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Der Pub => An der Bar => Thema gestartet von: Angrist am 15. Januar 2009 - 22:30:20

Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Angrist am 15. Januar 2009 - 22:30:20
Seitdem ich mich mit Geschichte beschäftige, und das sind, wenn ich bei den alten \"was ist was\" Bücher anfange, nun auch gut 14 Jahre ;)

las ich Geschichtsbücher, Las über Ausgrabungen, Forschung etc, und seit dem internet auch zig dokus (BBC und History Channel ist super, besonders die britischen produktionen)

doch irgendwie scheint das meiste was an Geschichtsforschung nach 1995 geleistet wurde,  (einen für mich überblickbaren Zeitraum, alles andere wäre geraten), keinen wirklichen Eindruck auf die heutigen Geschichtsbücher, den Geschichtsunterricht, oder die Darstellung in den Populärmedien zu haben,

das man Schulbücher nicht dauernd Umschreiben kann ist klar, und das Lehrer (ich weis wir ham hier ja ein paar) oft faul sind und sich nicht weiterbildern (so auf jedenfall all meine ehemaligen Geschichtslehrer) ist eine bittere Erkenntnis,
aber auch sonst überall wird die moderne Forschung oft unter den Tisch fallen gelassen

Kelten sind immer noch tumbe Wilde (hinreichend durch Ausgrabungen widerlegt)(erst stand hier Barbaren,aber denn Sinn des Wortes haben die Römer ja auch zu dem gemacht was es ist, deshalb hab ich das rauseditiert),
Der langbogen wird immer noch als panzerbrechend bezeichnet für agincourt und auch weit später(forschungen haben ja bewiesen das bei agincourt die rüstungen schon sehr gut gegen pfeile waren, es waren die pferde die besonders gefährdet waren, empfehle  dazu die bbc und history channel dokus)
Cäsar wird immer noch oft einfach zitiert und als Fakt genommen etc

das einzige was ab und an mal auftaucht ist die Himmelsscheibe von Nevra (oder sowas) aber ansonsten scheinen fast keine modernen Forschungsergebnisse, obwohl sie beachtlich sind,
groß einen Eindruck zu machen,

Das Thema hat mich heut mal wieder bei irgend was in den dritten Programmen aufgeregt, als der Moderator so im nebenbei etwas Geschichte machen wollte  :puke:
da kam ich auf die Idee das hier zu schreiben
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Hanno Barka am 16. Januar 2009 - 12:36:05
Ich denke, daß die ganze Sache einfach etwas träge ist, die modernen Ergebnisse fliessen schon ein, aber es dauert einfach 10 - 20 Jahre bis sich ein \"neues Forschungsergebnis\" zu einem \"allgemeinen Wissensgut\" entwickelt hat. Ich kann in populärdokus und neueren Geschichtsbüchern nun oft Forschungsergebnisse, die so 20 Jahre alt sind (aus meiner Jugend sozusagen) wiederfinden - gut Ding dauert halt einfach eine weile.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: hwarang am 16. Januar 2009 - 12:47:46
der unterschied zwischen ergebnissen der historischen forschung und der darstellung von geschichte in populär\"wissenschaftlichen\" medien ist halt immens.

ich erinnere an dinge wie \"langobarden heisst langbärte\" und \"xiongnu/hsiungnu sind hunnen\" etc. das ist alles gesicherterweise unsinn, bleibt aber stehen und wird gelehrt.

ausserdem wird in der schule nicht zuletzt ein nationaler mythos gelehrt. das ist in deutschland wohl noch vergleichsweise harmlos (dennoch: mythen wie der bürgerliche widerstand gegen die nazis und ähnliches werden gehalten), aber in den nordostasiatischen ländern (und auch zb. in den USA wohl) sehr heftig.

ich glaube dass forschung mehr oder weniger parallel zu populären geschichtsbildern besteht. aufgabe der modernen forschung ist wohl, Hobsbawm meinte das, diese populären bilder und mythen kaputt zu machen.

ergebnisse werden dennoch natürlich langsam und selektiv auch verbreitet.
Titel: RE: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Jimo am 17. Januar 2009 - 16:10:19
Zitat von: \'Angrist\',index.php?page=Thread&postID=19604#post19604

... doch irgendwie scheint das meiste was an Geschichtsforschung nach 1995 geleistet wurde,  (einen für mich überblickbaren Zeitraum, alles andere wäre geraten ...


Denke hier gibst Du die Antwort selbst. Bis Foschungsergebnisse erst publiziert werden (egal in welchem Fachgebiet), dann von der wissenschaftlichen Gemeinde verifiziert werden (oder eben nicht), diese dann an Universitäten, Instituten, Kankenhäusern etc. angewandt, umgesetzt, gelehrt etc. etc. etc. werden ... vergehen Jahre. In etlichen Bereichen 5-10. Dann erst (!!!) ... folgt der Transfer in z.B. den Bereich der Schulbücher etc. Und der dauert dann auch noch ...

Den eher aktuellen Stand einer wissenschaftlichen Diskussion findet man dann eher in den Fachzeitschriften und Publikationen. Und die liest ja nun so gut wie niemand ...
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Graf.Dominic am 19. Januar 2009 - 22:47:00
Ich kann meinen Vorrednern nur zustimmen!

Man muss Geschichtswissenschaft und Populärwissenschaft trennen.

Zudem gibt es im Fach Geschichte auch noch die Auswahlproblematik. Was muss/soll ins Curriculum und was nicht? Jedes Kultusministerium hat da seine eigenen Vorstellungen.

Zur Quellenkritik kann man auch stehen wie man will. Das Caesar nicht immer Recht hat ist denke ich den meisten klar, nicht erst seit der Stelle mit den Elchen umwerfenden Galliern.
Ich muss aber sagen daß in einigen Fernsehbeiträgen durchaus gesagt wird das Dieses oder Jenes nicht klar belegt werden kann.

Ich bin der Meinung es gibt einige sehr gute gemachte Dokumentationen im Moment. Der Trend finde ich geht in eine positive Richtung. Dennoch sind diese Dokumentationen eben für ein sehr breites Publikum angelegt und dementsprechend einfach.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: hwarang am 20. Januar 2009 - 09:08:00
aber etwas schade ist das doch. warum muss man \"fürs volk\" alles vereinfachen? leute hören eh nur fragmentarisch zu und picken sich das raus was sie verstehen können und wollen. und ein bißchen darüber hinaus; da sollte man ansetzen. (irgendwie nach Lenin: man soll das kulturniveau der massen heben anstatt sich auf ihr niveau runterzubegeben. klingt wohl in der klarheit arogant, ist abereigentlich nur klar.)
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Poliorketes am 20. Januar 2009 - 15:08:56
Vergeßt auch nicht, das neue Erkenntnisse nicht immer unumstritten sind. Und was Vereinfachungen angeht - das war schon immer so. Interessante Funde wurden auf Biegen und Brechen mit einem berühmten Ereignis in Verbindung gebracht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Schliemann hat seine Funde zum Schatz des Priamos erklärt und Kalkriese muß eben als Arminiusschlachtfeld herhalten.

Ein weiterer Grund ist, daß umfassende Geschichtswerke nicht alle 5 jahre neu herausgegeben werden. So sind die umfassendsten deutschsprachigen Standardwerke zur Weltgeschichte, die ich kenne, immer noch die Fischer Weltgeschichte aus den 60er/70er Jahren und die noch ältere Propyläen Weltgeschichte. Und zur Kriegsgeschichte gibt es glaube ich bis heute kein dem Delbrück vergleichbares Werk eines deutschen Autors  :P. Insbesondere für exotischere Themen (z.B. Hsiung-Nu) erscheint auch nur alle 50 Jahre ein neues Standardwerk...
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: hwarang am 20. Januar 2009 - 15:21:30
naja.. die \"xiongnu sind hunnen\" theorie wird in kaum einem halbwegs aktuellen sinologischen fachbuch benutzt. in der fischer weltgeschichte allerdings leider schon. der band ist ansonsten übrigens ganz gut.

das hauptproblem ist sicherlich der von Dir genannte zwang zur sensation im fernsehen. dazu kommt noch die hohe wirkkraft scheinbar einleuchtender einfacher erklärungen. wobei ich eigentlich nicht glaube, dass das publikum unbedingt auf sowas steht, vielmehr müsste man versuchen, ansprechend aufgemacht solides und haltbares wissen zu veröffentlichen.

abgesehen davon haben doch die ohnehin stark subventionierten \"kultursender\" jawohl einen bildungsauftrag.

ein schönes beispiel für gezielte verdummung war diese unsägliche \"galileo mystery\" sendung gestern nacht. (vergleich samurai - europ. ritter. würg.)
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Mehrunes am 20. Januar 2009 - 15:28:01
Am lustigsten fand ich dass der Proband in Vollplatte seine Bogenschießkünste unter Beweis stellen mußte.
Lag ja auch nahe bei den vielen vollgerüsteten Bogenschützenrittern im Mittelalter.  :thumbsup:

Naja, allerdings erwarte ich auf Pro 7 aber auch kein Fachwissen in der Richtung. Da muss man schon auf die ÖR, arte oder Phoenix ausweichen.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Menic am 20. Januar 2009 - 16:58:54
Fernseh-Doks sind nicht alles. Da muss alles super schnell gehen. Spannungsbogen, Dramatik, Einfachheit, Unterhaltungswert werden wichtiger als der Inhalt.

Websites können da schon tiefer gehen. Leider wird im www viel Quatsch geschrieben und noch weiter verbreitet. Aber die Demokratisierung der Wissensgenerierung ist unbedingt zu begrüssen.

Bücher lesen in Verbindung mit dem Internet als Lexikon finde ich die ideale Kombination, um vertiefte Einsicht in ein Thema zu erhalten.

Die Lehrmittel für den Geschichtsunterricht sind sehr viel besser geworden in den 90ern. Der Kanton Bern (Schweiz) hat in Zusammenarbeit mit der Uni und dem archäologischen Dienst ein hinreissendes Geschichtsbuch herausgegeben. Die Kelten beispielsweise sind hier eben gerade nicht die tumben Gesellen. Mit Quellenzitaten und Grabungsbefunden wird den Schülern die vergangenen lokalen Kulturen vermittelt sowie der Forschungsprozess. Alltag, Religion, Tracht, Gesellschaft wird rekonstruier. Die Geschichte wird hier vorbildhaft als etwas wandelbares dargestellt.

gruzz
menic
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Poliorketes am 21. Januar 2009 - 13:44:26
Habe den Galileo-Beitrag nicht gesehen (nicht meine Sendung), aber da ist dann wohl das schönste Beispiel für Geschichtslegenden aus dem Internet behandelt worden  :crazy:
Ich liebe die Samurai-Ritter-Diskussionen, die immer mal wieder aufkommen. :dash:
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: General Electric am 23. Januar 2009 - 15:05:59
Ich würde sagen JA.
Aber in einem Medium das hier nicht besprochen wurde und zwar den Gechichtsmagazinen.
Hier eine Auswahl

G wie Geschichte (hat ein HAupthema und ist eine gute Einführung dazu, auch für Kinder sehr lesbar wirkt aber nicht kindlich)

Karfunkel ( das zZ beste Magazin über Mittelalter wobei die beschriebenen Artikeln von 10.000BC bis 1899AC gehen.  :D. Sehr gut recherchiertes Material und
es werden auch aktuelle Forschungsergebnisse eingabracht als auch Quellenmaterial angezeigt).
Die Schwestermagazine in gleicher Aufmachunh Karfunkel Codex Wird ein Volk des Mittelalters oder der Antike beschrieben (Römer, Kelten, Wikinger usw)
Karfunkel Combat (Thema Krieg, es gibt mittlerweile drei Nummer erscheint jährlich und ist meines Wissens das einzige Magazin das was taugt)  
und Karfunkel Musica und Karfunkel Kräuterhexe.

Geo Focus Gechichte ( auch gut aber nicht so gut wie Karfunkel. HAben aber auch eine DVD drin zum Hauptthema des Magazins.

Militärgeschichte ÄHM viele bunte Bilder aber viel zu wenig Text, wirkt auf mich wie Pannini Bilderheftchen. Die könnten Osprey glatt an die Wand stellen, wenn die nur
etwas mehr Text haben würden.

Deutsche Geschichte. Kommt mir sehr rechts vor, hat aber auch gute Artikel. Einiges muß man aber mit Vorsicht lesen,
denn einiges was die vertreten ist schon harter Tobak.

In allen diesn Magazinen kommen neue Erkenntnisse der Wissenschaftler rein
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Mansfeld am 31. August 2011 - 14:24:40
Naja, Karfunkel ist auch nicht unbedingt in allem Up-to-Date, aber ganz solide.
Das Hauptproblem ist einfach die Kommunikation zwischen Speerspitze der Forschung und den Allerweltsmedien, man kann da wirklich von Elfenbeinturm reden.

Ich kannte im Studium genau zwei Professoren, die bemüht waren, ihre aktuellen Ergebnisse auch unters \"gemeine\" Volk zu bringen. Peter Thorau (Themen: Mittelalter, Kreuzzüge, Orient im allgemeinen, Lawrence von Arabien), der eine davon, hat dann auch das Grundwissen-Buch der Beckschen Reihe zu den Kreuzzügen geschrieben, und Klaus Girardet (Römische Antike) hat zweimal im Jahr Fachvorlesungen auf nicht reduziertem akademischen Niveau bei historischen Vereinen (jedermann zugängliche Veranstaltungen) in Saarbrücken gehalten (Thorau macht sowas übrigens auch). Keiner von beiden hat da versucht, es für imaginäre Dumpfschädel zu vereinfachen, dennoch haben -oh Wunder- die Rezipienten alles gut verstanden (beide Herren sind extrem gute Wissensvermittler).

Und nach meiner eigenen Erfahrung bei Vorträgen und Kursen, die ich an der VHS gehalten habe, ist es für Nichtakademiker mal sehr entspannend, wenn man sie nicht automatisch für abiturlose Blödis hält, sondern ihnen als gleich intelligenten Mitmenschen einfach mal spannende historische Thematiken exakt zu erklären versucht.

Deswegen ärgere ich mich über die populärklamaukigen Actionbummkrach-Dokus á la Galileo, da wird einfach mal doofes Big-Brother-Publikum am Fernseher vorausgesetzt, dem man es nur primitiv und total verfälscht auftischen darf. Auch eine Form von Arroganz, aber nicht mal mit dem Nachweis von Fachverstand.
Leider ist es tendenziell halt so - die Fachleute interessieren sich größtenteils nicht, ihre Erkenntnisse auch der nichtakademischen Welt zu vermitteln (dabei bezahlt die eigentlich den ganzen Spaß), und die Leute, die ins \"Wissenvermittlunsgeschäft\" einsteigen, sind mehr um Explosionen und Verschwörungs-Mystery-Gebrabbel interessiert, denn nur das werden ja diese dummen Flachschädel schlucken, die wollen das ja alle so.

Medienkasper und Fachautisten kurz gesagt. Aber ich übertreibe, es gibt nicht nur sowas. Aber ich rege mich gern mal auf :sm_pirate_ugly:
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: WCT am 31. August 2011 - 19:00:57
Was das Fach Geschichte als Schulfach betrachtet darf man nicht vergessen, dass das Hauptaugenmerk in der Sekundarstufe II einfach auf der Entwicklung der Demokratie bzw. Deutschlands liegt und in diesen Bereich werden halt keine neuen rev. Entdeckungen gemacht ;) . Geschichte die über das Themengebet hinausgeht (Neolithikum, Hellenismus, Indianer und Co.) ist Mittelstufenstoff und einem 7. Klässler, die Herkunft zentralasiatischer Nomadenvölker zu erklären ist schwierig und nutzlos :sm_pirate_lol: , da sind vereinfachte Stereotypen recht passend wenn die Schüler sich später noch (dunkel) daran erinnern sollen. :whistling:

Daher ruht (im besten Falle) das Basiswissen der Leute. Und was nun dazu kommt an populärwissenschaftlichen Zeug, hilft kaum der Differenzierung. (Selbst die ZDF Dokus sind einfach gehalten und die einzigsten wirklich seriösen Dokus gibts auf Phoenix oder Arte. - Ich hab auch Historychanel, trotz Hollywood mäßiger Aufmachung kommt da tlw. einiges rum, nur muss man schon etwas Vorwissen haben um zwischen den Infos differenzieren zu können )
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Poliorketes am 31. August 2011 - 20:21:59
@Mansfeld: Ich abiturloser Blödi bilde mir ein, 95% der Blödis mit Abitur (einschließlich LK Geschichte) auf historischem Gebiet in die Tasche zu stecken, nicht aus Selbstüberschätzung, sondern aus persönlkicher Erfahrung   :thumbsup:   Aber ich weiß, was Du meinst, no offense taken.  :D

@WCT: Auch bezüglich der deutschen Demokratiegeschichte und des Dritten Reichs gibt es immer wieder neue Erkenntnisse. Nicht immer so viele wie nach Öffnung der russischen Archive, aber es gibt immer mal wieder eine neuere, genauere Untersuchung eines scheinbar längst geklärten Themas, daß zu einer Neuinterpretation führt. Peinlich ist aber vor allem, daß die jüngere Geschichte in der Schule kaum vorkommt. Wer hat denn in der Schule gelernt, was 1968 oder 1989 los war? 1989 ist für Deutschland und die übrige Welt genauso bedeutend gewesen wie 1945 oder 1918.

Ich bin nicht nur ganz davon ab, mir Geschichts-TV auf den Privatsendern anzusehen, auch bei den öffentlich-rechtlichen halte ich es kaum aus. Es gibt Ausnahmen, aber inzwischen frage ich mich jedesmal, ob ich die Sendung nur deswegen gut fand, weil ich von dem Thema wenig weiß und die mir daher sonstwas erzählen können (quasi so ähnlich wie beim Lesen eines Osrpey-MAA.

Positivstes Beispiel der letzten Zeit war ein Film über Kaiserin Adelheid von Burgund, absolutes Negativbeispiel ein hirnloser Schmarrn über Ritter, bei dem anhand willkürlicher Beispiele aus 500 Jahren der Ehrencodex der Ritter erklärt werden sollte. Das Ganze mit abstrusen Thesen, die sich dabei auch noch gegenseitig widersprachen.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Eversor am 31. August 2011 - 20:46:08
Zitat von: \'WCT\',index.php?page=Thread&postID=93185#post93185
Geschichte die über das Themengebet hinausgeht (Neolithikum, Hellenismus, Indianer und Co.) ist Mittelstufenstoff und einem 7. Klässler, die Herkunft zentralasiatischer Nomadenvölker zu erklären ist schwierig und nutzlos :
Erzähl das mal einem ehemaligen Ausbilder an meinem früheren Studienseminar. Ein von ihm gestelltes Thema für den Einstieg in die Punischen Kriege war sinngemäß: Erörtern sie, in wie weit die Römer den ersten Punischen Krieg gezielt anstrebten. Wohlgemerkt, das Thema war für Jahrgangsstufe 6.

Zitat von: \'WCT\',index.php?page=Thread&postID=93185#post93185
sm_pirate_lol: , da sind vereinfachte Stereotypen recht passend wenn die Schüler sich später noch (dunkel) daran erinnern sollen. :whistling:
Ist traurig, ist aber so. Man kann schon froh sein, wenn sich die Schüler alle noch an den Stoff des Vorjahres in Grundzügen erinnern.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: AndréM am 31. August 2011 - 20:59:59
Allgemein ist es in den Schulbüchern nicht immer zum Besten bestellt mit dem vermittelten Wissen. Ich erinnere mich noch daran, wie in den Physikbüchern jahrzehntelang Auftrieb etc. bei Flügeln falsch beschrieben wurde.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: WCT am 31. August 2011 - 21:27:34
In den naturwissenschaftlichen Schulbüchern soll das ja öfter vorkommen... :sm_pirat_down: .. in den Geisteswissenschaften kann man da ja dann immer als ne andere Interpretation ausgeben :D
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: opa wuttke am 31. August 2011 - 22:45:59
Zitat
Ich abiturloser Blödi bilde mir ein, 95% der Blödis mit Abitur
(einschließlich LK Geschichte) auf historischem Gebiet in die Tasche zu
stecken...
Pah ! Tu nicht so, als wäre DAS dieser Tage eine Leistung ! :P
Barbarossa ist ein italienischer Aperitif, Bismarck war der Gründer der NORDSEE-Kette und und das vatikanische Konzil ist ein Kerker für besonders üble Ketzer, ich könnte endlos fortsetzen... :rolleyes: Richtig schlimm wirds, wenn die jüngere deutsche Geschichte nachgefragt wird :uebel:
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Ursus Maior am 31. August 2011 - 23:00:04
Oh, den Thread seh ich ja heute erst!

Also erstmal muss man sagen, dass die Geschichtsschreibung von den Forschern übernommen wird, denn die Publikationen ihrer Forschung sind eben jene Historiographie. Im Unterschied dazu steht die Geschichtsdidaktik und die mediale Rezeption. Hier hinken alle Zeitbereiche hinter der Forschung her, aber aus teilweise unterschiedlichen Gründen. Im Zentrum des Geschichtsunterrichtes steht die neuere und neueste Geschichte. Das schwächt die Position der Vormoderne, also der Mediävistik, Altertumskunde, der Altorientalistik und der Vor- und Frühgeschichte. Leider, leider ist man in Deutschland nie fächendeckend dazu übergegangen Geschichte als Verbundwissenschaft in der Schule zu begreifen. Sie existiert noch immer, in Schule und Ausbildung der Lehrer, neben den Sozialwissenschaften, der Politologie und der Geographie. Nur in wenigen Ländern gibt es das Fach \"Gesellschaftslehre\", dessen Alltag aber von Lehrer bestritten wird, die eines der obigen Fächer studiert haben. Es mangelt also an Universalgelehrten in den geisteswissenschaftlichen Fächern der Schulen.

Ein weiteres Problem des Faches Geschichte ist die Unsitte Geschichte chronologisch zu unterrichten. Das führt dazu, dass die fremdesten und entferntesten Gesellschaften, die der Antike, die nach dem Duktus des westlichen Selbstverständnisses aber unsere Wurzeln sind, als erstes vermittelt werden. Die Antike und das Mittelalter spielen also für das Nebenfach Geschichte kaum eine Rolle. Nur zwischen der 5. bis 7. Klasse (je nach Bundesland) unterrichten wir Schüler darin. Wenn sie noch nichts über Miteinander wissen, quälen wir sie mit Sklaventum, Vielgötterei, Kreuzfahrern und anderen Gemeinplätzen, die sie jeden Interesses berauben. Wer dann noch Latein lernen darf, wird die Antike für immer mit den Barbaren Caesars und dem Abl. Abs. verbinden. Die brühwarmen, emotional aufgeladenen Themen der jüngsten Vergangenheit diskutieren wir dann mit pubertierenden Rebellen, die sich gerade keine fünf Minuten konzentrieren können und deren sozio-psychologische Entwicklungsstufe ihnen gerade vorschreibt, gegen alle Älteren aufzubegehren. Da kann nichts hängenbleiben, wenn das Thema keine Distanz mitbringt.

Einige von denen gehen dann an die Unis und noch weniger studieren Geschichte. Von denen werden meistens die Lehrer, die sich für die Moderne interessieren. Viele, die letzten Endes im Lehramt landen, sind auch nicht gerade Aushängeschilder hinsichtlich Allgemeinbildung, Methodik oder Begeisterungsfähigkeit Dritter. Nieten gibt es bei den nicht-Lehramtsstudenten auch, aber das regelt der Markt. In Zeiten von Lehrerknappheit kommt fast jeder examierte Student durch das Referendariat zu einer Beamtung auf Lebenszeit. Da schließt sich der Kreis, denn Mittelmaß produziert mittelmäßiges.

In den Medien läuft\'s ähnlich. Um eine Doku im Fernsehen produzieren zu dürfe muss ich kein guter Historiker sein. Gefragt ist in entsprechender Position bei einer Produktionsfirma angestellte zu sein. Dazu haben Leute wie Guido Knopp Medienwissenschaften studiert, nicht Geschichte. Das Produktionsformat muss zu Zeit und Sender passen, der Inhalt ist beliebig. Dann kann man mit ein paar Kontakten in die Wissenschaft in einem Abwasch auch \"Hitlers Bratpfannen\" und \"Chlodwigs Frankenreich\" beackern. Solange man ein paar \"Experten\", \"Zeitzeugen\" und \"nachgestellte Szenen\" einbaut, ist alles gut.

So, genug gemotzt. Die Vermittlung von Wissenschaft in Schule und Medien, als vor allem im Fernsehen, ist natürlich extrem zeitabhängig. Meiner Meinung nach werden Fernsehproduktionen heute schlechter produziert. Viele Firmen begeben sich auf ein Niveau hinunter, dass berieselt. Es ist egal, wann man einschaltet, weil die Informationen trivial sind. Es gibt keine Komplexität, denn das wäre aufwändig zu vermitteln. Dafür sorgt vor allem der Vormarsch des Privatfernsehens und mittlerweile des Internets. Die Privaten schulden den Anlegern Rechenschaft, nicht den Zuschauern. Die zahlen ja nix für\'s Fernsehen. Man darf auch keinen vergraulen, denn wenn die Rate sinkt, zahlen die Drittmittelgeber nichts für Werbeblöcke. Die öffentlich-rechtlichen Anbieter geraten dadurch in Konkurrenzdruck, denn auch ihre Produktion muss zunehmend kostengünstig erfolgen. Außerdem will man up-to-date sein. Solche Dinge entwickeln eine Eigendynamik.

Die neueste Forschung kann auch kaum umgehend in der breiten Masse rezipiert werden. Dazu muss sie zunächst fachwissenschaftlich publiziert werden. Das dauert ein paar Jahre und muss dann eine Aufmerksamkeitswelle treffen. Was wissenschaftlich en vogue ist, muss nicht gesellschaftlich interessant sein. Beides zu treffen, ist extrem unwahrscheinlich. Für die 2000er Jahre müsste man z.B. über Integrationsprozesse, religiösen Fanatismus, Imperialismus und ökonomische Netze etwa ab 2000 bis 2003 geforscht haben. Aus meinem Zeitbereich fällt mir keine derartige Arbeit im großen Stil ein. Die Themenauswahl ist auch klein. In der Antike findet man das am ehesten bei den Sikarioten Palästinas, wobei der Teil mit der Ökonomie schwierig unterzubringen wird. Erst ab 9/11 sind diese Fragen massiv in die Öffentlichkeit gerückt und viele Wissenschaftler, z.T. sehr junge, arbeiten jetzt an solchen Themen; nicht nur in der Geschichtsforschung. Warum? Weil die Forschung seltener die Allgemeinheit beeinflusst, als das Weltgeschehen die Sicht auf vergangene Prozesse verändert.

Das gilt insbesondere für Lehrbücher. Wer sich Geschichtsbücher der letzten 100 Jahre anguckt, wird das schnell erkennen. Themenauswahl, didaktische Aufbereitung und Komplexität sind von Land, Schulform und Bildungsziel abhängig. Man muss nicht den Blick NS-Deutschlands auf Sparta aufgreifen, oder den Umgang der DDR mit Rom als Sklavenstaat. Es reicht, wenn wir uns anschauen, wie sehr die Generation der \"68er\" die Bücher beeinflusst hat: Skizzen, Comics, Diagramme. Das ist nicht der digitalen Drucktechnik alleine zu verdanken. Multisensorisches Lernen ist Teil des Unterrichts. Die postmodernen Lehrer sollen weniger kanonisch ausbilden, Unterricht muss freier sein, Schüler sollen zweifeln lernen, manche meinen, bis zum verzweifeln.

Das braucht immer Zeit, bis es in den Büchern umgestellt wird. Meine Lehrbücher waren noch voll von Französischer Revolution, Industrialisierung, Kaierreich, Weimar und Machtergreifung. Mit Vietnam und dem Fall der Mauer ging\'s dann zu Ende. Für die Schüler von 2012 ist der Mauerfall Steinzeit. In deren Büchern wird 9/11 \"Geschichte\" sein. Mal sehen, was die Kollegen dazu schreiben werden.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Murphy am 31. August 2011 - 23:43:51
Rückblickend auf meine eigene Schulzeit muss ich auch sagen, dass die Themengewichtung mehr als unglück war... vier Jahre hintereinander nahezu ausschließlich die NS-Zeit (nun ja eigentlich in 1. Linie das Thema \"Holocaust\" bzw. Judenverfolgung (\"Waaas? In den KZs ware auch Sinti und Roma, Homosexuelle, Kommunisten, Sozialdemokraten, etc.? 8| Euthanasie an Behinderten gab es auch?\"), immer und immer wieder, eine sicherere Methode junge Leute dem Thema gegenüber abzustumpfen kann ich mir nicht vorstellen.)

Die Zeit nach \'45 wurde dann im Schnelldurchgang in weniger als einem halben Schuljahr abgehandelt. :thumbdown:
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: J.S. am 01. September 2011 - 00:48:08
Zitat
Einige von denen gehen dann an die Unis und noch weniger studieren Geschichte. Von denen werden meistens die Lehrer, die sich für die Moderne interessieren. Viele, die letzten Endes im Lehramt landen, sind auch nicht gerade Aushängeschilder hinsichtlich Allgemeinbildung, Methodik oder Begeisterungsfähigkeit Dritter.

signed!

Echte Begeisterung für das Fach lassen nach eigener Einschätzung mindestens 80% aller Lehramstudenten ernsthaft vermissen. Meine Cousine etwa wusste zu Beginn ihres Lehramtstudiums (Geschichte wohlbemerkt) noch nicht mal wann der Zweite Weltkrieg war und ich bezweifle, dass sich daran nach 4 Semestern irgendwas geändert hat  :wacko:
Da kann nicht viel bei rauskommen...

Und ich behaupte jetzt mal einfach ganz frech, dass die Forschung genau 0 Einfluss auf populärwissenschaftliche Veröffentlichungen hat, sei es im TV oder in Buch oder Magazinform. Man nehme mal das Beispiel der Römischen Kaiserzeit und was da alles lustiges geforscht wird. Experte A behauptet, dass Abschnitt B aus der Historia Augusta nicht sein kann (meistens ganz wichtige Sachverhalte.. wurde wirklich unter Septimius Severus das res privata vom patrimonium getrennt? und ähnlich bedeutende Fragen), wegen Faktum C aus irgendenem Papyrii oder was weis ich. Das kommt dann in irgendeiner Fachzeitschrift und Experte YZ wirft die These dann wieder über den Haufen  :sm_pirat_confused: Naja, das geht dann so in den erleuchteten Kreisen der Professoren hin und her und irgendwann weis mans dann halt vielleicht wirklich, aber ob das den Normalbürger juckt ist was anderes.
Die wirklich elementaren Fragen zur Römerzeit wurden doch im Grunde eh schon geklärt.
Falls es noch Themen mit Klärungsbedarf gäbe, dann hängt meist einfach zu viel realpolitisches Interesse an der Auslegung der historischen Vorgänge mit dran. Beispiel? Als ich letztens in München den Hugendubel betrat wurde ich regelrecht erschlagen von Büchern zum Thema Barbaross 41\', ohne das irgendwelche neuen Erkenntnisse erkennbar gewesen wären. \"Präventivschlag\" der etablierten Forschungsmeinung sozusagen. (nicht dass ich hier irgendeine Auslegung bevorzugen würde..aber fällt mir halt als erstes grad ein, weils aktuell ist; zum leidigen endlos Thema Zweiter Weltkrieg gedenke ich so oder so keine Bücher mehr zu kaufen  sm_party_kotz )
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Decebalus am 01. September 2011 - 09:47:44
Zitat von: \'J.S.\',index.php?page=Thread&postID=93218#post93218
... Als ich letztens in München den Hugendubel betrat wurde ich regelrecht erschlagen von Büchern zum Thema Barbaross 41\', ohne das irgendwelche neuen Erkenntnisse erkennbar gewesen wären. \"Präventivschlag\" der etablierten Forschungsmeinung sozusagen. (nicht dass ich hier irgendeine Auslegung bevorzugen würde..aber fällt mir halt als erstes grad ein, weils aktuell ist; zum leidigen endlos Thema Zweiter Weltkrieg gedenke ich so oder so keine Bücher mehr zu kaufen  sm_party_kotz )

Als Professioneller kann ich mit der Diskussion nicht besonders viel anfangen. Aber nur als kleiner Hinweis: Habt Ihr schon bemerkt, dass sich momentan ein Buch in den Sachbuchlisten befindet, das sowohl von einem Fachhistoriker ist, als auch neue Forschung bringt - nämlich eine Auswertung der bisher unbekannten Abhörprotokolle deutscher Kriegsgefangener des Zweiten Weltkriegs!? Soviel dazu, dass da nichts passiert.
Sönke Neitzel/Harald Welzer. Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben. Hardcover. Preis € (D) 22,95
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: J.S. am 01. September 2011 - 10:06:40
Ja,ich kenne das Buch, hats ja sogar in die Abendnachrichten geschafft. Damit weis man jetzt endlich, dass Soldaten im Krieg verrohen und die Deutschen Soldaten schlimme Finger waren, eine wahnsinnig neue Erkenntnis.. endlich hat das mal wer in Buchform rausgebracht. Also wer noch nicht genug vom Zweiten Weltkrieg und Opas Mörderbande hat, kann ja auch hier zuschlagen.  :sleeping:
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Ursus Maior am 01. September 2011 - 13:35:15
Der Einfluss der Fachwissenschaft auf die populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen ist vielleicht geringer, als Historiker sich das wünschen, aber er ist bei Leibe nicht \"Null\". Gerade im Bereich des 2. Weltkrieges merkt man das. Als in der Wissenschaft und auch öffentlich die Präventivschlagthese Suworows diskutiert wurde. Andere Themen, wie etwa die Betrachtung der Kreuzzüge oder ähnlich \"griffige\" Themen, haben sich auch gewandelt. Die Kreuzfahrer sind mittlerweile nicht mehr die tapferen Recken, die die Heiden besiegt haben, wie noch Mitte des Jahrhunderts, sie sind auch nicht nur das Bindeglied, dass uns Seide und Orangen beschert, sondern alles wird etwas vielschichtiger betrachtet. Das braucht eben Zeit.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Mansfeld am 01. September 2011 - 13:44:11
@Poliorketes: Genau so was habe ich auch gemeint - einer meiner Freunde ist der beste Regionalhistoriker und Heraldiker, den ich kenne, und er hat \"nur\" Realschulabschluß, ansonsten hat er sich selber alles beigebracht. Und spätestens seit der Uni hab ich mich von der Vorstellung verabschiedet, daß Abschlüsse und Titel etwas über den konkreten Bildungsstand aussagen, da hab ich zu viele sozialunkompetente und unintelligente Akademiker kennengelernt. Man sollte deswegen jetzt nicht den Umkehrschluß machen und alle Heinis von der Uni als Hirnis abtun, da wäre ich dann ja auch betroffen :D

Insgesamt kann ich nur sagen, ein ungebildeter Uniabsolvent hat weniger Entschuldigungen für seinen geistigen Zustand zur Hand als ein ungebildeter Nichtakademiker, das ist schon der ganze Unterschied.

 

@Ursus maior: Sehr schön aufgedröselt, wobei mich die chronologische Abwicklung der Geschichte als Schüler eigentlich nicht so gestört hat, aber ich kann deinen Standpunkt nachvollziehen. Was mir im Studium aufgefallen ist (ich hab es aber nicht für repräsentativ gehalten), war, daß die Leute, die Geschichte auf Lehramt machten, überwiegend die lustloseren Studenten waren, ohne Freude an der Geschichte, und hab mich dann öfters nach deren gelangweilt abgespulten Referaten (auch fachlich nicht besonders gut) gefragt, wie viele Schüler dann vergrätzt werden, wenn sie diese Leute als Geschichtsvermittler vor sich haben. Es gab auch sehr engagierte und kompetente Lehramtler, aber die fielen dann auch ziemlich auf. Einer von denen hat dann auch mal Professor Thorau und mich mit unserem Waffenarsenal (Langbögen, Schwerter, Stabschleuder, Schilde plus komplettes Gewandungsgeraffel) in eine Mittelstufenklasse als Highlight im Geschichtsunterricht (Kreuzzüge) eingeladen. Immer wieder schön, wenn man die Jugend verderben kann :sm_pirate_devil:
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Beitrag von: Decebalus am 01. September 2011 - 15:59:04
Zitat von: \'J.S.\',index.php?page=Thread&postID=93229#post93229
Ja,ich kenne das Buch, hats ja sogar in die Abendnachrichten geschafft. Damit weis man jetzt endlich, dass Soldaten im Krieg verrohen und die Deutschen Soldaten schlimme Finger waren, eine wahnsinnig neue Erkenntnis..  
Tja, die populäre Meinung ist doch eher: die armen Jungs konnten nicht anders, die sind ja gezwungen worden.

Zitat
... endlich hat das mal wer in Buchform rausgebracht. Also wer noch nicht genug vom Zweiten Weltkrieg und Opas Mörderbande hat, kann ja auch hier zuschlagen.  :sleeping:
Ach so, mir war nicht klar, dass neue historische Kenntnisse bei Dir erst beim völligen Umsturz des Bekannten beginnt. Gut, \"Hitler war in Wirklichkeit schwul\" (hat ein Historiker behauptet) wäre zwar umstürzend, ist aber halt Blödsinn.
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Beitrag von: Murphy am 01. September 2011 - 16:29:02
Etwas überspitzt dargestellt wurde mir in der Schule beigebracht, dass alle Deutschen der NS-Zeit (insbesondere natürlich die Soldaten, egal ab SS, Heer, Marine oder Luftwaffe) unmenschlich und sadistisch waren und man sich als Nachkomme dieser sein Leben lang dem Rest der Menschheit gegenüber schämen muss.

Insofern kann ich J.S. durchaus zustimmen.

Ich frage mich allerdings (ohne etwas relativieren zu wollen), ob man inhaltlich weit abweichenden Protokolle bekommen hätte, wenn man bspw. römische Legionäre, Soldaten des 30-jährigen Krieges, Soldaten Custers, etc. abgehört hätte. ?(
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Beitrag von: Ursus Maior am 01. September 2011 - 16:33:08
[W]obei mich die chronologische Abwicklung der Geschichte als Schüler eigentlich nicht so gestört hat, aber ich kann deinen Standpunkt nachvollziehen. [/quote]

Die Interessierten Schüler, da habe ich auch immer zu gehört, kann man auch schwerer vergretzen. Aber es wäre wichtig (denke ich), mehr Schüler zu erreichen. Dazu braucht es besseres Handwerkszeug. Die Methodik in der Fachdidaktik ist einfach in Teilen grottig. Und was manche in der Fachdidaktik in Geschichte abliefern ist wirklich beschämend.
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Beitrag von: Thomas Kluchert am 01. September 2011 - 17:22:28
Zitat von: \'Decebalus\',index.php?page=Thread&postID=93265#post93265
Zitat
... endlich hat das mal wer in Buchform rausgebracht. Also wer noch nicht genug vom Zweiten Weltkrieg und Opas Mörderbande hat, kann ja auch hier zuschlagen. :sleeping:
Ach so, mir war nicht klar, dass neue historische Kenntnisse bei Dir erst beim völligen Umsturz des Bekannten beginnt. Gut, \"Hitler war in Wirklichkeit schwul\" (hat ein Historiker behauptet) wäre zwar umstürzend, ist aber halt Blödsinn.
Bei neuen Erkenntnissen Hitler betreffend fällt mir nur eins ein:

(https://www.titanic-magazin.de/shop/images/default_shop/0207HitlerAntisemitPK.jpg)


Sorry für den Spam, aber es passt doch so gut :D
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Beitrag von: Draconarius am 01. September 2011 - 17:41:10
Zitat von: \'Decebalus\',index.php?page=Thread&postID=93265#post93265
Tja, die populäre Meinung ist doch eher: die armen Jungs konnten nicht anders, die sind ja gezwungen worden.
Ist die Meinung in dieser Hinsicht nicht doch ambivalenter? Einerseits der angenommene Zwang (da man seine direkten Vorfahren nie Kriegsverbrechen zutraut), andererseits der bereitwillige Beitrag der Soldaten zu Massenmord und Kriegsverbrechen (ähnlich wie bei der Goldhagen-Debatte) ?
Das von dir genannte Werk ist ja durchaus nicht die erste Auseinandersetzung mit diesem Thema. Beide Verfasser beschäftigen sich doch schon seit längerem mit dieser Quellengruppe der Verhörprotokolle deutscher Kriegsgefangener in England ( Neizel mit Abgehört - Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft) bzw. dem Gegensatz der Generationen hinsichtlich der Rolle der Soldaten im Krieg  (Welzer mit Opa war kein Nazi) und traten damit an die Öffentlichkeit; es gab zu diesem Themenfeld z.B. bereits in vergangenen Jahren und in diesem Jahr einige Dokumentationen im Fernsehen, sogar beim histerischen Guido (wo ein anderer Historiker aber durchaus den Aussagewert der Quellengruppe hinterfragte).


Zitat
daß die Leute, die Geschichte auf Lehramt machten, überwiegend die lustloseren Studenten waren, ohne Freude an der Geschichte, und hab mich dann öfters nach deren gelangweilt abgespulten Referaten (auch fachlich nicht besonders gut) gefragt, wie viele Schüler dann vergrätzt werden, wenn sie diese Leute als Geschichtsvermittler vor sich haben.
Das ist sicherlich die eine Seite. Andererseits wird aber aber auch durch das universitäre Angebot nicht immer auf den Stoff vorbereitet, den sie den Schülern nahebringen müssen - unabhängig vom Fach. Da werden Spezialseminare gehalten über Textdekonstruktion im Sinne der Psychoanalyse, über die griechische Kolonisation im Gebiet des schwarzen Meeres etc., was ihnen dann im Staatsexamen vielleicht noch begegnet (wie vor kurzem im Bayern einmal: römische Königszeit yeah, das Thema in ein bis zwei Unterrichtsstunden der 6. Klasse!), andererseits später wenn es um den Lehrplan geht mit einigem Zufall in den höheren Jahrgangsstufen noch einmal begegnet. Das könnte man jetzt noch weiter Ausbauen im Sinn der Abschlussinflation, aber das lasse ich hier mal.
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Beitrag von: Poliorketes am 01. September 2011 - 17:44:48
Zitat von: \'J.S.\',index.php?page=Thread&postID=93229#post93229
Ja,ich kenne das Buch, hats ja sogar in die Abendnachrichten geschafft. Damit weis man jetzt endlich, dass Soldaten im Krieg verrohen und die Deutschen Soldaten schlimme Finger waren, eine wahnsinnig neue Erkenntnis.. endlich hat das mal wer in Buchform rausgebracht. Also wer noch nicht genug vom Zweiten Weltkrieg und Opas Mörderbande hat, kann ja auch hier zuschlagen.  :sleeping:
:thumbsup:
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Beitrag von: opa wuttke am 01. September 2011 - 19:09:25
Zitat
Etwas überspitzt dargestellt wurde mir in der Schule beigebracht, dass
alle Deutschen der NS-Zeit (insbesondere natürlich die Soldaten, egal ab
SS, Heer, Marine oder Luftwaffe) unmenschlich und sadistisch waren und
man sich als Nachkomme dieser sein Leben lang dem Rest der Menschheit
gegenüber schämen muss
Für die Masse gilt dass nicht, bei manchen Zeitgenossen bin ich mir da aber nicht sicher ;)

Zitat
Ja,ich kenne das Buch, hats ja sogar in die Abendnachrichten geschafft.
Damit weis man jetzt endlich, dass Soldaten im Krieg verrohen und die
Deutschen Soldaten schlimme Finger waren, eine wahnsinnig neue
Erkenntnis.. endlich hat das mal wer in Buchform rausgebracht. Also wer
noch nicht genug vom Zweiten Weltkrieg und Opas Mörderbande hat, kann ja
auch hier zuschlagen.
Vielleicht solltest DU mal bei diesem Buch zuschlagen, wenn ich den Tenor Deiner Posts zum Thema 2.Weltkrieg/Rolle der Deutschen in diesem richtig deute (ich mag natürlich falsch liegen ;) ), ist das Buch wie für Dich gemacht. Ich bin ja als Zyniker hier nicht unbekannt, aber Deine Haltung ist für mich schlichtweg nicht mehr nachvollziehbar.

Zitat
Ich frage mich allerdings (ohne etwas relativieren zu wollen), ob man
inhaltlich weit abweichenden Protokolle bekommen hätte, wenn man bspw.
römische Legionäre, Soldaten des 30-jährigen Krieges, Soldaten Custers,
etc. abgehört hätte
Inhaltlich sehr wohl, aber das ist nicht das was Du meinst, vermute ich...
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Poliorketes am 01. September 2011 - 19:47:10
Was mir am heutigen populärwisenschaftlichen Geschichtsgeschreibsel tierisch auf die Nerven geht ist die Tendenz, alles an heutigen (deutschen) Moralvorstellungen zu messen - bevorzugt das Verhalten deutscher Streitkräfte bis zu den Kreuzzügen zurück. Natürlich erscheint aus heutiger Sicht das Vorgehen einer beliebigen Streitmacht um Achtzehnhundertdosenknopf als inhuman, aber wenn man sich die Mühe macht und die Sache im Kontext der damaligen Zeit ansieht kommt man vielleicht sogar zu der Feststellung, daß Zeitgenossen die Angelegenheit als besonders zivilisiert gelöst angesehen haben, weil sie ganz andere Sachen gewohnt waren. Mein Lieblingsbeispiel sind da die Befreiungskriege, in denen böse Nationalisten das Deutsche Volk zum Haß auf die Franzosen aufgestachelt haben. Nur wird dabei vergessen, daß die Franzosen sich von Melac bis Davout 150 Jahre lang durch Deutschland gebrandschatzt hatten. Oder wenn der zu Recht als Völkermord verurteilte Herrero-Feldzug dazu benutzt wird um zu beweisen, daß wir eigentlich schon zu Kaisers Zeiten alle Nazis waren, dabei aber geflissentlich übersehen, das Amerikaner, Briten, Franzosen und Belgier keinen Deut besser waren - als Demokratien!
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Beitrag von: Mansfeld am 01. September 2011 - 20:04:27
Ich kann da \"Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen\" von Jochen Böhler zu diesem Thema bestens empfehlen. Böhler zeigt an Quellentexten (Wehrmachtsberichte, Einheitschroniken, etc.) schön nach, wie eine junge, kriegsunerfahrene und nach sechs Jahren NS-Indoktrinierung rassistisch geprägte Generation Tendenzen zu Übergriffen hatte, die dann von der zynischen Führung gedeckt und ermutigt wurden. Wohlgemerkt, das ist jetzt nicht eine irgendwie \"genetische\" Eigenschaften des Teutschen an und für sich, im gleichen Kontext hätten das auch Samoaner, Feuerländer oder Nepalesen so gemacht.

Wenn man als junger Achtzehnjähriger seit der Pubertät um die Ohren gehauen bekommt, daß der Arier überlegen und der gemeine slawische Polacke schmutzig, viehisch und grausam ist, und dann jedes Friendly Fire der genauso grünen Nachbareinheit für Heckenschützenangriffe der Polen hält, und die Führung dann auch andauernd davon spricht, wie notwendig doch jetzt extreme Härte sei, und alle Autoritätspersonen in der Heimat das die ganze Zeit zumindest unwidersprochen gelassen haben...okay, ein sehr charakterfester anständiger Mensch (sagen wir mal 15%) hält sich trotzdem zurück, die miesen Schlägertypen (auch 15%?) lassen die Sau raus, der Rest Normalos macht halt mit, weil sie ihrer eigenen Meinung nicht vertrauen, sondern dem was ihnen gesagt wird, dann wird es natürlich hässlich.

Simplifizierungen wie \"Unsere Großväter waren doch alle anständig\" oder \"Alle Deutschen waren begeisterte Genozidler\" schonen natürlich angenehm das Hirn des Vertreters solcher Meinungen, aber mit einer rosa bzw. schwarzen Brille auf der Nase sieht man die echten Farben halt nicht. Sytematik ud Maßstab der NS-Mordmaschinerie machen sie zu einem so nie dagewesenen Ereignis, und es ist historisch nun mal in Deutschland passiert. Kann aber auch woanders geschehen, da mache ich mir keine Illusionen.
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Beitrag von: Thomas Kluchert am 01. September 2011 - 20:43:38
@ Mansfeld
Diese Erklärungsansätze klingen natürlich erstmal ganz nachvollziehbar und logisch, wenn man sie so liest. Aber irgendwie greifen sie doch zu kurz. Da ich ja auch Historiker bin (:D) suche ich immer nach Kontinuität - und die findet man ja im Krieg und in Kriegsverbrechen zu Hauf. Immerhin haben schon die (wohlgemerkt demokratischen) Athener in der Antike ganz gemütlich Völkermord begangen, als das Wort noch gar nicht erfunden war. Und da ging es nur um einen Bündnisbruch. Oder man geht in den 30jährigen Krieg, wo die Soldaten ja auch nicht gerade kleinlich waren (ich sag nur Magdeburg), ohne eine ideologische Grundausbildung mitgemacht zu haben. Es gibt sicherlich noch unzählige Beispiele

@ J.S.
Ich kann deine Einstellung total verstehen. Nach dem Abitur hatte ich erstmal 5 Jahre genug vom zweiten Weltkrieg - das Thema kommt einem einfach zu den Ohren raus. Da kann man irgendwann nur noch die Augen verdrehen. Ich hab mich zum Trotz erstmal der Antike zugewendet :D Die Briten kommen auch besser mit der Epoche klar. Hab letztens die BBC-Doku \"War of the Century\" auf Youtube geschaut und war mehr als positiv überrascht. Gut gemacht und sehr ausgeglichen, da hat man wirklich mal den Eindruck gewonnen, wie brutal dieser Krieg von beiden Seiten geführt wurde. Kann ich also nur empfehlen, auch wenn den Briten irgendwie das Jahr 1943 abhanden gekommen ist. Aber dennoch zu empfehlende Populärwissenschaft.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: J.S. am 01. September 2011 - 20:56:53
Zitat
Tja, die populäre Meinung ist doch eher: die armen Jungs konnten nicht anders, die sind ja gezwungen worden.

quod est demonstrandum..


Zitat
Böhler zeigt an Quellentexten (Wehrmachtsberichte, Einheitschroniken, etc.) schön nach, wie eine junge, kriegsunerfahrene und nach sechs Jahren NS-Indoktrinierung rassistisch geprägte Generation Tendenzen zu Übergriffen hatte

Naja, die Frage ist, ob Deutsche Historiker überhaupt etwas anderes aus den Unterlagen rausforschen wollen/ können. Ich habe oftmals das Gefühl, dass das Ergebnis eh schon feststeht, bevor überhaupt mit der Arbeit überhaupt begonnen wurde.

Gehen wir doch mal von 2 Annahmen aus:
1. auch ein Historiker muss am Ende des Monats seine Miete bezahlen.
2. es gibt in Deutschland aus politischen Gründen erwünschte und unerwünschte Forschungsergebnisse, unabhängig von ihren Wahrheitsgehalt.

So. Nun könnte man natürlich hergehen und einen Vergleich anstellen zwischen den verschiedenen beteiligten Armeen unter der Fragestellung der Motivation für Kriegsverbechen. Rassismus? Mordlust? Rache? ec. Material gäbs in Hülle und Fülle. Vielleicht kommt dann dabei raus, dass die Deutschen Soldaten wirklich aussergewöhnlich grausam waren, vielleicht aber auch nicht. Und dann? Es könnte ja auch sein, dass sich blöderweise ergibt, dass demokratisch erzogene California- Boys aus Spaß an der Freud wehrlose Menschen getötet haben. Sowas will niemand lesen, dieses Buch wird nicht in den RTL Abendnews vorgestellt und wird auch nicht bei Pustet, Hugendubel und Weltbild in der Auslage zu finden sein. Und die eigene Reputation als Historiker ist natürlich sowieso hinüber.
Wie gesagt - vielleicht. Aber soweit kommt es ja gar nicht erst; wieso aberhunderte Stunden in eine Arbeit investieren, die einem am Ende noch die Karriere kosten könnte. Also liegt dieses Forschungsfeld (in Deutschland) erst mal brach.

Alternative: die restlichen 1000 Jahre Deutscher Geschichte bearbeiten; Problem: der Markt für den Zweiten Weltkrieg ist halt einfach da und wohl auch zu verlockend. Ergibt zusammen mit den genannten Annahmen dann die nie endende Flut aus immer die gleichen Themen beackernden Monographien.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Decebalus am 01. September 2011 - 21:10:38
Zitat von: \'Murphy\',index.php?page=Thread&postID=93268#post93268
Ich frage mich allerdings (ohne etwas relativieren zu wollen), ob man inhaltlich weit abweichenden Protokolle bekommen hätte, wenn man bspw. römische Legionäre, Soldaten des 30-jährigen Krieges, Soldaten Custers, etc. abgehört hätte. ?(

Vor kurzem habe ich gelesen, dass in dem großen Sturm nach der Schlacht bei Trafalgar, als reihenweise erbeutete Schiffe mit französischen oder spanischen Kriegsgefangenen untergegangen sind, es keinen Fall gab, wo entweder die britischen Bewacher nicht mituntergegangen sind oder wo keine Briten beim Versuch die Gefangenen überzusetzen ertrunken wären. Hört sich für mich nicht so an, als ob dieses Verständnis von Kriegsführung gegenüber den russischen Gefangenen 1941/42 vorgeherrscht hat. Und dann gab es ja auch noch (die wenigen und einflusslosen) deutschen Offiziere, die darauf hingewiesen haben, dass auch wenn Stalin die Haager Kriegsordnung nicht unterschrieben habe, trotzdem das allgemeine Kriegsvölkerrecht gelte.

Ja, tatsächlich finde ich dieses \"In der Nacht sind alle Katzen grau\", bzw. \"Im Krieg sind alle Soldaten grausam\" ziemlich releativierend.

Aber vielleicht liegt es wirklich am Schulunterricht. In Erdkunde durfte ich die verlorenen Ostgebiete auswendig lernen.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Decebalus am 01. September 2011 - 21:24:12
Zitat von: \'J.S.\',index.php?page=Thread&postID=93298#post93298
... Vielleicht kommt dann dabei raus, dass die Deutschen Soldaten wirklich aussergewöhnlich grausam waren, vielleicht aber auch nicht. Und dann? Es könnte ja auch sein, dass sich blöderweise ergibt, dass demokratisch erzogene California- Boys aus Spaß an der Freud wehrlose Menschen getötet haben. Sowas will niemand lesen, ...

Sorry, ich sage es jetzt so, wie ich es denke:

1. Das Geschwätz vom bösen amerikanisch-westdeutschen System, das uns das Gehirn gewaschen hat, und deswegen können wir nicht mehr denken, was wir wollen, und schön normal national sein, ist tatsächlich ein typischer Topos aus dem rechtsaußen Lager.
2. Ist Dir eigentlich aufgefallen, wie sehr zumindest in den historischen Unterhaltungsmedien eine Relativierung stattfindet. Mal den \"Untergang\" kritisch angeschaut, wo die unschuldig ins System verwickelte Sekretärin am Ende in den goldenen Morgen der Bundesrepublik radelt, oder \"Dresden\", wo eigentlich alle Opfer sind und Briten und Deutsche sich symbolisch in der Liebesbeziehung verzeihen.
2. Du hast keine Ahnung vom populären Bild der USA in Deutschland. Ich habe an der Uni schon einen (pseudo-wissenschaftlichen) Vortrag angehört, dass durch John Wayne und amerikanischen Macho-Kult die US-Soldaten in Vietnam zu Killern abgerichtet waren. Anti-Amerikanismus findest Du (trotz Siegermacht USA) in Deutschland massenweise und er verkauft sich auch gut.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: J.S. am 01. September 2011 - 21:58:13
Zitat
1. Das Geschwätz vom bösen amerikanisch-westdeutschen System, das uns das Gehirn gewaschen hat, und deswegen können wir nicht mehr denken, was wir wollen, und schön normal national sein, ist tatsächlich ein typischer Topos aus dem rechtsaußen Lager.

Ob nationaler Pathos gut oder schlecht ist sei mal dahingestellt. Interessant ist, dass du mich sofort in die rechte Ecke stellst und damit meine Theorie im Grunde nur bestätigst.

Zitat
2. Ist Dir eigentlich aufgefallen, wie sehr zumindest in den historischen Unterhaltungsmedien eine Relativierung stattfindet. Mal den \"Untergang\" kritisch angeschaut, wo die unschuldig ins System verwickelte Sekretärin am Ende in den goldenen Morgen der Bundesrepublik radelt, oder \"Dresden\", wo eigentlich alle Opfer sind und Briten und Deutsche sich symbolisch in der Liebesbeziehung verzeihen.

Muss zwischen den letzten 10 000 Guido Knopp Produktionen wohl leider irgendwie untergegangen sein. \"Dresden\" habe ich nicht gesehen, da ich zu diesem Zeitpunkt vom 2.WK wirklich nichts mehr hören konnte.

Zitat
2. Du hast keine Ahnung vom populären Bild der USA in Deutschland. Ich habe an der Uni schon einen (pseudo-wissenschaftlichen) Vortrag angehört, dass durch John Wayne und amerikanischen Macho-Kult die US-Soldaten in Vietnam zu Killern abgerichtet waren. Anti-Amerikanismus findest Du (trotz Siegermacht USA) in Deutschland massenweise und er verkauft sich auch gut.

Aktueller Antiamerikanismus und das Bild der G.I.s im Zweiten Weltkrieg sind ja wohl 2 paar Stiefel. Ausserdem spielte sich der Zweite Weltkrieg ja auch nur zwischen Amis und Deutschen ab, klar. Dieses Beispiel habe ich nur genommen, weil ich zufällig ein (extrem populärwissenschaftliches) Buch zum Thema daheim hab. Hätte ich mir so nie im Leben gekauft, aber meine (für einen knallharten Nationalisten wie mich urtypische polnische) Freundin konnte das ja nicht wissen und hats mir geschenkt. So kam es also, dass ich mir Stephen Ambrose - Cititzen Soldiers angetan habe, mit einigen erstaunlichen Erkenntnissen. Dass Amerikanische Veteranen vom munteren Morden erzählen als wär das sonst nichts, ist eine davon. Aber das mal in nen Gesammtkontext zu setzen würde ja unvermeidbar ins rechte Lager führen, also lassen wirs.

edit: Stephen Ambrose heisst der Mann, Bierce war der mit dem Bürgerkrieg  :whistling:
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Poliorketes am 02. September 2011 - 07:01:56
Zitat von: \'Decebalus\',index.php?page=Thread&postID=93299#post93299
Vor kurzem habe ich gelesen, dass in dem großen Sturm nach der Schlacht bei Trafalgar, als reihenweise erbeutete Schiffe mit französischen oder spanischen Kriegsgefangenen untergegangen sind, es keinen Fall gab, wo entweder die britischen Bewacher nicht mituntergegangen sind oder wo keine Briten beim Versuch die Gefangenen überzusetzen ertrunken wären. Hört sich für mich nicht so an, als ob dieses Verständnis von Kriegsführung gegenüber den russischen Gefangenen 1941/42 vorgeherrscht hat. Und dann gab es ja auch noch (die wenigen und einflusslosen) deutschen Offiziere, die darauf hingewiesen haben, dass auch wenn Stalin die Haager Kriegsordnung nicht unterschrieben habe, trotzdem das allgemeine Kriegsvölkerrecht gelte.

Sorry, wenn das etwas plump rüberkommt, aber Äpfel sind keine Birnen. Nimm statt dessen die britischen Gräuel nach der Erstürmung von Badajoz aus der gleichen Zeit, und Du \'beweist\' das Gegenteil. Die Behandlung der russischen Kriegsgefangenen war unverzeihlich, grausam und dumm (bei ordentlicher Behandlung der Russen hätte Stalin es nicht so leicht gehabt, den großen vaterländischen Krieg auszurufen). Es ist nun einmal so - Krieg verroht die Menschen. Ob sich die so entstehende Brutalität der Soldaten auch außerhalb der eigentlichen Kämpfe entfalten kann, liegt dabei ganz entscheidend an der Führung. Fördert sie solch ein Verhalten (wie Hitler und Stalin), duldet sie es stillschweigend (Vietnam) oder versucht sie, die Disziplin aufrechtzuerhalten und Auswüchse aktiv zu unterdrücken? Das der Landser kein Unschuldslamm war, bestreitet kein vernunftbegabter Mensch. Aber daß die Wehrmachtsverbrechen ohne Beispiel seien ist Humbug, der die Opfer von Stalin, Mao und Hirohito verunglimpft.

Vor ein paar Monaten lief die Robert McNamara-Dokumentation The Fog of War im Fernsehen. Ich fand seine Schilderungen über Curtis LeMay sehr beeindruckend. LeMay war Stabschef während der Kubakrise und Kommandant einer US-Bomberflotte im 2. Weltkrieg, ein Hardliner, der George W. Bush wahrscheinlich als Weichei bezeichnet und der beinahe den 3. Weltkrieg ausgelöst hätte. LeMay hat die Effektivität der Bombenangriffe auf Japan deutlich gesteigert, wobei Effektivität den Tod zehntausender Zivilisten bedeutete. Seine Begründung war einfach: Lieber hunderttausend Japaner umbringen, als zehntausend Amerikaner bei einer Invasion verlieren. Ihm war dabei völlig bewußt, daß er im Falle einer Niederlage als Kriegsverbrecher gelten würde . Der Mann hatte auf grausame Art Recht, die Arithmetik des Krieges läßt keine Menschlichkeit zu (ob er im Recht war, ist eine andere Frage - siehe Genfer Konvention oder Haager Landkriegsordnung). Für LeMay war der kalkulierte Tod einer großen Zahl von Nichtkombatanten Mittel zum Zweck, genauso wie es der Mord an Millionen für Stalin war. Nur war es LeMays Ziel, damit den Krieg zu beenden und eigene Verluste zu minimieren, Stalins Ziel war die Durchsetzung einer menschenverachtenden Ideologie und seines persönlichen Machtanspruchs (bei Hitler war es nicht anders). Macht das LeMay zu einem besseren Menschen als Stalin/Hitler/Pol Pot oder nur zu einem weniger schlechten?

Was sagt das Bündnis der Westalliierten mit Stalin, der in den vorhergegangenen 20 Jahren den Tod von Millionen von Menschen verursacht hatte, über deren moralische Prinzipien aus - vor allem, wenn man sich in Erinnerung ruft, daß die USA das Lend & Lease auf die UdSSR noch vor Kriegseintritt ausdehnte und zu einem Zeitpunkt, zu dem die Massenmorde der Nazis gerade erst anfingen und deren spätere Ausmaße unmöglich vorherzusagen waren? Ich will damit auf keinen Fall Churchill und Roosevelt auf eine Stufe mit Hitler und Stalin stellen, ich will nur deutlich machen, daß es im Krieg meist nur die Wahl zwischen Pest und Cholera gibt - und das man die (Un-)Taten der Kriegsparteien nicht mit zweierlei Maß messen sollte, sondern Einzelfallbezogen.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Mansfeld am 02. September 2011 - 13:38:17
@J.S.: \"Naja, die Frage ist, ob Deutsche Historiker überhaupt etwas anderes aus den Unterlagen rausforschen wollen/ können. Ich habe oftmals das Gefühl, dass das Ergebnis eh schon feststeht, bevor überhaupt mit der Arbeit überhaupt begonnen wurde.

Gehen wir doch mal von 2 Annahmen aus:
1. auch ein Historiker muss am Ende des Monats seine Miete bezahlen.
2. es gibt in Deutschland aus politischen Gründen erwünschte und unerwünschte Forschungsergebnisse, unabhängig von ihren Wahrheitsgehalt. \"

 

Sorry, das ist eben das, was du sagst - ein Gefühl von dir. Ich hab genügend fröhlich vor sich hinpublizierende Historiker kennengelernt, die radikal unterschiedliche Thesen aufgestellt haben , ohne daß die von dir postulierte wirtschaftlich-existenzielle Abstrafung stattgefunden hätte.

 

Zumindest in dem von mir erlebten Unibetrieb wurde selektive Forschung (also das Rauspicken von Argumenten, die eine vorgefertigte Antwort nur noch bestätigen sollen) gnadenlos schlecht benotet. Spätestens im Kolloquium haben dann verschiedene Fachleute die Lücken in den Argumentationsketten mal süffisant vorgeführt, und bei Publikationen ist die Fachwelt auch immer schnell zur Stelle, um auf Lücken und Betriebsblindheiten einzudreschen.

 

Ein einzelner Prof kann mal in seiner Fakultät ihm unerwünschte Ergebnisse unterdrücken, damit macht er sich aber spätestens auf Fachkongressen zur Lachnummer - Historiker lieben es geradezu, ihren Kollegen Fehler nachzuweisen, da muss man echt ein dickes Fell haben.
Ich habe bei solchen Unterstellungen meinerseits eher das Gefühl, daß dahinter einfach die Unzufriedenheit steckt, daß kein Historiker zu den Schlüssen gekommen ist, die man selber gerne hören würde.

Zu dem Thema \"Entmenschte Soldaten\": generell verrohen Soldaten im Krieg, das ist bei Deutschen nicht anders als bei Eskimos oder Guatemalteken. Entscheidend ist, wie das militärische System damit umgeht: versucht es, sowas in Grenzen zu halten und zu unterbinden, oder toleriert es sowas als Nebeneffekt, oder ermuntert es systematisch dazu? Und letzteres hat das Dritte Reich in einem ungeheuerlichen Ausmaß getan, mehr als z. B. napoleonische oder burgundische Armeen. Es gehört ja einiges dazu, Soldaten preußischer Tradition in so etwas wie den 20. Juli zu treiben.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: J.S. am 02. September 2011 - 15:17:37
@Mansfeld: Ich stimme dir ja in den allermeisten Punkten zu. Natürlich werden die genannten radikal unterschiedlichen Thesen munter veröffentlicht und Professoren lieben es ihre Kollegen auseinanderzunehmen (durfte kürzlich mal den Probevorträgen zur Neubesetzung eines Lehrstuhls lauschen..). Natürlich hast du auch Meinungen wie von Stefan Scheil oder Walter Post, schön und gut. Ist also nicht so, dass ich mich über mangelnde Meinungsvielfallt - unter akademischen Kreisen - beschweren würde.
Aber gewisse Bücher werden einfach mit der Intention geschrieben, später auch mal verkauft zu werden. Das meinte ich mit der etwas überspitzten Aussage \"muss auch noch seine Miete\" bezahlen. Besagtes \"Soldaten: Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben\" zielt auf eine breite Öffentlichkeit ab, da könnt ihr mir jetzt erzählen was ihr wollt. Wieso rege ich mich nun darüber so auf? Weil das Buch offenbar von solch elementarer Wichtigkeit/(oder eben Erwünschtheit) ist, dass man sogar Abends in den Nachrichten die Bevölkerung davon in Kenntnis setzten muss, dass es erschienen ist. Die selbe Beobachtung kann man eben auch zu anderen Themenkomplexen machen. In den großen Deutschen Buchketten liegen halt nun einmal 5 Bücher in der Auslage, die sich gegen den Präventivkrieg aussprechen und kein einziges, welches dafür spricht. Und das ist jetzt einfach eine Beobachtung, keine Wertung der Thesen (am schlüssigsten erscheint mir persönlich noch Bogdan Musials Ansatz, bevor ich wieder ins rechte Lager gestellt werde).
Also falls man kommerzielle Absichten verfolgten sollte, dann gibt es meiner bescheidenen Meinung nach genug Gründe sich 2 mal zu überlegen, was man schreibt.

Zitat
Was sagt das Bündnis der Westalliierten mit Stalin, der in den vorhergegangenen 20 Jahren den Tod von Millionen von Menschen verursacht hatte, über deren moralische Prinzipien aus - vor allem, wenn man sich in Erinnerung ruft, daß die USA das Lend & Lease auf die UdSSR noch vor Kriegseintritt ausdehnte und zu einem Zeitpunkt, zu dem die Massenmorde der Nazis gerade erst anfingen und deren spätere Ausmaße unmöglich vorherzusagen waren?

Weil hier ja auch das Thema Geschichtsunterricht angerissen wurde: DAS wären doch einmal Fragen, die man den Schülern näherbringen sollte. Dinge kritisch zu hinterfragen und nicht einfach hinzunehmen, Zusammenhänge aufzuzeigen und dass man aus der Geschichte noch anderes lernen kann, ausser Hitler & Holocaust. Wer das Bündnis der westlichen Demokratien mit totalitären Systemen damals nicht versteht, der wird sich auch heute nicht fragen, wieso man gleichzeit aus vorsätzlicher demokratieliebe und philanthropie ein totalitäres Land zerbombt und das andere untersützt, um mal auf ganz aktuelle Ereignisse Bezug zu nehmen.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Decebalus am 02. September 2011 - 18:10:38
Zitat von: \'Poliorketes\',index.php?page=Thread&postID=93310#post93310
...Es ist nun einmal so - Krieg verroht die Menschen. Ob sich die so entstehende Brutalität der Soldaten auch außerhalb der eigentlichen Kämpfe entfalten kann, liegt dabei ganz entscheidend an der Führung. Fördert sie solch ein Verhalten (wie Hitler und Stalin), duldet sie es stillschweigend (Vietnam) oder versucht sie, die Disziplin aufrechtzuerhalten und Auswüchse aktiv zu unterdrücken? Das der Landser kein Unschuldslamm war, bestreitet kein vernunftbegabter Mensch. Aber daß die Wehrmachtsverbrechen ohne Beispiel seien ist Humbug, der die Opfer von Stalin, Mao und Hirohito verunglimpft.

Stimme Dir zu, ich weiß nur nicht gegen wen Du argumentierst? Wer behauptet denn, dass die Wehrmachtsverbrechen ohne Beispiel waren. Sönke Neitzel argumentiert doch gerade mit der von Dir beschriebenen Verrohung. Aber Kriegsverbrechen in diesem Ausmaß sind eben auch nicht \"normal\" für einen Krieg. Und der Vergleich mit Stalin, Mao und Hirohito würde irgendwie besser funktionieren, wenn es hier keinen Kant, kein BGB und keine Grundrechte gegeben hätte.

Zitat
Was sagt das Bündnis der Westalliierten mit Stalin, der in den vorhergegangenen 20 Jahren den Tod von Millionen von Menschen verursacht hatte, über deren moralische Prinzipien aus

Das was Du hier andeutest, sagt es eben nicht aus. Die Westalliierten waren doch nicht frei in der Entscheidung. Sie haben sich Stalin nicht ausgesucht, sondern Hitler hat beschlossen, dass Stalin zu seinen Feinden gehört. Der Feind meines Feindes ist mein Freund ist nunmal in der Außenpolitik unhintergehbar.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Florian am 03. September 2011 - 01:30:13
Na gut, erstmal allgemein: warum hat es ein Teil der Deutschen immer noch nötig Oma und Opa in Schutz zu nehmen? Woher kommt nur das Bedürfnis dauernd zu betonen, dass andere auch grausame Dinge getan haben nur damit die \"eigenen\" Grausamkeiten, also die der eigenen Vorfahren, nicht mehr so schlimm aussehen? Als würde es irgendwas am Judenmord der Deutschen verbessern, dass Stalin auch Antisemit war, dass die Türken die Armenier massakriert haben oder es würde (um ein hier schon genanntes Beispiel zu nehmen) irgendwie den Mord an der Herero relativieren, dass es auch andere Länder gab, die sich in ihren Kolonien wie die Axt im Walde aufführten. Tut es nicht. Verbrechen bleiben Verbrechen auch wenn es viele andere Verbrecher gibt.
Ich finde es auch überhaupt nicht schwer zu akzeptieren, dass große Teile der Generation meiner Großeltern ein verbrecherisches Regime unterstützt haben, einen verbrecherischen Krieg geführt haben und an der Ermordung der Juden Europas aktiv oder durch Duldung/ Wegsehen usw. teilgenommen haben. Ich muss da nichts schönreden oder relativieren. Da war nichts schön oder relativ o.ä. daran. Das verletzt weder mein Selbstwertgefühl noch meine \"Ehre\" noch sonstwas und ich fühle mich übrigens auch in keiner Weise dazu aufgerufen mich permanent für diese Verbrechen meiner Vorfahren zu entschuldigen. Ich fühle mich allerdings dazu aufgerufen, dafür zu sorgen, dass sich sowas nicht nochmal ereignet und dazu gehört eben zuerst anzuerkennen, was war und nicht drum herum zu reden nur weil es einem vllt. nicht passt.

und hierzu:
Zitat von: \'Poliorketes\',index.php?page=Thread&postID=93310#post93310
Was sagt das Bündnis der Westalliierten mit Stalin, der in den vorhergegangenen 20 Jahren den Tod von Millionen von Menschen verursacht hatte, über deren moralische Prinzipien aus - vor allem, wenn man sich in Erinnerung ruft, daß die USA das Lend & Lease auf die UdSSR noch vor Kriegseintritt ausdehnte und zu einem Zeitpunkt, zu dem die Massenmorde der Nazis gerade erst anfingen und deren spätere Ausmaße unmöglich vorherzusagen waren? Ich will damit auf keinen Fall Churchill und Roosevelt auf eine Stufe mit Hitler und Stalin stellen, ich will nur deutlich machen, daß es im Krieg meist nur die Wahl zwischen Pest und Cholera gibt - und das man die (Un-)Taten der Kriegsparteien nicht mit zweierlei Maß messen sollte, sondern Einzelfallbezogen.
das sagt über die Westalliierten, dass sie den Krieg gegen Deutschland und Japan gewinnen wollten, den sie nicht angefangen hatten. Und das wäre ihnen übrigens ohne die UdSSR ziemlich sicher nicht gelungen. Sonst sagt es erstmal gar nichts.

Und klar, wenn zwei Leute aufeinander schießen unterscheidet sie nicht ihr momentanes Ziel, das immer das unmoralische Motiv ist, den Anderen zu töten, sondern der Grund, warum sie überhaupt in der Situation sind, aufeinander zu schießen. Und da gibt es eben einen elementaren Unterschied zwischen einem angreifenden Faschisten und einem angegriffenen Demokraten (übrigens gilt das auch für den angegriffenen Kommunisten, denn der hat den Krieg halt auch nicht angefangen).
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Beitrag von: Thomas Kluchert am 03. September 2011 - 10:53:23
Zitat
Na gut, erstmal allgemein: warum hat es ein Teil der Deutschen immer noch nötig Oma und Opa in Schutz zu nehmen?
Na, die Erklärung ist doch denkbar einfach: Familie. Blut ist eben dicker als das Wasser, dass zur Herstellung von dem Papier verwendet wird, auf dem das Gegenteil steht. Ist doch wie so oft, man glaubt eben meist dem, was man persönlich erzählt bekommt. Und die wenigsten Menschen sind eben Leute die sowas kritisch reflektieren.

Zitat
Woher kommt nur das Bedürfnis dauernd zu betonen, dass andere auch
grausame Dinge getan haben nur damit die \"eigenen\" Grausamkeiten, also
die der eigenen Vorfahren, nicht mehr so schlimm aussehen? Als würde es
irgendwas am Judenmord der Deutschen verbessern, dass Stalin auch
Antisemit war, dass die Türken die Armenier massakriert haben oder es
würde (um ein hier schon genanntes Beispiel zu nehmen) irgendwie den
Mord an der Herero relativieren, dass es auch andere Länder gab, die
sich in ihren Kolonien wie die Axt im Walde aufführten. Tut es nicht.
Verbrechen bleiben Verbrechen auch wenn es viele andere Verbrecher gibt.
Das ist natürlich eine Frage des Standpunkts. Natürlich kann man darin eine Relativierung der deutschen Verbrechen erkennen - und sicher ist es manchmal auch so gemeint. Aber man muss eben auch einräumen, dass es eben nicht nur relativierend gemeint ist. Wenn man über den zweiten Weltkrieg spricht muss man eben alle Seiten erwähnen. Schließlich haben es die Opfer aller Verbrechen verdient erwähnt zu werden, wie ich finde. Es kommt natürlich immer auf den Kontext an!
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Beitrag von: AndréM am 03. September 2011 - 13:58:53
Zitat
Wer das Bündnis der westlichen Demokratien mit totalitären Systemen damals nicht versteht, der wird sich auch heute nicht fragen, wieso man gleichzeit aus vorsätzlicher demokratieliebe und philanthropie ein totalitäres Land zerbombt und das andere untersützt, um mal auf ganz aktuelle Ereignisse Bezug zu nehmen.

Man werfe hierzu nur einen Blick auf die Kommentare bei Tagesschau.de. Es bedarf wirklich einer besseren Wissensvermittlung, um den Blödsinn, der dort zum Großteil verzapft wird einzudämmen.
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Beitrag von: opa wuttke am 03. September 2011 - 14:46:26
Danke für deinen Beitrag Florian, ich finde, er bringt es ziemlich genau
auf den Punkt. Leider bezweifle ich, dass sich ein (leider zu großer)
Teil der Figurenschieber in diesem Forum zu einer solchen Aussage
durchringen könnte bzw. sie akzeptieren würde. Nach acht Jahren hier
hab ich jetzt den Punkt erreicht, an dem ich mich frage, ob ich mich
jedes mal aufs neue aufregen soll, wenn irgendein Hirni wieder mit der
alten \"Die-anderen-haben-aber-auch...-Leier\" anfängt. Waffen-SS anmalen, sie
über die Platte schieben und trotzdem soviel Größe besitzen, um zu sagen
\"Ja, war falsch\" ist wohl auch zu viel verlangt.

Schalom dann mal...
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Beitrag von: Ursus Maior am 03. September 2011 - 16:10:54
Ich bin ja nun noch nicht so lange hier und kann nur mutmaßen, dass es zu dem Thema sicher mal eine Reihe Diskussionen mit härteren Bandagen gab. Was mich auf anderen Foren extrem gestört hat, war die stete, sich aufdrängende Vermutung, die kleinen, schwarzen 15mm Kerle müssten gefälligst gewinnen, damit das alte Trauma der Niederlage überwunden werden kann. Frei nach dem Motto: \"Meine WSS hätte gewonnen, wenn nur ich statt dem Österreicher das Sagen gehabt hätte. Und dann wären die ganzen schönen Landstriche im Osten noch \"unser\" und man müsste nicht auf ARD/ZDF \"Als der Osten noch Heimat war - Teil 754 \'Oberschlesien\'\" gucken. Bei sowas kommt mir die Galle hoch.

Aber vielleicht gibt\'s noch was zum ursprünglichen Thema?
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Beitrag von: J.S. am 04. September 2011 - 14:34:13
Zitat
Ich fühle mich allerdings dazu aufgerufen, dafür zu sorgen, dass sich sowas nicht nochmal ereignet und dazu gehört eben zuerst anzuerkennen, was war und nicht drum herum zu reden nur weil es einem vllt. nicht passt?

Darum geht es eben gerade nicht. Aber es sagt schon einiges über den Horizont der \"Bewältiger\" aus, dass alles, was irgendwie die Generation unserer Großeltern entlassten könnte als \"Aufrechnerei\" verteufelt und jegliche Debatte sogort abgewürgt wird mit dem Verweis aufs rechte Lager. Wenn du schon \"aus der Geschichte etwas lernen\" willst, dann ist DAS der falsche weg. Durch Verschweigen lehrst du im Endeffekt nur, dass

- der Sieger jedes noch so abartige Verbrechen begehen kann, denn nur der Verlieren muss sich für seine Verbrechen verantworten.
- nach dem Motto \"der hat angefangen\" JEDES Verbrechen vollkommen OK ist; handelt sich ja nur um so ne Art Blutrache. Natürlich sind wir guten Demokraten hier im Westen viel zu zivilisiert für ein \"Auge um Auge\" Prinzip, ausser wenns um den Zweiten Weltkrieg geht, da wars OK. Wenn Recht und Unrecht nichts universales ist, sondern von Fall zu Fall ausgelegt wird, wies grad passt, dann kann ich auf diese Heuchelei gleich verzichten.

Was dabei rauskommt, wenn nach derlei Maximen gehandelt wird, konnte man ja sehr schön in den letzten Jahren im Iraq, Afganisthan, Gaza Streifen und zuletzt in Lybien beobachten. Also nix mit \"aus der Geschichte lernen\".

Zitat
Und klar, wenn zwei Leute aufeinander schießen unterscheidet sie nicht ihr momentanes Ziel, das immer das unmoralische Motiv ist, den Anderen zu töten, sondern der Grund, warum sie überhaupt in der Situation sind, aufeinander zu schießen. Und da gibt es eben einen elementaren Unterschied zwischen einem angreifenden Faschisten und einem angegriffenen Demokraten (übrigens gilt das auch für den angegriffenen Kommunisten, denn der hat den Krieg halt auch nicht angefangen).

\"Der angreifende Faschist\". Klar, man kann sichs auch einfach machen. Dann setzte dich vielleicht nochmal über dein Geschichtsbuch und schlägst nach WER 1939 Polen agegriffen hat.Dann kannste mir sicher auch erklären wieso man von demokratischer Seite her nur einen Aggressor den Krieg erklärt hat. Bevor hier irgendwier wieder sagt \"das machts auch nicht besser\", sag ichs lieber gleich selber: ja, es macht den Deutschen Angriff nicht besser, dass sich die SU daran beteiligt hat; interessant ist an diesem Vorgang etwas ganz anderes. Die Menschen sind halt leider größtenteils blind für die jahrzehntelange Heuchelei und Doppelmoral des Westens und DAS ist es was man mit einem solchen Beispiel vlt. mal exemplarisch aufzeigen könnte. Denn der nächste Krieg für \"Demokratie\" kommt bestimmt.
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Beitrag von: Poliorketes am 04. September 2011 - 15:34:42
Zitat von: \'Florian\',index.php?page=Thread&postID=93369#post93369
Na gut, erstmal allgemein: warum hat es ein Teil der Deutschen immer noch nötig Oma und Opa in Schutz zu nehmen? Woher kommt nur das Bedürfnis dauernd zu betonen, dass andere auch grausame Dinge getan haben nur damit die \"eigenen\" Grausamkeiten, also die der eigenen Vorfahren, nicht mehr so schlimm aussehen? Als würde es irgendwas am Judenmord der Deutschen verbessern, dass Stalin auch Antisemit war, dass die Türken die Armenier massakriert haben oder es würde (um ein hier schon genanntes Beispiel zu nehmen) irgendwie den Mord an der Herero relativieren, dass es auch andere Länder gab, die sich in ihren Kolonien wie die Axt im Walde aufführten. Tut es nicht. Verbrechen bleiben Verbrechen auch wenn es viele andere Verbrecher gibt.
Ich finde es auch überhaupt nicht schwer zu akzeptieren, dass große Teile der Generation meiner Großeltern ein verbrecherisches Regime unterstützt haben, einen verbrecherischen Krieg geführt haben und an der Ermordung der Juden Europas aktiv oder durch Duldung/ Wegsehen usw. teilgenommen haben. Ich muss da nichts schönreden oder relativieren. Da war nichts schön oder relativ o.ä. daran. Das verletzt weder mein Selbstwertgefühl noch meine \"Ehre\" noch sonstwas und ich fühle mich übrigens auch in keiner Weise dazu aufgerufen mich permanent für diese Verbrechen meiner Vorfahren zu entschuldigen. Ich fühle mich allerdings dazu aufgerufen, dafür zu sorgen, dass sich sowas nicht nochmal ereignet und dazu gehört eben zuerst anzuerkennen, was war und nicht drum herum zu reden nur weil es einem vllt. nicht passt.
Du triffst hier sehr gut den Kern des Problems, das ich mit der derzeit vorherrschenden Bewertung der deutschen Geschichte und davon abweichender Meinungen habe. Es geht nicht im Geringsten darum, die Taten der Deutschen unter dem NS-Regime zu verharmlosen oder gegen die Taten anderer Kriegsteilnehmer aufzurechnen. Das ist das Totschlagargument, das immer wieder gegen Jeden vorgebracht wird, der eine Meinung hat, die von der \'Sonderweg der Deutschen-These\' abweicht. Und wenn Opa Wuttke mich deswegen auch noch als Hirni bezeichnet (sorry, Opa, aber auch wenn wir sicherlich politisch selten einer Meinung sein werden, habe ich Deine Argumentation bislang zumindest respektiert, ohne Dich als linken Spinner darzustellen, der aus 70 Jahren Kommunismus nichts gelernt hat - was ich auch hiermit ausrücklich nicht tue. Trotzdem enttäuscht mich Dein Kommentar doch sehr).

Um es nochmal deutlich zu sagen: Die Verbrechen unter dem NS-Regime sind das Schlimmste, was in der Deutschen Geschichte je passiert ist. Ich kann aber nicht akzeptieren, daß die Untaten aus 12 Jahren NS-Herrschaft nach 65 Jahren immer noch dazu herhalten müssen, jeden Deutschen mit einem bißchen Nationalstolz das Gefühl zu geben, ein verkappter Nazi zu sein. Ich will Opa und Oma nicht in Schutz nehmen, aber im Gegensatz zu manch anderem sehe ich mich nicht als etwas Besseres an, denn ich bin so ehrlich zuzugeben, daß ich nicht sagen kann ob ich anders gehandelt hätte, wenn ich 1918 statt 1968 geboren worden wäre. Und ich betone dabei noch einmal - Nazis sind der letzte Dreck!  Wenn ich also nicht die Verbrechen der Nazis mit denen der Kommunisten aufrechne, erwarte ich aber umgekehrt genauso, daß die Verbrechen eines Josef Stalin nicht verharmlost werden, weil er ja immerhin dafür gesorgt hat, daß Adolf besiegt werden konnte. Leider erreicht man mit so einer Meinung sogar Fraktionsstatus im deutschen Bundestag. Wer stellt eigentlich mal einen Verbotsantrag für die Linke angesichts der dauernden verfassungsfeindlichen Äußerungen einer Gesine Lötsch?

Statt dessen direkte Antworten auf Deine Thesen:
Zitat von: \'Florian\',index.php?page=Thread&postID=93369#post93369
Na gut, erstmal allgemein: warum hat es ein Teil der Deutschen immer noch nötig Oma und Opa in Schutz zu nehmen?
Ich sehe keinen Grund, meinen Opa in Schutz zu nehmen. Er war in der SS, und auch wenn er angeblich \'nur Kraftfahrer\' war muß meine Tante, die keinen einzigen Juden persönlich kennt, ihren Antisemitismus irgendwoher haben. Rein vom Alter her zieht für ihn auch die beliebte Entschuldigung nicht, als Wehrpflichtiger in die SS geraten zu sein. Da er aber 15 Jahre vor meiner Geburt gestorben ist, konnte ich ihn nie zur Rede stellen.

Zitat von: \'Florian\',index.php?page=Thread&postID=93369#post93369
Woher kommt nur das Bedürfnis dauernd zu betonen, dass andere auch grausame Dinge getan haben nur damit die \"eigenen\" Grausamkeiten, also die der eigenen Vorfahren, nicht mehr so schlimm aussehen?
Du unterstellst mir damit, daß ich die Naziverbrechen verharmlosen will. Bist Du nie auf die Idee gekommen, daß ich statt dessen der Tendenz, die Verbrechen eines Stalin oder Mao zu verharmlosen, entgegentreten will? Ich könnte Dir mit den gleichen Argumenten vorwerfen, daß Du die Massenmorde im Kommunismus gutheist, weil ja schließlich damit die Nazis bekämpft wurden. Das wäre allerdings absurd, oder? Es ist völlig egal, mit welcher verqueren Ideologie ein Genozid begründet wird, er ist und bleibt ein Genozid.

Zitat von: \'Florian\',index.php?page=Thread&postID=93369#post93369
Ich finde es auch überhaupt nicht schwer zu akzeptieren, dass große Teile der Generation meiner Großeltern ein verbrecherisches Regime unterstützt haben, einen verbrecherischen Krieg geführt haben und an der Ermordung der Juden Europas aktiv oder durch Duldung/ Wegsehen usw. teilgenommen haben. Ich muss da nichts schönreden oder relativieren. Da war nichts schön oder relativ o.ä. daran. Das verletzt weder mein Selbstwertgefühl noch meine \"Ehre\" noch sonstwas und ich fühle mich übrigens auch in keiner Weise dazu aufgerufen mich permanent für diese Verbrechen meiner Vorfahren zu entschuldigen. Ich fühle mich allerdings dazu aufgerufen, dafür zu sorgen, dass sich sowas nicht nochmal ereignet und dazu gehört eben zuerst anzuerkennen, was war und nicht drum herum zu reden nur weil es einem vllt. nicht passt.
Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Allerdings weigere ich mich, auch das Verhalten der Generationen davor damit gleichzusetzen.  Wilhelm II. war vielleicht eine Niete, dessen realitätsfernes Verhalten zum Tod von Millionen beigetragen hat, aber er damit nicht alleine in Europa und er war auch kein Völkermörder.

Zitat von: \'Florian\',index.php?page=Thread&postID=93369#post93369
das sagt über die Westalliierten, dass sie den Krieg gegen Deutschland und Japan gewinnen wollten, den sie nicht angefangen hatten. Und das wäre ihnen übrigens ohne die UdSSR ziemlich sicher nicht gelungen. Sonst sagt es erstmal gar nichts.
Es wurde zwar schon erwähnt, aber nochmal: Deutschland hat weder Großbritannien noch Frankreich den Krieg erklärt, und Deutschland hat Polen nicht alleine angegriffen. Das ist nicht als Verteidigung des Angriffs auf Polen gedacht, wobei selbst der nicht so unbegründet war, wie man es heute gerne darstellt. Mit dem folgenden Wüten in Polen haben wir Deutschen dann allerdings zu Recht alle Ansprüche auf polnisches Staatsgebiet verwirkt.

Zitat von: \'Florian\',index.php?page=Thread&postID=93369#post93369
Und klar, wenn zwei Leute aufeinander schießen unterscheidet sie nicht ihr momentanes Ziel, das immer das unmoralische Motiv ist, den Anderen zu töten, sondern der Grund, warum sie überhaupt in der Situation sind, aufeinander zu schießen. Und da gibt es eben einen elementaren Unterschied zwischen einem angreifenden Faschisten und einem angegriffenen Demokraten  (übrigens gilt das auch für den angegriffenen Kommunisten, denn der hat den Krieg halt auch nicht angefangen).
Weißt Du eigentlich, was Du da schreibst? Du legitimierst hier gerade Adolf Hitler. Natürlich haben die Kommunisten Deutschland nicht angegriffen, aber die Deutschan haben weder Großbritannien noch Frankreich den Krieg erklärt. Nach Deiner These waren sie also im Recht?
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: AndréM am 04. September 2011 - 16:29:31
Wichtig ist, dass man sich an JEDE Grausamkeit erinnert und sie im Gedächtnis behält, damit man sie verhindern kann, sollte sie wiederkehren. Ein demokratischer Massenmörder ist genauso schlimm, wie ein faschistischer oder kommunistischer etc. Oder sind die Massenmorde durch Experimente demokratischer westlicher Pharmakonzerne in Afrika nun bessere Morde, weil sie von Demokraten ausgeführt wurden?
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: opa wuttke am 04. September 2011 - 18:03:57
Zitat
Und wenn Opa Wuttke mich deswegen auch noch als Hirni bezeichnet (sorry, Opa, aber auch wenn wir sicherlich politisch selten einer Meinung sein werden, habe ich Deine Argumentation bislang zumindest respektiert, ohne Dich als linken Spinner darzustellen, der aus 70 Jahren Kommunismus nichts gelernt hat - was ich auch hiermit ausrücklich nicht tue. Trotzdem enttäuscht mich Dein Kommentar doch sehr).
Auch wenn der Schuh so aussieht, als würde er Dir passen...DU bist damit nicht gemeint Poliorketes. Es bezieht sich auf jene (obwohl sie scheinbar über das nötige intelektuelle Rüstzeug zu verfügen scheinen), die es sich mit eben dieser sogenannten Argumentation leicht machen. Das man/Du natürlich eine andere Meinung haben kann, ist nicht verkehrt und diese Meinung hat auch ihre Daseinsberechtigung. Wenn sie zudem - wie von Dir - argumentativ nachvollziehbar belegt wird, dann muß und kann ich damit leben, selbst wenn ich diese Meinung nicht teile. Du bist deshalb kein Hirni, leider aber sind und waren in der Vergangenheit hier genügend solche unterwegs, die auf jede noch so leise Kritik genau dieses Totschlagargument \"Die anderen-haben-aber-auch...\" rausgehauen haben. Im Idealfall erklären solche Kadetten dann zwei Posts weiter, dass das Koppelschloß der Waffen-SS am 15.Februar 1943 am Nordkap aber grün war und nicht braun. Na wenn´s dafür reicht, aber nicht für eine nur ansatzweise Auseinandersetzung mit einigen anderen \"Aspekten\" besagter \"Heldentruppe\", \"Frontfeuerwehr\" oder \"Spezialtruppe\" oder mit welchen verherrlichenden Begriffen auch immer diese Einheiten bisweilen benannt werden...dann: Hirni ! Ich könnt hier fortsetzen, aber dann wird´s ´ne Endlosschleife.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Poliorketes am 04. September 2011 - 18:30:51
Dann tut es mir Leid, wenn ich das in den falschen Hals bekommen habe.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Florian am 04. September 2011 - 23:29:20
Da sich Poliorketes wohl von manchem angesprochen fühlte, was eigentlich eher an J.S. gerichtet war, trenne ich jetzt mal lieber meine Antworten.

@ J.S.:
Zitat von: \'J.S.\',index.php?page=Thread&postID=93427#post93427
- der Sieger jedes noch so abartige Verbrechen begehen kann, denn nur der Verlieren muss sich für seine Verbrechen verantworten.
- nach dem Motto \"der hat angefangen\" JEDES Verbrechen vollkommen OK ist; handelt sich ja nur um so ne Art Blutrache. Natürlich sind wir guten Demokraten hier im Westen viel zu zivilisiert für ein \"Auge um Auge\" Prinzip, ausser wenns um den Zweiten Weltkrieg geht, da wars OK. Wenn Recht und Unrecht nichts universales ist, sondern von Fall zu Fall ausgelegt wird, wies grad passt, dann kann ich auf diese Heuchelei gleich verzichten.

Was dabei rauskommt, wenn nach derlei Maximen gehandelt wird, konnte man ja sehr schön in den letzten Jahren im Iraq, Afganisthan, Gaza Streifen und zuletzt in Lybien beobachten. Also nix mit \"aus der Geschichte lernen\".
a) Natürlich ist es ein Problem, dass es keine Institution gibt, die die Verbrechen von Siegern in Kriegen verhandeln kann. Wobei die Tatsache, dass heute in Den Haag nicht nur Serben, sondern auch Kroaten sitzen zeigt, dass sich da auch etwas tut, wenn auch langsam.
b)Wenn es nur darum ginge, wer angefangen hat, würde man alle, die jemals Kriege begonnen haben so harsch beurteilen wie die Deutschen, die den 2. Weltkrieg begannen. Das tut man aber nicht und das hat damit zu tun, dass sich die Methoden aber auch (und das wird in der rein auf Kriegsführung und Kriegsschuld zentrierten Diskussion gern vergessen) die Ziele dem Rest der Menschheit als besonders schrecklich und verabscheuungswürdig erschienen. Ein Sieg des deutschen Faschismus hätte eine Welt erzeugt in der Leben nur sehr eingeschränkt erträglich wäre. Diese Perspektive macht den 2. Weltkrieg für die Welt als ganzes einzigartig. Kein anderer Krieg hatte die Option auf eine derart globale Kathastrophe in sich wie der 2. WK.

Auf die aktuellen Beispiele gehe ich jetzt mal nicht ein, dass ist einen Diskussion für sich.


Zitat von: \'J.S.\',index.php?page=Thread&postID=93427#post93427
\"Der angreifende Faschist\". Klar, man kann sichs auch einfach machen. Dann setzte dich vielleicht nochmal über dein Geschichtsbuch und schlägst nach WER 1939 Polen agegriffen hat.Dann kannste mir sicher auch erklären wieso man von demokratischer Seite her nur einen Aggressor den Krieg erklärt hat. Bevor hier irgendwier wieder sagt \"das machts auch nicht besser\", sag ichs lieber gleich selber: ja, es macht den Deutschen Angriff nicht besser, dass sich die SU daran beteiligt hat; interessant ist an diesem Vorgang etwas ganz anderes. Die Menschen sind halt leider größtenteils blind für die jahrzehntelange Heuchelei und Doppelmoral des Westens und DAS ist es was man mit einem solchen Beispiel vlt. mal exemplarisch aufzeigen könnte. Denn der nächste Krieg für \"Demokratie\" kommt bestimmt.
Um das gleich mal zu sagen: Der Angriff der SU auf Polen war ein Verbrechen und ist nicht zu beschönigen. Die Alliierten hätten das gleiche Recht gehabt der SU den Krieg zu erklären, hatten aber Polen vorher ganz explizit den Schutz vor deutschen Aggressionen zugesagt und es ging natürlich nach der Erfahrung von München und den Folgen auch darum eine Grenze zu setzen. DEer Rest ist kluge Politik gewesen. Stelle man sich mal vor die Allierten (also damals Frankreich und England) hätten beiden den Krieg erklärt. Wir würden heute in einem Welt leben, die von Stalinisten, Faschisten und möglw. japanischen Ultranationalisten beherrscht wäre. Die Allierten haben die größere Gefahr erkannt (zu spät) und sich mit ihr auseinandergesetzt und dabei fast verloren.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Florian am 05. September 2011 - 00:21:05
@ Poliorketes
Zitat von: \'Poliorketes\',index.php?page=Thread&postID=93432#post93432
Das ist das Totschlagargument, das immer wieder gegen Jeden vorgebracht wird, der eine Meinung hat, die von der \'Sonderweg der Deutschen-These\' abweicht.

Ich will Opa und Oma nicht in Schutz nehmen, aber im Gegensatz zu manch anderem sehe ich mich nicht als etwas Besseres an, denn ich bin so ehrlich zuzugeben, daß ich nicht sagen kann ob ich anders gehandelt hätte, wenn ich 1918 statt 1968 geboren worden wäre.

Leider erreicht man mit so einer Meinung sogar Fraktionsstatus im deutschen Bundestag. Wer stellt eigentlich mal einen Verbotsantrag für die Linke angesichts der dauernden verfassungsfeindlichen Äußerungen einer Gesine Lötsch?
Zum Totschlagargument: Entschuldige, aber es ist leider so, dass sehr oft mit der These \"die anderen haben aber auch...\" implizit gesagt wird: \"Dann war das, was die Deutschen gemacht haben ja eigentlich \"normal\" in einem Krieg.\" Ich nehme (erfreut und zustimmend) zur Kenntnis, dass Du das anders siehst.

Ich weiß auch nicht, was ich damals getan hätte, ich wäre halt in einer anderen Welt groß geworden und \"mich\" in dem heutuigen Sinne könnte es in dieser Welt eh nicht geben. Ich habe aber keine Menschen in einem Angriffkrieg getötet, habe keine Dörfer verbrannt, Frauen vergewaltigt, Geiseln erschossen, ein Land so verheert, dass die Menschen Hunger leiden mussten usw. (um erst gar nicht mit der Shoah zu kommen). Und bisher habe ich auch nicht geplant die halbe Welt \"meinem\" Volk Untertan zu machen, geschweige es versucht. Und so lange ich das alles nicht getan habe bin ich natürlich besser als all jene, die das getan haben, und das sind in der Generation meiner Großeltern, vor allem bei den Männern, sehr viele.

Zu Frau Lötsch - ich finde da auch vieles unglücklich, aber dass die LINKE mit Ausnahme von ganz wenigen Spinnern sich weit vom Stalinismus distanziert - weiter als es etwa die CDU 20 Jahre nach dem NS von den alten Nazis in ihren Reihen getan hat, das kann ich Dir versichern.
Es gibt eine demokratische Form des Sozialismus (aus dieser Richtung kommt ja auch die SPD) aber keine solche des Faschismus. Und ein anderes wirtschaftliches System zu präferieren ist nicht verfassungsfeindlich, sonst wären das Gründungsprogramm der CDU und die frühen Nachkriegsprogramme der SPD auch verfassungsfeindlich gewesen.
Zitat von: \'Poliorketes\',index.php?page=Thread&postID=93432#post93432
Du unterstellst mir damit, daß ich die Naziverbrechen verharmlosen will. Bist Du nie auf die Idee gekommen, daß ich statt dessen der Tendenz, die Verbrechen eines Stalin oder Mao zu verharmlosen, entgegentreten will? Ich könnte Dir mit den gleichen Argumenten vorwerfen, daß Du die Massenmorde im Kommunismus gutheist, weil ja schließlich damit die Nazis bekämpft wurden. Das wäre allerdings absurd, oder? Es ist völlig egal, mit welcher verqueren Ideologie ein Genozid begründet wird, er ist und bleibt ein Genozid.
Da wollte ich dir gar nichts unterstellen. Den von mir ausgedrückten Eindruck hatte ich eher bei den Beiträgen von J.S.

Und ich glaube wirklich nicht, dass in der BRD die Gefahr besteht irgendwelche von angeblichen Kommunisten begangene Vebrechen zu verharmlosen. Ganz im Gegenteil wird hier auch noch der demokratischste Sozialismus (dessen Vertreter unter Stalin, Mao und Co sämtlich verfolgt un ermordet wurden - etwa in Prag 68) im Bausch und Bogen verworfen mit Hinweis auf die Verbrechen Stalins. Würde man so mit dem Wirtschaftssystem während des Faschismus verfahren sähe es düster aus für die Marktwirtschaft.

Zitat von: \'Poliorketes\',index.php?page=Thread&postID=93432#post93432
Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Allerdings weigere ich mich, auch das Verhalten der Generationen davor damit gleichzusetzen. Wilhelm II. war vielleicht eine Niete, dessen realitätsfernes Verhalten zum Tod von Millionen beigetragen hat, aber er damit nicht alleine in Europa und er war auch kein Völkermörder.
Klar. Ich meine ja auch nicht, dass alle Deutschen immer Verbrecher waren. Es gibt da halt eine Häufung zwischen 33 und 45. Den 1. WK würde ich auch ganz anders sehen als den 2.

Zitat von: \'Poliorketes\',index.php?page=Thread&postID=93432#post93432
Es wurde zwar schon erwähnt, aber nochmal: Deutschland hat weder Großbritannien noch Frankreich den Krieg erklärt, und Deutschland hat Polen nicht alleine angegriffen. Das ist nicht als Verteidigung des Angriffs auf Polen gedacht, wobei selbst der nicht so unbegründet war, wie man es heute gerne darstellt. Mit dem folgenden Wüten in Polen haben wir Deutschen dann allerdings zu Recht alle Ansprüche auf polnisches Staatsgebiet verwirkt.
Wenn Du heute der Frankreich dern Krieg erklärst, erklärst Du der NATO den Krieg. Polen hatte Zusagen zu seinem Schutz, das war bekannt und damit war der Angriff auf Polen natürlich auch eine Kriegserklärung an die Garantiemächte (natürlich in der Hoffnung diese würden kneifen, das ist zugestanden). Nur weil die Alliierten im Fall der Tschechoslowakei vertragsbrüchig geworden waren musste man ja nicht gleich annehmen, dass die nie zu ihrem Wort stehen.

Warum man die SU ausgespart hat habe ich kurz in meinem vorigen Post zu erklären versucht, auch warum ich es für kluge - wenn auch nicht hochmoralische - Politik halte, dass man das gemacht hat.


Zitat von: \'Poliorketes\',index.php?page=Thread&postID=93432#post93432
Und klar, wenn zwei Leute aufeinander schießen unterscheidet sie nicht ihr momentanes Ziel, das immer das unmoralische Motiv ist, den Anderen zu töten, sondern der Grund, warum sie überhaupt in der Situation sind, aufeinander zu schießen. Und da gibt es eben einen elementaren Unterschied zwischen einem angreifenden Faschisten und einem angegriffenen Demokraten (übrigens gilt das auch für den angegriffenen Kommunisten, denn der hat den Krieg halt auch nicht angefangen).


Weißt Du eigentlich, was Du da schreibst? Du legitimierst hier gerade Adolf Hitler. Natürlich haben die Kommunisten Deutschland nicht angegriffen, aber die Deutschan haben weder Großbritannien noch Frankreich den Krieg erklärt. Nach Deiner These waren sie also im Recht?
s.o. Deutschland hat allen Garantiemächten implizit den Krieg erklärt (hat Deutschland später bei Japan im Bezug auf die USA ja auch so gesehen).

Und dann hast du noch geschrieben:

\"Ich kann aber nicht akzeptieren, daß die Untaten aus 12 Jahren
NS-Herrschaft nach 65 Jahren immer noch dazu herhalten müssen, jeden
Deutschen mit einem bißchen Nationalstolz das Gefühl zu geben, ein
verkappter Nazi zu sein.\"

Da ich keinen Nationalstolz habe, kann ich natürlich nicht sagen, ob man dann dieses Gefühl hat. Ich halte Nationalstolz (und zwar egal welchen) aber so und so für wenig wünschenswert. Da sind wir sicher unterschiedlicher Meinung. Aber natürlich ist z.B. nicht jeder, der dir deutsche Nationalmannschaft anfeuert, nur weil er Deutscher ist, gleich ein Nazi.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: J.S. am 05. September 2011 - 09:47:31
Zitat
Warum man die SU ausgespart hat habe ich kurz in meinem vorigen Post zu erklären versucht, auch warum ich es für kluge - wenn auch nicht hochmoralische - Politik halte, dass man das gemacht hat.

Ja ganz wunderbar kluge Politik war das, da kann man ja fast nur wünschen, dass sich heutige Poltiker noch mehr ein Beispiel dran nehmen als sie es eh schon tun. Ein Land bewusst dem Messer auszuliefern um endlich einen Kriegsgrund gegen ein anderes zu haben ist natürlich äußerst klug; dann noch zu warten bis die Deutsche und Russische Dampfwalze Polen zertrümmert hat, während das ganze Ruhrgebiet von ner lächerlichen Hand voll Divisionen gedeckt ist, kann und muss man wohl als strategischen Geniestreich bewerten. Der Krieg hätte an diesem Punkt vorbei sein können; so haste halt am Ende nur halb Europa statt  einer Welt \"in der Leben nur sehr eingeschränkt erträglich wäre\" - kluger Allierter Politik sei dank. Dass den Allierten Polen sclicht s-c-h-e-i-s-s-e-g-a-l war, ist dir wohl noch nie in den Kopf gekommen? Und mit welcher Begründung hätte man Hitler Deutschland eigentlich der Sovjetunion vorziehen sollen, wenn es im Kampf gegen menschenverachtende Ideologien geht? Sag mir das doch mal. Zu dem Zeitpunkt hatte Stalin bereits mehrere Millionen Menschen auf dem Gewissen und hatte  mehrere unprovozierte Angriffskriege geführt, u.a gegen Finnland. Oder ging es den megaklugen Allierten einfach um etwas ganz anderes? Vielleicht hätte auch einfach 1918 jemand so \"klug\" sein können, dass der \"Korridor\" so oder so auf absehbare Zeit zu einen neuen Krieg zwischen Deutschland und Polen führen wird.

Zu deinem apologetischen Geschwafel über diese menschenverachtende Ideologie namens Kommunismus sag ich jetzt mal lieber nichts mehr.Haste wirklich gut \"aus der Geschichte\" gelernt, muss ich dir schon lassen.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Thomas Kluchert am 05. September 2011 - 10:11:07
@ Florian
Zitat
Es gibt eine demokratische Form des Sozialismus [...].
Ach ja? Wo findet man diese denn praktisch verwirklicht?
Zitat
Und ein anderes wirtschaftliches System zu präferieren ist nicht verfassungsfeindlich, [...].
Nein, das ist es nicht. Sozialismus ist aber mitnichten nur ein anderes wirtschaftliches System, es ist ja viel mehr ein Gesellschaftsentwurf mit einem ganz eigenen Menschenbild. Und da wirds eben langsam kritisch.



@ J.S.
Zitat
Und mit welcher Begründung hätte man Hitler Deutschland eigentlich der
Sovjetunion vorziehen sollen, wenn es im Kampf gegen menschenverachtende
Ideologien geht?
Die Erklärung ist doch denkbar einfach, du hast sie mit deinem Finnland-Beispiel mitgeliefert. Deutschland war bzw. schien militärisch einfach die größere Gefahr. Russland hatte ja in Finnland gezeigt, dass es nichtmal in der Lage war ein kleines Land am Rande Europas zu unterwerfen, während die Militärmaschinerie des Dritten Reichs alles plattzuwalzen schien. Außerdem dachte man sicher auch an den Ersten Weltkrieg, in dem Russland ja aufgegeben hatte. Und Russland bedrohte GB und Frankreich nicht direkt, jedenfalls nicht in der Form wie es Deutschland tat. Das hat zwar wenig mit Moral zu tun, durchaus aber mit kluger Politik.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: AndréM am 05. September 2011 - 11:49:04
Zuerst: Manche hier sollten diesen Thread hier als Diskussion und NICHT als persönlichen Angriff sehen und etwas entspannter durch die Hose atmen!

Zitat
Ja ganz wunderbar kluge Politik war das, da kann man ja fast nur wünschen, dass sich heutige Poltiker noch mehr ein Beispiel dran nehmen als sie es eh schon tun. Ein Land bewusst dem Messer auszuliefern um endlich einen Kriegsgrund gegen ein anderes zu haben ist natürlich äußerst klug; dann noch zu warten bis die Deutsche und Russische Dampfwalze Polen zertrümmert hat, während das ganze Ruhrgebiet von ner lächerlichen Hand voll Divisionen gedeckt ist, kann und muss man wohl als strategischen Geniestreich bewerten.

Das Problem bestand aber auch darin, dass selbst wenn sie gewollt hätten, sie es nicht materiell mit der deutsche/russischen Kriegsmaschinerie hätten aufnehmen können. Die Niederlage war also schon abzusehen. Da war es wirklich klüger erst Material zu sammeln und dann später zuzuschlagen. Das die britische Politik zu der Zeit kein Glanzstück war und Hitler zu Einmärschen einlud braucht man nicht nochmal zu erwähnen. Allerdings gibt es ja auch heute noch sehr viele Leute die lieber alles Verhandeln zu Tode verhandeln (selbst wenn sie dann eigentlich nur noch darüber verhandeln könnten, wo die Massengräber hinkommen...), als im Fall der Notwendigkeit auch mal einzugreifen (Jugoslawien anyone?). Selbst die amerikanische Kriegswirtschaft war erst dabei anzulaufen. Nebenbei lässt es sich heute mit all den verfügbaren Infos leichter urteilen. Damals hatte man aber weitaus beschränktere Infos zu Verfügung.

Zitat
Der Krieg hätte an diesem Punkt vorbei sein können; so haste halt am Ende nur halb Europa statt einer Welt \"in der Leben nur sehr eingeschränkt erträglich wäre\" - kluger Allierter Politik sei dank. Dass den Allierten Polen sclicht s-c-h-e-i-s-s-e-g-a-l war, ist dir wohl noch nie in den Kopf gekommen? Und mit welcher Begründung hätte man Hitler Deutschland eigentlich der Sovjetunion vorziehen sollen, wenn es im Kampf gegen menschenverachtende Ideologien geht? Sag mir das doch mal. Zu dem Zeitpunkt hatte Stalin bereits mehrere Millionen Menschen auf dem Gewissen und hatte mehrere unprovozierte Angriffskriege geführt, u.a gegen Finnland. Oder ging es den megaklugen Allierten einfach um etwas ganz anderes?


Ich empfehle mal den Film Vaterland, der eine recht realitätsnahes Bild der möglichen Welt danach abliefert.

Und Russland war Hitler in der Hinsicht vorzuziehen, dass man zu dem Zeitpunkt noch nicht das Ausmaß der stalinistischen Politik bezüglich der eigenen Bevölkerung kannte und dieses eher eine Chance hatte den Krieg zu gewinnen (Mehr Rohstoffe, größere Bevölkerung, riesiges Gebiet, dass einfach nicht zu erobern war (Hitler hätte von Napoleon lernen sollen). Mit Russland hatte man noch eine Verschnaufpause, bis die eigene Maschinerie in die Gänge kam, was auch viel ausmacht. Und bitte vergiss nicht, dass die Alliierten mehrere Male selbst mit Zusammenarbeit mit Russland kurz vor dem Zusammenbruch war (Amerikaner waren z.B. zur Zeit von Iwo Jima kurz vor dem wirtschaftlichen Totalkollaps). Hier haben teilweise einfach die Realitäten die Politik diktiert. Man hätte natürlich in Polen eingreifen können. Nur wäre mit einer weiteren Schlappe wie in Frankreich keinem geholfen gewesen. Und die wäre bei dem damaligen Rüstungsstand unausweichlich gewesen. Man war sich sicherlich klar, dass Russland auch nicht so toll ist, aber hier hatte man immerhin die Option die Konfrontation zu verschieben, bis man militärisch auf gleicher Augenhöhe war.

Nebenbei waren die Alliierten auch nicht immer auf der demokratischen Autobahn unterwegs. Hätten Charles Lindbergh und Ol\'Kennedy nur etwas anders gehandelt, wären die USA und Deutschland wohl eher Partner den Feinde geworden. Wir haben nicht hier die Demokraten und dort die Monster, sonder die Monster und Demokraten saßen auf allen Seiten, vereinfacht gesagt.

Zitat
Zu deinem apologetischen Geschwafel über diese menschenverachtende Ideologie namens Kommunismus sag ich jetzt mal lieber nichts mehr.Haste wirklich gut \"aus der Geschichte\" gelernt, muss ich dir schon lassen.

Bitte spar dir solche Ausfälle, das hat er nirgendwo gesagt!

@Kluchert
Bitte nicht schon wieder diese Grundsatzdiskussion über Sozialismus. Die Amis sind da schon so dämlich bei dem Wort nur an die Decke zu gehen, bitte nicht hier in Deutschland auch noch. Ich ziehe jedenfalls eine Soziale Marktwirtschaft die viele Elemente des Sozialismus trägt der heutigen neoliberalen Marktwirtschaft deutlich vor, die mich in vielen Dingen eher an die Wirtschaftspolitik im Dritten Reich erinnert (Die Opfer sind andere und auch werden sie nicht mehr vergast, aber beide treten den Menschen an sich mit Füßen und sehen sich als gottgegebene Naturgewalt mit der man leben muss, was sie eindeutig nicht sind)

@demokratischer Sozialismus
Gab es sogar in umgesetzter Form in der ersten Hälfte des 19. Jh. in den USA Nauvoo, Illinois. Und wir reden hier von einer Stadt die zu der Zeit etwa die Größe von Chicago hatte. Die Vereinigte Ordnung der Mormonen entsprach so ziemlich dem, was später als Sozialismus beschrieben wurde. Das System ging auch nicht an sich zugrunde, sondern wurde erst durch den totalen Vernichtungsbefehl des Governers ausgelöscht. Aus Angst vor der sich entwickelnden Wirtschaftsmacht der Stadt hatten sich nämlich einige Leute zusammen gefunden, denen Nauvoo ein Dorn im Auge war und da wurde auch vor Massenmord nicht zurückgeschreckt, dem zum Glück viele entkamen. Von daher kann so ein System schon funktionieren. Problem sind aber meist benachbarte Systeme, die darin eine Gefahr für sich selbst sehen. Warum nur?
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: J.S. am 05. September 2011 - 12:13:22
Zitat
Während die Militärmaschinerie des Dritten Reichs alles plattzuwalzen schien

1. welche \"Militärmaschinerie\"? Das hört sich so an, als ob Deutschlands MIlitärausgaben die der Allierten himmelweit überstiegen und drohte unbesiegbar zu werden. Im internationalen Rahmen kann ich keine große Besonderheit der Deutschen Armee erkennen; im Bezug auf das Kräfteverhältnis im Westen 1940 war Deutschland sogar unterlegen. Ja sogar wenn Polen und die Tschechoslowakei ihre Differenzen überwunden hätten, wäre rein nach Divisionen gezählt (und die Tschechische Armee war zudem wirklich nicht von schlechten Eltern) eine gleich große Armee wie die Wehrmacht rausgekomen.
2.Wer wurde vor 1939 denn \"plattgewalzt\" von Deutschland? Dass Polen allein keine Chance hat dürfte wohl allen Beteiligten klar gewesen sein, unabhängig von einer angeblich unaufhaltsamen Wehrmacht. Dass man mit einem im Ersten Weltkrieg verhafteten strategischen und taktischen Denken nicht weit kommt, wusste man im Endeffekt erst, als der Westfeldzug verloren war, nicht vorher.

Zitat
aber hier hatte man immerhin die Option die Konfrontation zu verschieben, bis man militärisch auf gleicher Augenhöhe war.

Komischerweise geht ihr alle davon aus, dass die demokratischen Westmächte irgendwan einmal vorhatten den Kommunismus in Russland militärisch zu beenden. Wieso sollten sie das tun? Aus Philanthropie? Mir gehts es in meiner Argumentation im Grunde nur darum, aufzuzeigen, dass keineswegs eherne und noble demokratische Ziele die Politik der Westmächste bestimmten; man kanns auf Deutschland bezogen ruhig beim Namen nennen: es ging hier um Erhaltung der Versaillier Ordnung, nicht um die Bekämpfung von Totalitarismus. Und ja, dann kann man Russland auch mal ausblenden. Klug war das aber sicher nicht.

Was bringt uns das ganze Geschreibsel? Kriege unter dem Deckmantel der Menschenliebe und Demokratie sind ein Phänomen, welches aktueller nicht sein konnte, aber dennoch auf eine  relativ lange Tradition zurückblicken kann. Vielleicht kann ja der Verweis auf den Zweiten Weltkrieg den ein oder anderen mal dazu bringen, über die aktuellen Prinzipien der Westlichen Aussenpolitik nachzudenken. Darum geht es mir, nicht um mehr aber auch nicht um weniger.

Zitat
dass man zu dem Zeitpunkt noch nicht das Ausmaß der stalinistischen Politik bezüglich der eigenen Bevölkerung kannte

Was einfach falsch ist. Wieso schrieb Orwell denn Animalfarm und 1984? Als Antwort auf die westliche Kollaboration mit dem Stalinistischen Verbrecherregime, nicht weil er sprechende Schweine so lustig fand.


Zitat
Ich empfehle mal den Film Vaterland, der eine recht realitätsnahes Bild der möglichen Welt danach abliefert.

Nach was? Nachdem die Allierten, klug wie sie waren, den Polen die vertraglich zugesicherte Entlastungsoffensive im Westen zukommen liesen?  Ja, wär intressant zu lesen wies danach weitergegangen wär. Ein potentiell faschistisches Europa hätte sich zumndest wohl schon mal niemand aus den Fingern saugen müssen.
(das Buch ist trotzdem gut  ;)  Aber wenn du mir hier gewisse Dinge indirekt unterstellst..)
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Thomas Kluchert am 05. September 2011 - 12:14:14
@ Andre
Ja, tut mir leid. Es juckte mir einfach so in den Fingern, aber ich bin durchaus bewusst, dass solche Aussagen bzw. Nachfragen meist eher kontraproduktiv sind. Aber wer bei welchem Wort auch immer durch die Decke gehen mag, sollte derjenige weiterhin selbst entscheiden dürfen.

Die \"neoliberale\" Marktwirtschaft mit der Wirtschaftspolitik im Dritten Reich zu vergleichen ist jedoch ein starkes Stück. Kennzeichen von totalitären Regimen ist auch die zentrale Kontrolle über die Wirtschaft (nach dem Modell von Friedrich und Brzezinski). Ich wüsste auch nicht, was wirtschaftliche Autarkiebestrebungen, Vier-Jahrespläne und massive Aufrüstung und Kriegsvorbereitung mit Marktwirtschaft zu tun haben. Bei solchen Vergleichen gehe ich tatsächlich durch die Decke!

Es gibt ja tatsächlich auch nicht eine einzige Marktwirtschaft, sondern ziemlich viele Modelle (man denke nur an die Differenzen zwischen Ländern wie Schweden und den USA). Aber Marktwirtschaft und Kapitalismus sind ja auch so unscharfe Begriffe wie Sozialismus und Kommunismus, die jeder für sich anders definiert. Ergebnis ist natürlich, dass man aneinander vorbei redet und andere Dinge meint, obwohl man den selben Begriff verwendet.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: AndréM am 05. September 2011 - 13:02:09
Zitat
Die \"neoliberale\" Marktwirtschaft mit der Wirtschaftspolitik im Dritten Reich zu vergleichen ist jedoch ein starkes Stück.

Nicht wirklich, beide zielen auf völlige Ausbeutung zum Wohl weniger ab. Und beide scheinen nicht grad wenig Skrupel zu haben dabei über Leichen zu gehen, nur geschieht das heute teilweise viel subtiler als damals.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Ursus Maior am 05. September 2011 - 14:10:46
Mich wundert bei dem Thema \"2. Weltkrieg\" immer, wie sehr Leute von konkreten, schubladenfertigen Plänen bei Regierungen ausgehen. Die Forschung, aber eigentlich auch das Betrachten des eigenen Lebens, zeigt doch viel mehr, dass viele Dinge ad hoc entschieden werden. Die französische und britische Entscheidung, Polen nicht kriegerisch zu verteidigen, sondern nur mit Krieg zu drohen und nach einer deutschen Invasion den Krieg zu erklären, aber nicht massiv anzugreifen, ist nicht Ausdruck des geplanten Verrates. Es ist Realpolitik und zeugt eher von dem Unvermögen und vielleicht auch Unwillen, der Realität ins Auge zu sehen. Die klassische Geschichtsforschung, über deren Richtigkeit ich kein Urteil abgeben mag, weil es nicht mein Gebiet ist, beurteilt Chamberlain immer als schwachen Ministerpräsidenten. Die Appeasement-Politik war sicherlich ein schwerer Fehler. Aber einen Krieg wollte man eben vermeiden. Keine Macht in Europa war kriegsbereit. Auch Deutschland war nur \"weniger unvorbereitet\". Die Aufrüstung war beileibe nicht beendet.

Der Angriff Deutschlands auf Polen kam nicht überraschend für das anglo-französische Bündnis, aber seine tatsächliche Ausführung war sicherlich ein Schock, musste er doch Krieg bedeuten. Dass die UdSSR sich dem Überfall drei Wochen später anschloss war indes zwar überraschend, aber für die künftige Kriegspolitik der \"Entente\" nicht relevant, weil sich daraus kein Nachteil für sie entwickeln sollte. Im Gegenteil, der folgende Krieg der UdSSR gegen Finnland zeigte die militärische Unzulänglichkeit der Roten Armee in einer Invasion, selbst gegen einen schwachen Feind. Der Sieg der Roten Armee in Polen lieferte ein verzerrtes Bild, da die Polen im Rücken angegriffen wurden, als sie gerade eine massive Gegenoffensive gegen die Wehrmacht starten wollten. In diesem Augenblick ist eine Streitkraft am verwundbarsten.

Für die Entente ergab sich aus dem Angriff der UdSSR zunächst zwar eine ungünstige Situation, die Sowjetunion schien ja mit Hitler zu paktieren, aber für den Sitzkrieg im Westen war das unerheblich. Ein Bündnis mit der UdSSR war ohnehin wenig wahrscheinlich und wurde nicht unwahrscheinlicher. Andererseits steuerte Deutschland gemäß der Ideologie in jedem Fall auf einen Krieg mit der UdSSR hin. Das war ja Parteiprogramm. Für die Zukunft konnte man sich also die Option offen halten, nun da im Osten keine Alliierten mehr zu verteidigen waren, musste die UdSSR zwangsläufig zum möglichen Partner werden. Die Vernichtung Polens und der CSR war also für den Westen Glück im Unglück. Es bedeute schwache Alliierte zu verlieren und einen neuen möglichen Verbündeten zu gewinnen. Dieser Verbündete, die Sowjetunion, wäre vorher nicht als Alliierter in Frage gekommen, weil dies die Polen verprellt hätte.

Realpolitik ist nicht stringent geplant, das verbietet schon der Umstand, dass alle Seiten ja zugleich und auch verdeckt planen. Selbst die besten Geheimdienste liefern nicht ständig ein akkurates Echtzeitbild aller Faktoren. Das wäre auch nicht handhabbar, da ihre Verarbeitungszeit eine Entscheidung verhindern würde. Es gibt meines Wissens keine Hinweise auf ein geplantes Opfern der östlichen Alliierten (Polen und CSR) vor der Münchner Konferenz von 1938. Die Dummheit der deutschen Planung treibt die UdSSR und die Entente zusammen. Moral bei Seite, wäre es klüger gewesen für die deutsche Führung, sich auf Frankreich und Großbritannien zu konzentrieren. Ob es dann zu einem Krieg mi der UdSSR gekommen wäre, weil der Westen darauf gedrängt hätte oder die Sowjetunion alleine eine Front eröffnet hätte, ist völlig hypothetisch und kann nur für \"What if\"-Szenarien im Hobby interessant sein.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: J.S. am 05. September 2011 - 14:36:02
Zitat
Die französische und britische Entscheidung, Polen nicht kriegerisch zu verteidigen, sondern nur mit Krieg zu drohen und nach einer deutschen Invasion den Krieg zu erklären, aber nicht massiv anzugreifen, ist nicht Ausdruck des geplanten Verrates.

Einem Land vertraglich auf den Tag genau eine Entlastungsoffensive zu versprechen und darauf zu drängen jegliche Verhandlungsversuche seitens der Deutschen abzuschlagen und DANN zuzusehen wie eben jenes Land verblutet.. das würde ich sehr wohl als vorsätzlichen Verrat auffassen. Polen wurde bewust ans Messer gelíefert; aber hey, das kann ja unter Umständen auch nur Realpolitik sein- sehr klug also von den Allierten, wie du schön ausgeführt hast.

Mehr werde ich zu diesem Thema auch nicht mehr sagen, dreht sich eh nur im Kreis.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Mansfeld am 05. September 2011 - 15:49:19
Hmmm, auf was will diese ganz Diskussion jetzt hinaus?

Ich erwarte von den Alliierten nicht, eine lupenreine Koalition von Engeln gewesen zu sein, brutale und zynische Strategien sind auch bei denen zu finden. Aber keinen Holocaust, keine Judenstern am Revers, etcetera. Jetzt mal ehrlich, wer hier im Forum wäre lieber Bürger eines vom Dritten Reich als eines von den Briten besetzten Landes gewesen?

Jede Ermordung und Demütigung eines wehrlosen Menschen ist ein Verbrechen, egal unter welcher Flagge. Wenn ein Forscher Opfer der Allierten nennt, ist das auch an für sich völlig korrekt, auch diese Menschen sollen betrauert werden. Aber nicht dazu benutzt werden, um die Opfer des NS-Systems verschwinden zu lassen, und gerade das passiert in der öffentlichen Diskussion sehr oft. Dann fällt der Satz \"Da seht ihr, die Alliierten waren genauso schlimm...\", und das ist eben nicht wahr. Wären sie es gewesen, hätten Amerikaner und Briten beim Einmarsch ins Reich sich nicht um die Versorgung der Zivilbevölkerung gekümmert, sondern mal angefangen, zu entgermanisieren. Um etliches schlimmer ist das Wüten der Roten Armee, mir Massenvergewaltigungen und Ermordungen, aber nach 1945 wurde dann auch nicht die Sowjetzone systematisch entvölkert und mit Slawen neu besiedelt. Was hätte das Dritte Reich in der gleichen Situation getan?

Übrigens, ich bin kein Deutscher, der sich seiner Nationalität schämt, und der unter dem Bewußtsein dieses Grauens im Namen des eigenen Volkes jetzt Komplexe mit sich rumschleppt. Zum Teil bin ich sogar ganz stolz darauf, daß wir hier eben nicht den Kopf in den Sand stecken und rumjammern \"Das ist alles gar nicht wahr, und die anderen sind genauso schlimm\", wie ich es z.B. bei der Diskussion um die Mißhandlungen in Abu Ghraib bei so manchen Amerikanern erlebt habe.
All das ist so passiert, kann auch nicht durch noch so unmoralisches Handeln anderer Nationen entschuldigt werden, und verpflichtet mich nicht zum Knierutschen oder Scham, ich habs ja nicht getan. Aber ich bin verpflichtet, so was nicht zu meinen Lebzeiten zuzulassen.
Übrigens gibt es durch ein aktuelles Grassinterview eine ähnliche Diskussion, sehr interessant, wie sich der israelische Botschafter dazu äußert:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1546576/

Außerdem sollte man hier in der Diskussion mal zwischen der Person der Diskutanten und den von ihnen vorgetragenen Standpunkten klar unterscheiden. Letzteres darf man vehementest angreifen, ersteres nicht.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: AndréM am 05. September 2011 - 16:01:17
Zitat
Einem Land vertraglich auf den Tag genau eine Entlastungsoffensive zu versprechen und darauf zu drängen jegliche Verhandlungsversuche seitens der Deutschen abzuschlagen und DANN zuzusehen wie eben jenes Land verblutet.. das würde ich sehr wohl als vorsätzlichen Verrat auffassen. Polen wurde bewust ans Messer gelíefert; aber hey, das kann ja unter Umständen auch nur Realpolitik sein- sehr klug also von den Allierten, wie du schön ausgeführt hast.

Schau dir die Außenpolitik Westerwelles an und du siehst aktuell wie es zu solchen Entscheidungen kommen kann.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: J.S. am 05. September 2011 - 16:23:27
@andre:sag ich doch die ganze Zeit  ;)

@Mansfeld: Eine Steilvorlage haste drin, aber seis drum. Im Grunde ist die Diskussion gut zu nen Ende gebracht und ich stimmte dir gerne zu!
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Ursus Maior am 05. September 2011 - 17:14:34
@AndreM
Danke, der Verweis auf die aktuelle Politik wollte noch in den Post, aber über eine Pause hab ich ihn dann vergessen.

@Mansfeld

Zitat
Wären sie es gewesen, hätten Amerikaner und Briten beim Einmarsch ins Reich sich nicht um die Versorgung der Zivilbevölkerung gekümmert, sondern mal angefangen, zu entgermanisieren. Um etliches schlimmer ist das Wüten der Roten Armee, mir Massenvergewaltigungen und Ermordungen, aber nach 1945 wurde dann auch nicht die Sowjetzone systematisch entvölkert und mit Slawen neu besiedelt. Was hätte das Dritte Reich in der gleichen Situation getan?

Danke, das fasst meine Auffassung gut zusammen!
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Murphy am 05. September 2011 - 17:27:56
Zitat
@Mansfeld

Zitat

 (http://wcf/icon/quoteS.png) Zitat

 Wären sie es gewesen, hätten Amerikaner und Briten beim Einmarsch ins Reich sich nicht um die Versorgung der Zivilbevölkerung gekümmert, sondern mal angefangen, zu entgermanisieren. Um etliches schlimmer ist das Wüten der Roten Armee, mir Massenvergewaltigungen und Ermordungen, aber nach 1945 wurde dann auch nicht die Sowjetzone systematisch entvölkert und mit Slawen neu besiedelt. Was hätte das Dritte Reich in der gleichen Situation getan?

Danke, das fasst meine Auffassung gut zusammen!
War es nicht auch so, dass die Alliierten nicht zuletzt daran interessiert waren, eine Pufferzone gegenüber dem jeweils anderen aufzubauen? (Also die Westmächte gegenüber der SU und umgekehrt.)

Wollten Patton und einige andere westalliierte Generäle nicht sogar Teile der Wehrmacht unter Waffen halten/umgehend wiederbewaffnet um \"der roten Bedrohung\" besser gegenüber treten zu können?
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Ursus Maior am 05. September 2011 - 18:42:38
Zumindest die Führungen der westlichen Armeen waren davon überzeugt, dass ein Krieg mit der UdSSR rasch folgen würden. In diesem Zusammenhang wurde auch an eine schnelle Remobilisierung Deutschlands gedacht, ja. Patton gehörte zu den Wortführern hinsichtlich eines Konfliktes mit der Sowjetunion. Die Sache mit der Pufferzone ist etwas komplizierter. Es gab jede Form von Vorstellung, was mit Deutschland zu geschehen habe. Der Pufferstaat war nur sehr kurz im Gespräch, weil viele im Westen befürchteten, eine Demilitarisierung und Zwangsneutralisierung, die ja auch auf diplomatischer Ebene hätte erfolgen müssen, würde de facto einem zweiten Versailler Vertrag gleichkommen. Außerdem wurde die deutsche Industrie (nach eine Wiederaufbau) als entscheidend für die europäische Wirtschaft erkannt. Man entschloss sich daher im Westen früh die drei Zonen sich vereinen zu lassen und die neue Nation in das westliche Bündnis zu integrieren. Die NATO wurde ja 1949 gegründet, Brüsseler Vertrag und European Conference on Federation waren schon 1948. Adenauer war da genau der richtige Mann für.

Der Weg der Neutralität wurde dann ab Mitte der 50er von Österreich beschritten, das zunächst auch geteilt war. Der Preis war die Bündnisfreiheit. Wirtschaftspolitisch war Österreich aber auch eine andere Nummer. Das Land blieb aber diplomatisch wichtig, weil es als Vermittler fungieren konnte.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Florian am 06. September 2011 - 01:36:01
Zitat von: \'Thomas Kluchert\',index.php?page=Thread&postID=93473#post93473
@ Florian

Zitat
Es gibt eine demokratische Form des Sozialismus [...].

Ach ja? Wo findet man diese denn praktisch verwirklicht?

Zitat
Und ein anderes wirtschaftliches System zu präferieren ist nicht verfassungsfeindlich, [...].

Nein, das ist es nicht. Sozialismus ist aber mitnichten nur ein anderes wirtschaftliches System, es ist ja viel mehr ein Gesellschaftsentwurf mit einem ganz eigenen Menschenbild. Und da wirds eben langsam kritisch.
:offtopic: Nun, wir kommen etwas vom Thema ab, aber ich würde z.B. die Skandinawischen Ländern- v.a. Schweden in den 60er u. 70er Jahren als sozialistische Gesellschaften betrachten. Und demokratisch waren die allemal. In der Tschechoslowakei hat man es versucht, wurde aber von den Stalinisten niedergemacht (wörtlich). In Deutschland, wie ich schon sagte, vertrat die SPD lange (und hat ihn noch im Programm) einen demokratischen Sozialismus und hat auch Teile eine sozialistischen Agenda in die Politik in der BRD eingebracht (Arbeitszeitverkürzung, Mitspracherechte der Belegschaften, Öffnung des Bildungssystems usw.).

Viele Amerikaner würden übrigens sicher auch behaupten, dass wir hier in Deutschland schon im Sozialismus leben. :D

Zur Sache mit dem Wirtschaftssystem: Sozialismus ist nicht zwangsläufig mehr als ein Wirtschaftssystem - sozialistische Theorien können mehr beinhalten, müssen sie aber nicht (Marx hat z.B. entgegen allem was so angenommen wird bei der Ausformung seiner Theorie im Kapital fast ausschließlich über Wirtschaftsformen - größtenteils die der Marktwirtschaft bzw. des Kapitalismus - geschrieben und fast nichtsüber irgendwelche Perspektiven oder Utopien). Zuerst und vor allem ist Sozialismus eine andere Form der Ökonomie.
Dass jedes Ökonomische System ein bestimmtes Menschenbild zugrunde legt ist natürlich wahr. Das gilt übrigens auch für die Marktwirtschaft, die in der Theorie den \"Homo Ökonomikus\", den immer rationalen Marktteilnehmer, dessen reale Existenz mehr als fraglich ist ,als notwendige Vorraussetzung hat. Da unterscheidet sich unsere heutige Wirtschaftsweise nicht von jeder anderen, auch nicht von einer sozialistischen. Wichtig ist, dass niemand unter Zwang in ein System gezwungen wird, sei es durch politischen oder (eher die heutige Variante) materiellen Zwang. Daher bedarf es der Demokratie in Staat/ Gesellschaft und Wirtschaft. Letzteres, also die Demokratie in der Wirtschaft wäre übrigens eine Grundvorraussetzung für Sozialismus, auch wenn das weder die Freunde der Marktwirtschaft noch die Freunde der Planwirtschaft je verstehen werden, weil sie sich Wirtschaft nur als hierarchische Veranstraltung denken können... so, genug des Exkurses. :wissenschaftler:
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: AndréM am 06. September 2011 - 10:54:36
Der Witz ist ja, wenn ich ein soziales Wirtschaftssystem habe, dann profitieren auf Dauer alle davon. Man macht halt nur nicht so schnell Gewinne, dafür aber auf Dauer größere. Und gewisse Spekulationsarten wären dann wohl auch Geschichte. Nur dürfte das gewissen Leuten nicht passen, die haben lieber sofort die rat-on-a stick in der Hand, als auf das Spanferkel zu warten.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Mansfeld am 06. September 2011 - 14:58:29
@J.S.: Wenn du willst, kannst du mir die Steilvorlage ja per PM erläutern, jetzt hast du mich neugierig gemacht :D Ist halt ein extrem komplexes Thema, und keiner hier hat die nötige 500-Großrechner-KI- mit-IQ-20000-Denkkapazität, um jeden Aspekt korrekt gewichtet zu haben. Ist mir auch nicht peinlich, wenn man mir ne Lücke in der Argumentation nachweist, dadurch lernt man ja was.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Ursus Maior am 06. September 2011 - 16:41:56
Igit, Neues? Du bist ja eklig? :D

@Israelischer Botschafter
Avi Primorwar von 93-99 Botschafter Israels in Deutschland. Mittlerweile ist er hauptsächlich publizistisch tätig. Ich schätze seine Standpunkte zur internationalen Politik und den bilateralen Beziehungen zwischen unseren Ländern sehr. Er nimmt bei heiklen Themen kein Blatt vor den Mund, kritisiert aber auch nicht taktlos oder im falschen Ton. Seine Kritik an der Politik des eigenen Landes zeigt, allen anderen Meinungen zum Trotze, wie vielschichtig die Politik Israels ist und, dass das Land ein echte, pluralistische Demokratie ist. Das ist für mich der wesentliche Unterschied zu seinen Nachbarstaaten. Auch wenn die schwierige Außen- und Innenpolitische Lage Israels häufig Ereignisse produziert, die uns falsch vorkommen mögen.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: AndréM am 06. September 2011 - 23:59:24
Amen. Vor allem wenn man Freunde hat die dort auf beiden Seiten leben, merkt man, wie einseitig hier teilweise berichtet wird.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: Ursus Maior am 07. September 2011 - 09:35:03
Ja, wobei gerade Zeitungen in Deutschland unheimlich tendenziös berichten. Für oder gegen Israel, aber zu komplexen Standpunkten scheinen Medien nicht mehr fähig zu sein.
Titel: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Beitrag von: J.S. am 07. September 2011 - 12:40:02
Ich denke dieser Artikel fügt sich gut in die laufende Diskussion ein:

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,784452,00.html

darauf wollte ich in den letzten paar Seiten ja eigentlich hinaus  :wissenschaftler: