Guy Halsall ist angesehener Historiker und Wargamer. Dementsprechend hat er einen historischen Blog und einen zu Wargames.
Seine Ansicht zu der Frage, wie es um die Historizität von Wargames bestellt sein sollte, kann man auf seiner Wargames-Seite zu den Themen König Artus und das nachrömische Britannien finden:
The Age of Arthur: Post Roman Britain for the Historical Wargamer(Unten auf \'Older Posts\' klicken, um zum ersten Teil zu kommen.)
Wie er selbst auf der Seite schreibt, handelt es sich dabei um nicht mehr ganz aktuelle Aufsätze. Dennoch sind sie sowohl zu unserem Thema, als auch für die im Focus stehende Zeit für den historischen Wargamer sehr interessant. Und im Grundsatz kann man sich seinen Ansichten noch anschließen. Er ist z.B. ein Exponent der Theorie von der Ethnogenese, die in der Reinform nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, insbesondere für das Britannien dieser Zeit widerlegt. Das hat aber kaum bis keine Auswirkungen auf die wargamerische Darstellungen. Ich stehe den auf wenigen Funden beruhenden genetischen Analysen zwar skeptisch gegenüber, auch weil da mitunter im Hintergrund rassistische Theorien lauern, aber zusammen mit archäologischen Funden und Schriftquellen ist die radikale Form der Lehre von der Ethnogenese doch widerlegt. D.h. nicht, dass es diese Erscheinung nicht gab, es heißt nur, dass es alles viel komplizierter und vielfältiger ist, als gedacht.
(Eigentlich ist das nicht neu, darauf wurde von Ethnologen schon Anfang der 90er Jahre hingewiesen. Ich erkläre das, weil heute von konservativen Historikern die Theorie von der Ethnogenese immer noch als die progressive Theorie dargestellt wird, die sie in den 60ern und 70ern war oder ihre Reinform zur seeligmachenden Wahrheit erklärt wird und es zum Thema zeigt, dass oft noch nicht mal im Grundsatz gesagt werden kann, wie es denn nun war, was dem Wargamer also als historische Grundlage dienen soll.)
Aus philologischer und quellenkritischer Sicht ist auch die radikale Kritik an den Schriftquellen bei ihm etwas zu radikal, was aber nichts daran ändert, dass den Quellen wesentlich weniger zu entnehmen ist, als man früher dachte. Die sich ergebenden Unterschiede sind wiederum so gering oder gänzlich von einer Art, dass sich für den Wargamer wieder keine oder kaum Konsequenzen für das thematisierte Setting ergibt. Aber wieder ist es so, dass es verschiedene Ansichten gibt, aus denen sich der Wargamer eine auswählen muss.
Dass es recht wenige Konsequenzen für den Wargamer hat, liegt einfach daran, dass die archäologischen Funde durchaus ausreichen, um ein materielles Bild der Parteien zu finden und es darüberhinaus egal ist, ob wir eine Gegend den Briten/Sachsen oder der südwestlichen Gruppe/der nördlichen Gruppe zuordnen: Archäologischen Funden sieht man selten den kompletten \'ideologischen Überbau\' an.
Der Halsall zeigt in diesem Aufsatz, der zuerst in der Wargames illustrated erschien, wie man auch in einer Zeit mit wenig Quellen leicht historisch bleiben kann.
Und nach ein anderer Aspekt: Ein weiteres Thema des Aufsatzes, das mit dem Thema des Threads zu tun hat, ist hier natürlich die Historizität von Arthur/Artus (Die scheinbar Namensverdoppelung hat nur etymologische Hintergründe.). Es gibt ein Bild von ihm, das in literarischen Werken und Filmen zu finden ist. Das geht auf
Geoffrey von Monmouth zurück, der zwischen 1136 und etwa 1155 Sagen, Geschichten und historische Informationen in einer Historia Regum Britanniae (Geschichte der Könige Britanniens) und einer Vita Merlini (Leben des Merlin) vermischte. Natürlich sind einige Schriften, die er kannte verloren, ein paar andere mag er sich auch ausgedacht haben. Das reißt den Historiker nicht vom Hocker, denn damit steht er nicht allein. Schaut man genauer nach, bleibt im Prinzip eine späte, aber noch nicht zu späte Quelle übrig, die besagt, dass irgendwann im poströmischen Britannien mal ein Arthur eine Gruppe Krieger kommandiert hat. Je nachdem aus welcher Richtung der Historiker kommt, teils auch je nachdem wie er die Quellenstelle (und die oben angerissene Etymologie einschätzt), sagen viele Historiker auch, dass Arthur nicht historisch bezeugt ist. Hier spielt dann auch eine Rolle, dass das Bild, was sich nach Geoffrey von Monmouth entwickelte, eben ganz sicher nicht zutrifft und dem Publikum bis heute oft noch ein Werk als historisch verkauft wird, dass man mit heutiger Wortwahl als Fake-News bezeichnen muss. Und damit meine ich nicht Geoffrey. Im Halsall-Aufsatz ist da mehr zu lesen.
Für den Wargamer ist da die Frage, ob er einfach einen Anführer nach den Erkenntnissen der Zeit darstellt, ihn, weil der Name überliefert nach Arthus bezeichnet, oder die Sage nachstellen will -in welcher Ausprägung auch immer. Wie ich immer sage: Ich finde Bärenfell-Germanen toll, bezeichne sie aber nicht als \'historisch\' sondern als die Darstellung eines Klischees. Für mich ist dann hier ganz einfach der Wargemer gefragt, dass was er betreibt zu bezeichnen. Historisch, historisch nach einem bestimmten Bild, Nachstellung einer Sage/Legende, Nachstellung eines literarischen Werks/Films.
Und dann können es Bärenfellgermanen sein, aber ein sorgfältig recherchiertes Szenario.
Oder eine sorgfältig recherchierte Kompanie des 2. Weltkriegs und ein erwürfeltes, \'typisches\' oder gar einem Film entnommenes Szenario.
\'Historisch\' wird einfach auch zu unterschiedlich verstanden, um als Schlagwort zu dienen. Ich will das hier gar nicht in dem Sinne auseinandernehmen, dass das eine oder andere gelte, auch oben will ich nur verschiedene Ansichten nebeneinander stellen. Die Perspektive des Autors ist hier nicht in jedem Fall die meine. Ich will nur zeigen, dass, was Barbarus, Pedivere, Hvdrungr, ein anderer oder ich sagen, nicht die einzig richtige Sichtweise sein kann. Und natürlich diskutieren wir, wie gelernt, so, als ob es nur eine Wahrheit gäbe. Schon deshalb ist die Forderung nach Historizität immer problematisch und für den Laien eigentlich nur zu erreichen, indem er sich an ein Handbuch hält, dass dann oft günstiger ist, als all die Osprey-Bändchen.
Es gibt aber auch Dinge, die klar Fantasy sind. Halsall nennt da die Kriegshunde aus den Romanen von Cromwell. Und genau bei solchen Dingen sehe ich es durchaus kritisch, wenn gesagt wird, es soll historisch sein. Irgendwo hört es auch auf, dass man Historizität anstreben kann. Wappen und Banner sind da so eine Sache. Es geht also um ein Spannungsfeld, bis wohin jemand - nach Ausbildung, künstlerischen Fähigkeiten und materiellen Voraussetzungen - die Realität zum Vorbild nehmen kann. Das ist individuell unterschiedlich. Ab einem bestimmten Punkt muss jeder eine generalisierte oder ungenaue Darstellung geben. Zur Zeit des Historismus ging man davon aus, dass es die Aufgabe der Altertumswissenschaften sei, \"zu zeigen, wie es wirklich gewesen.\" Das ist seit langem als Unmöglichkeit enttarnt. Aber wer bewusst ein unrealistisches Bild entwirft, indem er bewusst falschen Vorstellungen oder Darstellungen folgt, kann einfach nicht sagen, dass das noch historisch ist.
Bei Nappo reden wir nicht drüber, weil es klar ist: Wer es kann, stellt verstaubte und verschlammte Uniformen dar, einfacher, aber als Uniformdarstellung auch nicht historisch falsch, ist es die Minis wie auf der Parade zu zeigen. Sogar eine Paradeuniform kann da in letzter Konsequenz nicht als falsch bezeichnet werden. Aber Preußische Füsiliere bekommen schwarzes Lederzeug. Rosa geht da nicht. Und Kürassiere hatten die Preußen bei Waterloo nicht.
Viele sehen es bei weiter zurückliegenden Themen beliebiger. Und in der Tat gibt es da Zeitabschnitte, in denen es nicht darauf ankommt, dass z.B. die Pilumlänge von Legionären genau auf das Jahrzehnt angepasst ist. Aber irgendwann geht es einfach nicht mehr, z.B. spätrömische Legionäre von Victrix als Truppen Cäsars auszugeben. Oder Pickelhaubenträger als Wehrmacht des 2. Weltkriegs.
Damit nenne ich eher Offensichtliches. Aber auch die Art der Kriegführung, die die Regeln zeigen wollen, bestimmte oder generierte Szenarien als Grundlage konkreter Spiele und nicht zuletzt ein gewisses Wissen um die Zeit, das dann, um nicht gleich das typische Beispiel zu nennen, verhindert Cäsars Siege zu verherrlichen, ohne sich seiner Schwächen und Verbrechen bewusst zu sein.
Das alles kann man nicht in plakative Sätze fassen, was ich hier eigentlich nicht will, aber aufgrund des Mediums nicht ganz vermeiden kann, es ist eher ein Gesamtverständnis: will ich Spaß haben, oder mich auch -zu welchen Anteilen ist notwendiger Weise individuell- mit dem Hintergrund beschäftige und Erkenntnisse über diesen Hintergrund gewinnen will. Wer kein Interesse daran hat, mag vielleicht durch Zufall genau die Historie treffen.
Mancher wird sogar sagen, dass es auf die Regeln ankommt, oder auf die Szenarien und die Spielsteine eine geringere Rolle spielen. Wo sollen wir da dann sagen, was der richtige Realismus ist?
Welcher Aspekt ist historisch? Uniformen und Ausrüstung? Taktik und Strategie? Die Analyse konkreter Situationen? Wie stelle ich mich zum Realismus?
Ich denke diese Fragen sind wichtiger, um sich zu Propagandawerken wie \"Der Patriot\" zu positionieren, statt unkritisch eine Ästhetik und Ansicht nachzuplappern.
(Wenn man dann noch bedenkt, wie sich mitunter über frühere Zeiten lustig gemacht wird, die das Aussehen anderer Zeiten aus der eigenen Zeit ableiteten oder so etwas wie die Bärenfellgermanen schufen und ihre gegenwärtigen Verhältnisse und ihre Ansichten auf historische Personen übertrugen, dann hat es mitunter schon etwas von Realsatire.)