Und wir Paderborner ebenfalls. Allerdings mit weniger Furor. Bei Waterloo traf die Paderborner Landwehr rechtzeitig ein, um reklamieren zu können, dass die Garde vor ihr aus Plancenoit geflohen ist. Darin hatten wir uns schon länger geübt. In der Reichsarmee hatten die Paderborner den Ruf, immer pünktlich einzutreffen: zum Friedensschluß.
Schaut man genauer hin, bleibt nicht viel übrig von der westfälischen Massenflucht an den Rhein. Damals machte die preußische Propaganda fröhlich weiter, wo sie 1806 aufgehört hatte. Die neu erworbenen Gebiete wurden als rückständig beschrieben und es wurde gesagt, dass sie dringend der preußischen Tugend bedürften. Ab 1814 wurden da auch mal gerne die vor Napoleon schon lange preußischen Gebiete Westfalens wie Minden-Ravensberg und Lippstadt eingeschlossen.
Einiges steht heute noch in den Geschichtsbüchern, obwohl längst erwiesen ist, dass es so nicht stimmt.
Da steht immer noch zu lesen, dass erst Preußen die Schulpflicht in seinen westfälischen Neuerwerbungen eingeführt hätte. Die war aber in allen katholischen Territorien des Reichs schon während oder kurz nach dem 30jährigen Krieg eingeführt worden.
Es hätten durchschnittlich weniger Soldaten in den Befreiungskriegen gekämpft, wie im Rest Preußens. Eigentlich war der Anteil höher. Denn diejenigen, die Frankreich dienen mussten und natürlich nicht frei gelassen wurden, wurden in die nicht dienende Bevölkerung eingerechnet. Mit ihnen kommt hier mancher Ort auf die doppelte Rate. Ich konnte das mal selbst für ein paar Orte nachhalten, was in der Regel nur schlecht bis gar nicht geht, da im Königreich Westfalen z.B. meist nur die regulär gezogenen festgehalten sind, während die zusätzlich geforderten nicht auf der Liste stehen.
Auch die Widerwilligkeit, die Landwehr aufzustellen, hält einer Überprüfung nicht stand. Man war natürlich nicht begeistert, sah aber wohl die Notwendigkeit ein. Die kurzen Zeiten zur Aufstellung der Einheiten sind da recht eindeutig.
Auch die Ausrüstung der westfälischen Landwehr war nicht so schlecht wie oft zu lesen. Manchmal bekommt man den Eindruck, es habe 1814 und 1815 eine wesentlich schlimmere Versorgungslage geherrscht als 1813. Damals wurde jedes neu aufgestellte Landwehrregiment hinsichtlich irgendeines Gutes knapp gehalten: Schuhe, Essen, Mäntel, Waffen. Trafen sie am Sammelpunkt ein, kümmerte sich Blücher oder ein anderer General natürlich persönlich. Ein uralter Trick, um eine Bindung zur Generalität oder dem Offizierskorps herzustellen. Eben daraus wurde dann viel herausphantasiert.
(Die Liste kann noch fortgesetzt werden. Interessant ist für mich immer wieder, wie viele Autoren sich vor den antiwestfälischen Propagandakarren spannen ließen. Es entwickelte sich dabei, wie gesagt, eine Tradition, die bis heute nicht abgerissen ist.)
Und da reiht sich auch die Massenflucht \"der Westfalen\" nach der Schlacht bei Ligny zum Rhein ein. Hätte das stattgefunden wie beschrieben, hätte die Landwehr bei den folgenden Ereignissen gefehlt, was aber nicht der Fall war.
In Wirklichkeit blieb die westfälische Landwehr einsatzbereit und Blücher ließ nichts auf seine Westfalen kommen. (Er hatte da schon 1795-98 und 1802-06 kommandiert. Und nachdem er bei Ligny verwundet unter dem Pferd hervorgezogen worden war, wurde er von der westfälischen Landwehr versorgt. Nicht, dass behauptet wird, ich verschweige, dass er Beziehungen zu Westfalen hatte.)