Betrachtet man die deutsche Miniaturenkriegsspiel Szene, so fällt sofort ins Auge, dass kaum jemand dieses Hobby als das bezeichnet, was es letztlich ist: ein Miniaturenkriegsspiel. Stattdessen liest man nahezu ausnahmslos vom Tabletop-Hobby – ein Begriff, der mit dem Gegenstand in seiner Gänze nur wenig zu tun hat und der somit dem Wesen des Kriegsspiels fern bleibt. Diese Diskrepanz treibt mich seit langer Zeit um, weswegen ich ihr im Folgenden nachgehen möchte, um dann anschließend den Begriff des Miniaturenkriegsspiel zu rehabilitieren und ich will vorwegnehmen, dass ich dies in mehrfacher Hinsicht für erforderlich erachte.
Der Begriff zur Weltmacht
Bevor ich mit meinen Überlegungen beginne zwei Anmerkungen, die ich an dieser Stelle für notwendig erachte. Es wäre vermessen zu behaupten, dass wir der Komplexität einer jeglichen Tätigkeit oder Dings durch dessen Begriff im Alltagsgebrauch gerecht werden könnten oder, dass die Begriffe nicht widersprüchlich zu ihrem Inhalt sein können. Die Dinge sind nun mal wesentlich komplexer als ihre Begriffe. Trotzdem ermächtigt uns erst die sprachliche Konkretisierung den Dingen und Tätigkeiten überhaupt irgendwie gerecht zu werden. Andernfalls würden wir nämlich in eine groteske Beliebigkeit der Sprache gelangen und stünden vor einem ähnlichen Problem wie die Turmbauer zu Babel.
Darüber hinaus mag angenommen werden, dass es sich bei Tabletop um einen Eigennamen handeln könnte und dieser als solcher nicht kritisiert werden müsste. Dem möchte ich entgegenhalten, dass der Begriff Tabletop keineswegs der Willkür einer simplen Namensgebung unterliegt, sondern, sehr wohl mit dem Inhalt des Miniaturenskriegsspiels bereits zusammenhängt, nur eben nicht der Besonderheit des Gegenstands gerecht wird.
Wenn wir über die uns umgebenden Verhältnisse und Dinge reden, so tun wir das zumeist so, dass etwas Besonderes aus dem Allgemeinen herausgestellt wird. Nennwörter sollen einen Gegenstand oder ein Wesen auf einen möglichst genauen Begriff bringen.
Beim Tabletop gibt es hier jedoch einen Bruch und das Besondere wird mit etwas Allgemeinen verschleiert. Anstatt nämlich das als Begriff zu verwenden, was das Miniaturenkriegsspiel von anderen Tätigkeiten unterscheidet, wird ein Wort herangezogen, welches letztlich überhaupt keine Tätigkeit bezeichnet, sondern bloß einen total beliebigen Gegenstand.
Tatsächlich spielt man beim Tabletop auf, zu Deutsch, Tischoberflächen, aber der Begriff unterscheidet die Tätigkeit nicht grundsätzlich von anderen. Eine Tischoberfläche wird nämlich ebenso verwendet, wenn ich mit meiner Großmutter Kaffee und Kuchen genieße oder wenn ich den vorliegenden Text schreibe. Sie ist also diversen Tätigkeiten und auch Gegenständen gemein und somit ein gänzlich unpräziser Begriff für alles, was keine Tischplatte ist.
Ein kurzer Vergleich soll meine Aussage noch verdeutlichen: Ralfs Lehrerin fragt ihn, was er gerne in seiner Freizeit macht und er antwortet: „Ich mache gerne Rasen.“ Eine irreführende Aussage, denn Ralf spielt gerne Fußball. Beim Fußball wird zwar auf einem Rasen gespielt, aber dies ist genauso gut für alle anderen Feldsportarten der Fall. Sie haben den Rasen gemein und er präzisiert den Fußball nicht. Was den Fußball jedoch von anderen Sportarten unterscheidt ist, dass ein Ball mit dem Fuß und nicht etwa mit der Hand bewegt wird.
Gleiches gilt für das Miniaturenkriegsspiel. Es wird mit Miniaturen Krieg gespielt und nicht bloß (auf einer) Tischoberfläche.
Warum ist trotzdem der leidige Begriff des Tabletop in Deutschland so verbreitet ist?
Der große Sprung um die Ecke
Im Folgenden ein paar Beobachtungen zu der Verwendung des Begriffs Tabletop.
Obwohl der Begriff Tabletop dem Englischen entlehnt wurde, so wurde trotzdem nicht der im englischsprachigen Raum geläufigste Begriff des Wargame ins Deutsche geholt. Dies ist in sofern noch verwunderlicher, da die meisten Produkte und zwar sowohl Miniaturen und Regeln, als auch Magazine und Internetportale für das Hobby aus dem englischsprachigen Raum kommen und diese zum Großteil den Begriff des Wargame, Miniature Wargame und, ja, auch Tabletop Wargame verwenden. Dass also das englische Wort Tabletop den Deutschen, aber auch Spielern aus anderen Ländern, nicht einfach vom Himmel in den Kopf fiel ist offensichtlich. Herauszustellen ist hierbei jedoch, dass das Wort Tabletop im Tabletop Wargame letzteres nur präzisiert, also darauf hinweist, dass nun genau dieses Wargame im Besonderen auf Tischoberflächen gespielt wird und nicht auf dem Fußboden wie das Wellssche Little Wars. Dem ist hinzuzufügen, dass aus Tabletop Wargame im deutschen nicht Tabletop Kriegsspiel oder gar Tischkriegsspiel wurde. Nein, der wesentliche Begriff nämlich Wargame wurde im deutschen Sprachgebrauch fallen gelassen.
Der andere umfassendere Begriff aus dem Englischen, nämlich Miniature Wargame, wurde ebensowenig für die Germanisierung herangezogen, was in der Hinsicht bemerkenswert ist, da Miniature das Wargame im Hinblick auf den Zeitaufwand und Fokus, der den Miniaturen gewidmet wird, tatsächlich mehr präzisiert als es Tischoberfläche tut.
Es ließe sich nun behaupten, dass den meisten Leuten der Begriff Tabletop Wargame oder Miniature Wargame im umgangssprachlichen Gebrauch einfach zu lang und eine Kürzung nötig gewesen sein mag. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass selbst dort, wo genug Raum und Zeit für die gesamte Bezeichnung ist, also beispielsweise in Untertiteln von Internetseiten oder auch im deutschen Wikipedia Eintrag für Tabletop weiterhin auf Wargame oder Kriegsspiel verzichtet und einfach nur Tabletop verwendet wird. Dass also Tabletop Wargame, Miniature Wargame oder auch Kriegsspiel in Gänze durch Tabletop ersetzt wurde.
Da das Reiswitzsche Kriegsspiel ein deutsches ist und mindestens bis in den Zweiten Weltkrieg der Begriff verwendet wurde, ist klar, dass der Begriff Kriegsspiel als solcher auch hierzulande verbreitet war und im Laufe der Jahre einfach abhanden gekommen ist oder aber durch den Begriff Tabletop verdrängt wurde. Der Frage, wie es dazu kam, werde ich mich im folgenden Abschnitt widmen.
Krieg und Frieden
Wie weiter oben bereits erwähnt verschleiert der Begriff des Tabletop dessen eigentlichen Inhalt und ich behaupte, dass genau aufgrund dieser Verschleierung der Begriff auch so geläufig ist. Wer sich als Kriegsspieler bezeichnet wird von den meisten Menschen zunächst mit Argwohn betrachtet werden und auf Widerstand und Ablehnung treffen. Die Auseinandersetzung mit Gewalt, Tod, Leid und Zerstörung wirkt auf viele Leute abstoßend. Dass Krieg und alles, was mit diesem einhergeht, schlecht ist und menschliches Leid unbedingt verhindert werden muss, steht ganz außer Frage. Die Schlechtigkeit von Krieg und die Ablehnung dessen bedeutet für viele Menschen jedoch, dass Krieg aus dem Bewusstsein schlichtweg ausgeschlossen und abgespalten wird. Wer dann allerdings an Krieg und Gräuel freiwillig denkt, setzt diese angeblich bereits fort, macht sich dieser mitschuldig und steht unter Generalverdacht der Kriegsverherrlichung.
Gerade in Deutschland ist die vermeintliche Zuwendung zum Frieden nach den zwei verlorenen Weltkriegen des letzten Jahrhunderts und der damit einhergenden Barbarei in jede Pore der Gesellschaft eingedrungen. Was sich nicht zuletzt darin bemerkbar macht, dass angefangen von Anarchisten bis hin zum völkisch-identitären Mob nach Frieden gerufen wird.
Dem Gedanken, dass Krieg in der menschlichen Geschichte notwendig war, um beispielsweise das Leben anderer zu schützen oder um Unabhängigkeit von fremden Herren zu erlangen und dass dies weltweit immer noch notwendig ist, wird dabei vollkommen ausgeblendet. Zu gemütlich ist die eigene Friedlichkeit vor der Haustür und letztlich doch zu erträglich das Leid der anderen in weiter Ferne, gebannt auf Bildschirme und Zeitungspapier. Angesichts dieser Verhältnisse ist es dann kaum verwunderlich, dass bereits das Wort Krieg in vielen Leuten einen Abwehrreflex auslöst. Schlimmer noch, wenn dem Krieg das Spiel, also ein mit friedlicher Kindheit und einer grundsätzlichen Gewaltlosigkeit assoziiertes Wort, hinzugefügt wird. Es kollabieren dann in den Köpfen die Vorstellungen von Sittlichkeit und zivilem Anstand und es folgt als Antwort mindestens Fassungslosigkeit. Hierbei handelt es sich jedoch um einen hanebüchenen Idealismus, der letztlich mit Aberglaube am ehesten Beschrieben werden kann. Kriegsspiel ist nämlich nicht Krieg, es ist nicht Gewalt, es wird nichts zerstört und auch niemandem Leid zugefügt. Die einsetzende Logik der Empörten ist eine ausgelutschte Kamelle von Ursache und Wirkung, die impliziert, dass der bloße Gedanke an das eine zu einer vollkommen anderen tatsächlichen Handlung führen könnte. Wer sich jedoch damit auseinandersetzt wie vergangene oder imaginierte Kriege vonstatten gingen oder gehen könnten, setzt sich eben nicht damit auseinander, genau diese Kriege nun auch zu führen. Genauso könnte man behaupten, dass das Wetter morgen gut werden könnte, wenn nur heute der Teller aufgegessen wird oder dass in der kommenden Zeit 7.000.000 Deutsche einen Mord begehen werden, nur weil sie am letzten Sonntag im Fernsehen gesehen haben, wie jemand umgebracht wurde.
Dass bislang noch kein Kriegsspieler wirklich versucht hat, die Normandie zu verteidigen, die Franzosen aus Leipzig zu verjagen oder den Drakenwald von marodierenden Orks und Ziegenmenschen zu befreien, müsste nach oben beschriebener Idee der Konfliktvermeidung nun verwundern. Tut es jedoch nicht, da oben beschriebens Verständnis der Komplexität der Welt in dieser Hinsicht und vielleicht auch in anderer mehr einer losen Aneinanderreihung von Glaubenssätzen folgt. Die Sehnsucht nach dem Frieden sitzt so tief, dass kaum jemand wirklich an diesen und somit auch an Krieg denken mag und letztlich zumindest der eigene Seelenfrieden mit der Verbannung des Krieges aus den Köpfen erkauft wird.
Mit dem Begriff Tabletop wird also kaschiert, was eigentlich betrieben wird. Nämlich die von vielen gefürchtete Auseinandersetzung mit dem Krieg. Mit dem Begriff vom Püppchenschubsen wird dem Ganzen dann im Zweifelsfall sogar noch die Krone der Infantilisierung aufgesetzt.
Zur Rehabilitierung des Kriegsspiels
Im Vorangegangen habe ich in aller Kürze thematisiert, wie ein Begriff so gedacht werden kann, damit er nicht reiner sprachlicher Willkür ausgesetzt ist, welche Begriffe vom Hobby des Miniaturenkriegsspiels existieren und auch warum es einen Reflex gegen die Begriffe gibt, die dem Hobby mit seinen Besonderheiten am nächsten kommen. Daran anschließend nun noch ein paar Gedanken, warum man jene Begriffe nun wirklich auch verwenden sollte.
Miniaturenkriegsspiel ist das deutsche Wort, welches dem zuweilen Tabletop genannten Hobby am nächsten kommt. Das Hobby wird damit explizit auf den Begriff gebracht und mit nur einem Wort ist der Großteil von dem gesagt, was gemeint ist. Jegliche weitere Erklärung kann dann an die im Wort enthaltenen Bestandteile erfolgen und es müssen nicht erst neue Wörter eingeführt werden, die mit Tabletop schlichtweg noch nicht begriffen wurden. Wem das Wort zu sperrig ist, kann auch getrost das Wort Kriegsspiel verwenden und ist damit immer noch näher am zu benennenden Gegenstand. Genauso verhält es sich mit der englischen Variante des Wargame, egal ob Miniature oder Tabletop.
Des weiteren ist es Unfug so zu tun, als könnten Tatsachen durch Abspaltung und Distanzierung aus der Welt einfach verschwinden und ganz im Gegenteil kann man mit der Verwendung des Begriffs Kriegsspiel auch Leute in ein Gespräch verwickeln, welches für beide Seiten erkenntnisreich sein kann.
In Anbetracht dessen, dass auf den letzten Berliner Maßstab unter anderem die Hobbyoffensive folgte, bin ich gespannt, was hieran anknüpfen wird.
In diesem Sinne,
Moritz