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Autor Thema: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches  (Gelesen 16822 mal)

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severus

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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
« Antwort #30 am: 11. Mai 2015 - 00:19:57 »

Zitat
Selbst das neue Staatsoberhaupt hat mit großen Mühen eine Kontinuität
zur Republik gesucht. Ist also die Republik überhaupt nicht
untergegangen? Für mich kann man durchaus den Begriff „Untergang“ bei
der Republik anlegen und das Imperium Romanum und sein Untergang, ist
für mich mit einem ähnlichen Blickwinkel zu betrachten. Auch wenn sich
für den einzelnen „kleinen Bürger“ vielleicht nicht viel geändert hat,
so wurden doch grundlegende Strukturen zerstört oder komplett verändert,
so dass man das, was man vorher als A definiert hat, später nur noch
als B wiedererkennt.
Ich denke, die Zäsur 476 ist schon ganz gut gewählt. Denn spätestens zu diesem Zeitpunkt war der Herrschaftsbereich des weströmischen Kaisers auf Null geschrumpft. Das ist für uns zur Strukturierung ganz hilfreich. Transformation ist übrigens keineswegs euphemistisch. Es ist die neutrale Formulierung eines Übergangs in eine neue Form. Sie sagt aber überhaupt nichts darüber aus, wie dies vonstatten ging. Transformation ist meines Erachtens der einzig treffende Begriff, weil sich einer Wertung enthält und dem Rechnung trägt, dass die Zeitgenossen die Veränderung garnicht bemerkt haben könnten. Meiner Meinung nach treten Unterschiede erst dann zutage, wenn man die Vergleichspunkte genügend weit weg voneinander wählt und dann schaut, was sich verändert hat und was geblieben ist. Das kann der Historiker aber selten die Zeitgenossen.

Aber um mal im Bilde zu bleiben. Waren die ehemaligen Foederativerbände, auf die sich Odoaker stützte, auf einmal, nur weil der Kaiser weg war wieder oder immer noch felltragende Barbaren? Oder waren sie das, was man als den Rest des weströmischen Heeres ansehen konnte, das wie so viele Male vorher einfach einen General auf den Schild gehoben hat?

Was den Untergang der Republik anging, nunja es gab Zeitgenossen, die das genau andersherum sahen. Nämlich als Wiederherstellung der Republik durch den Princeps. Und ich denke auch, dass der entscheidende Unterschied zwischen Augustus und sagen wir mal Pompeius weniger in ihrem Handeln und ihren Methoden lag, sondern eher bei ihren Widersachern. Genauer dem Fehlen solcher Widersacher bei Augustus. Weil die Senatsaristokratie nach dem hohen Blutzoll beinahe eines Jahrhunderts Bürgerkriege weder willens noch in der Lage war, sich einer solchen Machtanhäufung bei einer Person entgegenzustellen. Augustus war bei weitem nicht der Erste, der so viele Sondervollmachten hatte. Das Neue trat bei ihm meiner Meinung nach erst am Ende seiner Herrschaft auf. Nämlich bei seinem Versuch, eine Erbmonarchie zu schaffen. Ansonsten war geradezu um Kntinuität und Tradition bemüht.
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Thaddäus

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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
« Antwort #31 am: 11. Mai 2015 - 05:09:21 »

Zitat von: \'severus\',\'index.php?page=Thread&postID=192625#post192625
Transformation ist übrigens keineswegs euphemistisch.
Transformation ist sehr wohl euphemistisch, wenn durch diesen Begriff die negativen Aspekte eines Ereignisses \"verschleiert\" werden. Grade weil dieser Begriff wertneutral ist, habe ich meine Bedenken ihn für Ereignisse wie den Untergang des Römischen Reiches zu nutzen. Du sagst selbst, dass es eine Zäsur gab und eine Zäsur gibt ist nur dort, wo es nach der Zäsur einen deutlichen Unterschied der Situation zu der Situation vor der Zäsur gibt. Wir sind uns alle einig, dass zwischen 300 und 600 extreme Veränderungen stattgefunden haben und diese Entwicklungen nicht sonderlich förderlich für das Bevölkerungswachstum und allgemeinen Wohlstand waren (um es auch mal etwas neutraler zu halten).Ich stimme vollkommen überein damit, dass man Personen und ihr Handeln in der Geschichte nicht mit der Moral und Ethik aus heutiger Sicht beurteilen darf. Es waren eben Menschen ihrer Zeit. Die Resultate kann ich aber sehr wohl als negativ oder positiv beurteilen. Wenn man beim Untergang Roms von einer Transformation spricht, so sollte man dann aber zumindest konsequent sein und einen gleichen wertneutralen Standpunkt für alle anderen historischen Ereignisse anlegen.Ich verwende sicherlich nun deutlich überspitzte Beispiele, einfach um meinen Standpunkt zu unterstreichen. Würdest Du es richtig finden, wenn man von einer \"Transformation der Amerikanischen Bevölkerung\" spricht, anstelle von der Auslöschung ganzer indigener Völker bei der Kolonisierung Amerikas? Es gab auch hierzulande eine Transformation bestimmter Prozentsätze der Bevölkerung - Völkermord ist doch vielleicht zu wertend? Immerhin haben viele Zeitgenossen es auch nicht als solches empfunden oder sogar als gut und hilfreich bezeichnet. Menschenopfer sind für mich auch durchaus als Mord zu bezeichnen, auch wenn die Beteiligten es als heilsbringende Möglichkeit gesehen haben mochten - oder zumindest auf eine bessere Ernte im nächsten Jahr gehofft haben. Versteh mich bitte nicht falsch - ich halte es nur einfach für falsch, wenn man Dinge nicht beim Namen nennt und selbst wenn Zeitgenossen bestimmte Entwicklungen nicht wirklich überschauen konnten und nicht direkt die Konsequenzen gespürt haben oder einfach unbeteiligt waren, so haben doch grade wir als Historiker die Möglichkeit eben solche Ereignisse deutlich weitreichender zu betrachten. Am Beispiel der römischen Republik wollte ich auch nur zeigen, dass diese aufgehört hat zu existieren und sicherlich nicht so, wie es \"im Sinne der Republik\" war. Sondern durch einen langanhaltenden Zersetzungsprozess mit viel Gewalt und Leid. Hier lediglich von einer Transformation zu sprechen, ist meiner Meinung nach schlich euphemistisch! Sich immer nur auf Zeitgenossen zu stützen, dürfte in vielen Fällen auch ein aus heutiger Sicht falsches Bild der gesamten Situation ergeben und vor allem liegen uns doch in vielen Fällen nahezu keinen Quellen vor. Es wurde häufiger erwähnt, dass sich für die Bauern etc. nicht viel geändert hat und sie es nicht als \"Untergang\" wahrgenommen haben. Abgesehen von archäologischen Quellen und Rückschlüssen aus diesen sind uns aber die Hände gebunden und wir können diese Aussage nicht wirklich mit absoluter Sicherheit machen - mir sind zumindest keine weitreichenden Tagebücher der römischen Unterschicht in großer Stückzahl bekannt. Ich halte es absolut für plausibel, dass viele es nicht als Untergang wahrgenommen haben, vor allem nicht auf kurze Sicht gesehen. Jemand der 450 geboren wurde und jedoch vielleicht 80 Jahre gelebt hat, wird am Ende dann vielleicht doch deutliche Veränderungen empfunden haben und die Teile der Bevölkerung die jahrhundertelang zuvor keinen Krieg erlebt haben und nun plötzlich von marodierenden Horden heimgesucht wurden, haben es sicherlich als negativ empfunden und haben möglicherweise sogar von einem Untergang gesprochen.
Zitat von: \'severus\',\'index.php?page=Thread&postID=192625#post192625
Aber um mal im Bilde zu bleiben. Waren die ehemaligen Foederativerbände, auf die sich Odoaker stützte, auf einmal, nur weil der Kaiser weg war wieder oder immer noch felltragende Barbaren? Oder waren sie das, was man als den Rest des weströmischen Heeres ansehen konnte, das wie so viele Male vorher einfach einen General auf den Schild gehoben hat?
Ich glaube, man darf nicht den Fehler machen und einen Prozess, nur weil er sich zeitlich deutlich ausgedehnt hat, nicht als das zu bezeichnen was er war. Wir sind uns alle einig, dass die Wirtschaft, das Militär und viele andere Dinge einen gewissen Niedergang durchmachten und die Foederatenverbände sind natürlich nicht durch den Wegfall des Kaisers auf einmal wieder Barbaren - es zeigt aber, dass eben ein deutlicher Wandel stattgefunden hat, der schon viel früher anfängt, aber letztlich durchaus ein Baustein zum Ende Roms sein mochte. Die Zeitgenossen haben vielleicht die Situation nicht als Untergang erlebt - dafür war der Prozess zu schleichend. Ein Römer des 1. Jahrhunderts würde sich aber doch sicherlich unwohl gefühlt haben, wenn er auf einmal 500 n. Chr. aufgewacht wäre.
Es ist vielleicht ein wenig wie bei dem Frosch im Kochtopf ... er hüpft nicht raus, weil er sich langsam an die steigende Temperatur gewöhnt... bis schließlich die Proteine in seinem Körper eine Transformation durchmachen :smiley_emoticons_pirate_smile: und er stirbt. Trotzdem wurde der Frosch gekocht - auch wenn er es vielleicht nicht so wahrgenommen hat.
Ich hoffe Du verstehst meinen Text mit einem gewissen Augenzwinkern - ich habe sicherlich an diversen Stellen überspitzt formuliert. Ich möchte mich einfach nur dagegen wehren, alles immer möglichst wertneutral zu betrachten. Es ist ja wie gesagt vollkommen richtig, das Handeln etc. von historischen Personen nicht durch eine moderne Brille zu betrachten und keine modernen Maßstäbe an das Handeln anzulegen. Die Ereignisse als solche kann man aber meiner Meinung nach durchaus wertend betrachten und es verfälscht auch die Wahrnehmung von Ereignissen, wenn man sie absolut wertneutral versucht zu vermitteln.

Ach ja - natürlich hat eine Transformation stattgefunden und an dem Begriff als solchem ist auch nichts direkt auszusetzen. Verwendet man jedoch ausschließlich den Begriff Transformation und unterstreicht nicht auch die negativen Konsequenzen, die meiner Meinung nach einem Untergang des Reiches gleichkommen, so wird durch den Begriff schnell eine Art Kontinuität vorgegaukelt, die es so nicht gab. Selbstverständlich kann eine Transformation allumfassend sein, es impliziert jedoch auch eine gewisse Kontinuität - denn das Alte hört nicht auf zu existieren, es lebt eben in einer neuen Form fort. Es war also alles garnicht so schlimm - schließlich existiert alles in einer neuen (besseren?) Form weiter ... Der Begriff Untergang impliziert doch auch eine Transformation, nur mit deutlich negativer Konnotation. Deshalb halte ich den Begriff für die Ereignisse zwischen 300 und 600 als absolut passend!
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severus

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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
« Antwort #32 am: 11. Mai 2015 - 08:58:36 »

Zitat
Transformation ist sehr wohl
euphemistisch, wenn durch diesen Begriff die negativen Aspekte eines
Ereignisses \"verschleiert\" werden. Grade weil dieser Begriff wertneutral
ist, habe ich meine Bedenken ihn für Ereignisse wie den Untergang des
Römischen Reiches zu nutzen.
Das ist mit Verlaub unlogisch. Weil du der Setzung Untergang zuneigst, lehnst also einen wertneutralen Begriff ab.

Zitat
Würdest Du es richtig finden, wenn man von
einer \"Transformation der Amerikanischen Bevölkerung\" spricht, anstelle
von der Auslöschung ganzer indigener Völker bei der Kolonisierung
Amerikas?
Hier liegt des Pudels Kern. Du verwendest Transformation im falschen Zusammenhang udn unterstellst, Transformation sei ein Begriff, der negatives verschleiern soll. Transformation bezieht sich immer auf die Veränderung des Untersuchungsgegenstandes von innen heraus. TRansformation für Eroberung zu verwenden ist schlicht falsch. Denn darum ggeht es nämlich in der Diskussion über das spätrömische Westreich.

Es wäre ein Untergang, wenn auf einmal Barbarenhorden über das Westreich hereingebrochen wären und allein mit ihrer rohen Gewalt den römischen Staat hinweggefegt hätten. Es gibt aber durchaus Argumente, dass es so eben nicht gelaufen ist. Vilemehr war es ein langer Prozess, in dem versucht wurde, die Foederaten ins Imperium zu integrieren und auch als Sperrmauer anzusiedeln. In dem Maße aber, wie die Römer den den nicht italischen Bewohnern des Imperiums die Verteidigung des Reiches überließen, marginalisierten sie sich selbst. Spätestens seit Diokletian unterschied sich der römische Senat kaum mehr gegenüber dem Senat irgendeiner Stadt im Reich. Die politische Macht lag da schon längst bei den vermeintlich barbarischen Soldatenkaisern, die bisweilen kaum Latein sprachen.

Langer Rede kurzer Sinn. Es hat eine Transformation dessen stattgefunden, was man unter dem römischen Reich überhaupt zu verstehen hatte und wie Herrschaft durch das Imperium ausgeübt wurde. Also eine Begriffstransformation. WEnn du jetzt dagegne hältst, dass es sehr wohl einen Untergang gegeben habe, dann kann ich nur sagen, ein Begriff kann nicht untergehen. Denn letztlich sind solche Dinge, wie Herrschaft, Staat und Kultur mehr oder weniger geistige Konstrukte, um bestimmte Phänomene zu beschreiben. Begriffe wnadeln ihre Bedeutung. Die Karolinger nannten ihre Herrschaft auch Res Publica. Und das obwohl sie wohl kaum etwas mit der römischen Res Publica gemein hatte. Trotzdem ist der Begriff nicht falsch. Res Publica ist nichts anderes als das Gemeinwesen oder wörtlich die öffentliche Angelegenheit.

Man sollte vielleicht wegkommen, die spätröisch Geschichte zu sehr aus der Sicht von oben zu betrachten und vielmehr regional untersuchen, was in der fraglichen Periode passiert ist. Denn dann tritt zutage, wo tatsächlich massive Verwüstungen und Verheerungen aufgetreten sind, wo Kontinuitäten gewahrt wurden und wo Neues versucht wurde.

Hier aber tritt ein ganz entscheidendes Problem hinzu. Ein Quellenproblem. Wir haben meines Wissens nur ganz wenige Schriftquellen aus dieser Zeit und diese sind Schriftquellen aus der Umgebung des byzanthinischen Hofes. Historiker, die für die Eliten über die Eliten des Reiches geschrieben haben.

Im Übrigen ist auch ein Rückgang an Schriftlichkeit nicht zwingend ein Beweis für den Rückgang an Kultur. Es ist nur ein Beweis dafür, dass weniger Schriftquellen überliefert worden sind. Wenn aber keine Schriftquellen mehr vorhanden sind, heißt das, wir können keine quellenfundierten Aussagen mehr über die Epoche machen, die mehr sind als Spekulation auf Basis einer dürftigen archäologischen Fundlage.
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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
« Antwort #33 am: 11. Mai 2015 - 09:10:03 »

Sry aber jegliche moralische Bewertung und Bezeichnung ist standortgebunden und daher niemals objektiv. Nationalkonservative dt. Historiker des letzten und vorletzten Jahunderts dürften die Völkerwanderung, da sie wohl die Zerstörung überkommener orientalisch-autokratische Herrschaftsstrukturen und der Beginn der glorreichen ,,germanisch-dt. Nation\" konstatiert hätten, durchaus sehr positiv gewertet haben.
Und auch aus heutiger aufgeklärten europäischen Perspektive: ohne den Untergang des römischen Reiches wohl keine Genese der parlamentarisches Demokratie im Mittelalter und Neuziet. Und das wäre doch wirklich schade, oder?

Jegliche moralische Bewertung ist nur durch Konstruktion alternativer Szenarien/Handlungsalternativen möglich. Das ist aber kontrafaktische Geschichtsschreibung die bekannterweise eine sehr problemantische Methodik hat. Versteht mich nicht falsch ich möchte weder dem positivismus noch dem hegelianischen Geschichtsbild hier das Wort reden. Allerdings sollte uns immer an einer klaren Trennung zwischen konstantierbaren Fakten und Bewertung gelegen sein, besonders im Fall der Terminologie, da sonst wissenschaftlich unfruchtbare Denkschranken entstehen können, welche lange nachwirken können (siehe Intentionalismus/Funktionalismus). Ich kann daher in der Bezeichnung Tranformation keinen Euphemismus erkennen, gerade da die durch die Quellen vermittelten Fakten, doch ganz andere sind als etwa bei dem Völkermord an den Indianern.
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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
« Antwort #34 am: 11. Mai 2015 - 23:56:27 »

@ Severus: Unlogisch ist es sicherlich nicht, da ich bei meiner Beurteilung durchaus einer Logik folge. Du bewertest die Ereignisse auch - oder möchtest Du sagen, dass Du die Ereignisse nicht Bewertest, sondern lediglich Fakten auflistest, ohne Auswertung? Absolute Objektivität gibt es schlicht nicht.- und da ich es unpassend finde, die Wirren durch die die Menschen damals gegangen sind nicht als das zu bezeichnen, was sie waren, sondern stattdessen einen Begriff wähle, der keinen Hinweis auf negative oder positive Begleiterscheinungen zulässt, finde ich den Begriff Untergang durchaus passend. Für Dich haben also die Ereignisse weder postive noch negative Folgen für die Bevölkerung gehabt? Man kann also nicht sagen, dass sich etwas verschlechter hat? Es war eben eine Transformation - mehr nicht? Eine Veränderung - ohne negative oder positive Tendenzen? Transformation kann natürlich negative oder positive Tendenzen enthalten, diese müssen dann jedoch gesondert erörtert werden, da der Begriff keinen Schluss darauf zulässt! Untergang impliziert für mich ein Ende auf destruktive Weise und das Ende des römischen Reiches stellt für mich genau so ein Ende dar. Es gab zwar Kontinuitäten, jedoch hat sich in sehr vielen Bereichen die Lebensqualität verschlechtert und es haben viel Menschen unter den Ereignissen gelitten. Ich behaupte ja nicht das der Begriff Transformation faktisch falsch ist - es beschreibt eine Veränderung ... mir ist nur wichtig, dass man dann jedoch zusätzlich die Konsequenzen, die diese Veränderungen mit sich gebracht haben auch unterstreicht. Lediglich von einer Transformation zu sprechen klingt, wie gesagt, sehr schnell so, als wäre nichts passiert, außer, dass nun etwas altes in einer neuen Form weiter existiert und das ist nun einmal nicht der Fall beim römischen Reich. Es hat aufgehört zu existieren und ist dabei durch viele Krisen bis zum Ende gegangen und sowas kann man durchaus als Untergang bezeichnen.
Ich glaube wir reden ein wenig aneinander vorbei und haben am Ende gar nicht so eine unterschiedliche Meinung. Wir haben vermutlich nur jeweils leicht unterschiedliche Definitionen der Begriffe \"Untergang\" und \"Transformation\".
Nach Deiner Definition ist Untergang ein zwingend von außen und durch Eroberung herbeigeführtes Ereignis:
Zitat von: \'severus\',\'index.php?page=Thread&postID=192629#post192629
Es wäre ein Untergang, wenn auf einmal Barbarenhorden über das Westreich hereingebrochen wären und allein mit ihrer rohen Gewalt den römischen Staat hinweggefegt hätten.
Für mich ist der Begriff Untergang deutlich weiter gefasst. Es kann meiner Meinung nach auch von Untergang gesprochen werden, wenn es ein vielschichtiger, langatmiger Prozess ist - der wichtige Faktor für mich ist der destruktive Aspekt! Laut Duden halte ich \"das Zugrundegehen\" für eine gute Definition.
Transformieren beschreibt lediglich eine Umformung. Es deutet dabei keineswegs auf eine destruktive oder konstruktive Entwicklung hin und verschleiert daher meiner Meinung nach durchaus, ob ein Ereignis nun im Zusammenhang mit Gewalt oder anderen negativen Aspekten behaftet ist.

Ich habe ja bewusst geschrieben, dass ich überspitzte Beispiele verwendet habe und bewusst extreme Beispiele genannt. Per Definition ist der Begriff im Falle der amerikanischen Bevölkerung allerdings nicht falsch. Die Bevölkerung wurde deutlich umgeformt - wenn man es eben absolut wertneutral mit diesem Begriff beschreiben will. Deshalb halte ich den Begriff Transformation für einen Euphemismus.
Eine moralische Wertung ist übrigens nicht nur durch Konstruktion alternativer Szenarien möglich. Ich halte jedoch eine moralische Bewertung durchaus auch für gefährlich, da es schnell zu falscher Beurteilung von Fakten führen kann, wenn die Bewertung der Fakten nicht zuerst und die moralische Bewertung als zweites kommt. Vor allem sollte man das Handeln der Personen nicht durch eine Brille der modernen Moral und Ethik versuchen zu erklären. Eine moralische Wertung halte ich aber dennoch für wichtig - sonst dürften wir z.B. den Holocaust nicht als schreckliches Ereignis bezeichnen sondern dürften nur die Fakten nennen und sagen \"so war es eben\". Für mich bestehen da 2 ebenen - einmal die rein faktische und zum anderen die Ebene, wie wir aus heutiger Sicht die Erkenntnisse beurteilen, die wir durch die Fakten gewonnen haben. Rein faktisch - und da stimme ich ja auch vollkommen überein - durchlebte das römische Reich eine Transformation. Dennoch war diese Transformation für viele Menschen eine Katastrophe und es ist daher durchaus auch als Untergang zu bezeichnen.
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Thaddäus

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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
« Antwort #35 am: 12. Mai 2015 - 00:26:53 »

@WCT: Keine Bewertung kann objektiv sein - ob moralisch oder nicht. Kein Mensch wird jemals wirklich objektiv Urteilen können. Wir können versuchen möglichst Objektiv zu sein - aber das war es auch schon. Es ist auch nur eine Eigenart des aktuellen Zeitgeistes, dass man diese Art der Bewertung als \"richtig\" ansieht. Wie Du schon geschrieben hast, sahen es die Menschen vor 100 Jahren anders und werden es in 100 Jahren sicherlich auch wieder anders sehen. Vielleicht wird dann auf rein emotionaler Ebene bewertet ;) ...
Wie ich in dem Post zuvor geschrieben habe, kann ich Dir gewissermaßen auch nur Recht geben, dass es eine Trennung zwischen Fakten und ihrer Bewertung geben muss. Jedoch obliegt es uns doch auch durchaus, die Fakten und die Erkenntnisse daraus zu bewerten - Fakten allein sagen dann doch leider nicht viel aus, wenn man sie nicht auch in Zusammenhänge bringt, auswertet und eben auch bewertet. Sonst dürften sich unsere Erkenntnisse darin erschöpfen, dass beispielsweise an Ort A eine Tonscherbe gefunden wurde. Wie sie dahin gekommen ist, warum sie da liegt, was die Menschen damit angestellt haben ... das sind doch alles Bewertungen und gehen über die reinen Fakten hinaus! So zu tun, als ob die Arbeit als Historiker eine reine Sammlung von Daten und Fakten ist, halte ich für falsch. Die Interpretation der Fakten ist doch ein sehr essentieller Bestandteil der Arbeit als Historiker und dieser Teil ist wohl immer durch Bewertungen bestimmt und kann daher auch nicht absolut Objektiv sein. Nicht ohne Grund kommen immer wieder Debatten zu Themen, die schon hundertmal geführt wurden, weil jemand die Fakten nun anders interpretiert.
Ich möchte daher Deine Aussage deutlich erweitern - wie ich oben geschrieben habe. Jede Bewertung und Interpretation von Quellen ist Subjektiv. Man kann nur versuchen, bei der Bewertung und Interpretation möglichst objektiv zu sein.
So zu tun, als könnte man daher das Ende des römischen Reiches wertneutral betrachten, ist dann doch eigentlich von vornherein zum scheitern verurteilt.

Bitte versteht mich nicht falsch - ich nehme bewusst eine stärkere Haltung zu meinem Standpunkt ein, als ich vielleicht wirklich vertrete. Eine Wertneutralität halte ich einfach für unmöglich und rein auf faktischer Ebene lässt sich fast keine Erkenntnis gewinnen. Interpretation und Bewertung ist immer nötig und es liegt in der Natur des Menschen, dass diese Dinge subjektiv vonstattengehen.
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« Antwort #36 am: 12. Mai 2015 - 00:27:02 »

Ich glaube, wir reden tatsächlich aneinander vorbei. Meiner Ansicht nach bezieht sich die Transformationstheorie weniger auf konkrete Ereignisse als vielmehr auf die Wandlung des Begriffs Römisches Reich. Und diese Wandlung fand in der gesamten Geschichte des Römischen Reiches statt. Dies zu untersuchen, hat nichst mit Verschleierung unangenehmer Fakten zu tun. Es ist notewendige Begriffsklärung. Denn man muss versuchen, herauszufinden, was die Zeitgenossen in der Zeit un unter dem Römischne Reich verstanden haben.

Das stellt in keinster Weise in Abrede, unter welchen Bedingungen neue Herschaften auf dem Gebiet des weströmischen Reiches errichtet wurden. Hat man es mit literarischen Quellen zu tun, die über die Geschehnisse berichten, so hat man insbesondere in der antiken Geschichtsschreibung mit Topoi zu kämpfen, die sich beinahe seit Anbeginn der Historiographie immer wieder finden lassen. So zum Beispiel, den Topos von den tatkräftigen GErmanen udn den verweichlichten Römern, denen der Gemeinsinn abhanden gekommen sei. Die sich lieber dem Trunke und den Ränken hingaben, als für das Gemeinwesen zu streiten. Es gab kaum einen Historiker aus der Antike, der wesentliche Konflikte innerhalb der Res Publica erfasst und begriffen hätte. Und genau solche blinden Flecken, die daraus resultieren, dass die Geschichtsschreiber zur privilegierten Oberschicht gehörten und die Konflikte im Volke zwar wahrnahmen aber nicht erklären konnten, füllten die Historiker mit solchen Topoi von habsüchtigen Individuen, die nur ihrem Eigennutz fröhnten. Das geht schon bei Sallust los, setzt sich fort bei Tacitus usw. Genau solche Topoi, wenn man sie für bare Münze nimmt, legen aber den Schluss nahe, dass es einen Untergang gegeben habe.

Und gerade spätantike Texte triefen nur so, vor solchen Topoi. Das hat damit zu tun, dass man als Autor seine Gelehrtheit durch möglichst viele versteckte Literaturzitate zum Ausdruck brachte. Man kann als moderner Historiker nun die Sicht der Quellen übernehmen, wie es Mommsen et al getan haben oder man kann die Texte dahingehend abklopfen, was reine Fiktion, was bloßes Literaturzitat ist und was der wahre Kern der Aussage ist.
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Thaddäus

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« Antwort #37 am: 12. Mai 2015 - 00:33:43 »

@ Severus:

Ich habe es mir doch gedacht, dass wir tatsächlich aneinander vorbei reden. geht es Dir lediglich um den Begriff \"Römisches Reich\" - stimme ich der vollkommen zu. Ein Begriff kann wirklich nicht untergehen.
Wenn ich jedoch lese \"Der Untergang des römischen Reiches\" - dann sehe ich darin alles was damit im Zusammenhang steht. Und das, was im 2. Jahrhundert als römisches Reich bezeichnet werden kann, ging sicherlich im Laufe der nächsten Jahrhunderte zugrunde. Der Begriff hat sich stark gewandelt - und es fand eine Transformation statt. Das was aber mal das Reich war, ist meiner Meinung nach untergegangen ....

kann man sich so irgendwie einigen? :D
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« Antwort #38 am: 12. Mai 2015 - 00:35:28 »

ach ja .. und was die Interpretation von Quellen angeht, haben wir wohl auch die gleiche Sichtweise... Ich finde es aber sogar interessant, was man andersherum aus den Topoi für Rückschlüsse ziehen kann (wenn man sie als solche erkennt).
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Thaddäus

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« Antwort #39 am: 12. Mai 2015 - 00:37:50 »

\"Die Transformation des Begriffes Römisches Reich\" - damit kann ich leben ;)
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« Antwort #40 am: 12. Mai 2015 - 09:44:08 »

Geschichtstheoretisch ist das durchaus okay, wenn man letztendliche Objektivität als unerreichbar ansieht, aber mal zur Fragestellung:

Wo konkret siehst du denn katastrophale, den Begriff \"Untergang\" rechtfertigende Vorgänge, die durch die bestehdne archäologische und historigrafische Überlieferung gedeckt sind?
Der Begriff \"Transformation\" wurde ja deswegen von der Forschung ins Spiel gebracht, weil bei genauerer Betrachtung eben nicht nachgewiesen werden konnte, daß hier ein Untergang stattgefunden hat. Die Städte bestanden weiter (in kleinerer Form, aber diese Schrumpfung begann schon Ende des 3. Jahrhunderts), ebenso die meisten Institutionen, bei denen sich nur die soziale Herkunft der wahrnehmenden Amtsträger wandelte. Z.B. gab es im 3. Jahrhundert ganz offiziell das Amt eines Magister Militum für Gallien, und die Merowinger führen diesen Titel auch weiter und das nicht nur aus propagnandistischen Gründen - man geht inzwischen davon aus, daß sowohl sie selber als auch die gallischen Untertanen in ihnen tatsächlich Magistres militum in klassischer spätrömischer Tradition sahen.

Es gibt viele weitere Beispiele, die gegen einen Epochenumbruch sprechen, wie er durch \"Untergang\" suggeriert wird. Denn dafür fände man dann genau so gültige Ansätze im Krisenjahrhundert der Soldatenkaiser (3. Jh.), da spricht man dennoch nicht vom Untergang.

Das ist jetzt etwas überspitzt, aber Transformation wurde in der Forschung ja nicht aus Jux und Dollerei als Begriff für diese Zeitschiene etabliert, und da habe ich bis jetzt noch keine Argumente gesehen, die dem eklatante Mängel nachweisen könnten.
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\"HIMMELHERRGOTT, was für eine Stadt zum Plündern!\"

(soll er angeblich tatsächlich gesagt haben)

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\"Die geilen Sachen passieren eh während dem Spiel und nicht bei der Ermittlung des Siegers. \" (Wraith)

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« Antwort #41 am: 12. Mai 2015 - 09:58:55 »

Hi,

ich finde die Diskussion sehr anregend und eigentlich auf einem guten Niveau, Applaus.

Ich frage mich eigentlich immer, warum uns alle, egal mit welchem Ergebnis, dieses Thema so berührt.

Die dahinter liegende Grundfrage ist doch, ob die Geschichte der Menschheit einen stetigen Fortschritt zum Besseren ( politische Emanzipation, Minderheiten, Gender und so... ) darstellt  oder z.B. ein zyklisches Wachsen und Vergehen. Wenn man an ersteres glaubt, dann sind 600 Jahre \"Verfall und Dunkles Zeitalter\" sicher ein kleines Problem.

Dazu sollte man mal Oswald Spengler lesen.

Gruß
« Letzte Änderung: 01. Januar 1970 - 01:00:00 von 1431426489 »
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Tumbertor

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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
« Antwort #42 am: 12. Mai 2015 - 10:06:17 »

Hi,

kleiner Scherz am Rande:



Bild:  Gallo-Römische Senatoren huldigen dem neuen Magister Militum Chlodwig.

\"  Z.B. gab es im 3. Jahrhundert ganz offiziell das Amt eines Magister Militum für Gallien, und die Merowinger führen diesen Titel auch weiter und das nicht nur aus propagnandistischen Gründen - man geht inzwischen davon aus, daß sowohl sie selber als auch die gallischen Untertanen in ihnen tatsächlich Magistres militum in klassischer spätrömischer Tradition sahen.\"

Gruß
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Yogsothoth

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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
« Antwort #43 am: 12. Mai 2015 - 10:46:51 »

Hallo!


Ich finde diese Diskussion auch sehr anregend. Tolle Argumente auf allen Seiten!

Ich gebe in den meisten Punkten Thaddeus und Tumbertor Recht. Lustige Analogie, übrigens.


Zitat von WCT:

\"Jegliche moralische Bewertung ist nur durch Konstruktion alternativer Szenarien/Handlungsalternativen möglich. \"


Wenn man vom \"Untergang\" des Weströmischen Reiches spricht, ist das sicherlich ein Werturteil, aber kein moralisches. \"Ermordung\" wäre eines...

Auch der Begriff \"Transformation\", der an sich wertneutral ist, kann in seiner Verwendung euphemistisch sein. Nämlich dann, wenn man ihn verwendet, um einer Wertung auszuweichen, die sich eigentlich aufdrängt, die man aber vermeiden möchte, weil man sich in Bezug auf aktuelle Entwicklungen unangenehm davon berührt fühlt.

Genau das unterstelle ich Teilen der Geschichtswissenschaft im Hinblick auf den Umgang mit dem Thema \"Verfall bzw. Verschwinden des Römischen Reiches\".

Bezogen auf andere Themen (z.B. Nationalismus, Kolonialismus usw.) schrecken Historiker ja nicht gerade vor Werturteilen, auch moralischer Art, zurück, sondern betrachten ein gesellschaftspädagogisches Einwirken auf die Öffentlichkeit auf Basis solcher Urteile über die Vergangenheit ja geradezu als ihre Hauptaufgabe und Daseinsberechtigung. Warum dann die Hemmungen in Bezug auf die Antike?

Zur Quellenlage habe ich den Eindruck, dass selbst wenn man lokale zeitliche Verschiebung, topoi-beladene Schriftquellen und eine dürftige Gesamtzahl an Quellen berücksichtigt, sich ein Bild ergibt, das im Wesentlichen schon den Ausdruck Untergang rechtfertigt. In England z.B. fand fast exakt das selbe statt, wie in einigen südamerikanischen spanischen Kolonien. Die einheimischen Männer wurden, laut genetischer Untersuchung, fast komplett von der Fortpflanzung abgeschnitten, die Eroberer eigneten sich Land und Frauen im Rahmen einer sehr gründlichen Landnahme an. In Gallien blieb die romanische Bevölkerung zahlenmäßig interessanterweise in der Übermacht, wie schon die sprachliche Entwicklung zeigt, aber obwohl nur die Kriegerkaste und Herrscher ausgetauscht wurden, folgt die gallo-römische Oberschicht im Laufe von 1-2 Generationen deren Lebenswandel und die Enkel griffelschwingender Grammatik-Enthusiasten werden analphabetische Schlagetots. Im gallischen und germanischen Grenzbereich werden römische Gebäude bis zum Verfall bewohnt, dann aufgegeben und direkt daneben Hütten gebaut. Aus großen Prachtgebäuden werden Metallklammern und Steinblöcke gebrochen, Straßennetz und Wasserversorgung verkommen... also um zwischen dem allgemeinen Lebensstandard bis ca. 400, und dann dem um ca. 500, zumindest in weiten Teilen Europas, keinen Niedergang zu erkennen, muss man sich schon etwas mühen.

@ severus: Auch was die erwähnte Transformation der Republik angeht, würde ich die Kontinuitäten nicht überbetonen. Nach hundert Jahren Bürgerkrieg hatte sich die alte republikanische Führungsschicht selbst ausgerottet und der vollkommen müde gekämpften Bevölkerung war die Alleinherrschaft lieber, als fortgesetztes Chaos. Augustus sehe ich eher als das Vorbild für Senator Palpatine bei Star Wars und weniger als Retter der Republik.

Eine sehr faszinierende Frage in Bezug auf unser Thema ist für mich noch etwas anderes:

Die total durchmilitarisierte römische Bevölkerung der späten Republik, die in der hellenistischen Welt als barbarische Krieger gefürchtet waren, sind einige hundert Jahre später zu einer wehrunfähigen oder wehrunwilligen Bevölkerung geworden, die hilflos der Machtübernahme kleiner, eingewanderter Gruppen ausgeliefert ist. Wie ist das möglich? 20.000 Goten oder Wandalen setzen sich als neue Führungsschicht auf Millionen von Römern... hat die \"Pax Romana\" des Augustus und die weitgehende Professionalisierung und Abtrennung des Militärs von der Zivilbevölkerung zu einer Pazifizierung geführt, die in diesem Falle verhängnisvoll war? Im Sinne einer Domestizierung zu hilflosen Steuerzahler-Untertanen?

Viele Grüße,

Yogsothoth
« Letzte Änderung: 01. Januar 1970 - 01:00:00 von 1431421041 »
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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
« Antwort #44 am: 12. Mai 2015 - 11:39:54 »

@Mansfeld: Das interessante ist ja, dass Severus und Du eine ganz andere Vorstellung vom Begriff Transformation haben. Severus bezieht \"Transformation\" auf den Begriff \"Römisches Reich\" und Du siehst dabei, so wie ich es auch erst bei Severus angenommen habe, das Reich als solches in einer Transformation begriffen.
Severus gebe ich vollkommen Recht, dass man durchaus von einer Transformation sprechen kann, was den Begriff angeht. Das Reich als solches hat jedoch deutlich negative Entwicklungen gemacht, die ich getrost als Untergang bezeichnen möchte.
Was die Bezeichnung Untergang angeht, so scheinst Du damit auch das Ende jeglicher Existenz zu bezeichnen. Ich habe ja mehrfach geschrieben, dass für mich durchaus Kontinuitäten bei einem Untergang gegeben sein können und im Römischen Reich war das sicherlich der Fall. Der Unterschied zwischen dem Römischen Reich im 2. Jahrhundert und dem 6. Jahrhundert ist für mich jedoch so gravierend, dass ich tatsächlich infrage stelle, ob das Reich überhaupt noch wiederzuerkennen ist, oder doch eben untergegangen ist.
Yogsothoth hat ja auch einige Hinweise gegeben, die eine Untergangstheorie stützen und wenn man mal ehrlich ist - wenn die Bevölkerung der Haupstadt von einer Million auf vielleicht ein Zehntel gesunken ist... dann war etwas ganz im Argen! Natürlich sind die Römer nicht ausgestorben (das habe ich tatsächlich schonmal von jemanden gehört) - aber das Reich hat sicherlich nicht die Zeit unbeschadet überstanden. Viele Begriffe haben die Zeit überdauert - und in diesem Punkt gebe ich Severus absolut Recht.
Das Römische Reicih hat irgendwann jedoch auch komplett aufgehört zu existieren - und das Ende war nicht von Heiterkeit geprägt, sondern von wirtschaftlichem, kulturellen, militärischen, wissenschaftlichen Niedergang.
Natürlich kann man nun argumentieren, dass das, was um 700 existierte kulturell genau so hochwertig war, wie das was 200 existierte, denn alle Kulturen könnte man auch als gleichwertig ansehen (was ich nicht tue) - aus meiner Sicht war es jedoch ein Verfall und eine eigene Meinung steht jedem zu.

Interessant fände ich nun eine Erörterung von Dir (Manfeld) und Severus zu dem Thema \"Transformation\", denn ihr scheint beide doch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon zu haben. Einmal steht der Begriff im Raum und einmal das, was ich der Einfachheit halber als Staat bezeichnen möchte (auch wenn der Begriff natürlich nicht korrekt ist).
Kann man tatsächlich bei dem Staat lediglich von einer Transformation sprechen, oder gab es doch Ereignisse die man als Katastrophe, Untergang, Verfall, Zugrundegehen etc. beschreiben müsste? Das der Wertneutrale Begriff \"Transformation\" auf den \"Begriff\" angewendet werden kann, finde ich absolut vertretbar.
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