Sweetwater Forum

Epochen => Tabletop allgemein => Thema gestartet von: tattergreis am 28. September 2020 - 16:55:47

Titel: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 28. September 2020 - 16:55:47
In seinem hervorragenden AAR zur Schlacht von Bassignana
https://wackershofenannodomini.blogspot.com/2020/09/bassignana-27-september-1745-teil-2.html (https://wackershofenannodomini.blogspot.com/2020/09/bassignana-27-september-1745-teil-2.html)
schreibt Pappenheimer:

Zitat
Tabletopspiele weichen erfahrungsgemäß von den historischen Schlachten ab, können aber auch dazu dienen, den Blick für alternative Lösungen zu öffnen.
Dem stimme ich nicht zu.
Und weil Maréchal Davout mich aufgefordert hat, mich zu erklären:
Ich denke, da wird dem tabletop zuviel aufgebürdet/zugesprochen. Ich muss niemandem hier im Forum etwas über die positiven Aspekte in Hinsicht sozialer Aktivität und Anreiz zur Hintergrundrecherche erklären, oder über die Vorzüge/Qualen des Bemalens. Bei der taktischen Analyse stößt TT aber an Grenzen, es ist dafür viel zu wenig Simulation.
Als naheliegendes Beispiel möchte ich die Schlacht bei Waterloo anführen, und zwar nicht nur, weil Maréchal Davout gerade einen Spielbericht dazu postet, sondern weil es ein Paradebeispiel dafür ist, dass jeder interessierte Armchair general / TT-Spieler eine bessere Performance hinlegen zu können glaubt als Napoleon Bonaparte. Dabei ist es egal, ob ein Umfassen der Flanken oder ein schneller Einsatz der Garde zum Durchbruch durch die Mitte angeführt wird, das alles hat in meinen Augen keinen Aussagewert.

Tabletop bedient sich fester Regeln, allein die Siegesbedingungen ermöglichen die Ausrichtung der Anstrengungen auf ein definiertes Ziel. Gerade das Brechen der feindlichen Moral ist manchmal mehr eine Rechenaufgabe als eine Feldherrenkunst.

Es mag so erscheinen, als gäbe TT Anregungen (für mich sind dafür Karten aussagekräftiger) für Alternativen, aber das ist dann nur Schein, weil TT Abläufe vereinfacht. Kriegsspiel unter Anleitung eines erfahrenen Militärs ist da etwas anderes (weshalb ich das Ersetzen des Begriffs tabletop wargaming durch Kriegsspiel ablehne), aber die Zielsetzung zw. TT und KS ist höchst unterschiedlich. Und so würde ich der Aussage zustimmen, dass TTs den Blick für alternative Lösungen beim TT aufzeigen, eine Übertragung in die Militärgeschichte ist aber nicht möglich.

cheers

Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Sens/) am 28. September 2020 - 17:51:14
Ich denke, dass kann jeder sehen, wie er persönlich will, dazu braucht es keiner Belehrungen  ;)
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 28. September 2020 - 18:16:07
Le Maréchal ´at misch gefra´gt.  Dés´alb ´abä isch ´ier ´erumgelabärt.

Ich hab also "mich erklärt", nicht Dich belehrt.  ;)
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Darkfire am 28. September 2020 - 18:18:07
Mhhhh...komplizierte Materie. Ich denke, es hängt immer davon ab, wo das Spiel endet und die ernsthafte Simulation beginnt. Was übrigens auch eine (alte) Bezeichnung für die, gerade historischen, Systeme ist, Strategie Simulation.

Wenn ich ein Bier und Brezel System nehme...vielleicht noch etwas cineastisch angehaucht wie Sharp Practice...dann ist es klar ein Spiel. Oder die Vorgänge stark abstrahiert wie DBMM. Wenn ich aber z.B. ein System wie Johnny Reb 3 nehme, bei dem mir beim Durchlesen schon schwindlig geworden ist, dann wird versucht eine so genaue und realstische Darstellung des Kampfablaufes wie nur möglich zu erzielen...mit genauer Differenzierung der Waffen innerhalb des Regiments, unterscheidlicher Basengröße und ausgefeilten Moralregeln. Vor allem, je mehr "Oldschool" das System ist (wenn schon mal jemand ein Regelwerk aus den Anfangszeiten gelesen hat), desto mehr Wargame-Kriegsspiel ist es.

Grade zu Anfangszeiten unseres Hobbies war die genaue Simulation der Schlacht im Vordergrund gestanden, was die Spielbarkeit stark beeinflusst hat und bisweilen zu echten Auseinandersetzungen am Spieltisch geführt hat, weil alles zu kompliziert und unverständlich formuliert war. Hier würde ich, für diejenigen, die sie etwas mehr einlesen wollen, die Bücher von Charles Grant, Charlie Wesencraft und, nicht zu letzt, Donald Featherstone empfehlen. Gerade Wesencraft hat sich in den 70er Jahren schon für eine Vereinfachung und Abstarhierung der Regeln ausgesprochen. Oder um ein Beispiel aus der Rollenspielecke zu verwenden, bei Rolemaster wirft der Spieler einen Würfel und der Spielleiter sagt ihm eine halbe Stunde später was er getan hat  ;)

Und in den letzten 30 Jahren hat es aber eine Vereinfachung der Systeme  gegeben, welche ganz klar mit Warhammer und DBA angefangen hat. Standardisierung der Einheitengrößen und einfache Regelmechanismen hat zu einer Erhöhung des Spielspaßes und einer Reduzierung der ernsten Simulation geführt.

Was wir heute spielen, ist von den "What If" spielen der 60er und 70er Jahre ganz weit entfernt, wir haben nur noch den Flair (oder neudeutsch Fluf) des Historischen. Selbst die genauste Recherche und das penibelste Bemalen, können nicht dazu führen, das man, unter Vermeidung historischer taktischer Fehler, der Schlacht einen neuen Ausgang gibt, sondern es bleibt nur ein Spiel, das oft von Würfeln entschieden wird.

Eine Sicht auf alternative Lösungen kann es nicht geben, da wir viel zu viele Faktoren ausser acht lassen (müssen). Es kann nur im Rahmen der Regeln, anders ausgehen. Ob das aber einen Rückschluss auf mögliche historische Ausgänge zulässt, nein, das glaube ich nicht.

Meine 2 Cents
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 28. September 2020 - 18:41:03
Genau genommen arbeite ich genau entgegengesetzt der Aussage von Pappe: ich vergleiche meine Gedanken und Erfahrungen beim tabletop mit den in Schlachtberichten gelesenen, und suche dann nach Erklärungen, weshalb die naheliegenden tabletop-Lösungen in der Realität nicht angewendet wurden. Paradebeispiel Angriffskolonne gegen Linie...
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Maréchal Davout am 28. September 2020 - 18:58:17
Erstmal Dank, Tattergreis, dass du das hier nochmal erläutert hast - führt doch schon zu einem interessanten Austausch!

Grundsätzlich gebe ich euch Recht, Darkfire und Tattergreis. Aber Darkfire differenziert ja auch. La Grande Armée ist z.B. nicht nur vereinfachte Wargamer-Fun, sondern hat doch ein paar Dinge ganz gut getroffen. Trotzdem ist es ein Spiel und was Tattergreis sagt, stimmt trotzdem. Aber man würfelt Wetteränderungen, die am Wetter des historischen Tages orientiert sind usw.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Sens/) am 28. September 2020 - 19:44:25
Le Maréchal ´at misch gefra´gt.  Dés´alb ´abä isch ´ier ´erumgelabärt.

Ich hab also "mich erklärt", nicht Dich belehrt.  ;)

Da gebe ich Dir dann wiederum recht  :P
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Pappenheimer am 07. Oktober 2020 - 18:09:29
Genau genommen arbeite ich genau entgegengesetzt der Aussage von Pappe: ich vergleiche meine Gedanken und Erfahrungen beim tabletop mit den in Schlachtberichten gelesenen, und suche dann nach Erklärungen, weshalb die naheliegenden tabletop-Lösungen in der Realität nicht angewendet wurden.
Kann man auch machen.

Vielleicht suche ich auch nur krampfhaft nach einer Erklärung, warum meine Spielberichte etwas auf unserem Blog zu suchen haben auf dem es vielleicht ursprünglich um etwas anderes geht.  ::)
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Decebalus am 08. Oktober 2020 - 11:34:44
Darkfire, sorry, aber ich finde Du hast die Diskussion auf Abwege geführt.

Einfachheit und Simulation sind kein Gegensatz!

Old School-Systeme, die äußerst kompliziert sind, indem sie z.B. einzelne Tote innerhalb einer Einheit berechnen (WRG z.B.) oder den Aufschlagwinkel von Geschützen auf Panzerung in die Berechnung einbeziehen, sind erstmal nur das: kompliziert. Ob ihr Simulationscharakter damit steigt, kann sein, muss nicht. Ein gängiger Einwand gegen den Simulationswert komplizierter Systeme ist 1. dass der Spieler als General mit Details belästigt wird, die ihn real nicht interessiert haben, 2. dass insbesondere durch die völlig klare Berechnungslage der Komplexität Entscheidungen gefällt werden, die real nicht vorkommen.

Ein (Gegen-) Beispiel, (das Davout ja gut kennt): Grande Armee ist ein napoleonisches Brigade-System, d.h. eine Spielbase ist eine ganze Brigade von etwa 3000 Mann. Die Regeln (und ihr Autor) gehen jetzt davon aus, dass der Spieler als Armee-Kommandant nicht selbst entscheidet, welches Bataillon einer Brigade beim Kavallerie-Angriff ins Karree geht. Daher übernehmen das die Würfel: überlebt die Infanterie-Brigade den Kampf hat sie offensichtlich erfolgreich Karree gebildet, wird sie vernichtet, wurde sie nieder geritten. Das ist simpel und eine Simulation. Ob das eine gute Simulation ist, ist eine ganz andere Frage.

DBA ist tatsächlich eine Simulation, was man schon daran merkt, dass auf dem Forum ununterbrochen diskutiert wird, wie realistisch die Interaktion bestimmter Truppentypen ist.

Sage ist ein Spiel. Ein Mechanismus wie die Erschöpfung, die ich beim Rennen bekomme, und die weggeht, wenn ich im Kampf bin (weil der Gegner sie als Bonus einsetzt), ist ein Spielmechanismus und will gar nichts aus der Realität abbilden.

Fazit: Es gibt komplizierte oder simple Spiele, die kriegerische Realität abbilden wollen. Das sind Simulationen. Es gibt Spiele, die wollen einfach nur Spielregeln spaßig umsetzen, das sind keine Simulationen.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 08. Oktober 2020 - 12:25:48
@Decebalus: Ich kenne DBA nicht, deshalb hänge ich vollkommen in der Luft mit Deinem Beitrag.

Meine Kernthese sagt ja eigentlich, dass man mit TT eben nicht Schlachten so simulieren kann, dass man Erkenntnisse für die Realität gewinnt. Es gibt TTs, die vom "echten" Militär verwendet wurden ( ich hab mir erst vor kurzem Dunn-Kempf-Regeln zugelegt), also in gewisser Weise kenne ich Gegenbeispiele zu meiner eigenen These, aber das habe ich ja schon mit Kriegsspiel angedeutet.
Schlachten sind meines Erachtens zu komplex für Simulationen. DBA  versucht das aber anscheinend(?) Müsstest Du mir nicht in meiner Kernthese widersprechen? Nicht, dass ich Dich zu einer endlos langen Diskussion verleiten möchte, aber ich wollte nur sichergehen, dass ich Dich richtig verstehe.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Decebalus am 08. Oktober 2020 - 15:45:29
@tattergreis. Ja, ich widerspreche dir auch.

Erstmal ging es mir aber darum, dass die Frage einfach oder komplex nichts mit dem Simulationscharakter zu tun hat.

Mein Widerspruch wäre, dass viele Regelwerke durchaus den Anspruch haben, Schlachten zu simulieren. Und aus denen kann man auch grundsätzlich etwas lernen.

Selbstverständlich hast Du Recht, dass Kriegsspiel, wie es beim Militär betrieben wird, zur militärischen Ausbildung dient, während Tabletop Spaß machen soll. Damit gibt es einen grundsätzlichen Unterschied. Aber viele Tabletop-Regeln sehen den Spaß darin, dass ihr Ergebnis "realistisch" ist. Und hier nähern sie sich eben Simulationen an.

Ich würde annehmen, dass man mit Grande Armee oder Age of Eagles doch Erkenntnisse zur Schlacht bei Waterloo gewinnen kann. Das mag auf kleiner Ebene sein, etwa wie klein das Schlachtfeld war oder dass eben die Stärke der Truppen bestimmte Möglichkeiten nicht eröffnete.

Der Militärhistoriker Philipp Sabin ist übrigens der Meinung, man kann aus Simulationen historische Ergebnisse ziehen.
https://www.amazon.de/Lost-Battles-Reconstructing-Clashes-Ancient/dp/0826430155 (https://www.amazon.de/Lost-Battles-Reconstructing-Clashes-Ancient/dp/0826430155)
Und seine Regeln sind eigentlich auch nichts anderes als ein grid-basiertes Tabletop-System.

Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 08. Oktober 2020 - 15:53:31
Das Buch kenne ich, ich hab mir auch Spiele von ihm bestellt, dann aber festgestellt, dass ich gar keine Victrix-Figuren und Aventine Zinn dafür brauche. Antike ist aber nur ein Fun-Projekt gewesen (statt Total War eben TT), da hat das nicht gepasst. :)
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 08. Oktober 2020 - 16:34:57
Ich sehe die kritische Frage der Komplexität auf einer anderen Ebene, die Sicht und die Möglichkeiten eines realen Heerführers und die eines Tabletopspielers. Der 10000 Fuß-General kämpft um mehr oder weniger nix, weiß sehr viel über Erfolge und Verluste seiner/ gegnerischen Truppen etc etc. Allein ein Multiplayer mit Hierarchien simuliert imho viel mehr als ein ausgeklügeltes Regelwerk mit einem einzelnen Kommandeur pro Seite.

cheers

Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Sebastian77 am 08. Oktober 2020 - 16:56:20
Halli Hallo,

 soweit ich weiß basierte deutsche Sieg über Frankreich 1940 auf einem Kriegspiel. Der deutsche Vorstoß wurde Simuliert, die dabei durchgeführten Bewegungen und Befehle waren den Kommandoeuren bekannt.
 Dadurch wurde dieser deutsche Angriff so schnell, dass es den Franzosen schlicht nicht möglich war, diesen Aufzuhalten.
1944 fand während der alliierten Invasion in der Normandie ein Kriegsspiel statt, daher waren die deutschen Befehlshaber nicht in ihren Hauptquartieren, die Invasion der Alliierten wurde nicht abgewehrt.
 Das sind die extremen Beispiele, welche mir einfallen.
Weiterhin dient jede Simulation auch dazu, eine Zusammenarbeit einzuüben,  Haltungen, Kompetenzen und Fähigkeiten abzustimmen und eine funktionierende Kommunikation zu etablieren.

 Schwächen des Regelwerkes sollten dabei erkannt und verbessert werden.  In Sebastian Hafners "Die Marneschlacht" sagt " Moltke": So führen wir nicht!
Erst dann schickt er seinen Stabsoffizier los.
General Lee hatte große Probleme, wenn ihm Kommandeure ausfielen, die mit seinem "Spielstiel " vertraut waren, also nicht in der Lage waren,  ausreichend Initiative zu entwickeln. Also im "System Lee" nicht eingespielt waren.
 Market Garden, kein Funkspiel vorher, keine Kommunikation.
Im kleinen kann man auch vom Tabletop lernen.
Meine wichtigste Lektion war, die Aufstellung ist der erste & wichtigste Spielzug. 2. Die Spielregeln kennen hilft auch.


M. f. G .   Sebastian77
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 08. Oktober 2020 - 17:06:29
Gehört m.E. nicht wirklich zum Thema, aber meines Wissens hat die Wehrmacht ein Kriegsspiel unter Leitung von Paulus (später G.Feldmarschall) durchgeführt, um Unternehmen Barbarossa zu üben. Ergebnis war, dass Russland mit den vorhandenen Mitteln nicht in einem Blitzkrieg zu erobern war. Das Ergebnis des KS hat man dann bekannterweise ignoriert und gewissermaßen bestätigt.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Maréchal Davout am 08. Oktober 2020 - 19:37:00
@tattergreis. Ja, ich widerspreche dir auch.

Erstmal ging es mir aber darum, dass die Frage einfach oder komplex nichts mit dem Simulationscharakter zu tun hat.

Mein Widerspruch wäre, dass viele Regelwerke durchaus den Anspruch haben, Schlachten zu simulieren. Und aus denen kann man auch grundsätzlich etwas lernen.

Selbstverständlich hast Du Recht, dass Kriegsspiel, wie es beim Militär betrieben wird, zur militärischen Ausbildung dient, während Tabletop Spaß machen soll. Damit gibt es einen grundsätzlichen Unterschied. Aber viele Tabletop-Regeln sehen den Spaß darin, dass ihr Ergebnis "realistisch" ist. Und hier nähern sie sich eben Simulationen an.

Ich würde annehmen, dass man mit Grande Armee oder Age of Eagles doch Erkenntnisse zur Schlacht bei Waterloo gewinnen kann. Das mag auf kleiner Ebene sein, etwa wie klein das Schlachtfeld war oder dass eben die Stärke der Truppen bestimmte Möglichkeiten nicht eröffnete.

Der Militärhistoriker Philipp Sabin ist übrigens der Meinung, man kann aus Simulationen historische Ergebnisse ziehen.
https://www.amazon.de/Lost-Battles-Reconstructing-Clashes-Ancient/dp/0826430155 (https://www.amazon.de/Lost-Battles-Reconstructing-Clashes-Ancient/dp/0826430155)
Und seine Regeln sind eigentlich auch nichts anderes als ein grid-basiertes Tabletop-System.



Ja, ich stimme Decebalus in seinem Widerspruch zu. Grande Armée ist eine Simulation. Da gibt es z.B. auch optionale Regeln, die es noch realistischer machen. Z.B. die Regel zu blown horses (da Pferde oft nicht optimal ernährt und gepflegt waren/sein konnten, hatten sie zumeist nur einen guten Galopp in sich, so dass ihr Wert nach einem Angriff enorm sinkt), das benutzen wir nicht immer.

Witziger Weise wird bei GA das überlegene Wissen des TT-Generals, das Kommandeure im Feld nicht haben konnten, durch einige Faktoren eingeschränkt: Korpskommandeure oder auch nur einzelne Brigaden machen oft nicht was du willst (bestimmte Zwangsbewegungen in der Nähe des Feindes über Würfelwürfe führen dazu oder die Persönlichkeit bestimmter Untergebener).
Auch die Tatsache, dass man einfach sehr viele Brigaden in seiner gesamten Armee hat und der Gegner auch, führt dazu, dass man weniger schaut, wie stark wirklich die einzelne Einheit gegenüber Brigade 27 ist, sondern im Großen denkt.

Also kann man über GA meiner Meinung nach eine Menge davon lernen, womit sich ein Feldherr der napoleonischen Kriege beschäftigte (und womit nicht). Wie abhängig man von wechselndem Wetter sein kann, von Einheiten und Untergebenen, die nicht machen, was man will und wie man damit rechnend arbeitet oder wie man seine Taktik daraufhin anpasst.
Auch wie schwerfällig manche Armeen mit komplizierten, veralteten Kommandostrukturen sein konnten im Vergleich zu Napoleons recht moderner Strukur wird ziemlich gut simuliert.

Beim Spielen der meisten Schlachten merken meine historisch versierten Gegenüber und ich, dass man auf die gleichen Probleme trifft, wie die Originale vor gut 200 Jahren.
Sich der Realität zu versuchen, weiter anzunähern, indem man z.B. dem realen Gelände eines Schlachtfeldes noch näher kommt, ist möglich und eine interessante, erwägenswerte Sache.
Am Ende ist es natürlich keine perfekte Simulation, aber doch eine Annäherung, durch die man Dinge über realen Krieg vor gut 200 Jahren lernen kann.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 08. Oktober 2020 - 21:29:03
Und kannst Du mit Grande Armee lernen, wie Napoleon hätte Waterloo gewinnen können?
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Pappenheimer am 09. Oktober 2020 - 09:03:57
Beim Spielen der meisten Schlachten merken meine historisch versierten Gegenüber und ich, dass man auf die gleichen Probleme trifft, wie die Originale vor gut 200 Jahren.
Sich der Realität zu versuchen, weiter anzunähern, indem man z.B. dem realen Gelände eines Schlachtfeldes noch näher kommt, ist möglich und eine interessante, erwägenswerte Sache.
Am Ende ist es natürlich keine perfekte Simulation, aber doch eine Annäherung, durch die man Dinge über realen Krieg vor gut 200 Jahren lernen kann.
Das sind auch unsere Eindrücke und das gilt sogar für weniger oft durchgekaute Schlachten.

Natürlich glaubt man auch manchmal "Oh, das klappt genauso wie es sein sollte." weil man einfach voreingenommen ist.

Aber prinzipiell fühlt sich eine Schlacht schon spannender an, wenn die beiden Seiten A) ihre generellen Charakteristika haben und B) ihre speziellen Charakteristika zur Schlacht (z.B. kleine spanische Bataillone infolge hoher Desertionszahlen bei den Spaniern in Italien).
Ich habe keine Ahnung von GA, aber so wie Du Deine Schlachten beschreibst, scheint mir GA genau das abzubilden.

Schade, dass sowas für meine Zeit eigentlich unpassend wäre, da die Armeen einfach noch nicht so strukturiert waren (vielleicht abgesehen von den Franzosen, die schon in Brigaden Einteilungen kannten). Andererseits geht's ja auch so...  :)
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Riothamus am 09. Oktober 2020 - 09:56:19
Zur Perspektive des Generals und DBA ist anzumerken, dass DBA genau diese Einnehmen will. Phil Barker fragt ausdrücklich, welche Informationen ein General über den Ausgang eines Kampfes erhält und passt die Möglichkeiten entsprechend an. Schön, wenn auch nicht einfach zu lesen ist, dass die Regelmechanismen meist begründet werden. Das viel genannte Schere-Stei-Papier-Prinzip für den Kampfausgang richtet sich nach den Angaben aus der Antike. Auch das Verschieben von Elementen einer Schlachtordnung statt von Einheiten gehört, samt der ebenfalls angesprochenen Frage, was und wieviel ein General entscheiden kann, hierher. Interessanterweise entsteht ein System ähnlich dem der antiken Militärtheoretiker, die ja die griechische Schlachtordnung einfach idealisierten und nach dem -rechnerisch gut nachzuvollziehen- die römische Organisation von den Punischen Kriegen bis in die Spätantike und auch noch in Byzanz entsprach. Ob es klug war, dass System bis zum Ende des Mittelalters auszuweiten ist natürlich eine ganz eigene Frage. Und natürlich kannten auch andere das klassische Vorbild, aber ob es wirklich so einfach auf alle Barbaren auszudehnen ist?

Aber schauen wir auf den Kernbereich. Warum gibt es andere Ausgänge? Zum einen ist da das Zufallselement, dass wegen der oben angesprochenen Überlegung zum Einfluss des Generals recht hoch sein muss. Es sind darin eben auch sehr viele Faktoren repräsentiert. Und dann ist da die Kenntniss der Geschichte: Niemand wird, wenn das Thema Cannae ist, sich so leicht wie die Römer 216 v. Chr. in die Falle locken lassen. Auch der eher technisch interessierte Wargamer wird genügend über eine nachgespielte Schlacht wissen, um nicht zu versuchen, vermeintliche Fehler zu vermeiden. Es ist, wie schon Cicero zu Prophezeiungen feststellte: Ihre Kenntnis verändert unser Verhalten.

Die Simulation einer Schlacht kann also nur dann zu demselben Ergebnis wie in der Historie führen, wenn dieselben Entscheidungen gefällt werden und der Zufall (Clausewitz: Friktion im Krieg; das Steinchen, dass in den Huf des Pferdes gerät und den Boten aufhält) ausgeschaltet wird. Aber das ist dann keine Simulation. Das ist ein bloßes Nachvollziehen.

An dieser Stelle ist natürlich die Frage, was mit Simulation und Nachvollziehen gemeint ist, denn auch ein solches Nachvollziehen als Simulation kann Ergebnisse liefern. Nicht zuletzt wäre eine hierdurch zu beantwortende Frage, ob das historische Ergebnis in einer Simulation möglich bleibt. Wenn dem nicht so ist, wäre die Simulation anzupassen. Gerade bei DBA wird genau hierüber oft diskutiert. Den Begriff Simulation benutze ich hier im Gegensatz zum Nachvollziehen aber so, dass auch abweichende Entscheidungen möglich sind. Es soll ja nicht immer dasselbe sein. Es soll geklärt werden, was auch möglich gewesen wäre, grundsätzlich eine unhistorische, eine militärisch-technische Frage, die Historikern -eine korrekte Simulation vorausgesetzt- allenfalls an die Hand geben kann, ob nicht eine seltsam anmutende Entscheidung vielleicht doch rational war.

(Hier ist natürlich dann auch das grundsätzliche Beweisproblem relevant: Wir können ja nur beweisen, dass etwas nicht stimmt, aber nicht, dass etwas stimmt. Insofern gibt es sowieso keinerlei korrekte Simulationen der Wirklichkeit. Ja, im gesellschaftlichen Diskurs eher eine oft zitierte Plattitüde, mitunter auch ungerechtfertigtes Totschlagargument, aber eben auch tatsächlich bei der Beurteilung einer Simulation zu berücksichtigen. Insofern bin ich natürlich deiner Meinung, tattergreis. Nur weise ich darauf hin, dass eine veränderte Eingabe -veränderte Entscheidungen oder Voraussetzung- zu anderen Ergebnissen führen können muss. Wenn bei Waterloo bewusst Regen und Feuchtgebiete weggelassen werden, ist dies eine solche Änderung, wenn dies unbewusst geschieht, ein Fehler im Szenario, aber nicht unbedingt ein Fehler des Simulationssystems. Gewöhnlich kann ja für Kavallerie unpassierbares oder schwer passierbares Gelände ausgewiesen werden. Doch Vorsicht! Am Vorabend der Schlacht bei Jena dachten die Preußen, dass Napoleon seine Artillerie nicht von der Stadt auf das Schlachtfeld hochbekäme. Bekanntlich gelang es ihm. Er ließ einfach zusätzlich Pferde der schweren Kavallerie vor die Kanonen spannen. Will sagen: Selbst Praktiker übersehen manchmal naheliegende Lösungen. In diesem Fall war die preußische Führung darauf fixiert, die Pferde der Kavallerie möglichst zu schonen, während Napoleon hier einfach als Artillerist dachte. Wir müssten hier also eine Sonderregel für so einen Fall einführen. Aber wann wäre die anzuwenden? )

Wie eingangs zu DBA gesagt, ist dann auch die Frage, was simuliert wird. Saga bezieht sich beispielsweise nicht auf das Geschichtsbild des Historikers, sondern auf das durch die Sagas vermittelte Bild der Geschichte. Es wäre also zu fragen, ob das System den Sagas entspricht, wenn wir einmal darüber hinweg sehen, dass z.B. die Sache mit den Erschöpfungsmarkern ganz klar ein Spielmechanismus ist.

Hier sind wir dann bei der Frage, was ein Regelsystem sein will. Kugelhagel etwa gibt in der Einführung an, sich an Anfänger beim Tabletop zu wenden und ist dementsprechend stärker vereinfachend. Wir werden hiermit also kaum Fragen zu Waterloo oder Cannae klären wollen. Es bliebe aber zu fragen, ob und wenn ja, wozu und in welcher Hinsicht es vielleicht aussagekräftig zu Einzelfragen ist. Hier wäre etwa die Frage nach der Bedeutung des sogenannten FoG of War. Offensichtlich ist der bei Kugelhagel etwas übertrieben, da es schon vor Beginn der betrachteten Zeit Fernrohre gab. Dennoch wird gezeigt, dass die Aufklärung oder ihr Fehlen das Spiel beeinflusst.

Wie schon angedeutet, will ich hier niemandem direkt und fundamental widersprechen. Ich weise nur darauf hin, dass das Thema Simulation sehr viel weiter gefasst ist und noch mehr Probleme bietet.

Die ganze Problematik der Abtrennung dessen, was unser Hobby ausmacht vom militärischen Kriegsspiel durch H.G. Wells und sein Little Wars*, die spätere "Vereinfachung" dieser Systeme und ihre Veränderungen ist dabei noch gar nicht betrachtet. Phil Barker hat DBA -den nötigen Hintergrund hat er; sein Buch über die Armeen zur Zeit des römischen Kaiserreichs galt über 30 Jahre als Standardwerk, dass Studenten auch hierzulande empfohlen wurde**- audrücklich als Simulation aufgebaut. Saga bezeichnet sich selbst als Spiel, dass den Spielern ermöglicht eigene Sagas -jedenfalls den Actionteil- zu schreiben. Kugelhagel bezeichnet sich als Spiel, achtet aber eindeutig mehr als Saga auf die Historie. Hier müssen wir also differenzieren und auch berücksichtigen, dass Spiele immer auch Simulation sind, auch wenn nicht immer zu militärischen Fragen. Und seien wir ehrlich. Die Militärs haben ihre diversen Kriegsspiele auch als Spiel benutzt. Zur gar nicht so alten Differenzierung von Spiel und Simulation ist hier im Forum auch schon geschrieben worden.

* Ich beziehe hier für mich auch Floor Games ein. Nicht direkt militärisch, geht es doch um ein Abbild der Welt unter Einschluss des Militärs. Ähnlich wie bei Saga geht es aber um eine romantisierte oder ,besser gesagt, aus damaliger Sicht kindgerechte Welt, was bei den teils kolonialen Themen vor dem Hintergrund des sozialistischen Parlamentsmitglieds aus heutiger Sicht recht seltsam anmutet.

** Jedes Werk hat seine Zeit und in der Neuauflage ignoriert er einige Ansätze, die die Wurzeln der Militärgeschichte neu denken wollen, um nicht auf heute als unangemessen geltenden Gedanken zu fußen. Kann man diese -wahrscheinlich bewusste- Ignoranz noch nachvollziehen, muss doch darauf hingewiesen werden, dass auch aus wissenschaftlicher Sicht wegen der im Streit teils eher politisch gesetzten Grundlagen*** eine Neubetrachtung angebracht ist, die aber mitunter zu weit getrieben wird, wenn etwa längst widerlegte Thesen aufgestellt werden. Die Sache mit der Political Correctess ist hier oft nur schlecht sitzender nachträglich festgetackerter zeitgemäß erscheinender Überbau. Jedefalls empfinde ich das so. Dementsprechend ist bei der fast unveränderten Neuauflage eine Chance vertan worden.

*** Ein Beispiel wäre der als Feldwebel "aus der Hefe des Volkes" statt als Hauptmann gedachte Zenturio, der in der Regel aus der bevorrechtigten Reihen der Equites stammte, weil im 19. Jahrhundert der gesamte Niederadel sich in der Tradition der römischen Patrizier sah und die Equites als Kaufleute verachtete, während er die Offiziersstellen als seine Domäne betrachtete. Tatsächlich müssen die Funktionen eines Zenturios differenziert betrachtet werden. Schon militärisch gab es verschiedene Ränge von Zenturionen, je nachdem unserem Hauptmann, Major oder Oberst entsprechend. Gesellschaftlich kam einiges auf die Herkunft an. Ursprünglich wurden geeignet erscheinende Veteranen gewählt oder ernannt, wobei wohl auch immer mehr auf die Herkunft geachtet wurde.  In der Kaiserzeit wurde der Rang die Domäne der Equites, die hier neben finanzieller Stärke auch eine Art Dienstadel ausbildeten und ihn sogar als Einstiegsrang zugesprochen erhielten. (Offiziell, aber immer noch vereinfacht: Wer die Erlaubnis bekam, als Zenturio anzufangen, wurde sozusagen schneller und bevorzugt befördert.) Und die gesellschaftliche Funktion der Equites hat sich im Laufe der römischen Geschichte auch verändert. 
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 09. Oktober 2020 - 10:37:43
Diesen Beitrag schrieb ich vor der Lektüre von Riothamus epischem Werk :)
Dass durch die Beschäftigung mit einer Schlacht sich ein Erkenntnisgewinn ergibt, stelle ich ja gar nicht in Abrede, und man sieht ja auch hier im Forum super ausgestaltete Nachbildungen von Schlachtfeldern. Ich denke auch, dass man zum Beispiel bei der Betrachtung der Spielberichte von Maréchal Davout sehen kann, dass Waterloo ein enges Schlachtfeld war.
Man könnte auch mit einem einfachen Kniff die Perspektive von Napoleon (oder besser von Ney) besser darstellen, indem man die alliierten Truppen hinter dem Kamm einfach gar nicht aufstellt.
Und wenn man die Bodenverhältnisse und die meines Erachtens immer vernachlässigten Befehlsstrukturen adäquat nachstellt und sogar die Charaktere der Beteiligten einfließen lässt wie bei HoW, so bräuchte man meines Erachtens noch immer eine Computersimulation, um aussagekräftige Erkenntnisse zu haben.
Wenn ich mich irre, und ein TT in der Lage ist, eine Schlacht in ihrem eigentlichen Wesen zu simulieren, dann wäre meine mittlerweile aufgegeben Suche nach dem Heiligen Gral wider Erwarten doch erfolgreich.

Ich hab Sabin gestern Abend nicht vollständig durchgelesen, und ich bin mir nicht sicher, ob Sabins Regelwerk den Anspruch erhebt, nachprüfbare Erkenntnisse über die Auswirkungen von "anderen Lösungen" zu liefern. Aber ich denke, den Blick auf andere Lösungen zu eröffnen versucht Sabin auch. Also auf jeden Fall ein Argument für Pappenheimers Aussage.

Wie hoffentlich erkennbar, ist mein Satz
-"Und so würde ich der Aussage zustimmen, dass TTs den Blick für alternative Lösungen beim TT aufzeigen, eine Übertragung in die Militärgeschichte ist aber nicht möglich."

eine Einschränkung, aber nicht eine völlige Ablehnung der These von Pappenheimer :

-"Tabletopspiele weichen erfahrungsgemäß von den historischen Schlachten ab, können aber auch dazu dienen, den Blick für alternative Lösungen zu öffnen." ist.
Es ist allerdings eine intensive Prüfung notwendig, ob das Simulationsmodell, also  das Regelwerk, das beabsichtigt und dann auch leistet.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 09. Oktober 2020 - 11:05:55
Zitat
Auch das Verschieben von Elementen einer Schlachtordnung statt von Einheiten

Wie funktioniert das bei DBA bzw. welche Einschränkungen gibt es?
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 09. Oktober 2020 - 11:36:14
Zitat
Auch die Tatsache, dass man einfach sehr viele Brigaden in seiner gesamten Armee hat und der Gegner auch, führt dazu, dass man weniger schaut, wie stark wirklich die einzelne Einheit gegenüber Brigade 27 ist, sondern im Großen denkt.

Ich denke, dass TT insofern einen Simulationseffekt herzielt, als das die Fähigkeit, das Wichtige im Auge zu behalten auch in der Realität einem General einen Vorteil verschaffte. Dir spreche ich da allein aufgrund Deiner Routine einen großen Vorteil in Deinen Spielen zu. Auch Dirk Tietten ist es eben gewohnt, eine große Menge Zinnfiguren geplant über seinen Tisch zu schieben, als Neuling ist man da immer etwas erschlagen.
Gerade die Möglichkeit, einen Gegner zu täuschen und zu verwirren vermisse ich leider in den mir bekannten TTs , da stört der Überblick, den der Gegner über meine Truppen hat  doch sehr.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Riothamus am 09. Oktober 2020 - 11:49:14
Gechrieben nach dem Post von tattergreis um 10:37.

Nicht unbedingt episch. Ich wollte eben aufzeigen, dass sehr viele Aspekte in die Frage hineinspielen und habe dabei meine Position erklärt, damit es nicht so langweilig ist. Ich denke auch nicht, dass die Aufzählung vollständig ist.

Dieselben Ergebnisse wie in der Historie erscheine mir nicht so sehr im Vordergrund. Und Alternativen sind eben nur sehr bedingt für die Historie interessant. Letzteres bringt mich irgendwie zwischen die beiden zitierten Aussagen. Wir brauchen eine zu klärende Frage. Und dann eine dazu passende Simulation. Andere Erkenntnisse historischer Art sind Zufall.

Spiel und Simulation, dass sollte ich vielleicht zur Klärung noch ergänzen, sind für mich kein Widerspruch. Wenn nicht einfach ein vorher gegebener Ablauf als Nachvollziehen vorausgesetzt wird, dann sind sie immer eine Mischung von beidem. Je nach System eine unterschiedliche Mischung. Die eine mag fast ganz Spiel sein, enthält aber auch Simulation. Und ob eine professionelle Computersimulation keine Spielelemente enthält, bleibt zumindest zweifelhaft. (Dass Vieles nur mit einem Computer zu rechnen ist, widerlegt weder die Nützlichkeit des Kopfrechnens noch der handschriftlichen Rechnung.)

Und ja, die Befehlsstrukturen und unterschiedliche Strukturen beider Seiten! Überhaupt, die Befehlsausführung. Wieso wird ein Befehl nicht fortgesetzt? "Marschieren sie in dem Korridor vor und greifen an!" oder "... bleiben auf der anderen Seite des Bachs, aber noch in dem von jenem gebildeten Einschnitt als Deckung, stehen!" Das braucht nicht jede Runde einen neuen Befehl. Wir Wohnzimmergeneräle werden durch die Regeln veranlasst, einen Angriff zu beginnen, anzuhalten und irgendwann, wenn der Gegner real längst vorbereitet und der Schwung verloren wäre, fortzusetzen. Die Frage ist eher, ob ein General nach dem Angriffsbefehl es schafft, den Angriff aufzuhalten und ob der Befehl erfolgreich ausgeführt wird oder wie er scheitert. Aber ich schweife ab.

(Noch ein Aspekt: Warum die Verbündeten die vermeintliche, durch Hügel verdeckte Ausweichbewegung der Preußen nach Rossbach nicht aufgeklärt haben, sondern sofort versucht haben, eine Verfolgung auf die Beine zu stellen, ist sicher nicht durch eine Simulation zu klären, wie sie die meisten Systeme bieten. Wie beim Reisswitzschen Kriegsspiel müssten, um die Situation nachzuspielen, wohl beide Spieler verdeckt Lage und Auftrag bekommen, nicht wissen, um welche Schlacht es sich handelt und das Spielfeld groß genug sein. Aber dann sind die Grundentscheidungen schon getroffen.)
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 09. Oktober 2020 - 12:11:18
Meine Bemerkung bezgl. Deines "epischen" Beitrags war nur als Hinweis gemeint, dass ich nicht aus Desinteresse keinen Deiner Gedanken aufgegriffen habe. "Episch" bezieht sich dabei durchaus augenzwinkernd auf die außergewöhnliche Länge Deiner Beiträge  :D
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Riothamus am 09. Oktober 2020 - 13:41:44
Das hatte ich schon so verstanden. :)

Ich hatte aber das Gefühl, dass ich besser noch etwas Erläuterung gebe, bevor ich falsch verstanden werde. Das Episch hatte ich nur für die Überleitung aufgegriffen.

Zu DBA: Es sei schon mal gesagt, dass es auch Nachteile hat. Der Spieler ist z.B. nicht unbedingt gezwungen das Base (1 Element= 1 Base) auch als Element zu betrachten. Die Möglichkeiten zur Aktion werden mit 1 W6 ausgewürfelt. Und mit einer Aktion kann im Prinzip die ganze Schlachtlinie bewegt werden, aber auch kleinere Gruppen oder Kolonnen von der Breite eines Elements bis hin zu einem einzelnen Element. Hier gehört auch der Spieler dazu, den Geist der Regeln auszufüllen.

(Die Bewegung -auch, wenn du hieran wohl in erstr Linienicht gedacht hast, an sich ist recht geometrisch, um die reale Bewegung, die ja nicht korrekt durch ein Rechteck abgebildet werden kann, korrekt darzustellen. Barker bezieht in den Regeln immer wieder den Gedanken ein, wie die reale Bewegung abgebildet wird.)

Hinsichtlich der Elemente ist dann wieder die gegenseitige Unterstützung benachbarter Elemente im Kampf wichtig (Würfelmodifikatoren). Natürlich können einzelne Elemente reißaus nehmen, etwa um ein Lager zu plündern. Es wäre sonst ja auch unhistorisch. Ein General konnte seine Kräfte auch verzetteln oder sinnvoll einsetzen. Aber außerhalb der Reichweite des Generals, der sich bei einem Element befindet, verbrauchen die Einheiten mehr Punkte für die Bewegung, was natürlich auch dem Ziel dient, die Schlachtordnung nicht zu sehr auseinanderzuziehen.

Durch das mögliche größere Spielfeld bei 3.0 wird das auf Verlangen der Spieler aufgeweicht, während bei Triumph die Aufstellung im Zusammenhang gefördert wird. Was nicht immer sinnvoll ist: Antike Generäle konnten durchaus auf das Gelände reagieren.

Wer mehrere Treffen darstellen will, sollte größer Spielen und für die Treffen unabhängig den Bruchpunkt bestimmen. Es ergibt manchmal auch Sinn, für die Treffen unterschiedliche Siegbedingungen festzulegen. Aber mit größeren Spielen habe ich wenig Erfahrung.

So gesehen, ist DBA in der normale Größe eigentlich eine Simulation für kleinere Schlachten. (Nach 2.2 stellt ein Element schwere Infanterie 1000-1200 Mann dar. Bei den vorgesehenen 12 Elementen sind das zwischen 12000 und 14400 Mann, was für viele Schlachten ausreicht. Aber Phil Barker regt auch dazu an, einen anderen Maßstab hinsichtlich der Stärke zu verwenden und für das Nachspielen von Schlachten sind es eigentlich nicht die festen Zahlen der generischen Listen, sondern die Umrechnung der tatsächlichen Zahlen, die in sinnvoll gewähltem Maßstab die Aufstellung ergeben. (Der Stärke-Maßstab für die 12-Element-Armeen der Listen ist nach dem Geländemaßstab angegeben.)

Es kommt hier eben, wie bei vielen Systemen, darauf an, ob die Spieler die Regeln ausreizen oder sie historisch korrekt anwenden. Was das regeltechnische Knöpfchenzählen betrifft, dass für Turniere und generische Spiele seine Berechtigung hat, muss für ein historiches Szenario eben auch mal eine Sonderregel eingeführt und getestet werden, wie anhand der Treffen erwähnt. Bei Eintreten eines bestimmten Ereignisses könnte ein Kontingent die Seite wechseln. Dies ergibt eben nur bei bestimmten Schlachten Sinn.

Das ist natürlich nicht perfekt. Aber es wurde die antike Sichtweise genommen, die Elemente betrachtete und es ist flexibel genug, um da, wo einzelne Teile abgetrennt marschierten oder -bei den Römern kam das teilweise vor- Einheiten doch als Einheiten eingesetzt wurden, zu funktionieren. Es wurden eben nicht Bataillone verschoben, sondern Schlachtlinien eingeteilt, um sie zu ordnen und eine passende Hierarchie zu erstellen, damit es keine formlosen Massen waren, sondern gewisse Befehlsmöglichkeiten erhalten blieben. Insofern war es theoretisch, dass meist durch Unterbefehlshaber eine Zwei- oder Dreiteilung entstand, die selbständiger agieren konnten, als nur die Schlachtlinie aufrecht zu erhalten. Und für solch grobe Unterteilungen sorgen bei DBA schon Gelände und Schlachtpläne.

Hier sind wir dann wieder dabei, was simuliert werden soll. Bei PBI steht beispielsweise die Waffenwirkung im Vordergrund, während die Bewegung über die Quadrate abgehandelt wird, die ansonsten der Feststellung eben jener Wirkung dienen. Bei DBA ist es die Sichtweise eines antiken Generals. Bis hin zu den Bestandteilen der Armee, die eben keine modernen Einheiten sind. Auch andere Systeme nutzen Elemente. Hier wirkt der Unterschied sich stärker aus, weil es weniger sind. Wenn ich Spiele überlege ich zumeist, wie ich die Linie behalten oder aufbauen oder an den Gegner heranführen kann und nicht, wie ich einzelne Bataillone effektiv einsetze. Und genau das ist eben ein Unterschied zu der Kriegführung seit Aufteilung einer Armee auf mehrere Haufen. Daher ist, nebenbei bemerkt, auch das von vielen als für ein Spiel zu komplex empfundene Bewegungssystem für ein Spiel gerechtfertigt.

(Nach vielen der genannten Militärtheoretiker bestand die Infanterie der Schlachtlinie aus 4 Elementen. Ebenso die leichte Infanterie. Hinzu kamen -nach der reinen Lehre- zwei Elemente Kavallerie an den Flanken. Natürlich gab es Besonderheiten: Elitetruppen wie die Heilige Schar Thebens oder Besonderheiten wie Elefanten, die als eigenes Element betrachtet werden müssen. Und nicht immer stimmte die Gewichtung. Da sind die 12 Elemente für die generischen Listen zur Abbildung schon passend. Bei anderen Autoren kann man aber auch auf 14 Elemente kommen, wenn ich es richtig im Kopf habe. Ich schreibe das alles aus dem Gedächtnis, weil ich gerade nicht ohne Gehhilfe hin- und herlaufen kann und damit Bücher schlecht tragen kann.)

(Aufgrund der gewählten Größe der Zenturien und Kohorten, konnten die Römer ihre Schlachtlinie entweder im Sinne der Militärtheoretiker nach griechischem Vorbild einteilen oder nach den Einheiten. In der Spätantike ging das Letztere anscheinend verloren.)

(Beim Befehlssystem hat Barker übrigens laut Angabe in den Regeln auf möglichst ähnliche Ergebnisse wie bei elaborierteren Systemen geachtet.)
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Pappenheimer am 09. Oktober 2020 - 13:57:27
Gerade die Möglichkeit, einen Gegner zu täuschen und zu verwirren vermisse ich leider in den mir bekannten TTs , da stört der Überblick, den der Gegner über meine Truppen hat  doch sehr.
Dann ist ja vielleicht doch die von euch "gescholtene" Unübersichtlichkeit in meinen Spielen ein ganz guter historischer Aspekt, der wiederum für die Spiele spricht.  8) ;D
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Riothamus am 09. Oktober 2020 - 16:01:37
Mein letzter Post wurde noch etwas ergänzt. *unschuldig guck*

Was die Unübersichtlichkeit angeht, so gab es ja auch Generäle, die auch während der Schlacht noch in die Bataillone hineinregieren wollten. Wellington soll so ein Fall gewesen sein und Cäsar berichtet zu einigen Schlachten ähnliches.

Bei unseren begrenzten Schlachtfeldern ist eine Täuschung (außerhalb des Sichtbereichs!) ohne Schiedsrichter natürlich schwierig darzustellen.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: newood am 09. Oktober 2020 - 16:57:42
… ich denke die Schreiber von Regelwerken und die Hersteller
von  Tabletop - Wargames geben sich schon viel Mühe, damit
es sich nach "Wirklichkeit" anfühlt.

Wo all diese Werke ihren Haken haben, wird ja doch erkannt,
zumindest kommt man zu dem Schluss, wenn man die Beiträge
hier hintereinander beim guten Shiraz ließt.

Ich selbst spiele auch gerne CoSims wo fest steht, wo man hin
muss und " … wann der Tag uns gehört"!

Als gute Beispiele sehe ich hier "Gettysburg" und "Raid on St Nazaire" von
Avalon Hill.

Bei beiden Nummern steht fest was geht und hier weiß man, was man bis zu
einem bestimmten Zeitpunkt "Packen" muss, damit es gut wird.

Bitte nicht falsch verstehen, natürlich stellen die Spieler auch beim Tabletop
nur das an Einheiten auf den Tisch, was da war und wo es ins Gefecht einge-
griffen hat.

Dennoch habe ich immer wieder bei einem Tabletop das Gefühl, dass es etwas
mehr Freiheiten gibt, weil die Szenarien auch hierzu den Raum geben und nicht
eng festlegen, bis wann welcher "Meilenstein" erreicht sein muss, damit es nicht daneben geht. 

Diese, zumindest von mir so gefühlte Freizügigkeit, war übrigens einer der Gründe, warum ich auch sehr gerne Tabletop spiele.

Es sieht einfach imposanter aus, wenn sich schön bemalte Armeen auf einem ent- sprechend gestalteten Spielfeld gegenüberstehen, was nahtlos auch ins Miniwunder-
land Hamburg passen würde, als ein Spielbrett mit Pappmarkern, auf denen man nur  die gängige Nato Symbolik, oder ein kleines Strichmännchen sieht.

mfg
micha / newood / mpr. papertigers
09.10.2020
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 21. Oktober 2020 - 15:28:01
Da ich keinen neuen thread aufmachen möchte, hier noch eine Zusatzinformation, zumal mir auf niederträchtigste  ;) Weise in PMs unterstellt wird, ich mag bestimmte Regelwerke nicht:

ich mag eigentlich keine (Spiel-) Regeln in meinem Hobby, ich verstehe, dass sie notwendig sind, aber ich hasse es wenn mein Bewußtsein von Kalkulationen bzgl. notwendiger Treffer bis zum Moraltest oder Erreichen der Siegpunktzahl beeinträchtigt wird.

Ohne jeglichen Bezug zu einem aktuellen Spielbericht von einem angesehenen Forumsmitglied möchte ich nur meine Reaktion auf eine taktische Situation nennen:
"Es gibt keine Flankenangriffe auf Kavallerie."
Ist vielleicht nicht gleich nachvollziehbar, aber was dahinter steckt ist Folgendes:
Beim Kriegsspiel von von Reisswitz aus dem Jahr 1824 steht in etwa (ich habs nicht vorliegen), dass Kavallerie sich nicht in der Flanke angreifen lässt, sondern ausweicht. Kriegsspiel arbeitet mit einzelnen Schwadronen, und je kleinteiliger die Elemente, desto beweglicher sind sie ja.

Und ja, es gibt historische Beispiele für gelungene Flankenangriffe auf Kavallerie.

In den Regelwerken, die ich kenne, gibt es immer Boni für Flankenangriffe. Die realistische bzw realitätsnahe Darstellung von Kavalleriegefechten ist gelinde gesagt komplex, und damit man irgendwas mit seinen Figuren anfangen kann braucht man Vereinfachungen.

Und trotzdem denke ich oft: In der Realität war das aber glaub ich anders.

Es gibt natürlich Abstufung, manche Dinge find ich durchaus absurd, aber ich wollte BP nicht explizit erwähnen.

Ich hab schonmal TT ohne Regeln gespielt, beide Spielpartner haben sich über die taktische Situation und Truppenqualität unterhalten, sich auf die Wahrscheinlichkeit  von plausiblen Ergebnissen geeinigt und mittels Würfelwurf ein beidseitig akzeptables Ergebnis herbeigeführt. Oder gegeneinander gewürfelt und dann diskutiert, was das jetzt heißt. Und da beide Opponenten sehr viel älter als 10 Jahre waren, hat das ganz gut funktioniert.

Fazit: mein Anspruch an Regeln ist unerfüllbar, meine Kritik an bestehenden Regelwerken sollte deshalb nicht persönlich und oder allzu ernst genommen werden, bin halt so.

cheers

PS ja ich male auch Figuren an und laber nicht nur doofes Zeuch
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Frank Bauer am 24. Oktober 2020 - 10:08:49
Männer, das ist ja alles ganz interessant und schön, dass mal wieder im Sweetwater diskutiert wird.
Aber ich verszehe den Sinn der Diskussion nicht. Wozu die Frage, ob Wargaming in irgendeiner Form die Realität echten Krieges abdeckt?

Mögliche Antworten auf diese Frage sind meines Erachtens:
1) Ihr sucht eine Entschuldigung dafür, dass ihr eure Freizeit mit Spielzeug und Spielen verbringt. Steht einfach dazu. Denn meiner Meinung nach ist es nichts anderes. Man kann einen Simulationsansatz hineininterpretieren, aber wozu?
2) Die Soziologische Deutung. Gemäß vieler Soziologen stecken in uns allen archaische Grundmuster, zum Beispiel das des Kriegers. Das muß irgendwie, möglicht sozialverträglich, kompensiert werden. Einige spielen daher Fußball und "kämpfen" dabei gegen eine andere Mannschaft. Oder schauen anderen dabei zu, wenn die eigene Wampe nicht mehr zuläßt. Wir führen Plastik- und Zinnmännchen in die Schlacht.  Das ist eine sehr schöne und friedliche Art, das Kriegergen zu befriedigen. Auf jeden Fall besser, als sich vor dem Fußballstadion gegenseitig auf die Fresse zu hauen. Aber mehr auch nicht, keine ernsthafte Simulation, keine Wissenschaft.

Fazit: Jungs, wir spielen Spiele. Wir sind dabei keine Wissenschaftler, auch keine kleinen. Und Generäle schon gleich gar nicht.
Das nie zu vergessen hilft, auch und vor allem am Spieltisch.

Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 24. Oktober 2020 - 10:39:15
Ich hab schon mehrmals geschrieben, tabletop is what you make it. Wargaming is ein Schritt beim amerikanischen Stabsprocedere MDMP (military decision making process), mit DunnKempf haben die Amis am Spielttisch probiert was sie später mit realer hardware im Gelände geübt haben. Man kann schnelles Entscheiden durchaus üben, dafür war "Kriegsspiel" gut, bei DunnKempf ist das nicht anders, und vielleicht würde eine Schachuhr manchem TT-Spiel guttun. Ein akzeptabler Plan jetzt ist besser als ein guter Plan morgen.
Aber ich möchte Dir gar nicht widersprechen. Schach ist auch ein Ersatz für Krieg bzw. Ausdruck  männlichem Konkurrenzdenkens. Watt ja nüscht schlechtes iss
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Jens von Tabletop Generals am 24. Oktober 2020 - 10:40:31
Hallo Frank, so kann man das sehen und es ist ja auch schön so. Ich sehe es in einigen Punkten anders.
Wenn man nur Miniaturen über die Platte schiebt, die man vorher gebaut und bemalt hat und nur einen schönen Tag mit Kumpels beim Zocken verbringt stimmt das ja auch. Hat keine Bewandnis und ist just for fun.
Wenn man aber, so wie du HYW macht, kann man ja schon schauen ob die Regeln das wiederspiegeln was geschehen ist. Nicht unbedingt als Simulation, sondern ob es sich richtig anfühlt. Sobald man dann historische Kampagnen oder Schlachten spielt und da vvorher noch Bücher drüber gelesen hat kann es schon sein das man plötzlich feststellt das es sich nicht mehr so toll anfühlt.
Ich hoffe ich konnte das einigermaßen erklären.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Riothamus am 24. Oktober 2020 - 16:32:17
Die meisten hier dürfte zu einer Generation gehören, bei der Spielrunden ein Faktor der Sozialisation sind. Viele werden darüber hinaus die Erfahrung gemacht haben, dass es auch bei Spielen ab und an einer intellektuellen Herausforderung bedarf, dies anderen wieder zu anstrengend ist. Früher gab es die, die ab und an mal eine Partie Schach spielten und die evt. sogar einmal im Jahr die Schachübertragung im WDR sahen. In den 90er Jahren gab es hier einen Bruch. Schach wird in der Regel sportlich betrieben und kaum als Spiel. Dadurch gibt es wesentlich weniger Spieler in meiner Leistungsklasse, um es mal so zu nennen. Die einen studieren es geradezu und befinden sich heute unter den Spielern in der Mehrheit, während die anderen, heute weniger Spieler, es als Vergnügen spielen und nicht jede Eröffnung bis zum 40. Zug auswendig kennen.  Ich bin sicher, dass sich das Verhältnis auch wieder umkehrt und es muss nicht in jeder Region dieselbe Entwicklung sein. Ähnliches kann man selbst bei Skat beobachten.

Beim Wargaming ist dies kein so großer Gegensatz wie bei anderen Spielen. Dafür kommen hier als Hintergrund die Geschichte und die Mechanismen des Krieges hinzu. Mit entsprechender historischer Vorbildung, geht man anders an die Sache heran, als ein Spieltheoretiker. Wer speziell an den Abläufen im Krieg interessiert ist, wie ein Offizier, der wird wieder eine andere Herangehensweise haben. Vierte suchen auch einfach eine Unterhaltung auf einem gewissen Niveau und mit genügend Abwechslung (ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Geländebau, Malen, Spielen, Recherche, Fachsimpeln und eben auch die Nachstellung historischer Situationen). Für mich gehört alles dazu.

Zur Zeit Fachsimpeln wir eben wieder über die Möglichkeit der Simulation. Ich würde nicht Frostgrave und Saga in meiner Sammlung haben, wenn ich nicht auch mal einfach an Unterhaltung interessiert wäre. Dabei führe ich gerne ins Feld, dass sich Saga eben an den Sagas orientiert, also eine andere Sichtweise der Historie verarbeitet. Ich habe keine Ahnung, ob sich dafür noch jemand im Forum interessiert. Aber im Gegensatz zu vielen anderen, rührt mein Interesse an der Geschichte nicht nur aus der Philologie her, sondern bezieht auch die Archäologie und -hier entscheidend- die Ansätze der Ethnologie und Völkerkunde (definiert als die Beschäftigung mit der eigenen Gruppe von als Einheit gesehenen Ethnien; mit dem, was einige befürchten hat dies Fach heute nichts mehr zu tun) mit ein. Da ergibt sich nämlich plötzlich die Frage, was es bedeutet, dass die Sichtweise des Kriegs im 13. Jahrhundert in den Sagas (oder auch in höfischen Epen) so und nicht anders war. Beeinflusste das reale Entscheidungen, wie es ja von der biblischen Erzählung lange bekannt ist? Wie wirkte sich das Kriegsspiel auf Entscheidungen im 2. Weltkrieg aus? Und umgekehrt, wenn auch nicht soweit zurückreichend: Wie beeinflussen die jeweiligen Ansichten das Wargaming?

Das wird vielen völlig uninteressant erscheinen und vielleicht die Frage hervorrufen, warum der Rio das so interessant findet. Und genauso ist es m.E. mit der Frage nach der Simulation. Allerdings ist es eine Frage, auf die man bei theoretischer Beschäftigung sofort stößt: Jedes Spiel ist zu einem gewissen Anteil Simulation.

Aber jedes Spiel ist auch Kunst. Kunst kann unterschiedlich beurteilt werden. Voltaire sagte mal, dass jede Art von Kunst gut ist, außer der, die langweilig ist. In diesem Spott steckt viel Wahres. Es kommt auf die Sozialisation und die jeweilige Ausprägung unserer Bildung an, was wir interessant finden. Die Szene, in der in 'Life of Brian' 100 mal 'Römer geht nach Hause' an die Wand geschrieben werden muss, hat für jeden, der Lateinunterricht genossen hat, einen wesentlich intensiveren Bezug.

Und genau wie sich jeder für Gemälde anders interessiert, interessiert sic eben jeder anders für Spiele (und Simulationen).

Wenn nun um die Abbildung der Wirklichkeit durch Regelmechanismen diskutiert wird, geht es eben um die Sichtweise auf die Historie, die tatsächlichen Ereignisse. Wer Geschichte nur als halbwegs interessante oder auch langweilige Erzählung sieht, wird dies nicht so nachempfinden, wie jemand, der alle Quellen zu einem bestimmten Problem, einem bestimmten Ereignis kennt, sich per se für Geschichte interessiert und wer sich in erster Linie für den militärischen Ablauf interessiert, wird es auch nochmals anders betrachten.

Hier sind wir aber bei eher technischen Fragen, nicht bei Wissenschaft. Wir diskutieren ja nicht darum, ob Kolonnen durchdrungen werden können, sondern wie dies korrekt dargestellt wird. Und auch die Diskussion hier im Thread ist eher an praktisch Vorhandenem ausgelegt: Wie kann man damit Ergebnisse erzielen, die möglichen historischen entsprechen? Das das nicht 1:1 funktioniert, ist ja jedem klar - das setze ich voraus. Es geht auch explizit nicht darum, dass es "die Realität echten Krieges abdeckt". Bei jeder Simulation geht es um begrenzte Fragen. Hinsichtlich des Krieges hat schon Clausewitz die Unmöglichkeit der Beschreibung aller Faktoren konstatiert, woran sich bis heute nichts geändert hat. Auch professionelle Berechnungen, wie sie in den letzten Jahren aufkamen, berücksichtigen das und gelten immer nur für bestimmte Fälle. Aber kann man so an den Schräubchen drehen, dass es gut genug funktioniert, dass eine oder mehrere Fragen oder Erscheinungen relevant sind?

Was die Kompensation unseres Drangs nach Gewalt betrifft, sehen wir ja an der Leere im Forum während wichtiger Fußballspiele, dass wir da nicht anders sind als der Rest der Bevölkerung. Jedenfalls, wenn wir der gängigen Theorie folgen. Denn dazu gibt es mittlerweile auch ganz andere Ansätze, die viele vermeintliche Wahrheiten verwerfen, weil sie die Rolle der Traumatisierung eigentlich der gesamten europäischen Bevölkerung von Beginn der Geschichte bis 1648 und danach in Kriegszeiten ernst nehmen. Wir wissen, dass wir nicht einfach anders mit Gewalt und Kompensation umgehen. Die Gesellschaft war einfach bis in die 70er Jahre noch durch den Krieg traumatisiert, weshalb ab dieser Zeit die häufigen, ja geradezu regelmäßigen Schlägereien rapide abnahmen. Das ist auch in anderen langen Friedenszeiten zu beobachten. Der vielzitierte Drang nach Gewalt wurde aber mit in traumatisierten Gesellschaften sozialisierten Untersuchungsgruppen festgestellt.

Kommen wir zur Wissenschaft. Hierzu kann ich viel oder wenig schreiben. Nach Kant, kann nicht mehr gesagt werden, dass eine Gruppe von Menschen keine Wissenschaft betreiben kann. Voraussetzung ist, dass diese Gruppe bereit ist, auf dem entsprechenden Gebieten zu Experten zu werden oder solche bereits beinhaltet. Dabei ist auch ein unterschiedlicher Stand der Mitglieder der Gruppe akzeptabel und bestimmtes, zweckmäßiges, begründetes Vorgehen wird vorausgesetzt. Gerade in Teilen der Historie bringen es historische Laien immer wieder auf einen hohen Stand, wozu schon Mommsen trotz aller Dünkel den Grund kannte: Kein Historiker kann alles wissen, weshalb er klug beraten ist, manchmal auch auf Laien zu hören, die eben nur ein oder ein paar Gebiete kennen. Natürlich müssen die allgemeinen Hintergründe beachtet bleiben. Besonders wichtig ist für die Wissenschaftlichkeit die öffentliche und offene Diskussion, also im Netz heute vor allem der Verzicht darauf, unliebsame Meinungen einfach niederzubrüllen. (Ich beziehe mich lieber auf andere Grundlagen, aber das Bundesverfassungsgericht verlangt -es ging wohl um Fragen der Förderung- einen gewissen Kenntnisstand und ein methodisch geordnetes Vorgehen, sowie, wenn ich mich nicht irre, die Öffentlichkeit. Bei manchen Themen ist es einfach hilfreich, sich mal die Interpretation der Juristen anzusehen.) So hoch sind die Hürde also nicht, erst recht ist Wissenschaft keinem geheimen Kult oder einer Gilde vorbehalten. Es kommen noch ein paar Bedingungen hinzu, die aber auch nicht geheim sind. Autoritäten dürfen dabei nicht als Wahrheitskriterium herangezogen werden, wie schon die Namen Pythagoras und Aristoteles beweisen; ihre Argumentation als solche schon. (Ohne die Einführung der formalen Logik durch Aristoteles in der 'Ersten Analytik' funktionierte heute kein Computer.)  Hieran scheitern viele heutige 'offizielle Wissenschaftler', da sie sich auf Autoritäten berufen. Darum kann ich mich auch immer wieder auf Delbrücks Argumentationen berufen, obwohl er in Vielem widerlegt ist. (Da ja viele Schlachtfelder erst kurz nach Herausgabe seiner Schriften kartiert wurden, waren viele seiner Fehler vorprogrammiert.) Ich bemühe ihn nicht als Autorität, sondern schließe mich seiner Argumentation in bestimmten Dingen -etwa beim Erweis der Dolchstoßlegende als Legende- an, während ich ihn für anderes -die Entnahme der wirtschaftlichen Bedingungen der Zeitenwende in Germanien aus dem Deutschland seiner Zeit etwa- kritisiere. Aber es ist auch ein Beispiel dafür, dass das weitere schon umstritten ist. Andere verlegen sich nämlich genau auf die Bedeutung von Autoritäten und ignorieren gegen alle Gesetze der Logik die Gegenbeispiele. Und in den vergangenen Jahren gab es von der Presse wahrgenommene Diskussionen, weil die Archäologie eine offene Diskussion teilweise ablehnt, während Teile der Geschichtswissenschaft ihre Methoden und Maniriertheiten im Prinzip für unangreifbar erklärten, eine Diskussion also ebenfalls ablehnten. (Trojadebatte, Kalkriese-Diskussion) Bei dem Stand, den hier im Forum einige mitbringen oder sich erarbeiten, sind, solange die Argumente gegenseitig beachtet werden und mit Rücksicht auf die eher umstrittene Teile der Definition, einige Diskussionen hier schon wissenschaftlich. Die Frage nach dem Niveau ist dann natürlich noch eine andere. Auch eine wissenschaftliche Diskussion kann ja fehlgehen. (Und es gehört natürlich auch dazu, zu berücksichtigen, wo man sich nicht oder wenig auskennt.)
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 24. Oktober 2020 - 16:59:59
Mir ist nicht verständlich, weshalb Du Wissenschaft ansprichst, was ist der konkrete Bezug zu einem oder mehreren threads in diesem Forum?
Der Begriff Simulation wird in diesem Forum in unterschiedlicher Form verwendet, er umfasst m.E. durchaus ein Spektrum. Wenn einem dies bewußt wird, können auch unterschiedliche Interpretationen nebeneinander bestehen.

Zitat
Wir diskutieren ja nicht darum, ob Kolonnen durchdrungen werden können, sondern wie dies korrekt dargestellt wird.
Ich bin noch immer der Meinung, dass man eine Kolonne nicht durchdringt, höchstens als Einzelpersonen, nicht als Formation.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: Riothamus am 24. Oktober 2020 - 17:18:05
Ja, da sind wir einer Meinung mit der Kolonne. Sie ist nicht zu durchdringen. Ich beziehe mich nur auch auf das Problem der Darstellung auf dem Tisch, wo es -du sprachst von Mikromanagement- es unter Umständen doch sinnvoll sein kann.

Wissenschaftlichkeit kommt durch den Post von Frank Bauer ins Spiel, wenn ich es nicht als rein destruktives Totschlagargument verstehe, was ich jetzt nicht unterstellen wollte.

Was die unterschiedlichen Definitionen von Simulation betrifft, bin ich ganz bei dir, habe aber natürlich bei der Darstellung meiner Sicht der Dinge, meine recht weitgehende Sicht von Simulation gewählt.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: steffen1988 am 09. November 2020 - 12:37:47
Ich bin der Meinung, ein Tabletop kann und soll auch niemals eine Realistische Schlacht nachstellen.

In wie weit man aber da rankommt hängt vom Regelschreiber und der Darstellung von Details ab.
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 28. April 2021 - 17:58:56
Ich denke, dass zukünftige Kriege dem TT näher kommen. Drohneneinsatz und Netzwerkmöglichkeiten bis hin zum einzelnen Soldaten verringern den Abstand zwischen Spiel und Realität.
Titel: Lindybeige, Royal Navy, Rudeltaktik & was hat das mit wargames zu tun?
Beitrag von: Sebastian77 am 30. Mai 2021 - 22:26:20
Guten Abend! 

 Kürzlich bin ich bei YouTube über einen Beitrag von "Lindybeige" gestolpert. Dabei ging es um eine Einheit der Royal Navy, die mit einer Simulation die Angriffsmethoden der deutschen U-Bootwaffe auf alliierte Konvois ergründete & wirkungsvolle Gegenmaßnahmen erdachte.
 Leider hatte ich noch keine Zeit, den ganzen Beitrag anzuschauen,  aber es wird durchaus klar, welche Möglichkeiten eine "gute" Simulation eröffnet.
 Auch der Satz "Wargamer sollten nicht gegen Military Officers spielen" hat mir sehr gefallen. Zuviel Praxiserfahrung schränkt die " geistigen Möglichkeiten " dann eventuell doch etwas ein.

   M. f. G.   Sebastian77
Titel: Re: Was kann tabletop?
Beitrag von: tattergreis am 31. Mai 2021 - 10:54:07
Das waren Mädchen. Die deutsche U-Boot-Waffe besiegt von Mädchen...