Die Schlacht bei Sempach 9. Juli 1386: Ein habsburgisches Heer trifft vor den Toren der Kleinstadt Sempach (nahe Luzern) auf ein eidgenössisches Aufgebot. Die Habsburger verlieren die Schlacht – und ihr Familienoberhaupt, Herzog Leopold III. von Österreich.
Aufsehen erregend ist eigentlich nur Letzteres. Schlachten dagegen sind groß angelegte Glücksspiele, bei denen eben nicht zwangsläufig der Stärkere, sondern wortwörtlich der Bessere gewinnt. Der Sieg ist ein Beweis göttlicher Gnade – für die eigene und gegen die Sache des anderen. Umso eindeutiger, wenn es dabei auch den Kopf der Gegenpartei erwischt.
Kein Wunder also, dass die Schlacht bei Sempach im Nachhinein mit Bedeutung aufgeladen und dem nationalen Gründungsmythos der Eidgenossenschaft einverleibt wurde. Dienlich mag gewesen sein, dass die einzig halbwegs zeitgenössische Nachricht (Nachsatz in der
Berner Kirchenchronik, im Ursprung Mitte 14. Jahrhundert) über das Geschehen ziemlich spröde daher kommt:
VII Idus Julii. MCCCLXXXVI occisus fuit Lütoldus dux austrie cum suis complicibus iuxta oppidum Sempach hora quasi octava heißt es da: „Am 9. Juli 1386 ist Leopold, Herzog von Österreich, gefallen, zusammen mit seinen Gefolgsleuten, nahe der Stadt Sempach, ungefähr zur achten Stunde (nachmittags)“.
Die
Berner Chronik des Konrad Justinger, entstanden rund 50 Jahre nach der Schlacht und wahrscheinlich in den erhaltenen Abschriften bereits ergänzt, greift auf diese Meldung zurück. Der Autor (oder der spätere Kopist) weiß aber schon bedeutend mehr: Nicht nur kennt er die teilnehmenden eidgenössischen Kontingente (
von luceren, swytz, underwalden), sondern nennt auch Zahlen für Eidgenossen (
drizehenhundert mannen) und Habsburgische (
viertusend ze ross und ze fuss). Wichtiger als das Schlachtgeschehen – ein
manlich und ritterlich ausgetragener Kampf – sind natürlich die Beutestücke, darunter zahlreiche Banner der Besiegten. Den Bericht rundet schließlich eine Liste von Gefallenen ab, die auf Habsburger Seite gekämpft hatten; wobei aber nur die wichtigsten Persönlichkeiten namentlich genannt sind.
Mögen diese zusätzlichen Details vielleicht noch tatsächlicher Recherche geschuldet sein, wird es mit zunehmender zeitlicher Distanz zur Schlacht immer abenteuerlicher. Man schmückt die Erzählung mit einer habsburgischen Defensivformation aus, die die Eidgenossen erst nach mehrmaligem vergeblichen Anrennen zerschlagen können. Das wiederum veranlasst den Schreiber der
Zürcher Chronik von 1476, die Tat
eines getrewen Manns einzuflechten, der unter Einsatz seines Lebens eine Lücke in den feindlichen Haufen reißt, indem er die Lanzen niederdrückt, die von den Habsburger Rittern als Piken eingesetzt werden. Einen Namen erhält dieser Held erst von Aegidius Tschudi, in dessen
Chronicon Helveticum (Mitte 16. Jahrhundert) ein gewisser
Arnold Winckelriet oder auch
Herr Arnold von Winckelriet, Ritter gefeiert wird.
Die Darstellung der Schlacht erinnert spätestens jetzt eher an Gefechtstaktiken des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts: Pikenhaufen, die sich aufeinander zu schieben, Vorkämpfer, die einzubrechen und den Gegner in Unordnung zu bringen versuchen... Gut möglich, dass Tschudi deshalb eine Parallele zwischen der „historischen“ Figur und einem Zeitgenossen sah, nämlich dem Schweizer Hauptmann Arnold Winkelried, der 1522 in der Schlacht von Bicocca gefallen war.
Seither gilt vielen Schweizern, vor allem den rechten Kleingeistern, Winkelried als eigentlicher Nationalheld. Ganz anders als „Gründervater“ Wilhelm Tell – im Übrigen eine weitere von Tschudis Fiktionen –, der durch Schiller gewissermaßen verdeutscht wurde. Winkelried dagegen ist der klassische Underdog, der eine Schlacht gegen den übermächtigen Erzfeind entscheidet und damit nicht nur einem habsburgischen Handlanger, sondern gleich dem Tyrannen selbst das Haupt abschlägt. Und so wirkt der „Gnadenbeweis“ einer wahrscheinlich eher zufällig gewonnenen Schlacht bis heute nach.
Im Folgenden gebe ich den Text der Berner Chronik des Konrad Justinger in der Edition von G. Studer, Bern 1871 wieder, der besseren Lesbarkeit halber in hochdeutscher Ãœbersetzung:
Die Schlacht zu Sempach.
Und da der besagte Herzog Leopold ein großes Heer zusammengezogen hatte, kamen die Eidgenossen von Luzern, Uri, Schwyz und Unterwalden zu denen von Zürich, weil diese sie gerufen hatten, und brachten an die sechzehnhundert Mann mit. Und diese zogen mit denen von Zürich in das österreichische Herrschaftsgebiet nach Thurgau, und sie verwüsteten und brandschatzten, was sie fanden. Und sie eroberten Pfäffikon im Thurgau, das dem Landsberger gehörte. Und auf der Burg wurden sechsundzwanzig Mann erschlagen, die sie verteidigt hatten. Und (als) die Eidgenossen denen von Zürich vierzehn Tage Gefolgschaft geleistet hatten, hörten sie, dass der Herzog mit dem großen Heer weiterziehe Richtung Sempach (1). Also zogen die besagten Eidgenossen von Luzern, Schwyz, Unterwalden mit etwa dreizehnhundert Mann auch nach Sempach (2). Und als beide Heere einander begegneten, scharten sie sich auf dem Acker und zogen auf dem flachen Feld vorsichtig aufeinander zu und kämpften miteinander auf männliche und ritterliche Weise (3). Da gab Gott den Eidgenossen das Glück, dass sie ehrlich siegten und das Feld mit großen Ehren behaupteten. Und der oben genannten Herzog Leopold wurde erschlagen und mit ihm viele große Herren, Ritter und Knechte. Und es waren an Herren wohl viertausend zu Pferd und zu Fuß. Und da wurde viel Beute gemacht, an Harnischen, an Kleinodien und anderen Dingen (4). Und die Eidgenossen verloren ungefähr hundertzwanzig Mann, und sie führten mit sich von dem Kampfplatz die Banner von Tirol, des von Ochsenstein, des Markgrafen, des von Habsburg, der von Schaffhausen, der von Mellingen und viele Fähnlein, die sie nicht erkannten. Und auf Feindesseite wurden die erschlagen, die hiernach aufgelistet sind (5).Die Namen eines Teils der Adligen, die zu Sempach erschlagen wurden.(Die Liste gebe ich, bis auf Klein- und Großschreibung, in der Originalfassung wieder, da ich noch nicht alle Namen aufschlüsseln konnte. Man nimmt an, dass ein von den Habsburgern angefertigtes Totenverzeichnis die Grundlage bildete. Auf Basis einer erheblich erweiterten späteren Verlustliste wurde im 19. Jahrhundert die Sempacher Schlachtkapelle mit den Wappen der Gefallenen beider Seiten ausgemalt.)
Hertzog Lüpolt von Österrich , Herr Hans von Ochsenstein (6), Margraf von Hochberg, Graf Hans von Fürstenberg, zwen Grafen von Tierstein, Herr Johans von Hasenburg, Herr Fridrich von Menstral, Herr Walther von Geroltzegg, der Swartz Graf von Zolren, Herr Walther von der Dik, der von Randegg, Herr Marti Maltrer (7), Herr Otto von Walpurg, zwen von Griffenstein , zwen von Stoffen, der von Signow, Herr Albrecht von Rechberg, Herr Ulrich von Tierberg, zwen von Klingen (8), zwen von Andelo, dry von Rotzhusen, dry von Berenvelss , dry von Radberg, Herr Wernher von Flachslanden, zwen von Hadstatt , zwen Schnöwli von Fryburg, zwen Waldner, Herr Huruss von Schönouwen und siner Tochter Man Herr Johans von Grünenberg, der von Lantsperg, Herr Wernher von Lichtenvels, zwen von Wiswiller, Herr Johans von Hus, Herr Heinrich von Stein, Herr Heinrich von Schelenberg, Herr Johans Schaler, Herr Berchtolt Grat, zwen von Hallwil, der von Tegerveld, ein Stör von Sultz, zwen von Eptingen, vier von Mörsperg, vier von Rinach, der zem Wyer, zwen Güssen, der von Bechburg, zwen Kletten, der von Mülheim, Herr Burkhart von Masmünster, Hans Bernhart von Hus, der Stark von Grünminstein, item acht und zwentzig Ritter und Knecht von Österrich, item fünf und trissig Ritter von der Etsche und vil andrer, deren Nam hie nit geschriben stand.(1) Die habsburgische Landstadt Sempach hatte sich kurz zuvor, auf Druck Luzerns hin, den Eidgenossen angeschlossen. Irrtümlich gingen die Eidgenossen von einem Angriff auf Zürich aus und versuchten diesen mit einem Plünderungszug im Habsburger Gebiet abzulenken.
(2) Interessanterweise beteiligen sich hier Uri und Zürich nicht an der Verteidigung Sempachs. Eine andere Fassung nennt zumindest Uri. Dort sind auch die Umstände des Abzugs aus Zürcher Diensten etwas ausführlicher dargestellt.
(3) In anderer Fassung ist die eigentliche Schlacht genauer beschrieben: Danach greifen die Eidgenossen in Keilformation an und setzen erfolgreich ihre Hellebarden gegen die gepanzerten Ritter ein. Aufgrund der Ausführlichkeit scheint diese Version ergänzt.
(4) Die Zweitfassung ergänzt Kleider.
(5) Wiederum in anderer Fassung ergänzt: „ohne die städtischen und anderen Kontingente“.
(6) Nach einem Volkslied, enthalten im ersten Band von „Des Knaben Wunderhorn“, erhielt der österreichische Feldhauptmann Johann von Ochsenstein den Beinamen „der Spötter“. Die Stelle lautet: „Ein Herr von Hasenburg zum Herzog also sprach: / Das Völklein ich beschaut, sie sind gar unverzagt. / Da redet Ochsenstein: O Hasenburg, o Hasenherz! / Der Hasenburg der sagt: Wir wollen sehn den Scherz.“ Der vollständige Liedtext ist hier einsehbar.
(7) Angeblich Bannerträger der Stadt Freiburg.
(8) Darunter Walter von (Hohen-)Klingen, dessen Grabmal eine wichtige Quelle für die Rüstungsmode der Zeit ist. Ein Ausschnitt ist oben zu sehen, ein Gesamtfoto findet sich hier.