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Autor Thema: Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen  (Gelesen 8275 mal)

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Davout

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #30 am: 16. Januar 2016 - 14:19:59 »

Große Soldaten waren sicherlich auch nützlich um die Granaten weiter werfen zu können, nur spielte das unter Friedrich keine Rolle mehr. Wir haben es bei dieser Körpergrößenfrage der Flügelgrenadiere und der Garde mit zwei parallel durchgeführten Formen der Elitenauslese zu tun. Das Leibgardebataillon dürfte sicherlich noch immer aus ausgesucht großen Leuten bestanden haben, ähnlich, nur etwas weniger strikt auch die anderen Gardebataillone. Die Garde erhielt ihren Ersatz über die \"Unrangierten\" der Garde, bei denen Gediente aus der Linie gesammelt wurden - so eine Art Depottruppe. Die normalen Grenadierbataillone erhielten ihren Ersatz direkt aus ihrem Stammbataillon. Im Endeffekt war die Situation im 7YW dann so, dass bei etlichen Regimentern irgendwann nur noch die Grenadiere kampffähig waren, das Leibgardebataillon war nach Kolin de facto Garnisonstruppe und nur seine Flügelgrenadierkompanie diente als Hauptquartierwache. Die übrige Garde stand im Feld.
Verglichen mit späteren Zeiten und anderen Armeen war die preußische Elitentruppenbildung noch ziemlich simpel.

Grüße

Gunter
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Riothamus

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #31 am: 16. Januar 2016 - 14:43:00 »

Nur, dass die Quellen, also die Vorschriften für die Infantrie, ich meine zu 1713/1717, sagen, dass die Kleinsten für die Flügelgrenadiere genommen worden sind, was nach Bildung der Grenadierkompanien unter Friedrich dem Großen in gewisser Weise relativiert wurde.

Die Grenadier sollten nach dem genannten Reglement 1713/1717 aus dem 3. Glied genommen werden. Die Reglements 1735/1743, evt. auch 1726 werde ich bei Gelegenheit nachsehen. Warum um etwas streiten, was man nachschlagen kann?

Gab es nicht eine Webseite mit den ganzen Quellen zum Friderizianischen Militär?
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Riothamus

Flotter_Otto

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #32 am: 16. Januar 2016 - 14:46:08 »

Hallo Davout,
Hausregeln  :thumbsup:
So gehts mir auch mit einigen fragwürdigen Regelmechanismen. Dabei gehts mir auch nur um eine historische Annäherung, die auf eine leichte Weise ins Spiel integriert werden sollen. Bedeutsame Sachen komplett zu ignorieren, während andere Dinge aufgegriffen werden, leuchtet mir nicht ein. Und Todschlagargumente, wie Spielregelerstarrung oder zu viele Mechanismen im Spiel, ist sowieso Unsinn. Manches wird geradliniger, Spielspasstöter eliminiert oder historisch etwas korrekter gehändelt. Ansonsten habe ich auch mal Mut zur Lücke. Jetzt bin ich off topic.

Gruß
Bernd
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Pedivere

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #33 am: 16. Januar 2016 - 14:53:47 »

@Riothamus  :thumbup:
@Davout  :thumbup:
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ach was!

Davout

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #34 am: 16. Januar 2016 - 15:14:52 »

@Riothamus,
ich dachte die kleinsten Leute standen im 2. Glied?

Grüße

Gunter
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Riothamus

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #35 am: 16. Januar 2016 - 15:25:14 »

Nicht ganz falsch:

1. Glied: die Größten

2. Glied: die Drittgrößten

3. Glied: die Kleinsten

4. Glied: die Zweitgrößten

Erst 1735 wurde die 3gliedrige Aufstellung eingeführt, wodurch die Kleinsten ins 2. Glied kamen.
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Riothamus

Riothamus

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #36 am: 16. Januar 2016 - 16:52:28 »

Im Reglement von 1743 bin ich nicht fündig geworden, habe aber auch nur an ein paar einschlägigen Stellen gesucht.

Dafür ein Literaturtipp, der den ein oder anderen Wargamer interessieren mag. Friedrich der Große hat eine Anleitung für seine Generäle geschrieben. Zunächst geheim, fielen 1759/1760 2 Exemplare den Österreicher in die Hände und wurden 1761 in Frankfurt gedruckt:

Des Königs von Preußen Majestät Unterricht von der Kriegs-Kunst an seine Generals, übers. von Georg Rudolf Färch, Frankfurt und Leipzig 1761.

S.197: \"Ein langer Krieg schwächt unvemerkt unsere vortrefliche Mannszucht, entvölkert unser Land, und erschöpft unsere Kräfte.\"

Irgendwo darin schreibt er auch, er würde mit den Preußischen Soldaten \"die gantze Welt bezwingen, wann die Siege ihnen nicht eben so fatal wären als ihren Feinden.\"

Das wurde im Thread ja auch schon thematisiert. Davon abgesehen, handelt es sich um ein Handbuch für die Praxis, nicht um ein theoretisches Werk. Damit ist es aber eine gute Quelle für die Beurteilung der Sinnhaftigkeit von Regeln.
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Riothamus

preussischblau

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #37 am: 16. Januar 2016 - 17:12:24 »

Hallo,

Cooler Hinweis auf Friedrichs Büchlein, vielen Dank! Das werde ich in einer ruhigen Stunde mal durchgehen. Sehr schade nur, dass die Skizzen ab Seite 174 allesamt unbrauchbar sind, da hat der automatische Scanner versagt, oder die Hilfskraft. Skizzen von Schlachtaufstellungen wären für uns grad besonders interessant. Ich frage mich, ob die Bayerische Staatbibliothek sowas fixen würde?

Gruß, Stefan
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Riothamus

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #38 am: 16. Januar 2016 - 17:34:13 »

Einfach mal nachfragen. Aber kennst Du Günter Dorn, Joachim Engelmann, Die Schlachten Friedrich des Großen Führung. Verlauf. Gefechts-Szenen. Gliederungen. Karten., Augsburg 1997? Die Illustrationen sind von Günter Dorn. Zu jeder Schlacht gibt es mindestens eine Karte, eine Skizze und die Schlachtordnung (\"Aufstellung\") sowie natürlich die Beschreibung.

Bezüglich der Grenadiere bin ich fündig geworden:

Seit 1732 gab es Vorschriften für die Größe preußischer Rekruten:

Musketiere mussten 5 Fuß, 6 Zoll (172 cm) groß sein, Grenadiere nur 5 Fuß, 5 Zoll (165,5 cm).

In seinem militärischen Testament (1752) geht Friedrich von folgenden Größen für die alten Regimenter aus:

Musketiere wiederum 5 Fuß, 6 Zoll (172 cm), Grenadiere mussten aber jetzt 167 cm erreichen.

(Abgeschrieben aus dem bereits erwähnten Heerwesen von Groehler, S. 30.)
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Riothamus

preussischblau

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #39 am: 16. Januar 2016 - 18:15:11 »

Hi
Nochn Lesetipp, danke! Das Buch gibt es bei Amazon für 0,61 Euro oder 100,48 Euro, und vieles dazwischen. 8| Rate mal, welches ich bestellt habe 8o Das ist einfacher als Korrespondez mit nem Amt...
Gruß, Stefan
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Davout

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #40 am: 16. Januar 2016 - 21:14:48 »

Jetzt wo ihrs schreibt, ich hab die Bände auch alle im Regal stehen...

Der Sinn der Grenadiermützen war dann wohl nicht zuletzt deren geringere Größe optisch auszugleichen. Außerdem kann man die späteren bevorzugt großen Grenadiere wohl als Folklore betrachten. Ich würde sogar soweit gehen, dass ihre Funktion dann die Voltigeure (oder andere leichte Kompanien/Züge) übernahmen, bzw. dass es garkeine wirklich relevanten Unterschiede zwischen beiden gab. Man findet schließlich auch in Zeiten von leichten Kompanien immer noch Grenadiere separat vor der Front kämpfend erwähnt.
Das mit den großen Soldaten war selbst bei der Linie eine ziemliche Marotte, denn die \"Übergroßen\" klappten doch zuerst kreislaufmäßig weg.
Das mit den mittelgroßen Soldaten nur bei den Grenadieren wirkt bei Groehler etwas seltsam, denn das würde bedeuten, dass sie ungediente Leute rekrutierten, wenn doch die Musketiere ihrer Stammbataillone nur größere nehmen durften. Das kann man kaum glauben, zumal z.B. Guddat explizit schreibt, die hätten sich aus berreits 2 Jahre gedienten Musketieren rekrutiert. Wenn er dann freilich erwähnt, die Grenadiermützen wären häufig vom Kopf gefallen, wo sie doch mit einem unter dem Zopf durchgezogenen Band am Kopf befestigt war. Man sieht zwar häufig auf Gemälden wie den Grenadieren die Mütze wegfliegt, aber dass das so ein akutes Problem gewesen sein soll wage ich zu bezweifeln. Es ist doch ziemlich auffällig, dass in allen Armeen erst dann Kinnriemen für hohe Kopfbedeckungen auftauchten, als die Zöpfe verschwanden. Bei Napoleons Carabiniers ist dieser Zusammenhang sogar besonders bekannt geworden.

Was soll ich sagen, wieder mal gründlich abgeschweift heute :D

Grüße

Gunter
« Letzte Änderung: 01. Januar 1970 - 01:00:00 von 1452976256 »
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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #41 am: 17. Januar 2016 - 08:40:55 »

Aber so ist Abschweifen doch in Ordnung. :D

Ich nehme an, die unterschiedlichen Informationen bezüglich der Rekrutierung von Grenadieren gehen entweder auf unterschiedliche Zeiten zurück - einige Zeit nach dem 7jährigen Krieg hat man in Preußen die Größenanforderungen ja nicht mehr einhalten können, weil immer mehr Gruppen von der Enrollierung ausgenommen wurden - oder es wurden für Grenadiere vorgesehene Rekruten erst bei den Musketieren geführt und je nachdem, wie sie sich geführt haben entlassen oder zu den Grenadieren versetzt. Oder man zählte sie, bis sie einsatzfähig waren als Überkomplette.

Aber das sind nur Vermutungen, wie man die Angaben der Sekundärliteratur in Einklang könnte.

Wo Du Guddat erwähnst, ich mache mal einen Thread zu Literaturtipps für Preußenanfänger auf, wenn es ihn nicht schon gibt.
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Riothamus

Goltron

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #42 am: 25. Januar 2016 - 21:41:39 »

Ich stelle meine Frage mal hier da es doch irgendwie zum gesamten Themenkomplex passt:

Wieso wurde die Lineartaktik trotz ihrer (scheinbaren?) Unzulänglichkeiten beibehalten - oder besser gesagt, überhaupt eingeführt? Es wird ja gerne angemerkt das die absolute Maximierung der schießenden Soldaten aufgrund der geringen Trefferwarscheinlichkeit erfolgte, doch wenn diese zu gering gewesen wäre hätte sich die Muskete als Fernkampfwaffe doch zuallererst überhaupt nicht durchsetzen können. Liegt die spätere Einführung der Angriffskolonne aber daran das vorher einfach niemand daran gedacht hatte oder hat sich zwischen dem 7JK und den Revolutionskriegen etwas an der Verfügbaren Technik geändert? Ich habe keine Ahnung inwiefern sich die Musketen in diesem Zeitabschnitt weiterentwickelt haben aber eine höhere Zielgenauigkeit oder auch Schussfolge hätte doch genau den umgekehrten Effekt, das die Linie mehr an Feuerkraft gewinnt als eine andere Formation. Wäre die Feuerkraft aber zu Zeiten des 7JK so gering gewesen, hätte dann nicht schon dort irgendwer darauf kommen müssen eine Linie mit einer konzentrierten Kolonne zu durchbrechen? Vorallem in Preußen wo man am Rande der Niederlage war, nicht ganz unähnlich zum revolutionären Frankreich schnell frische Truppen ausheben musste?

Mein bisheriger Eindruck ist das der Entscheidende Unterschied die leichte Infanterie ist. Es erscheint mir plausibel das der entscheidende Unterschied sein könnte ob eine Kolonne von Infanterie im zerstreuten Gefecht vor einer Infanterielinie abgeschirmt wird oder nicht. Man könnte auch vermuten ob zielgenauere Musketen (wenn es die gab) dieser leichten Infanterie einen größeren Vorteil bringen als es bei einer Infanterielinie (die ohnehin nicht gezielt feuert) der Fall ist. Der Verfügbarkeit von Büchsen kann es ja nicht sein da diese von den Franzosen nicht eingesetzt wurden.

Ich habe mir das Buch von Guddat zur preußischen Infanterie gekauft und bin da auch weitgehend durch. Viele interessante Einblicke auch wenn für den Wargamer eher wenig relevantes dabei ist. Eine Sache wird aber öfters angesprochen: Das Problem der Desertation, vorallem bei ungeordneten Infanterieeinheiten. War das wirklich ein Grund gegen den Einsatz von zerstreut kämpfender Infanterie? Gibt es hier einen gesellschaftlichen wandel, bspw. hin zu größeren Nationalbewusstsein, der dieses Problem ein paar Jahrzehnte später verringert wodurch leichte Truppen besser eingesetzt werde können? Bei den revolutionären Franzosen kann man natürlich davon ausgehen, aber es gibt ja auch genug andere Kriegsteilnehmer welche keinem solch radikalem Wandel unterworfen waren.
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tattergreis

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #43 am: 25. Januar 2016 - 23:14:48 »

Zitat von: \'Goltron\',\'index.php?page=Thread&postID=212990#post212990
hätte dann nicht schon dort irgendwer darauf kommen müssen eine Linie mit einer konzentrierten Kolonne zu durchbrechen?
Man durchbricht eine Linie nicht mit einer Kolonne. Die Linie flüchtet vielleicht, das ist ein Unterschied.

Die Feuerwaffen waren den Piken überlegen, im 30jährigen Krieg haben die Soldaten nach Möglichkeit ihre Piken gegen Musketen getauscht. Durch die Einführung des eisernen Ladestocks konnte die Feuergeschwindigkeit erhöht werden. Eine gut ausgebildete Infanterie konnte in den schlesischen Kriegen mit ihrer Feuerkraft und Disziplin sowohl in Linie angreifen als auch verteidigen. Allerdings führte die Zunahme an (Bataillons-)Geschützen zu einer Stärkung der Defensive.

Die Franzosen haben nach dem SJK viel mit Kolonnen experimentiert. In Verbindung mit einem Schützenschleier und beweglicher Artillerie konnte die Kolonne ihre Erfolge erzielen. Siehe Battle Tactics of Napoleon and his Enemies von Nosworthy.

Die Französischen Voltigeure haben sehr erfolgreich im zerstreuten Gefecht gekämpft, die franz. Massen in den Revolutionskriegen vor Nappi weniger. Ob die Voltigeure für ihre Nation, ihren Kommandeur oder ihren Kameraden gekämpft haben oder durch die Möglichkeit des Beutemachen motiviert waren, kann ich nicht wirklich beurteilen.

cheers
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Zusatz von 1752: „Die Hauptregel im Kriege bei allen Kämpfen und Gefechten besieht darin, daß man sich selbst in Flanke und Rücken sichert, dem Feinde aber die Flanke abgewinnt. Dies geschieht auf verschiedene Weise, läuft aber alles auf eins hinaus.“

Riothamus

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #44 am: 26. Januar 2016 - 01:57:25 »

Es ist spät, und ich bin nur wach, weil ich einen Alptraum hatte. Daher ohne groß nachzuschlagen:

Preußen war natürlich extrem im Mangel von leichter Infanterie, auch wenn in dieser Hinsicht Freibataillone und Freikorps aufgestellt wurden. Die Österreicher hatten da schon eine Menge.

Und über die Kolonne wurde lange diskutiert, bevor man sie ausprobierte. (Ortenburg, Heerwesen der Neuzeit, diskutiert das an entsprechender Stelle.) In Preußen hielt man starrsinnig an der Überlieferung des Alten Fritz fest. In Frankreich überlegte man, was man ändern kann. Zu Ende des 7jährigen Krieges hatte sich gezeigt, dass man mit den großen Armeen nicht mehr als Einheit agieren konnte. Friedrich der Große hat das durchaus auch erkannt. Nur scheiterte sein Versuch, die Armee bei Torgau in 2 Kommandos einzuteilen, weil er nicht genügend koordiniert werden konnte. Dennoch wies das -notwendiger Weise- in die Zukunft. (Zudem befestigten die Gegner Friedrichs bei Torgau ihre Stellungen, was wieder ein anderes Thema ist.)

Nur hatten jetzt die Truppenverbände das Problem, dass ihre Flanken nicht umfasst werden durften. Ähnlich, wie man es sich früher bei Manipeln und Kohorten vorstellte, sollten die Bataillone daher flexibler eingesetzt werden. (Heute stellt man sich die Römische Taktik eher so vor, wie in dem vor einiger Zeit verlinkten koreanischen Polizeivideo, also als Kombination der beiden früher entgegengesetzten Hypothesen.) Dazu gehörte eben auch die Kolonne. Und im Gegensatz zu Tattergreis, dessen Schreibung immer wieder automatisch korrigiert wird, war eine Kolonne durchaus in der Lage eine Linie zu durchbrechen. Darauf basierte ja die ganze Kriegführung der Antike. Das Problem, welches man in der Neuzeit damit hatte, war, dass eine Linie durchaus in der Lage war, so einen Angriff abzuweisen, wenn es kein Gegenfeuer gab. Und hier war man durchaus lange blind dafür, einen Teil der Formation für das Schützengefecht vorzuhalten.

Und bevor das hier wieder in einer Diskussion über eine angebliche absolute Überlegenheit der Linie endet, sei an die \'Highland Charge\' erinnert. Es gibt da ein Bild der Schlacht bei Culloden 1746 (s.u.). Erst hier, also mitten im Zeitalter der Linie, fand man einen Weg, so einen Angriff aufzuhalten. Und schon bei diesen Angriffen, musste wirklich alles stimmen, damit die Linie stehen bleiben konnte. Insbesondere war die Unterstützung der Artillerie wichtig. Die dritte Reihe der Linie sollte dann auf die 12 Meter entfernten Angreifer schießen. Dann sollten die ersten beiden Reihen auf die direkt vor den Bajonetten befindlichen Angreifer schießen. Selbst hier agierte die Linie also nur dann erfolgreich, wenn sie von Artillerie unterstützt wurde. (Geoffey Parker, Die militärische Revolution, S. 56-59, Das beeindruckende, oben erwähnte Bild des Vorgangs auf S.58.)

Und dass Soldaten der einen oder anderen Seite stiften gingen, bevor sie in den Nahkampf gerieten, hat auch damit zu tun, dass nur ein geringer Teil im Bajonettkampf ausgebildet war, obwohl es natürlich auch dafür Vorschriften gab. (Österreich hatte sogar Vorschriften für den Kampf Bajonett gegen Lanzenreiter. Bilder finden sich in den entsprechenden Bänden der Reihe Ortenburg, Heerwesen der Neuzeit.)

Für beide, die Linie und die Kolonne kam es auf die Unterstützung an. Das hieß aber nicht, dass nicht auch einzelne Bataillone in Formation gegeneinander gekämpft hätten. Keine 5km von hier ist das mehrfach passiert. Sowohl im 7jährigen Krieg, als auch beim Rückzug der Franzosen 1813. Man fragt sich unwillkürlich, warum da so starr an den Formationen festgehalten wurde. Für 1813 vermute ich eher einen Überlieferungsfehler aufgrund der älteren Vorkommnisse, aber einen Beweis habe ich nicht. Damit ist aber die Frage, ob eine vereinzelte Linie einer vereinzelten Kolonne auf dem Golfplatz standhalten konnte, nicht ganz unrealistisch. Wie ich schon im anderen Thread schrieb, denke ich, dass die Kolonne, wenn sie in Ordnung blieb, die besseren Chancen hatte. Keil gegen eine zu dünne Phalanx eben. Oder, wie gesagt, Highland Charge. Im Szenario fehlt ja die Artillerie. Und Plänkler konnten beide Einheiten einsetzen.

In der Gesamtschlacht, um abschließend darauf zurückzukommen, war die Frage, wie die Infanterie unterstützt wurde. Wenn die Kavallerie vergisst, die Kanonen zu vernageln und die Garde an der falschen Stelle angreift, während Wellington alles nach Plan ablaufen lassen kann, gewinnt eben die Britische Linie nicht nur ein Treffen mit einer Kolonne, sondern die ganze Schlacht.

Darum wieder hier die Frage, wie man die verschiedenen Arten der Unterstützung in den Regeln abbilden soll, ohne dass es zu komplex wird. Entweder will man ein schnelles Spiel und gibt, wie bei Black Powder Werte vor, oder man geht weiter in Richtung Simulation und berechnet die Bedingungen für jeden Angriff neu.

EDIT: Die Linie war das Ergebnis einer Entwicklung. Und ihre Taktik entwickelte sich weiter. Im 7jährigen Krieg hatte man sie wohl ausgereizt. Die nächsten großen Kriege brachten dementsprechend ihr Ende. Man behielt sie also bei, weil die Zeit noch nicht so weit war.

EDIT2: @Tattergreis: \"Meist\" oder \"Gewöhnlich\" heißt nicht \"immer\". Und das ist ein viel wesentlicher Unterschied. Es kam eben doch vor.

EDIT3: Das erwähnte Bild ist jetzt verlinkt.
« Letzte Änderung: 01. Januar 1970 - 01:00:00 von 1453772383 »
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Riothamus