Die Legende von Tomiris
Neulich war ich beim Elektronikhändler meines Vertrauens, um PC-Zubehör zu besorgen und ging, wie üblich, auch am Blu-Ray/DVD-Regal vorbei. Dort fiel mir die DVD „
Die Legende von Tomiris – Kampf gegen Persien“ auf, ein Film aus Kasachstan, Ton kasachisch oder Deutsch, Untertitel Deutsch/Polnisch. Als geschichtlich Interessierter habe ich gleich zugeschlagen.
https://en.wikipedia.org/wiki/Tomiris_(film)https://www.imdb.com/title/tt7985648/ Der Name Tomiris wird nur echten Geschichtsnerds mit Vorliebe für die Antike ein Begriff sein. Dabei war sie die Anführerin in einem Feldzug, der in der geschichtlichen Bedeutung durchaus so wichtig war wie die Schlachten von Thermopylae, Salamis und Plataea.
Tomiris war die Königin des nomadischen Skythenstammes der Massageten, die im 6.Jahrhundert vor Christus das Gebiet zwischen Kaspischem Meer und Aralsee beherrschten. Im Jahre 530 vor Christus versuchte der Perserkönig Kyrus der Große, das Gebiet zu erobern. Sein Heer wurde von Tomiris in die Weiten der Steppe gelockt. Die Massageten hinterließen verbrannte Erde, nahmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest war, verstopften Brunnen etc. bis sie schließlich in einer Schlacht das geschwächte Heer des Kyros vernichteten. Ein Ergebnis, dass sich später bei anderen „Größten Feldherrn aller Zeiten“ ähnlich wiederholen sollte. Herodot (Buch I, Kap.204-216) berichtet, dass Kyros in dieser Schlacht getötet wurde – andere antike Historiker berichten anderes über seinen Tod. Jedenfalls wurde damit der persischen Herrschaft in Zentralasien – eigentlich bis heute – eine Grenze gesetzt. Das macht Tomiris ähnlich bedeutend wie Themistokles.
Der Film wurde 2019 in Kasachstan mit Unterstützung des Kulturministeriums gedreht.
Um aus ein paar Kapiteln bei Herodot einen zweieinhalb Stunden langen Film zu machen, braucht es einige dichterische Freiheit. Ihre Kindheit und Jugend ist frei erfunden, wohl nicht zufällig mit vielen Anklängen an Dschingis Khan. Sobald Kyros mit seinen Persern auf der Bühne erscheint, folgt die Handlung im Großen und Ganzen Herodots Beschreibung des Feldzugs, wenn auch nicht im Detail. So berichtet Herodot, dass die Perser einen Teil der Massageten mit einer List überwältigen konnten und dass dabei auch der Sohn von Tomiris umkam. Aber das hätte wohl nicht zum heldenhaften Bild gepasst, das der Film vom Volk der Skythen zeichnen will.
Der Film endet dann mit der großen Entscheidungsschlacht und dem Tod des Kyros.
Seit Herodots Zeiten gehört die große Rede vor der Entscheidungsschlacht zum Standardrepertoire historischer Berichte. Auch hier fehlt sie nicht, komplett mit Appellen an Vaterland, Freiheit und der Toten Tatenruhm. Durchaus passend zum Geschehen, aber es könnte auch als Verweis auf die Gegenwart verstanden werden. Wobei ich aber zu wenig von der Politik Kasachstans weiß, um wirklich aktuelle Bezüge herzustellen. Jedenfalls scheint sich so mancher angesprochen zu fühlen. In den Reviews der IMDB schlagen sich Iraner und Kasachen über den Film die Köpfe ein.
Gut gefallen hat mir die Kameraarbeit, besonders die Landschaftsaufnahmen, die man eigentlich im Kino ansehen müsste. An Originalschauplätzen gedreht, bekommt man einen guten Eindruck von der Weite der Steppe: oben stahlblauer Himmel, unten grünbraunes Gras, dazwischen von links bis rechts der schnurgerade Horizont – und sonst nichts im Bild. Aber es gibt auch Sand-und Felswüsten, Gebirge, Wälder und Flüsse.
Kostümbildner, Requisiteure und Kulissenbauer haben ihre Hausaufgaben gemacht. Offensichtlich haben sie kompetente Archäologen als Berater gehabt und auch auf sie gehört. Bei Kleidung, Schmuck, Rüstungen, Bewaffnung – bis hin zu Pfeilspitzen - etc. ist mir nichts aufgefallen, was nicht archäologisch belegt oder zumindest sehr passend erdacht ist. Und auch sonstige Aspekte des Lebens auf der Steppe werden gut dargestellt, inklusive den von Herodot erwähnten Fischfang, bis hin zu Begräbnissitten inklusive Menschenopfern.
Nur ein Aspekt hat mich zunächst irritiert. Aufgrund von bildlichen Darstellungen, von Griechischen Vasenbildern bis hin zu Rekonstruktionen in Osprey-Büchern, war mein Bild von skythischer Kleidung, dass sie sehr bunt und relativ eng anliegend war. Im Film sind die Massageten aber in gedämpften Naturfarben, meist braun, gekleidet, in dick gefütterten Jacken gegen das raue Klima. Dadurch sehen sie neueren Nomaden, z.B. Mongolen, recht ähnlich. Wenn ich darüber nachdenke, haben die Filmemacher wahrscheinlich Recht. Da müsste ich jetzt eigentlich meine Skythenminis neu anmalen – das werde ich aber dann doch nicht tun.
Auch Amazonen tauchen auf. Nicht als der mythische Volksstamm männerhassender Frauen, sondern als Gruppen junger Frauen, die als Teil des Stammesaufgebots mit in den Krieg reiten und mit den Waffen, insbesondere Pfeil und Bogen, umzugehen wissen. Das Heimbringen eines feindlichen Kopfes als Trophäe erhöht deutlich ihre Heiratschancen.
So bekommt auch Tomiris ihren Heiratsantrag auf dem Schlachtfeld. Er: „Ich frage mich, wen Du zum Ehemann gewählt hast.“ Sie: „Warum fragst Du, wenn Du die Antwort schon weißt?“ – sie wehren mehrere Gegner ab - Er: „Willst Du meine Frau werden?“ – sie erstechen zusammen einen Angreifer – Ein „Ja“ erübrigt sich…
Was die gezeigten Taktiken angeht, war ich angenehm überrascht. Man sieht zwar die bei Hollywood so beliebte wilde Kavallerieattacke im vollen Galopp, aber man merkt auch, dass Leute am Werk waren, die noch das Reiten im Blut haben. Pfeilhagel, Koordinierte Schwenkungen, Flankenmanöver, vorgetäuschte Flucht um Gegner in einen Hinterhalt zu locken, nächtliche Lagerüberfälle haben ihren Platz im Geschehen. Und keine erfundenen Superwaffen oder spektakuläres Feuerwerk. Auch die Fechtszenen in den Kämpfen zu Fuß sind extrem gut choreographiert. Keine artistischen Mätzchen, einfach nur ein effizientes Zuschlagen um in einem chaotischen Geschehen zu überleben.
Ich mochte auch die Schauspieler, besonders Almira Tursyn als Tomiris, die ihre Sache sowohl in Dialogszenen als auch in Actionszenen gut macht. Ich kaufe ihr durchaus ab, wie sie sich in einer Ratsversammlung selbstbewusster Stammeshäuptlinge durchsetzt. Daneben noch eine ganze Reihe markanter Persönlichkeiten. Besonders der etwas durchgedrehte Schamane blieb mir im Gedächtnis – eine gewisse Ähnlichkeit mit Ralf Wolter ist nicht zu verkennen.
Wenn Ihr auch nur ein wenig Interesse für das Thema habt, kann ich den Film nur empfehlen.
Viele Grüße
Karl Heinz