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Der Pub => An der Bar => Thema gestartet von: Poliorketes am 01. Juni 2018 - 18:26:14

Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Poliorketes am 01. Juni 2018 - 18:26:14
Bin gestern auf einer hübsch anzusehenden Mittelalterveranstaltung gewesen, Anno 1280 in Gütersloh-Isselhorst. Aufhänger des zum 10. Mal stattfindenden Events ist die Regierungszeit Ottos III. von Ravensberg, der als ‚Gastgeber‘ auftritt. Das sich der Event nicht auf die Epoche beschränken kann und im Gegenteil davon lebt, möglichst viele Mittelaltergruppen zu versammeln (was hervorragend geklappt hat), steht nicht in der Kritik. Die unvermeidlichen ‚Mittelalterbands‘ mit ihren Sackpfeifen sind nett anzuhören, aber so unhistorisch, daß es nicht mal lohnt über die Fantasypiratentruppe im Jack Sparrow Zigeunerlook zu reden - die fallen da nur deswegen auf, weil sie krass coole Kostümierungen hatten. Worüber ich reden möchte (gern als Sommerlochfüller) sind die Reenactmentgruppen.

Ich finde es bewundernswert, mit wieviel Aufwand sich diese Zeitgenossen vorbereiten, um sich an abwechselnd drückend heißen und gewittrig nassen Tagen von Mücken zerstechen zu lassen. Es gibt Wikinger, Söldner, Ritterorden und so weiter. Die Anschaffung der Ausrüstung kostet Zeit und Geld, und wenn man richtig drauf ist lernt man alle Kniffe aus Liechtenauers Fechtbuch, wovon ich gestern eine Kostprobe sehen konnte. Aber...

Es stört mich nicht, wenn ein ansonsten überzeugend ausgerüsteter Wikinger eine schwarze Tunika trägt, komisch finde ich es aber, wenn die Wikinger Lederrüstungen tragen, die man von Hollywoodfilmen oder SM-Katalogen kennt, dazu keltogermanische Sechseckschilde und Helme, die entweder zu Fantasyzwergen oder ins 14. Jahrhundert passen. Das dieses Jahr Hundsgugeln en Vogue zu sein scheinen, find ich gut, und ich beschwere mich nicht, daß ich keine passende Kastenbrust gesehen habe, aber wenn die dazu präsentierten Rüstungsteile und Waffen eine Mischung aus 5 Jahrhunderten ergeben, irritiert mich das dann doch. Umso mehr hat mich dann das Display gefreut, bei dem ein Gambeson, Kettenhemd, Spangenhelm, Mandelschild und Schwert in realistischer und historisch passender Aufmachung präsentiert wurden.

Worauf ich hinaus will - wie kann es sein, daß auf einer großen Mittelalterveranstaltung mit vielen aufwendigen Kostümen die in sich stimmigen Kostüme in absoluter Minderheit sind? Wenn ich einen Barockharnisch mit Oakshott XIIa-Schwert und einem Helm, der an den Helm Dains m PJ-Hobbit-Film erinnert, zusammen tragen will, passe ich dann nicht eher auf ein LARP-Event? Mein Ehrgeiz im Reenactment wäre es doch, eine Figur darzustellen, die es in der von meiner Gruppe gewählten Epoche und Region so gegeben haben könnte. Das Ganze ist doch viel zu aufwendig, als daß ich mir die Blöße geben würde, von jedem Geschichtserstsemester darauf hingewiesen zu werden, daß meine Ausrüstung perfekt passt, wenn man einen hunnischen Kreuzzügler zur Zeit der Rosenkriege darstellen will.

Sehe ich das zu krass? Bin ich zu pingelig?
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Wellington am 01. Juni 2018 - 19:00:59
Hört sich gruselig an! Ne geb ich Dir absolut recht!Vielleicht auch so was wie im aktuellen Sommerloch Thread in dem Artikel zum Film angesprochen wurde. Im postfaktischen Zeitalter geht alles, egal wie doof. Und weil in Wikings alle ne bestimmte Frisur haben, ist für viele ganz klar dass Wikinger nen Undercut hatten :laugh1:

Hängt wohl auch am Veranstalter, nehm ich an. Hastings is ne reine Einladungsveranstaltung wurde mir erzählt, wenn da einer nicht nen guten Ruf hat, kommt er gar nicht aufs Gelände. Und mit ist 2016 auch nichts negatives aufgefallen.Nur EIN (!) Besucher kam doof \"gewandet\", seine Freundin hat sich aber auch brutal fremdgeschämt für in. Das war seeehr lustig. :party:
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Lektor am 01. Juni 2018 - 19:05:55
Nö, sehe ich genau so. Ich habe schon ein paar Versuche gemacht mit gutem Willen Mittelalter-Events zu besuchen. Ich war jedesmal enttäuscht. Vielleicht weil ich von der Römer-Szene und napoleonischen Gruppen besseres gewohnt war. Aber auch wegen den Grufties und Esoterikern, die von solchen Veranstaltungen anscheinend angezogen werden wie Motten durch Licht.
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Sens/) am 01. Juni 2018 - 19:19:33
Ich werde nicht Deine Meinung zu diesem Thema bewerten, ob pingelig oder nicht, da es jeder so sehen darf wie er oder sie es möchte. Stattdessen schreibe ich mal meine Meinung zu historischen Events.
Ich kenne die Veranstaltung und war dort schon mehrfach.
Mir gefällt schon alleine die Location, das Gehöft mit dem See ist ja wohl super. Der Einlass an der kleinen Bachbrücke, mit Wachen passt.
Das aufgebaute Lager mit dem darin stattfindenden Leben finde ich atmosphärisch.
Natürlich gibt es reichlich Verkaufstände, für mich gehört das aber mit dazu.
Die Musik der anwesenden Bands gefällt mir, auch wenn sie historisch nicht korrekt sein mag.
Ein großes Plus ist auf jeden Fall, dass es dort nicht riecht, wie es wohl historisch korrekt wäre :laugh1:
Wer es historisch korrekt mag, dem empfehle ich z.B. Waterloo, aaaber, das ist natürlich nicht korrekt, dort nicht die gleiche Anzahl an Soldaten vorhanden.
Ich persönlich lasse bei Reenactment fünfe grade sein und genieße es einfach.
Es gibt bei so etwas auch immer natürliche Bremsen, wie z.B. Zeitaufwand und Materialkosten. Wenn alles perfekt sein müsste wären derartige Veranstaltungen ziemlich leer und schlecht besucht.
Bei meinen Minis, fallen mir auch immer wieder mal Ungenauigkeiten auf und das sind wahrscheinlich längst nicht alle. Da korrigiere ich auch nicht mehr nach.
Nobody is perfect :rolleyes:
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Poliorketes am 01. Juni 2018 - 19:38:36
Deine Meinung über die Veranstaltung teile ich vollkommen, die ist wirklich klasse. Und wenn da Gothicvampire und Steampunker im Publikum sind kratzt mich das nicht, im Gegenteil. Ich fan auch Drachen & Elfen gut, für die Kinder ein Riesengaudi. Ich wundere mich halt nur über die Reenacter, die mit viel Aufwand Mittelalter simulieren wollen und dabei voll danebenliegen.
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: meyer am 01. Juni 2018 - 19:54:51
Mittelaltermärkte sollte man nicht mit Reenactment verwechseln.
Sicherlich gibt es immer Schaustellergruppen die sehr gut recherchierte Ausrüstung haben, aber die Masse der Leute sind ja die Gäste. Und ich finde es schön wenn die Leute gewandet erscheinen.
Den \"Zivilisten dazwischen würde man ja auch nicht vorwerfen das ihre Kleidung nicht passt oder der Kinderwagen nicht aus Holz ist.
Wir tragen zu solchen Events auch immer ne einfache Bauerntracht, wobei die Schuhe da bestimmt auch nicht passen, weil die Leute damals gar keine hatten  :D .
Gerade auf solchen Märkten sollten man die Kirche im Dorf lassen, meine ich.
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Pappenheimer am 01. Juni 2018 - 20:19:00
Es gibt halt massig Veranstaltungen, wo der Hintergrund ein anderer ist, es nicht darum geht stimmige Darsteller, sondern evtl. die ganze Bandbreite des Hobbies zu präsentieren oder aber der Veranstalter (inkl. Museen) einfach selber nicht weiß, was richtig ist oder das nicht interessiert.

In Waterloo 2015 gab es im Grunde auch eine ziemliche Bandbreite. Gruppen mit sehr guter Ausstattung, die auch exerzierten etc., welche mit guter Ausstattung, die aber nicht willens waren gescheit zu \"trainieren\", um dann im Gefecht als Verband zu funktionieren (ich rede jetzt von einem Bataillon von 120+ Musketen) und schließlich mangelhafte bis schlechte Ausstattung.

Wirklich durchgängig beachtliche Qualität in Ausstattung wie Kenntnissen der Darsteller (auch Vorraussetzung für z.B. Exerzieren) kenne ich im Grunde nur von kleineren Veranstaltungen mit 10-100 Darstellern. Aber selbst bei von mir selbst organisierten Events fällt mir manchmal die Kinnlade runter, wenn jemand, den ich eigentlich für einen guten Darsteller halte, sich einen ziemlichen Klops leistet (Besuchern Quatsch erzählt (aufgrund von Spekulationen/Halbwissen), vor meinen Augen Zigarette raucht (Mitte 18.Jh. und dann nur ohne Filter nur in Lateinamerika bekannt) etc. pp.). Sich irgendwie aufzuregen habe ich mir abgewöhnt. Vor 10 Jahren habe ich mich noch extrem aufgeregt. Bringt nichts. Mittlerweile suche ich im Nachhinein das klärende Gespräch.

Realismus im Reenactment/LH ist so eine Sache. Begrenzt möglich.
Mal als Beispiel: wo es latte ist, dass ich nix sehe, lasse ich auch mal die Kontaktlinsen weg. Als Organisator, wenn ich ein Programm einhalten muss, evtl. Ressourcen verwalten, schnell mal meine Ausrüstung finden etc. muss, dann geht\'s nicht ohne.
Oh yeah! Ich weiß noch wie alle geflucht haben, als ich aus Kurzsichtigkeit in nen Topf voll Glühwein bei Nacht reingetreten bin.... :D

Mittelaltermärkte sind so eine Grauzone. Manchmal nimmt man auch als sehr guter Darsteller sowas mit, weil es meinetwegen vor der Haustür liegt. Früher ohne Kinder und weniger Verantwortung im Hobby (bevor ich 3 VAs im Jahr organisiert habe), habe ich auch noch ziemliche Mistveranstaltungen besucht, einfach aus Neugier. :rolleyes:
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Riothamus am 01. Juni 2018 - 20:37:51
Wie man bei solchen Fällen sehen kann, wollen sie eben nicht das Mittelalter simulieren, sondern sich selbst verwirklichen. Okay, sollen sie. Die müssen dann nur erleben, dass ich meckere, wenn sie Gegenteiliges behaupten. Immerhin ist es nicht sonderlich nett, andere Leute (und damit auch mich) anzulügen. (Und damit, dass ich ab und an nicht soviel Selbstbeherrschung habe, ein Lachen zu unterdrücken, müssen sie auch leben. Ich bemühe mich, andere nicht auszulachen, aber jeder hat Grenzen der Selbstbeherrschung.)

Dass sich nicht jeder Reenactor alles leisten kann, einige auch weitgehend nur selbst Angefertigtes tragen, dass dann ob unterschiedlicher handwerklicher Fähigkeit vielleicht nicht so gut gelungen ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Das kann man nicht zum Vorwurf verdrehen.

Als drittes gibt es dann noch Reenactment-Mythen, die nicht totzukriegen sind oder ganz schlicht der Fakt, dass die Recherche eben nichts ist, was vom Himmel fällt. Damit meine ich nicht die Mühe, sich einzulesen, sondern ganz einfach das mangelnde Knowhow. (Wozu ich hier dann auch rechne, dass viele nicht genug Englisch gelernt haben, um Ospreys und andere Literatur aus dem englischen Sprachraum zu lesen, wodurch schon mal eine ganze Menge auf Reenactor abzielende Literatur ausfällt.) Das sind dann Probleme der Wissensvermittlung, die hier sichtbar werden. Und die Verantwortung dafür liegt nicht nur bei den Reenactoren.

Das dann auf Mittelaltermärkten andere Gruppen herumlaufen sehe ich auch nicht negativ. Schließlich wollen wir auch einen bunten Markt erleben und die Besucher kleiden sich ja auch nicht alle in mittelalterliche Gewänder, sondern in die hierzulande übliche Freizeitkleidung.
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Schmagauke am 01. Juni 2018 - 22:57:00
Na jetzt ist das Sommerloch aber wirklich da...

Pappenheimer: Ist das mit der Zigarette Dein Ernst?
Da fällt MIR die Kinnlade runter.

Wenn ich das nächste Mal auf so einem Event bin, will ich nur noch Leute sehen, die zuletzt vor ner Woche im Bach gebadet haben, in den das ganze Dorf seine Nachttöpfe entleert, natürlich ohne Duschgel, Deo etc, ich will durch Pferde-, Schweine-, Hühner und auch Menschenkacke laufen, barfuß versteht sich.
Ich will daß mindestens die Hälfte der Darsteller unter Mangelerscheinungen und zumindest etwas Hunger leidet, das Durchschnittsalter unter 30 liegt, die meisten nur noch die Hälfte ihrer Zähne haben und die müssen braun sein.
Ein paar Nachwirkungen durch Erfrierungen wären auch hübsch anzuschauen.
Ich möchte nur abgekochtes Wasser aus eben erwähntem Bach als Getränk kaufen können, wahlweise auch frische, keimhaltige Milch oder feine Methylhaltige Brauwaren.
Zum Essen reichen mir faulige Zwiebeln, Rüben usw, jemand von meinem Stand kann sich kein Fleisch leisten und auch nicht jagen.
Und ich will Krankheiten sehen, oh ja, die ganze wundervolle Bandbreite.
Sex mit Minderjährigen darf auch nicht fehlen.
Und außerdem...

REALISMUS IM REENACTMENT
Sonne bei Nacht?

Leute, kauft Euch ne Klimaanlage und pinselt wieder :D


Edit:
Ich war übrigens 2015 auch in Waterloo.
Die Sache mit dem Durchschnittsalter...
Da steckten im Schnitt 57 Jahre in jeder Uniform :)
Ganze Veranstaltung für\'n Popo :D
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Riothamus am 01. Juni 2018 - 23:59:09
@ Pappenheimer: Ich glaube, du beschreibst da schon Luxusprobleme bei ernsthaftem Reenactment.

@ Schmagauke: Man kann alles übertreiben. Aber was Poliorketes beschrieben hat, war, dass jemand einen Infanteristen des 1. Weltkriegs darstellt mit preussischer Grenadiermütze aus der Zeit des Soldatenkönigs auf dem Kopf, Sturmgewehr-Replik in der Hand und ein spätmittelalterliches Schwert und eine Radschloßpistole des 17. Jahrhunderts im Gürtel, der im 16. Jahrhundert modern war. Dazu Stiefel preußischer Jäger von 1808 und der Kampfanzug ist Feldgrau gehalten. Ausrüstung aus 5 Jahrhunderten eben.
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Schmagauke am 02. Juni 2018 - 00:29:08
Ja, aber wie Du schon sagtest:
Selbstinszenierung.
Auf Mittelaltermärkten usw würde ich gar nicht von RE sprechen, da wird jede Menge Geld umgesetzt und es dient nur als Gaudi.

Und selbst Historiker liegen manchmal daneben. Neulich hat eine unserem Sohn den Morgenstern erklärt. Es war mir peinlich aber ich kam nicht umhin, ihn anschliessend richtig zu erklären...

Bei \"echtem\" RE erwarte ich natürlich mehr, aber nehmen wir Waterloo 2015 als Beispiel:
Mir ist es bei so einem aussergewöhnlichen Event lieber, 6.000 Leute in meinetwegen unkorrekten Uniformen zu sehen und dafür aber einen kleinen Eindruck von der damaligen Massenschlacht zu bekommen als nur mickrige 500 Männekes, deren korrekte Uniformen aus 300m Entfernung ohnehin nicht richtig zu erkennen sind.

Ist eigentlich müssig, darüber zu diskutieren.

Und das Alter lässt mir keine Ruhe :D
Die ersten alten Säcke haben das Feld bereits nach 20 Minuten aus Erdchöpfung verlassen. Bei den ganzen erschossenen Deserteuren wären am Ende nur noch 200 übrig geblieben - aber in korrekter Uniform :D
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: The Desertfox am 02. Juni 2018 - 00:42:46
Fuer eine der besten Episoden zuACW Reenactment empfehle ich Confederates in the Attic. Suedstaatler die Diat halten und spooning betreiben, goettlich.
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Jocke am 02. Juni 2018 - 09:48:47
Mittelaltermärkte sind nur als \"Gaudi\" zu sehen, da legt der großteil der Darsteller überhaupt keinen wert auf Realismus oder Authentizität.

Reenactment ist an und für sich nur die Nachstellung Historischer Ereignisse, selbst da benötigt es nicht zwingend 100% Authentizität in der Ausrüstung, solange das Ereignis korrekt Nachgestellt wird.

Living History ist der Terminus für gelebte Geschichte, dort geht es um Authentische Darstellung einer Person in einer gewählten Zeit. Dabei gilt, nur was auch durch Primärquellen belegt ist sollte in der Darstellung Verwendung finden. Ein Freund von mir betreibt die Seite http://www.geschichtsfenster.de/ und gehört zur Sparte \"Living History\", konzentriert sich dabei auf einen engen Zeitraum und geht dabei stark in die Tiefe. Andrej betreibt Geschichts- und Kulturvermittlung und ist eher selten auf Mittelaltermärkten zu finden.

Es ist schade das Mittelaltermärkte ein Zerrbild dessen Zeigen was Living History Darsteller versuchen zu veranschaulichen. Aber Marktmittelalter ist eine Szene die eben bekannter ist als Gelebte Geschichte in Museumsqualität. Ist schade, aber daran wird sich so schnell nix ändern.
Titel: ü
Beitrag von: Poliorketes am 02. Juni 2018 - 10:06:49
Das interessante ist, daß es speziell beim Mittelalter so ist (auch wenn es auch hier sehr gut recherchierte, realistische Kostüme gibt). Bei Römer- und Germanenspielen sind sogar die nunwirklich zu Hollywood- und Cinecitta-Ausrüstung einladenden Gladiatoren passend ausgerüstet, und bei Napos wird schon darauf geachtet, daß sich da keiner mit einer Uniform aus dem AWI dazwischen mogelt - und das sind gerade mal 30, 40 Jahre Differenz.

Bonmot am Rande: meine Schwester fand die Deutschen bei Wonder Woman falsch ausgerüstet, weil die ja Wehrmachtshe lme statt Pickelhauben hatten. Aber zu ihrer Ehrenrettung - bei Anno 1280 haben sie die Orkschwerter eines Fechters auch irritiert.
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Nischenspieler am 02. Juni 2018 - 11:13:30
Ohne daran Anstoß zu nehmen finde ich die SM-Leder-Ork-Wikinger peinlich und frage mich was diese Leute antreibt. Ich fände das Bild eines Marktes ohne diese Entgleisungen schöner.
Soweit so gut, was mir aber das eigentliche Schmunzeln abringt ist, dass im Mittelalterbereich (Früh- und Hoch) viele Darsteller sich über besagte Jack Sparrow-Ritter den ganzen Tag lustig machen können und auf sehr hohen Rössern sitzen. Ulkigerweise sind gerade diese Leute häufig mit modernen Mythen behängt, dass es nur so kracht. Der Katalog an unhistorischem Blödsinn, welcher aber in der Szene akzeptiert ist, ist groß und beinhaltet Schnitzer, die teils gar nicht mal so klein sind. Frei nach dem Motto die-waren-ja-nicht-doof-damals sucht sich der geneigte (Selbst-) Darsteller zusammen, was ihm nach seinem modernen Modeempfinden am meisten zusagt.
So sitzt man dann in falschen Stoffen (grobe Wolle bringt einen in manchen Sommern echt um und Leinen war nicht so verbreitet, wie man meinen mag) vor Zelten, die gar nicht der vermeintlich dargestellten Epoche entsprechen und hängt mit seinen Freunden ab, während man sich als Teil einer Gemeinschaft wieder findet, die nicht halb so viel Ahnung hat wie sie gerne tut.
Harte Arbeit wie sie früher alltäglich war, gibt es gar nicht. Im Gegenteil, eigentlich chillt man den ganzen Tag, geht bei bedarf ein wenig dengeln in vollkommen unhistorischer Schutzklamotte, schließlich geben Funde -zumindest in der breiten Masse- nichts adäquates her. Abends gibt es dann das ein oder nette Bierchen und ab und zu findet man auch ein neues Stück Austrüstung.

Und ganz unterm Strich ist dieses Spackenhobby doch auch eigentlich ganz schön  ;)
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Mandulis am 02. Juni 2018 - 12:29:12
Meine Erfahrung ist, wer sich in seiner Klamotte wenigstens nach Codex Belli kloppt, ist meistens halbwegs korrekt ausgerüstet. Funktionale Rüstung muss passen und angepasst werden. Da muss zwangsweise Recherche über Form und Funktion reingehen und meistens wird dann die Zivilkleidung genauso recherchiert.

Einfach nur für den Mittelaltermarkt eine Klamotte \"haben\" geht dank modernem Angebot im Internet schnell. BIssl Geld ausgegeben und man ist dabei. Ich war letztes Jahr auf dem Heerbann, dort wurden explizit historische Darstellungen geliefert und auch kontrolliert. Dementsprechend sah es da dann auch aus.
Abgesehen davon hält es meine Gladiatorentruppe so, alles was dem persönlichen Schutz dient und was keiner sieht, ist auch erlaubt. So tragen wir zum Beispiel alle einen Tiefschutz; sieht unterm Subligaculum (auch der Popolappen genannt) eh niemand.
Die MIttelalterszene ist halt sehr groß und auf vielen Veranstaltungen passiert außer vor Ort sein oder ein bisschen Schaulaufen nicht viel. Dementsprechend groß ist die Varianz der Teilnehmer. Das meine ich übrigens wertungsfrei.
Titel: Schlacht bei Großbeeren
Beitrag von: newood am 04. Juni 2018 - 09:50:13
... wir gehen da schon seit Jahren hin und sehen uns
das Lager und die Gefechtsdarstellung an.

Wir wohnen in Blankenfelde und haben da einen gewissen
Heimvorteil.

Über die Jahre ist die Nummer immer größer geworden.

War es zu Anfang ein Fest mit regionalem Flair, so hat es
sich jetzt zu einem Volksfest mit Fahrgeschäften entwickelt.

Ich bin kein Kenner der Epoche, aber ich finde es gut, wenn
an die Gefechte vor den Toren Berlins jedes Jahr bei gutem
Wetter erinnert wird.

mfg
newood
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Pappenheimer am 04. Juni 2018 - 09:50:55
Zitat von: \'Schmagauke\',\'index.php?page=Thread&postID=274045#post274045

Und selbst Historiker liegen manchmal daneben. Neulich hat eine unserem Sohn den Morgenstern erklärt. Es war mir peinlich aber ich kam nicht umhin, ihn anschliessend richtig zu erklären...
Meine Tochter (5) heute Morgen: \"Nein ich will die CD nicht hören, das ist doch eh alles Quatsch!\"

Hintergrund: meine Kinder leihen sich immer wieder CDs der Reihe \"Wieso Weshalb Warum\" von Ravensburger aus. Die Bücher, CDs und Tiptoi-Bücher von Ravensburger sind ein kruder Mix aus Wissen und Halbwissen (also eher Spekulationen, moderne Klischees - da hat sicher keiner eine richtige Recherche gemacht). Diese CD behandelte Mode und Kleidung und die Kinder in dem Hörbuch gehen in ein Modemuseum. Selbst meiner Tochter (na gut, durch unsere Veranstaltungen auch vor\"belastet\") fällt auf, wenn da irgendwelcher Unsinn vorkommt, der so einfach nicht stimmt wie die Behauptung, dass Kinder erst richtige Kinderkleidung, die anders als Erwachsenenkleidung war, ab 1900 bekamen.
Heutzutage sind viele \"Sachbücher\" für Kinder so ein Krampf. Auch \"Was ist was\" ist den Weg vom seriösen Inhalt zu Fantasypiraten immer weiter gegangen. Vielleicht ist das Zeitgeist, ich weiß es nicht. Aber man kann auch Kinder nicht für dumm verkaufen und meine merken dann halt recht rasch, wenn einfach zwischen dem, was sie in Museen z.B. ganz einfach selber sehen können und dem Präsentierten in \"Sachbüchern\" Welten liegen.
Nur ein paar lustige Details am Rande: in nem Tiptoi die Schweine, die einfach aussehen wie Hausschweine Anno 2000. Selbst das Hällische Landschwein (keine wirklich alte Rasse) hat mehr optisch gemeinsam mit nem Schwein des Mittelalters als diese offensichtlich falsch abgebildeten Tiere (rosa, klein, und obendrein in moderner Stallhaltung präsentiert).

Jocke hat schon Recht. Mittelaltermärkte egal ob von den Menschen persönlich erlebt oder nur vom Hörensagen her, sind das was die Allgemeinheit kennt. Nehme ich frei und werde ich gefragt, wohin ich fahre, antworte ich \"In ein Freilandmuseum\".
\"Ah, du machst da wieder Mittelalter!\"
\"Nö, das spielt in der Frühen Neuzeit. Weißt Du, Alter Fritz und so. Im Mittelalter gab\'s noch keine ...\" (möglichst kurz gehalten)
Selbst für eigentlich alle Akademiker, die ich hier kenne, ist Mittelalter praktisch alles was früher war außer vielleicht Römer. Also Mittelalter ist scheinbar eine diffuse Zeit vor dem 2. Weltkrieg. Abgesehen davon, dass ich mich immer frage, wie man \"Mittelalter machen kann\", ist es meistens müßig was zu erklären. Bis zum nächsten Mal in 2 Monaten eh wieder vergessen.
Man kann Pause machen.
Vielleicht liegt\'s ja daran.  :D
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Pedivere am 04. Juni 2018 - 15:33:08
ich hab vor ca 20 Jahren 5 Jahre lang sehr zeitintensiv Reenactment betrieben. Damals mußte man sehr viel selber machen, und die kaufbare Ausrüstung war sehr teuer. Dementsprechend war die Szene eher klein und die Qualität der Ausstattung eher hoch. Trotzdem sind mir die \"authentisch\"  Diskussionen mächtig auf den Sack gegangen (man sollte es kaum glauben  :cool: ), da ich die Quellenlage kenne und weiß daß man in manchen Epochen sehr improvisieren muß (bei Lederrüstungen würde ich sagen: käme drauf an, es gab ja welche und erhalten ist ja kaum was).

Ich hab mal eine sehr angefeurte Diskussion damit beendet daß ich angedroht habe einen Apell zu machen und jedes nicht authentische Kleidungsstück zu entfernen, Nacktheit auf eigenes Risiko ;)

Der Mittelalter et co Boom ging ja damals los, mittlerweile kann man sich alles kaufen und die Eintrittsschwelle ist sehr niedrig. Dementsprechend gibt es viel Lustiges anzusehen. Ich würde sagen, es kommt darauf an was genau man von diesem Hobby will. Authentisch kämpfen ist sowieso nicht möglich, egal in welcher Variante. Ich hab mal Thalhofer \"Rekonstrukteure\"  gesehen, wirkte eher wie linkisches Balett denn wie Kampf.
Jede Form von Reenactment als historisches oder archäologisches Experiment anzusehen finde ich albern. Reenactment hat was mit Immersion zu tun, und da gibt es sehr unterschiedliche Abstufungen. Ich hab noch niemand gesehen der sich die Plastik Zähne aus dem Mund genommen hat oder sich mit Moos oder Essigschwämmen den Arsch abgewischt hat. Oder fauliges Fleisch gegessen oder Brunnenwasser mit Darmbakterien getrunken.

Ich bewundere Leute die sich viel Mühe geben - wer in Rüstung über die Alpen marschiert oder kurzsichtig keine Kontaktlinsen trägt und so, Hut ab! Sowas als Maßstab anzusehen ist aber schlicht behämmert. Es gibt ja Paläo-Reenactment, das sind die Harten ;)

Gesund bleiben und Spaß dabei haben ist das Wichtige

PS - ich hab übrigens noch nie eine Bauerntruppe gesehen, noch nichtmals ein Haufen aus den Bauernkriegen - es scheint also auch was mit dem Wunsch nach sozialer Mobilität zu tun zu haben, mit sovielen Rittern und Burgfräuleins.
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Pappenheimer am 04. Juni 2018 - 16:03:21
5 Jahre Reenactment? Cool!

Bei uns in der Militärgruppe, wo ich nur noch selten mitmache, ist es so, dass doch recht viele genau dann, wenn sie endlich mal ihre Ausrüstung fertig haben (Schuhe, Muskete, Uniform, Tornister etc.) aufhören und wieder alles, natürlich nur zum Bruchteil des Kaufwerts wieder vertacken. Alles zusammen kriegen dauert bei den meisten so 2-4 Jahre. Zuvor halt viel von der Gruppe ausgeliehen oder von Bekannten.

Gute Bauerndarstellung kenne ich eigentlich auch nicht aus der Mittelalterszene.
Was es gibt sind halt welche, die städtisches Aufgebot darstellen (\"1476\" z.B.) und dann städtisches Handwerk vorführen, wenn sie nicht auf ein Schlachtreenactment fahren.
Bäuerliche Tätigkeiten werden mal ganz kurz ausprobiert und dann scheinbar auch nur fürs Fotomachen.

Nach meiner Erfahrung (FNZ) gehört einfach auch extrem viel zu einer guten bäuerlichen Darstellung. Die Bauern haben ja praktisch alles selber gemacht auf ihrem Hof bis auf evtl. zugekaufte Textilien oder Werkzeuge vom Schmied. Selbst unsere besten Leute können da nicht alles. Wir haben einen dabei, der uns bei sowas wie Heu- oder Getreideernte (Heuernte 1763: https://wackershofenannodomini.blogspot.com/2015/11/anno-domini-1763-endlich-frieden-23-25.html ) anleitet und selbst der hat das nur als Kind oder Jugendlicher mal gemacht.

Bauern aus\'m Bauernkrieg in \"aaargh!\" hab ich aber schon öfter gesehen.

Was die Krankheiten etc. anbelangt. Wir sind halt auch keine Bauern von damals. Die waren vieles gewohnt ungefähr wohl wie Berichte einer Museumsmitarbeiterin, die mal eine Weile in Pakistan war und von Landleuten berichtete, die alle undenkliche Schmerzen wie Zahnschmerzen ohne die Miene zu verzerren hinnahmen. Unsere Erfahrung mit Darmbakterien etc. wären also auch nur gewissermaßen \"Fake\", weil wir durch unsere eigene Beschaffenheit als überwiegend verweichlichte Großstadtmenschen weitaus weniger damit zurecht kämen als die Menschen damals, ergo keinen richtigen Eindruck vom Leiden/Empfinden damals erhielten.
Dennoch denke ich schon, dass man manchmal ein paar historische Momente hat - eben Ausschnitte, keine komplette Erfahrung. Mal als Beispiel als ich ne Magenkrankheit hatte und meine Kumpels auf nem Marsch sagten, ich würde das \"Ruhr\"-Reenactment aber etwas weit treiben. Mir ging\'s da so elend, dass ich mir irgendwie die armen Preußen nach Valmy vorstellen konnte. Marschieren mit nichts im Magen ist echt K****. Immerhin soll ich dann krass realistisch ausgesehen haben.
Natürlich nicht so \"toll\" wie die Engländer in meiner ehemaligen Gruppe. Manch einer kennt vielleicht das englische Gesundheitssystem... Na, jedenfalls hatten die echt so Visagen mit drei Zähnen drin mit etwa 30, dass es einem Angst und Bange wurde. Skorbut? Hätte man denken können. Dann morgens nach durchzechter Nacht - wie ein Blick in echt authentische Gesichter,  :smiley_emoticons_pirate_shocked_1: (Kennt jemand Shane McGowan in den späten 80ern?)
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Pedivere am 04. Juni 2018 - 16:10:35
ich meinte das mehr aus Spaß mit der Bauerngruppe.

ich hatte nach 3 Jahren die Nase voll von den Rittergelagen und wollte eine Bauerntruppe mit Bundschuh, Juteklamotten und Arbeitsgerät machen als Gegenprogramm. Ich war nicht so genau beim Reenactment obwohl ich das meiste selbst gemacht habe, in Wolle und Leinen rumgerannt bin und im Winter im Schnee gezeltet habe. Mir ging es um das Bühnenfechten, darauf war ich getrimmt, aber da muß man wegen der Sicherheit Kompromisse machen.
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Shapur am 04. Juni 2018 - 16:55:53
Es ist in der Regel die Selbstdarstellung der Darsteller, die für ihre Fantasie-Figur Geld und Zeit investieren. Denn kaum einer kann die richtigen Fertigkeiten, die für seine Rolle notwendig sind, oder verlässt die Annehmlichkeiten der Moderen völlig. Überall die Zelte, trockenes Stroh drinnen und soviele Habseligkeiten wie beim Adel.
Es ist aber klar, dass niemand sagt, so ich bin jetzt Leibeigener des Vogts und spiele in Sack und Asche ohne Schuhe das Wochenende über Knecht und schaufe die Pferdescheisse.
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Pedivere am 04. Juni 2018 - 17:00:28
och, ich habe \"Bettler\"  gekannt die das mit Hingabe gemacht haben, inklusive Krücken, bis Einbruch der Dunkelheit ;)
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Pappenheimer am 04. Juni 2018 - 17:04:53
Zitat von: \'Shapur\',\'index.php?page=Thread&postID=274235#post274235
Es ist aber klar, dass niemand sagt, so ich bin jetzt Leibeigener des Vogts und spiele in Sack und Asche ohne Schuhe das Wochenende über Knecht und schaufe die Pferdescheisse.
Das ist mal wieder das Typische von Fremd- und Eigenwahrnehmung.

Ich schaufle auch Pferdescheiße. Na und? Und meine Tochter rennt barfuß rum. Na und? (Wobei ich als Veranstalter Barfußlaufen nicht so toll finde. Einer ist mal in \'nen Riesennagel getreten. Das war echt blöd. Unsere Landschaft ist einfach mit solchen Dingen anders bestückt als damals, wo alles bis zum Gehtnichtmehr verwertet wurde.)

Mir scheint\'s dass doch oftmals hier irgendwie über ne Szene geurteilt wird ohne Veranstaltungen zu besuchen.
Ist aber sogar bei angeblichen Fachleuten so, die über Veranstaltungen referieren, wo sie nie anwesend waren.  :whistling:
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Pedivere am 04. Juni 2018 - 17:17:58
auch Besucher laufen im Sommer zur Genüge barfuß rum, die sind ja stärker gefährdet. Ein guter Veranstalter hat Leute rumlaufen die sowas einsammeln.

Ja, auch Knecht sein gehört dazu, das hat sich wiederum geändert über die Jahre - aus meiner Beobachtung. Es gibt viel mehr Bandbreite in der Darstellung, besonders mit Handwerk. Pflügen hab ich noch keinen gesehen  ;)
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Jocke am 04. Juni 2018 - 19:28:17
Ich merk gerade was hier auch teilweise für eine krude Vorstellung von \"Mittelalter\" herrscht. :blink_1:
Bauern die in Jute rumlaufen, Knechte in billigem Sack ohne Schuhe? Von welchem Mittelalter redet ihr? Leinenkleidung, Wolle, Lederschuhe waren gängig im Mittelalter, das hatten selbst Bauern und Knechte, die wurden ja wenigstens Bezahlt. Gute Darstellungen von solchen Gewerken ist schwierig da die Primärquellen Lage dafür recht Mau ist, für Stadtbürger gibt es aber z.B. sehr gute Quellen die auch mittlerweile recht gut recherchiert sind.
Titel: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Pedivere am 04. Juni 2018 - 19:52:10
die Bauern in Jute waren nur ein parodistisches Gegenkonzept für den Mittelaltermarkt. Auch aus dem einfachen Grund weil es \"Jute\" als Konzept, also \"billiger Stoff\" vor der Einführung von Webstühlen gar nicht gibt, Stoff ist immer teuer, nur die Verfügbarkeit des Materials variiert den Preis. Bauern mit grober (haltbarer, verfügbarer) Alltagskleidung darzustellen ist also gar nicht so abwegig oder unauthentisch.

Was das barfuß laufen angeht - daß man immer Fußbekleidung trägt ist ein modernes Konzept, und die meisten sozialen Schichten haben überall und zu allen Zeiten ihre Schuhe geschont wenn es nur ging, also im Sommer, und sind barfuß gelaufen - besonders Kinder die ja bekanntlich sehr schnell wachsen.
Die Toleranz für schlechtes Wetter bei Menschen die im Freien gearbeitet haben war auch höher als heute. Das ändert aber nichts daran daß Schuhe eigentlich auch zu allen Zeiten bekannt waren und benutzt wurden, auch bei Neanderthalern. Das sind Universalien

Immer Schuhe tragen ist ein Zeichen von Wohlstand, besonders bei Kindern. Genauso wie das tägliche Tragen von Festkleidung als Statussymbol. Darum vielleicht auch die gute Quellenlage im städtischen Mittelalter - auch weil die ihren Müll in die Latrinen geworfen haben.
Titel: Re: Realismus im Reenactment
Beitrag von: Baldwin von Gondor am 31. Dezember 2018 - 00:35:58
Huhu,

da ich selbst schon dort gelagert habe, kann ich den Unmut verstehen.

Es gab mal eine Zeit, wo man in Gütersloh Wert darauf legte,  die Charaktere und Gruppen Geschichtsnah zu interpretieren.  Leider musste ich feststellen, dass die meisten Menschen eine völlig andere Auffassung (danke Hollywood) von den Gewandungen haben, als es damals gewesen sein könnte. Des weiteren, sind mittlerweile viele Gruppen auf Märkte wie  das MPS ausgelegt und wenn der Veranstalter Probleme bekommt, seine Gruppen voll zu bekommen, werden immer häufiger andere Gruppen noch mit heran gezogen. Aus diesem (und dem zeitlichen) Grund, habe ich meine Gewandung vor 3 Jahren an den Nagel gehängt und bin aus der Sparte rausgegangen.

Es hat leider kaum noch was mit Reenachment zu tun, weil viele das nicht kennen.

Die Veranstalter beugen sich mehr und mehr der Masse und den wünschen der Gäste.  Das ist zumindest mein Gefühl.

Lg