu können, von einem drastischen Zusammenbruch des reichsweiten Handels gelesen zu haben, der sich anhand archäologischer Funde auf das 5. Jh. datieren lässt. Dies dürfte aber eher ein Prozess darstellen als ein konkretes Datum und auch eher aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen als aufgrund der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers.

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