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Autor Thema: Zum Zug der 10.000  (Gelesen 485 mal)

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Riothamus

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Zum Zug der 10.000
« am: 16. April 2023 - 13:34:35 »

Für ein ganz anderes Forum geschrieben, formuliere ich den Beitrag mal nicht um. Ergänzen möchte ich, dass daraus natürlich auch das ein oder andere Szenario zu gewinnen ist, und die Zahlen zur Größe des Söldnerheeres anscheinend kaum übertrieben sind, was sich von denen der anderen Gruppen nicht sagen lässt.

Es wird hier auch einige interessieren, obwohl im Weltenbastlerforum und im Imaginarium natürlich andere Aspekte, auch für die Bewertung im Vordergrund stehen.

Eigentlich geht es um zwei Bücher.

Wolfgang Will, Der Zug der 10 000 - Die unglaubliche Geschichte eines antiken Söldnerheeres, München 2022.

Als Zweites geht es natürlich um die Anabasis des Xenophon. Griechische Söldner werden mit Unterstützung Spartas für einen persischen Thronstreit angeworben. Nachdem der unterstützte Thronprätendend fällt, müssen sie es irgendwie schaffen, aus dem Perserreich, kurz vor Babylon, zu entkommen. Ohne Kavallerie und nur mit wenig leichten Truppen, aber mit großem Tross. Wichtigster Feldherr wird der reiche und verwöhnte Athener endzwanziger Adelige Xenophon, der den Zug eigentlich nur als eine Art embedded Historiker begleitet. Er fand es klug, Athen trotz Generalamnestie zu verlassen, da er zur Zeit der 30 Tyrannen auf der falschen Seite stand und die zurückgekehrte Demokratie ihn nicht mag, was wohl auf Gegenseitigkeit beruhte. Er beschrieb später auch diesen Feldzug, was ihm Ruhm eintrug und Altgriechisch-Schülern wegen des klaren Stils eine Anfängerlektüre einbrachte.

Auch die Söldner waren keine strahlenden Helden. Es geht um Geld, Beute und volle Bäuche. Doch nun müssen sie im Winter quasi durchs wilde Kurdistan. Und treffen immer wieder auf Situationen, für die schwerbewaffnete Hopliten einfach nicht gemacht sind. Ach ja, Xenophon war bei den Söldnern dummerweise wieder in eine Demokratie geraten. Es gab zwar gewählte Feldherren / Warlords der einzelnen Söldnertruppen, aber keinen Oberkommandierenden und die Entscheidungen traf die Heeresversammlung. Wie so etwas klappen kann? Nun, wer etwas über Söldner wissen möchte, wer die Schwierigkeiten eines antiken Heeres im Feindesland nachvollziehen will, wer verstehen will, wieso Hopliten eigentlich hilflos sind und später von leichteren Truppen ersetzt wurden, sollte zu Xenophons Werk greifen. Dazu kommen noch Beschreibungen fremdartiger Völker mit ungewohnten Bräuchen und Bauten sowie damals tatsächlich im Orient vorkommender großer Spatzen, die Laufen statt fliegen und größer als ein Mensch sind...

Nun, für viele sind antike Quellen ein Graus; vieles ist darin ohne Vorbildung sowieso nicht zu verstehen. Und ob jemand wie Xenophon immer die Wahrheit sagt? Nun, erstaunlich oft. Aber in diese Kerben trifft Wolfgang Will.

Das Buch kommt als Beschreibung des Zugs der Zehntausend daher, der nach Ausweis vieler Erklärungen und des Glossars verständlich sein will. Das bringt uns schon zu dem Schwachpunkt: Nicht alles wird erklärt. In Zeiten exemplarischen Geschichtsunterrichts wird manchmal etwas zuviel vorausgesetzt. (Es fällt mir schwer so etwas zu beurteilen. Wie dem auch sei, leidet die Verstehbarkeit nicht wirklich darunter, weshalb es keinen großen Punktabzug gibt.)

Es kann auch als Kommentar genutzt werden und den größten Nutzen hat nach meiner Meinung, wer parallel Xenophon liest. Das scheint auch der Autor im Kopf gehabt haben, denn stellenweise ist das Buch wie ein Kommentar geschrieben.

Noch ein drittes ist das Buch: Da auch die späteren, von Xenophon nicht geschilderten Erlebnisse dieses Söldnerheeres sowie das Leben des Autoren und Feldherrn vor und nach dieser Zeit geschildert wird, ist es auch eine Biografie Xenophons und zeigt, wie wenig oft selbst zu Berühmtheiten überliefert ist.

Insgesamt ergibt das trotz des reißerischen Titels ein unaufgeregtes, gut lesbares Buch, dass den Zugang zu Xenophon auch für die erlaubt, für die antike Autoren ein Graus sind. Zu beobachten ist auch, wie Xenophon mit der eigenen Vergangenheit und den Gräueltaten der Söldner teils erstaunlich ehrlich umgeht, ganz zu schweigen davon, dass vieles, was ihm normal und selbstverständlich war, heutzutage ein Unding ist. Das gehört natürlich auch zum Bad-Guy- und Dunkle-Seite-Faktor, der bekanntlich anziehend wirken kann.

In diesem Forum wäre es verfehlt, geschichtswissenschaftliche Qualität zu beurteilen. Auch, dass es uns ein Stück für die Mehrheit der Heutigen schwer lesbare 'große Weltliteratur' näher bringt, und, dass es wieder große Söldnertruppen in aktuellen Kriegen mit teils ganz ähnlichen militärischen Problemen gibt, sei nur am Rande erwähnt.

Ungezählte Leser fanden die Xenophon-Lektüre spannend und ungezählte Schüler, insbesondere die ohne Fantasie, fanden sie wohl eher etwas langweilig, was natürlich beides auf die Beschreibung abfärbt. Für Weltenbastler gibt es immer wieder Interessantes zu entdecken und bei Will kommt die Analyse hinzu, die einen ungewöhnlichen Einblick in den Historiker gibt, der nicht nur dabei, sondern ein Handelnder war.

In diesem Sinne finde ich 9 von 10 hilflosen Hopliten für eine Bewertung angemessen.
Gespeichert
Gruß

Riothamus