Bin noch am Schreiben, aus versehen schon abgeschickt. Und jetzt bin ich schon länger fertig.
Wieder in deinem wunderbar lesbaren Stil geschrieben und wieder sehr informativ für alle, die sich mit dem Thema nicht auskennen. Natürlich haben sich die Theorien über Artus weiterentwickelt.
Mal sehen, ob ich dir als Dank für deine ganzen Artikel wenigstens ein paar Informationen zurückgeben und Ansichten schildern kann:
Da wäre -als modernere Sichtweise- etwa Guy Halsall, Worlds of Arthur: Facts and Fictions of the Dark Ages, Oxford: Oxford University Press, 2013 zu nennen. Halsall ist nicht nur Historiker und Experte für die nachrömische Zeit im Westreich, sondern auch Wargamer. Er hat, ebenfalls schon veraltet (Wargames Illustrated 138 (March 1999), pp.30-34) , seine Vorschläge für Wargaming in der Zeit Arthurs online gestellt:
https://darkagewargaming.wordpress.com/category/age-of-arthur/ Nicht nur ob seiner Expertise ist seine Seite für jeden historischen Spieler der Dark Ages interessant.* Er hat dort auch einige seiner Beiträge aus vergriffenen TT-Zeitschriften online gestellt. Seid nicht entäuscht, der Großteil der Historiker sieht in Artus keine historische Figur. Ich finde dies zu naiv argumentiert. Da viele unterschiedliche Ansichten und Argumente verbreitet sind, was auf den Laien verwirrend wirken muss, erkläre ich vielleicht mal wie zumindest die reputableren zustande kommen.
Da gibt es z.B. das Problem, wie eine Gesellschaft die Vergangenheit verarbeitet. Klar, wir haben die Geschichtswissenschaft. Aber schon im Mittelalter sprechen wir eher von Geschichtsschreibern, um klarzustellen, dass dies nichts mit moderner Geschichtswissenschaft zu tun hat, deren zentrale Methode erst Leopold von Ranke (1795-1886) entwickelt und als ihr Anfang wird meist die Römische Geschichte Barthold Georg Niebuhrs von 1812 gesetzt. Natürlich steht dies alles in einer Tradition rationaler Vergangenheitsbetrachtung, die bis Herodot (5. Jahrhundert v. Chr.) zurückzuverfolgen ist, der die schon bekannten Erdbeschreibungen mit einer Völkerkunde und den zu ermittelnden Nachrichten über die Vergangenheit verband.
Nun ist dies alles nicht die einzige Methode der Reflektion über die Vergangenheit. Zu Herodots Zeiten wollten sich die Gelehrten in allen Bereichen vom Mythos absetzen und dem Logos, also einer rationalen Betrachtungsweise zuwenden. Und tatsächlich sind Mythos und Sage der Gegenpol der Geschichte. Was merkenswert erschien wurde in eine Geschichte verpackt, um es nicht zu vergessen. Natürlich änderten sich diese Geschichten im Laufe der Zeit und verschiedene Kulturen trafen Vorkehrungen, die Geschichten zu bewahren. Ein Beispiel sind die Epen Homers, die verschiedene Strategien dazu nutzen, die sich wohl schon in der Bronzezeit entwickelten. Dennoch gab es sehr unterschiedliche Versionen dieser Dichtungen und um eine richtige Version zu erstellen entwickelte sich am Museion von Alexandria die antike Philologie.
Für uns ist entscheidend, dass wir nur das am reinen Mythos als historisch erkennen können, was uns aus anderen Quellen bekannt oder wenigstens als wahrscheinlich oder sehr gut möglich erscheint. Doch gibt es nicht nur den reinen Mythos. In den Nordischen Ländern gab es neben den Heldenliedern auch die Sagas, die je näher sie an die Gegenwart kamen desto mehr Geschichtsschreibung betrieben und die so überliefert wurden, wie normale Geschichtsschreibung. Ein anderes Beispiel sind Legenden, die allerdings oft mehr über ihre Entstehungszeit verraten als über die beschriebene Zeit.
Aus dieser dazwischenliegenden Literatur ist aber mitunter durchaus einiges über die beschriebene Zeit zu entnehmen, wenn sie nicht nur den Mythos wiedergibt. Niebuhrs römische Geschichte beginnt denn auch -nach einem Überblick über das italische Umfeld- damit, dass er die Berichte über die römische Königszeit auseinandernimmt, um dahinter zu kommen, was davon akzeptabel ist.
Später gewöhnten sich Historiker daran, alle diese Reflektionen der Vergangenheit von vornherein zu verwerfen, nur um sich von Zeit zu Zeit zu wundern, wieviel trotz ihrer Ablehnung in diesen Reflektionsformen stimmte. (U.a. auf dieser Ablehnung basiert die Rede von geschichtslosen Völkern, was aber nach heutigem ethnologischem Kenntnisstand abzulehnen ist. Wer keine Schrift hat, muss eben andere Wege der Wissensbewahrung finden.)
Es stimmt erwiesener maßen nicht, dass der Mythos in all seinen Formen nur unzuverlässig berichtet. (In Westafrika z.B. gibt es laut Joseph Ki-Zerbo zutreffende mündliche Traditionen über 300 Jahre hinweg, die durch Nachrichten islamischer Gelehrter und Reisender bestätigt sind.) Das Problem ist nur, wie wir herausfinden können, was daran zuverlässig ist. (Andere Historiker bezeichnen die genannten westafrikanischen Überlieferungen als unzuverlässig. Es geht bei diesen einfach um die Frage, wie genau eine Überlieferung sein muss. Wenn der kleinste Fehler oder die kleinste Ungenauigkeit reicht, um eine Überlieferung auszuschließen, brauchen wir jedenfalls nicht mehr von Geschichtswissenschaft reden.) An dieser Stelle muss ich nun erklären, wie die Ansichten über Artus zustande kommen.
Nun, eine Methode, die z.B. Geoffrey Ashe auf die Ãœberlieferungen zu Artus angewandt hat und die auch du in deinem Beitrag benutzt, ist aufzuschreiben, worum es geht, was eine Person getan haben soll u.s.w., um dann zu schauen, ob es in der Geschichte eine Ãœbereinstimmung gibt.
Bei Arthur findet man u.a. sowohl das Aufhalten des Zusammenbruchs der Romanitas auf der Insel als auch das Eingreifen auf dem Festland. Ich will hier nicht alles weitere aufzählen, aber je nach Gewichtung kann man zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Ashe schrieb, dass Riothamus Arthur war. Thrifles sieht Ambrosius Aurelianus im Vordergrund. Andere beziehen Vortigern oder Vortimer und Germanus von Auxerre ein. Ein Historiker wird feststellen, dass offensichtlich die Taten verschiedener Personen auf einen Arthur übertragen wurden. Er wird weiter feststellen, dass Vortigern und Riothamus auch Titel sein können und die einzige zeitnahe (oder je nach Einordnung sogar zeitgenössische) Quelle -die Predigt des Gildas- Arthur nicht erwähnt.
Anscheinend ist es also klar: Eine Figur, die irgendwie aus verschiedenen historischen Personen zusammengestückelt wurde, und die dann spät (Nennius, 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts) einen Namen bekam, kann nicht als historisch gelten. Schauen wir uns einmal eine andere Gestalt an, deren Historizität umstritten ist: Ragnar Lodbrok. Es wird nun berichtet, dass die drei Anführer des großen heidnischen Heeres im 9. Jahrhundert seine Söhne waren. Wer diese Angabe als historisch nimmt, muss Ragnar als Vater der drei notwendigerweise auch historisch nennen, selbst wenn er nur dieses Faktum über ihn akzeptiert. Es ist für mich immer wieder überraschend, wie schwer dieser Schluss sein muss: Viele Historiker ziehen ihn nicht, nennen das eine historisch, das andere unhistorisch. (Natürlich ist die Vaterschaft nicht so sicher, aber wer sie als historisch berichtet, muss auch den Vater selbst als historisch bezeichnen.**) Da spielen Maniriertheiten der Gechichtswissenschaft eine Rolle, so etwas, wie schwer überwindbare Wargamer- oder Reenactorlegenden. Und gerade bei Artus spielt hinein, dass hier viele Scharlatane unterwegs sind, und die Historiker sich von ihnen abgrenzen wollen. Denn auch die Geschichtsschreibung hat bei diesem Thema schon gewaltig geschummelt. Näheres ist bei Halsall in dem oben verlinkten Artikel zu lesen. Vorsicht ist also tatsächlich geboten.
Ein Argument das sicher schien, war der Name. Denn, wenn es eine Bezeichnung für eine der Personen war, aus denen sich später sein Bild zusammensetzte, bin ich -äh- ist er wieder historisch. Daher wird auch so oft darüber diskutiert.
Einst schien es recht sicher, weil man Nennius und damit die erste Benennung Arthurs ins 7. Jahrhundert datierte und wir wissen, dass dieser Quellen benutzte, bzw. aus Quellen abschrieb, die heute verloren sind. Das schreibt er selbst in einem Vorwort. Doch mittlerweile wissen wir, dass Nennius im 9. Jahrhundert lebte und zumindest Teile des Werks in dieser Zeit formuliert wurden. Bis dahin ging man davon aus, dass es deshalb in der Zeit zwischen Gildas und Beda keine Geschichtsschreibung in Britannien gab, weil Nennius das Berichtenswerte in sein Werk aufgenommen hat und daher die anderen Werke nicht weiter abgeschrieben wurden. Nun aber galt Nennius als jünger denn Beda. (Und Beda hängt von Gildas ab, was an einigen Fehlinterpretationen zu sehen ist.) Hinzu kommt, dass das Alter der walisischen sagenhaften Überlieferung nur nach der Sprachform bestimmt werden kann, was nicht nur ungenau ist, sondern auch mit der Entwicklung der Sprachwissenschaften schwankt. Und damit stammt der Name aus einer Zeit nach Beda.
Nun wird der eine oder andere gemerkt haben, dass ich zwischen Arthur und der deutschen Version Artus schwanke. Es ist derselbe Name, warum klingt er deutsch so anders? Die Antwort ist einfach: Sprache verändert sich und der Name wurde vor einer solchen Änderung in unseren Gefilden bekannt. Etymologisch werden die unterschiedlichen Endungen nicht betrachtet, weil diese zu oft einfach auf Unterschiede in der Grammatik zurückgehen. Es bleiben damit zwei Änderungen übrig. Zunächst wurde das 'th' zu 'd', was der letzten Stufe der sogenannten Zweiten Lautverschiebung entspricht. Dies fand aber in einer Zeit statt, als die vorletzte Stufe dieser Lautverschiebung noch produktiv war, da das 'd' ja noch zum 't' werden musste. Damit kommen wir in das späte 8. Jahrhundert. (Früher datierte man auch das vor dem 735 gestorbenen Beda.) Hier ergibt sich, dass es nicht Nennius gewesen sein kann, der den Namen mit einer Person in Verbindung brachte.
Nun ist aber wichtig, dass die vorletzte Stufe der Lautverschiebung keine norddeutsche Erscheinung war. Daher kam der Name nicht durch Erzählungen der Angelsachsen zu den (Nieder-)Sachsen, deren Sprachen damals noch gegenseitig verständlich waren. Es werden eher die angelsächsischen Missionare im Frankenreich gewesen sein, die ihn mitbrachten, was den Namen noch näher an die Jahrhundertmitte rückt. Nun liegt aber für Mönche die lateinische Version näher, die auch Nennius nennt: Arturius. Hier fehlt das 'th'. Und damit muss die Datierung der Verchiebung auf das 8. oder 9. Jahrhundert insgesamt, die Zeit der 3. Phase der Lautverschiebung korrigiert werden.
Jetzt müssen wir aber auch in die Walisische Tradition schauen. Danach ist es so, dass der Name Artur -walisisch und irisch ohne 'th'- kurz nach 500 auftaucht und anscheinend modern war. Dies wäre kurze Zeit nach dem Tod eines historischen Artur. Die Theorie, dass hier Eltern ihren Kindern den Namen gaben, weil sie auf einen neuen Artur hofften, ist denn auch schon mehr als einmal ausgesprochen worden. Da der Name sonst nur mit Arthur in Verbindung steht, ist für mich zumindest naheliegend, dass eine gut vernetzte und angesehene Persönlichkeit hier Vorbild war.
Denn in den ersten Quellen ist nicht von einem König die Rede, sondern von einem Anführer im Krieg (dux, teils auch einfach Soldat (miles)). Nun wissen wir nicht, welchen Titel die von Gildas erwähnten 'Tyrannen' trugen. Wenn die Bewahrung der römischen Zivilisation im Vordergrund stand sicher nicht Vortigern oder Riothamus, sondern einen lateinischen Titel. Und da wäre der etablierte Titel eines dux Britanniarum durchaus passend, denn dieser war der Kommandeur des Militärbezirks des Hadrianswall und daher für die zivilen Anführer der civitates, der Gemeinden aus denen die Provinzen bestanden, eher akzeptabel als der ihnen klar übergeordnete Titel 'comes'. Aber das ist nur eine begründete Spekulation, die erklären kann, warum nicht von König die Rede ist. Denn so wurde er zu dieser Zeit wahrscheinlich längst von der walisischen Tradition eingestuft. Daher kann die Erwähnung eines militärischen Anführers bei Nennius eben nicht einfach durch die Sage erklärt werden und Arthur als historische Persönlichkeit wird wieder wahrscheinlicher.
Ich hoffe, es wird klar, wie dünn alle Argumente hier sind. Letztlich ist es eine individuelle Entscheidung welchen jemand folgt. Und daher auch die Vielzahl an Theorien, Historiker, die schreiben, er sei nicht historisch, dann aber Möglichkeiten erörtern, dass er doch existiert habe und dergleichen.
Wir können nur die historischen Persönlichkeiten aufzählen, die ihm entsprechen könnten und darauf Hinweisen, dass Nennius ältere Quellen gehabt haben muss, die ihn erwähnen, was oft bestritten wurde.
*Wer Halsall liest, sollte auch Peter Heather zur Kenntnis nehmen. Die beiden vertreten unterschiedliche Ansichten. Halsall vertritt eher die reine Lehre der Ethnogenese, die Heather wesentlich modifiziert. Der Vorwurf, Heather wolle zu einer älteren Sichtweise zurück, stimmt hier allerdings nicht. Er entwickelt die Theorie eher weiter und beschneidet sie dort, wo sich Widersprüche ergeben - nicht gerade ungewöhnlich bei einer bald 60 Jahre alten Theorie, die in den letzten paar Jahrzehnten übertrieben angewandt wurde. Heathers Geschichte der Völkerwanderungszeit aus Sicht der Barbaren mag hier den ein oder anderen interessieren, da er auch wirtschaftliche Hintergründe beschreibt und daraus logistische Notwendigkeiten und Szenarien ableitbar sind. Auf Britannien geht er darin aber nur ganz kurz ein, verweist auf andere Literatur.
** Es gibt auch die Definition, das nur der oder die als historische Person betrachtet wird, über den oder die signifikant mehr bekannt ist, als der bloße Name. Ich benutze hier das alltägliche Verständnis "hat existiert". Daher richtet mich meine Kritik nur an Historiker, die für ein breiteres Publikum schreiben und dabei Alltagssprache verwenden. Natürlich mögen sie da in einen anderen Wortgebrauch rutschen, aber das kann ja nun nicht beurteilt werden wie Sprachniveau und Logik eines Textes.