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Epochen => Altertum => Thema gestartet von: steffen1988 am 07. Dezember 2014 - 14:48:40

Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: steffen1988 am 07. Dezember 2014 - 14:48:40
Hallo, ich würde gerne folgendes Thema Diskutieren: Der Untergang des Westteils des Imperium Romanum.

Eines der meist diskutierten und umstrittensten Themen der Antike ist der Untergang des Weströmischen Reiches. Häufig werden verschiedene Ereignisse als Zeitpunkt des Untergangs aufgeführt, doch kann man wirklich sagen des der Westteil des Imperium Romanum \"untergegangen\" ist?
(http://data:image/gif;base64,R0lGODlhAQABAIAAAAAAAP///yH5BAEAAAAALAAAAAABAAEAAAIBRAA7)
Schauen wir uns mal diese Ereignisse an, die als mögliche Enden gelten.

476 - Odoaker setzt Romulus Augustulus ab
Im Jahre 476 wird der sogenannte letzte Kaiser Romulus Augustulus von einem Germanischen Heerführer namens Odoaker abgesetzt. Odoaker erklärt sich daruafhin zum \"Rex Italie\" (König von Italien) und wird vom Ostkaiser sogar als Herrscher des Westens anerkannt.

480 - Julios Nepos stirbt in Dalmatien
JuliusNepos war der letzte Kaiser im Westen der vom Osten anerkannt wurde. Er floh nach der Absetzung von Romulus Augustulus 476 nach Dalmatien, von wo aus er bis 480 den Rest des Westreiches beherrscht.

493 - Die Ostgoten oder Theoderich dem großen erobern Odoakers Reich
Nach der sogennanten Rabenschlacht von Ravena setzt Theoderich der Große Odoaker ab und erklärt dessen Herrschaftsgebiet zum seinem Reich. Unter Odaker bliebt bis dahin die alte Ordnung in Italien erhalten, der einzige unterschied war, das es keinen Kaiser mehr gab.

554 - Ostrom erobert Italien von den Ostgoten
Nach knapp zwanzig Jahren Krieg mit den Ostgoten gelingt es den Generälen Kaiser Justinians I. Italien zu erobern, allerdings zu einen hohen Preis. Der lange Krieg hat die Halbinsel stark verwüstet und die meisten überreste der Antiken Kultur werden zerstört. Nachdem die Goten bei einer Belagerung Roms im Jahr 537 die Hauptwasserversorgung zerstört hatten, war das Stadtzentrum dauerhaft nicht mehr Bewohnbar und wurde aufgegeben. Wurde unter Theoderich dem Großen die Antike Römische Kultur noch ein letztes mal gefördert so gab es nun nichts mehr davon. Gleichzeitig wurde der immernoch bestehende Hof des Kaisers im Westen aufgelöst.

568 - Invasion Italiens durch die Langobarden
Die Langobarden fallen in Italien ein und erobern in wenigen Wochen weite Teile Norditaliens. Historisch endet hier die Antike in Italien und die Oberherrschaft des Kaisers von Konstantinopel.

715 - Untergang des Westgotenreiches
Mit der Eroberung Spaniens durch die Araber hört der letzte sogenannte \"Nachfolgestaat des Weströmischen Reiches\" auf zu existieren. Im Westgotenreich blieb die alte Römische Ordnung Spaniens weitestgehend erhalten. Mit der Herrschaft der Muslime endet sie.

Militärisch hatte das Westreich bereits vor 476 keinerlei bedeutung mehr. Betrauchtet man es als Staat, so kann man sagen das es 480 aufgehört hat zu existieren, den wirklich untergegangen ist es nicht, der Staat hat sich viel eher schrittweise aufgelöst. Versteht man unter dem Römischen Reich aber ein Kulturell und teilweise auch Ethnisch zusammenhängendes Gebilde, gelöst von der Existenz eines Staates, so ging der Westteil kulturell erst 554 bzw 715 unter. Während der Herrschaft Odoakers und später Theoderich sowie seiner Erben hatte sich eigentlich sogut wie nichts im öffentlichen Leben der Romanischen Bevölkerung Italiens geändert. Selbst der Senat im Westen wurde unter Odoaker beibehalten und bestand sogar noch lange Zeit fort. Die Absetzung Romulus Augustulus war sogesehen nicht das Ende \"Roms\" als solches, den der wirkliche Untergang des Imperium Romanum als ganzes war das Ende des Byzantinischen Reiches 1454.

Was ist eure Meinung zu diesem Thema? Meiner Meinung nach endet das Westreich als Staat 480, nicht wie meistens genannt 476.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Koppi (thrifles) am 07. Dezember 2014 - 17:54:10
Die Jahre 476 und 480 werden von der neueren antikken Forschung nicht mehr als Epochengrenze angesehen. Heute sieht man vielmehr eine Transformation des Reiches und des Reichsgedanken, als das plötzliche Ende.
Eine Zäsur bildet auf jeden Fall das Ende des ostgotischen Reiches in Italien und die Herrschaft Justinians. Nicht umsonst sieht auch eines der Grundwerke historischer Ausgangsforschung, nämlich Oldenbourgs Grundriß der Geschichte in dem Band Spätantike und Völkerwanderung, genau hier den Bruch.
\"In diesem Sinne kann man Justinians Westpolitik als den letzten Versuch begreifen, den Westen wieder als Raum der res publica oder politeia zurückzugewinnen, ihn unter unmittelbare Verwaltung des Kaisers zu stellen, was er ja in den eroberten Gebieten auch getan hat. Nicht nur damit steht er am Ende der Spätantike. Das Westreich als res publica ging unter; das imperium als mit dem Kaisertum verbundene umfassende Ordnungsvorstellung blieb erhalten.\" (S. 59)
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 27. April 2015 - 18:32:19
Die große Frage ist doch, hat sich unter \"barbarischer Herrschaft so viel für die einzelnen Gemeinden geändert. Die Wahl von Zäsuren und auch ihre Überschätzung durch die Forschung ist ein Grundproblem der Geschichtswissenschaft. Es kommt auf den Blickwinkel an. Vielleicht sollte man auch den Begriff Untergang grundsätzlich vermeiden. Schon allein die Tatsache, dass es mehr als ein Ereignis gibt, das sich als Zäsur anbietet, nährt den Verdacht, dass sich jeweils garnicht so gravierend viel geändert hat, als dass man von einem Untergang ausgehen kann. Letztlich sind alle hier genannten Ereignisse doch eher Schlusspunkte einer langen Entwicklung.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: hunwolf am 03. Mai 2015 - 11:34:59
Für mich kann es keinen Zweifel geben, daß das weströmische Reich schon 476 (spätestens!) zu bestehen aufgehört hat. Die Frage berührt ja keine kulturhistorischen oder juristischen oder ethnischen Felder, sondern ein politisches. Und da hat Odoaker Fakten geschaffen. Für das Ende eines Staatskörpers ist es unrelevant, ob irgendwo noch ein Thronprätendent haust, wie Julius Nepos. Die Westgoten scheiden als Charakteristikum völlig aus, wenn man die heranzieht, dann ist Westrom nie untergegangen, denn die Franken sitzen immer noch in Gallien.
Odoaker hat nicht nur Romulus Augustulus abgesetzt, er hat auch die Reichsinsignien nach Konstantinopel geschickt, und wurde von dort als König von Italien anerkannt. Nichts, was von alten römischen Reich als Verfassungsorgan übrig war, hat ab dieser Zeit noch politisch auf staatlicher Ebene gewirkt. Der römische Senat war ein Stadtparlament ohne Macht, eine römische Armee gab es nicht mehr, Steuern wurden an die aufeinander folgenden germanischen Könige gezahlt usw.
Die kurzfristige Rückeroberung Italiens und Nordafrikas unter Justinian war ja keine Wiederherstellung Westroms, sondern eine Erweiterung des oströmischen Machtbereichs. Dass das römische Recht für Bürger römischer Abkunft noch lange in Geltung war, ist für die Fixierung des Endes Westroms irrelevant.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 05. Mai 2015 - 00:20:37
DEr Argumentation mit der Absetzung des Romulus Augustulus kann ich mich durchaus anschließen. Die Frage nach dem Untergang impliziert aber meiner Meinung nach eine falsche Vostellung, was das römische Imperium überhaupt war. Denn für die allermeisten Gemeinden im Imperium waren sowohl Kaiser als auch politische Institutionen weit weg. Rom war genau da, wo eine römische Garnison stand oder sich gerade der KAiser aufhielt. Ansonsten hat das Eich kaum eine politische Rolle für die Gemeinden vor Ort gespielt. Die hatten ihre eigenen Magistrate, eigen Rechtssprechung, eigene Kulte usw. Ende des Imperiums im Westen trifft es eher als Untergang. Denn im Begriff Untergang schwingt ein totaler Zusammenbruch staatlicher Ordnung mit, den es so nie geben konnte, eben weil die Gemeinden weitestgehend autark waren.

Allerdings meine ich mich erinnern zu können, von einem drastischen Zusammenbruch des reichsweiten Handels gelesen zu haben, der sich anhand archäologischer Funde auf das 5. Jh. datieren lässt. Dies dürfte aber eher ein Prozess darstellen als ein konkretes Datum und auch eher aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen als aufgrund der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Hanno Barka am 05. Mai 2015 - 07:42:09
Man kann Odoakers Herrschaft aber genausogut als eine politische Wiedervereinigung mit dem Ostreich sehen, denn er erkannte sie Oberhoheit von Konstantinopel an und es gibt keinen Hinweis, daß er Italien als von der römischen Welt losgelöstes eigenständiges Königtum sah.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 05. Mai 2015 - 17:59:26
Wenn man so argumentiert, kann man aber auch das weströmische Reich 1806 enden lassen. Die Frage ist doch, hat sich Odoaker auf wesentliche Reichsinstitutionen gstützt, um seine Regentschaft in Italien zu realisieren? ODer hat er eigene Strukturen geschaffen? Ich halte die Rücksendung der Reichsinsignien nach Byzanz eher für eine formale Anerkennung der Oberhoheit des oströmischen Kaisers als für eine Fortführung des westlichen Reiches.

Es fehlt eigentlich eine stringente Definition dessen, was man als weströmisches Kaiserreich bezeichnet. Ein Corpus von Gebieten und Institutionen, die als unveräußerlicher Kern des Reiches anzusehen sind und deren Fehlen es erlaubt, den Untergang des Reiches zu konstatieren.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: hunwolf am 05. Mai 2015 - 18:12:07
@Severus: du argumentierst meiner Ansicht nach etwas am Kern vorbei. Oberaudorf hat auch eine Funktionierende Verwaltung, der Landkreis Rosenheim auch, aber wenn sich die Bundesrepublik Deutschland morgen auflöst, dann ist es nicht von Bedeutung, daß unser Bürgermeister noch amtiert oder der Landrat weiter im Amt ist. Siehe die Aufgabe der Eigenstaatlichkeit der DDR! Oder das Ende des HRR 1806.
@ Greymouse: mir erschliesst sich nicht, wie du darauf kommst, daß mit der Herrschaft Odoakers sich eine Wiedervereinigung mit dem Ostreich ergibt. Generationen von Historikern sind nicht ansatzweise auf diese Idee gekommen, und sie entbehrt ja auch nach allen überlieferten Fakten jeder Grundlage. Es ist ein Unterschied, ob ein König als Föderat oder nach eigenem Recht herrscht. Und da Odoaker als König von Italien anerkannt wurde, war er per se kein Föderat, sonst hätte ihn Ostrom nur als König der Skiren anerkannt. So, wie die anderen Germanenkönige, wie die frühen Westgoten, die Südgallien als Föderaten erhielten, aber nicht als Könige von Gallien oder der Narbonensis oder von Septimanien, sondern nur als Könige der Westgoten.
Und soweit mir bekannt, hat Odoaker an Byzanz nie Heerfolge versprochen oder geleistet, auch keine Tribute gezahlt usw. Es fehlen also alle Anzeichen einer Subordination.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 05. Mai 2015 - 19:11:43
Zitat
du argumentierst meiner Ansicht nach etwas am Kern vorbei. Oberaudorf
hat auch eine Funktionierende Verwaltung, der Landkreis Rosenheim auch,
aber wenn sich die Bundesrepublik Deutschland morgen auflöst, dann ist
es nicht von Bedeutung, daß unser Bürgermeister noch amtiert oder der
Landrat weiter im Amt ist. Siehe die Aufgabe der Eigenstaatlichkeit der
DDR! Oder das Ende des HRR 1806.
Das tue ich gerade nicht. Denn ich glaube, der Denkfehler liet darin, moderne Vorstellungen eines Staatsgebildes auf die damalige Zeit zu übertragen. Die Poleis oder Civitates oder Municipien hatten eine viel weitergehende Autonomie als dies heutige Kommunen hatten. Meist beschränkte sich deren Zugehörigkeit zum Reich auch nur auf den Verzicht eigener Außenpolitik. Nehmen wir einmal den Zusammenbruch eines modernen Staates in der deutschen Geschichte, z.B. das Deutsche Kaiserreich 1918. Hier hatte der Zusammenbruch des Staates tatsächlich gravierende Folgen für die meisten Städte und Gemeinden. Nahezu überall bildeten sich irgendwelche Räte aus der Bevölkerung udn den Resten der alten Verwaltung, schon um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Hier bestand ein Handlungsbedarf bis in die kleinsten Kommunen hinein.

Das ist eine völlig andere Situation als in der Antike. Die meisten Bürger des Reiches werden überhaupt keinen Unterschied gespürt haben, ob nun ein Kaiser in Ravenna saß oder nicht. Entweder weil sie eh schon unter der Herrschaft irgendeines Stammensfürsten standen oder weil die lokal vorhandenen Reichswürdenträger eh schon weitgehend autark von der Zentralgewalt agiert haben. Die Kommunen bedurften auch keiner zentralen Verwaltungsebenen, um Recht zu sprechen und durchzusetzen. Dei römische Herrschaft war nie so tiefgreifend, wie dies etwa heute in einem Staat üblich ist. Das war damals auch kaum möglich.

Ich will darauf hinaus, dass wir die röimsche Geschichte hauptsächlich aus der Perspektive römischer Eliten kennen oder aus der Sicht von romanisierten Griechen und anderer assimilierter Eliten.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Hanno Barka am 05. Mai 2015 - 20:22:30
Ja man könnte sogar 1806 definieren :)  (wenn man unbedingt mag) Und auch wenn Generationen von Historikern sich dazu geäussert haben, es findet in der Geschichtswissenschaft ein Umdenkungsprozess statt. Denn ein römisches Reichsgebilde wie wir es aus der klassischen Geschichtsschreibung kennen gab es nicht. Unser Reichsbegriff fußt auf den Definitionen, die im 19.Jahrhundert durch den Nationalismus entwickelt worden daraus resultiert ein Staatsbegriff, der den Bewohnern des römischen Reiches völlig fremd gewesen wäre. Man könnte genauso gut die EU als das europäische Reich bezeichnen, denn sie ist von der Definition, eines Staates in unserem Sinn mindestens ebensoweit entfern wie das römische Reich. Z.B. gab es im römischen Reich erst durch die Pandektensammlung und Rechtsreform von Justinian eine einheitliche Rechtssprechung - nach (!) dem Untergang des \"römischen Reiches\" - zuvor gabes regional starke Unterschiede welche Gesetzte im Gebrauch waren und wie sie exekutiert wurden.
Auch die Kluft zwischen Römern und Germanen war nicht in der Form existent, wie man im 19. Jahrhundert dachte. Den Germanen aber auch den Römern war damals ethnisch basiertes Nationaldenken fremd. Ob man sich als Römer oder Germane fühlte war  eine kulturelle Angelegenheit, keine ethnische. Durch den Einfluß des Militärs, das seit Severius bis Adrianopel die so ziemlich wichtigste staatstragende Institution des Reiches war und die Germanisierung der Armee entstand auch ein beträchtlicher (ethnisch) germanischer Anteil im römischen \"Realadel\" (ich meine damit Personen die die faktischen Aufgaben einer Adelsschicht im Reich innehatten, auch wenn sie nicht aus Optimatenfamilien stammten) und oft waren es gerade diese ethnisch germanischen Römer, die sich am heftigsten gegen weitere Zuwanderungserlaubnis für Germanen stark machten. Nach Adrianopel verschwamm der reale Unterschied zwischen römischen Bürgern und Föderati noch mehr. Die \"letzten großen Römer\" wie sie die Geschichtsschreibung nennt - Bonifatius und Aetius - beides ethnische Germanen, aber sie kleideten sich nach römischer Mode (die sich von der germanischen nicht besonders unterschied) sprachen Latein und fühlten sich auch als Römer.
Odoaker war Offizier in der kaiserlichen Garde und wurde nach dem Putsch des Orestes zum Kommandanten der Föderati in Italien. Als diese meuterten stellte er sich an ihre Spitze und setzte Romulus Augustulus ab. Er rief sich aber weder selbst zum Kaiser aus, noch installierte er wie Orestes eine Marionette auf dem Thron, sondern schickte den kaiserlichen Ornat nach Konstantinopel mit einem Begleitschreiben, daß man im Westen keinen eigenen Augustus mehr brauche, sondern ich direkt dem Augustus in Konstantionopel unterstelle. Der oströmische Kaiser Zenon erkannte ihn auch als Patricius (d.h. römischen General und Edelmann) an, obwohl es mit Julius Nepos noch einen Thronprätententen gab) Der Kaiserhof Ravenna blieb in Form und Funktion unverändert bestehen und lenkte auch weiterhin die Geschicke des verbliebenen Westreichs, nur stand an seiner Spitze nun nicht mehr ein Augustus, sondern ein Patricius unter der Oberhoheit von Konstantinopel.

Überhaupt ist der plötzliche Zusammenbruch der römischen Zivilisation und das darauf Hereinbrechen des Mittelalters eine Vorstellung des 19. Jahrhunderts das eine zivilisierte Antike und Neuzeit propagierte und dazwischen ein finsteres Mittelalter, in dem die Barabarei ausbrach. In Wirklichkeit gab es aber keine Epochenwechsel in Form von Quantensprüngen, sondern einen langsamen evolutionären Prozess. in Ostösterreich gab es trotz der slawischen Besiedlung bis zum Awareneinfall im 8. Jahrhundert eine römische Verwaltung, die vermutlich den Kaiser in Byzanz als ihren Chef ansah. Die Kanons der mittelalterliche Malerei wurde schon in der Antike im römischen Reich im 4. und 5. Jahrhundert grundgelegt... Mittlerweile gelangt man auch allmählich zur Ansicht, daß das Mittelalter gar nicht so finster und barbarisch war...

Auch in der anderen Reichshälfte ist die Einteilung zwischem antiken Konstantinopel und mittelalterlichem Byzanz eine nachträgliche und künstliche. Die Byzantiner nannten weder sich selbst so noch war der Name Byzanz für das zeitgenössische Konstantinopel gebräuchlich. Sie nannten sich bis zum Fall von Byzanz im 15. Jhdt. Romanoi (römer) obwohl sie zu diesem Zeitpunkt mehr Ähnlichkeit mit den sie belagernden Osmanen als mit den Römern Caesars hatten.

Von daher finde ich es besser nicht vom Untergang oder Zusammenbruch des (west) römischen Reiches zu sprechen, denn es war kein jähes kataklysmisches Ereignis sondern eher ein langsamer Auflösungsprozess in dem neue Staaten entstanden, die teilweise beträchtliche Teile der römischen Kultur übernahmen und weiterentwickelten bis man irgendwann von einem eigenständigen Resultat sprechen kann.

Edith - dem Datum 1806 kann man allerdings entgegenhalten, daß Byzanz zumindest anfangs das heilige römische Reich als selbsternannt und daher illegitim betrachtete und schon Voltaire darüber sagte es sei weder heilig, noch römisch und schon gar kein Reich  :smiley_emoticons_pirate2_biggrin_1:
Sorry für die Teile des Posts die mit dem von Severus deckungsgleich sind, ich hab grad getippt, als er gepostet hat.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Shapur am 06. Mai 2015 - 09:02:09
@hunwolf

Byzanz hat gerne Titel vergeben an Leute, die auf dem ehemaligen Reichsgebiet herschten. Denn so konnte man sagen, das Gebiet gehört noch zu uns, ist aber zur Zeit nicht unter direkter Verwaltung.
Denn wir waren groß und sind es immer noch. :D

Außerdem wenn ein Reich ohne großen Knall untergeht, ist es schwer einen genauen Zeitpunkt für den Untergang festzulegen.
Der Vorgang ist schleichend und selten an Ereignisse festzumachen. Nur weil ich z.B. einen Marionetten-Kaiser habe, besteht das Reich weiter? Dann haben die Mongolen ja nie Gebiete erobert, da sie immer ein paar lokale Fürsten am Leben gelassen haben, um für sie die Gebiete zu verwalten.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Graf Gaspard de Valois am 06. Mai 2015 - 10:05:01
Einen Untergang des Weströmischen Reiches hat es im Sinne eines plötzlichen Ereignisses nicht gegeben!
Diese Entwicklung begann auch schon wesentlich früher als 476 nach Christus!
Ich würde es eher als einen langsamen, schleichenden Prozeß sehen der bereits mit/nach Commodus begonnen hat und sich danach mal mehr, mal weniger schnell fortgesetzt hat!
Die Offensivkraft des Reiches war erschöpft und und den Status Quo aufrecht zu erhalten, war ohne neue Eroberungen auf lange Sicht wirtschaftlich und finanziell nicht zu bewältigen!
476 nach Christus ist möglicherweise das Ende Weströmischen Kaisertums, aber nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Römischen Zivilisation in der westlichen Reichshälfte!
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Goltron am 06. Mai 2015 - 11:19:53
Auch wenn ich den Post von Greymouse sehr interessant finde beginnt er etwas am Thema vorbeizureden was die nachfolgenden Poster auch sehr konsequent fortsetzen. Jedem der sich ein wenig mit der Thematik beschäftigt wird klar sein das der Niedergang der westlichen Reichshälfte ein schleichender Prozess ist der lange vor Odoaker seinen Anfang nimmt und das andererseits durch die Abschaffung eines Staates nicht auf einen Schlag dessen Verwaltung und Wirtschaft zusammenbricht.

Von daher kann die Frage nach den Ende des Westreiches in meinen Augen auch nur eine politische sein denn ein Staat ist nun einmal vor allem ein politisches Konstrukt und kein wirtschaftliches. Und da finde ich 476 als Jahr immer noch sehr passend. Die Reichsinsignien werden nach Konstantinopel zurückgeschickt weil man sie im Westen nicht mehr braucht. Man unterstellt sich direkt dem Ostkaiser. Niemand von Bedeutung widerspricht dem, im Gegenteil: Odoaker wird sogar in Rang und Titel anerkannt.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Shapur am 06. Mai 2015 - 11:32:11
@ Goultron

Die Oströmer haben gerne Gebiete noch zum Reich gezählt, die sie nicht mehr beherschten. Das Verleihen von Titeln war eher diplomatisch zu sehen, als eine Eingliederung in bestehende Verwaltungsstrukturen.
Die Barbaren haben aber auch nach Höheren gestrebt und da war ihnen Anerkennung durch die letzte Supermacht in Europa gerade recht.

In Europa haben die neuen Herscher in der Regel nie versucht ihren Machtanspruch mit der Fortsetzung von etwas Alten zu begründen. Daher hat ein Gotenanführer keine Verwendung für die Insignien der Macht eines eroberten Gebietes, da er gegenüber seiner Machtbasis (hier gotische Soldaten/gotische Gefolgsleuten) eher an Einfluß verloren hätte, wenn er diese genutzt hätte. (Entfernt sich von seiner Machtbasis) Daher kann er den Tand auch gegen Anerkennung eintauschen, besonders da diese Machtzeichen nicht auf das Volk gewirkt haben, sondern nur auf den jetzt entmachteten Adel/Verwaltung.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Goltron am 06. Mai 2015 - 11:56:15
Die Germanenkönige haben sehr lange einen Marionettenkaiser als Legitimation des Staates in ihrem Amt belassen. Erst Odoaker wurde das dann anscheinend zu dumm bzw. befand es als nicht mehr notwendig. Karl der Große hat sein Kaisertum auf das Westroms begründet und dadurch mehr oder weniger legitimiert. Auch später haben europäische Herrscher ihre Macht bei Eroberungen oft dadurch begründet das sie die Krone eines eroberten Reiches angenommen haben.

Odoaker hat weiterhin versucht sein Königstum zu legitimieren indem er sich unter die nominelle Oberhoheit des Oströmischen Kaisers stellte und dieser hat das angenommen damit sein Reich nach mehr aussieht als es ist, da gebe ich dir recht.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Mansfeld am 06. Mai 2015 - 12:10:31
In der Fachwelt spricht man seit der 90er inzwischen von einem Transformationsprozess - Strukturen des weströmischen Staates verschwinden teilweise, teilweise werden sie von nichtrömischen Fürsten in ihr eigenes Herrschaftssystem eingebaut - bestes Beispiel sind die Franken, deren Könige sich anfangs auch als reichsrömische Militärführer definieren. Bzw. ab einem gewissen Zeitpunkt propagieren sie eine Fortsetzung des römischen Herrschaftssystems durch sie. Gleichzeitig bekämpfen sie aber auch andere Machthaber mit dem gleichen Herrschaftsanspruch wie z.B. Syagrius.

Und die hochmittelalterlichen Kaiser sahen sich durchaus weiterhin als römische Kaiser an, und das ist nicht alleine der karolingischen tradition geschuldet.

Andererseits sind viele für einen weströmischen Bürger des frühen 4. Jahrhunderts vertraute Institutionen und Autoritäten um 600 einfach nicht mehr da, oder so umgewandelt (Diözesen sind auf einmal Einheiten der katholischen Kirche und Bischöfe üben Amtsvollmachten von spätrömischen Beamten aus), daß er sie nicht wiedererkennen würde.

Ersetzt Untergang durch Transformation, und dann hat man nicht mehr diese Widersprüche. Der Untergangsgedanke ist eh ein typischer Topos der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, die hat den ein wenig zu oft verwendet, weil sie zwnagsweise in nationalstaatlichen Kategorien ihrer eigenen Zeit gedacht haben.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Gabriel Flavius am 06. Mai 2015 - 12:20:08
Zitat von: \'Goltron\',\'index.php?page=Thread&postID=192406#post192406
Von daher kann die Frage nach den Ende des Westreiches in meinen Augen auch nur eine politische sein denn ein Staat ist nun einmal vor allem ein politisches Konstrukt und kein wirtschaftliches. Und da finde ich 476 als Jahr immer noch sehr passend. Die Reichsinsignien werden nach Konstantinopel zurückgeschickt weil man sie im Westen nicht mehr braucht. Man unterstellt sich direkt dem Ostkaiser. Niemand von Bedeutung widerspricht dem, im Gegenteil: Odoaker wird sogar in Rang und Titel anerkannt.

Ich denke mal wenn ein Staat seine Sigel abgibt kommt es einer Auflösung gleich. Und wenn Ostrom  Odoaker als neuen Regenten von  Italien anerkannt hat ist damit vieles klar. Würde spontan auch sagen dass das West römische Reich so um 476 n.Chr aufgehört hat zu existieren.  Aber ich schlisse mich da Goltron Meinung an. Das der Untergand des Weströmischen Reiches ein schleichender Prozess war. Die Umstrukturierung des Heeres. Dazu kommt noch die Auflösung des Römischen Heeres. In der Spätantike gab es quasi kein stehendes römisches Heer, sondern mehr Söldner die auch schnell mal die Seiten gewechselt haben. Auch innere Unruhen im Reich haben mit Sicherheit zum Untergang beigetragen. Dazu noch der Drück an den Grenzen mit Einfälle von Goten und Hunnen ins Reich.

Das sind mit Sicherheit alles zusammen Prozesse die letztendlich das Reich geschwächt haben und über längere Zeit zum Untergang geführt haben. Ich persönlich vermute aber auch das die Spaltung in Ost und West mit einer der ersten Schritte waren die das Römische Reich schwächten. Denn damit war auch die Einheit weg.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Tumbertor am 06. Mai 2015 - 14:23:56
Hi,

neuerdings wurde der transformatorische Ansatz ( Übergang und kein Untergang ) wieder in Frage gestellt.

Dazu sollte man \"Der Untergang des Römischen Reiches\" von Bryan Ward-Perkins lesen.

Ein Kritik zu dem Buch :

\"Bryan Ward-Perkins unternimmt es, das in den letzten Jahrzehnten in der historischen Forschung erarbeitete Bild der Spätantike und des Frühmittelalters zu revidieren. Er möchte der traditionellen (bekannteren) Ansicht, daß der Untergang des weströmischen Reichs eine gewaltige Kulturkatastrophe war, gegen neuere, kulturgeschichtlich inspirierte Deutungen eines geradliningen Übergangs wieder zur Geltung verhelfen. (...)

Vornehmlich durch die Auswertung von Keramik-Funden stellt Ward-Perkins fest, daß die hochspezialisierte spätantike Wirtschaft teils schlagartig zusammenbrach, teils auch langsam niederging. In einigen Teilen des weströmischen Reichs fielen die Lebenverhältnisse auf einen prähistorischen Stand zurück, der noch unter dem vor der römischen Eroberung lag. (...)

Das Ende des Roms war ein schmerzhafter Einschnitt mit dramatischen Folgen. Ward-Perkins wendet sich gegen eine Geschichtssicht, in der Misserfolge und Katastrophen wegdiskutiert werden.\"

Gruß
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: WCT am 06. Mai 2015 - 17:12:10
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-3-022.pdf

Von der Fachwelt wurde das ganze jedoch eher verworfen.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 06. Mai 2015 - 17:18:55
Zitat
Auch wenn ich den Post von Greymouse sehr interessant finde beginnt er
etwas am Thema vorbeizureden was die nachfolgenden Poster auch sehr
konsequent fortsetzen.
Das Problem besteht darin, für uns eine Zäsur festlegen, die keinesfalls aus der Zeit selbst stammt, sondern lediglich eine Setzung unsererseits ist. Unter einem gewissen Blickwinkel bietet sich tatsächlich die Absetzung des Romulus Augustulus an. Es ist nämlich endgültig das Ende des Prinzipats im Westreich. Mehr aber auch nicht. Zäsuren wählt man anhand der Geschichte, die erzählt werden soll.

Zitat
Das Ende des Roms war ein schmerzhafter Einschnitt mit dramatischen
Folgen. Ward-Perkins wendet sich gegen eine Geschichtssicht, in der
Misserfolge und Katastrophen wegdiskutiert werden.
Ich hab die Argumentation Ward PErkins weiter oben schon angedeutet. Meines Erachtens baut er aber einen Popanz auf. Nämlich, dass die Kritiker des tradierten Bildes vom Untergang des Römischen Reiches den Zusammenbruch von Handel und Wandel und von Zivilisation negiert hätten. Sein Befund bleibt aber den Beweis von Kausalität zwischen dem Befund eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs im 5.Jh. und dem Ende des Reiches schuldig. Dies sind erstmal Korrelationen.

Die Ursachen für den Zusammenbruch können aber auch schlicht darin liegen, dass auf dem Boden des Westreiches massive Machtkämpfe getobt haben. Waren diese Machtkämpfe nun ursächlihc durch das Ende des Reiches verursaht oder war deas Ende des Reiches nur ein Symptom?
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Tumbertor am 07. Mai 2015 - 07:31:45
Zitat von: \'WCT\',\'index.php?page=Thread&postID=192444#post192444
Von der Fachwelt wurde das ganze jedoch eher verworfen.

Hi WTC,

danke für den link, Heather ist natürlich auch ein wichtiger Vertreter der \"Revisionisten\".

Ich glaube, die Diskussion über den \"Untergang des Weströmischen Reiches\" und den Ansturm der \"Migranten\" ( so werden sie neuerdings im Englischen genannt ) ist wohl auch deswegen so leidenschaftlich aufgeflammt, weil sich darin kryptisch Ängste und verzweifelter Zweckoptimismus der Gegenwart spiegeln.

Wer weiß, was uns in den nächsten 100 Jahren so blüht, Transformation wäre noch das angenehmste.

Gruß
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Mansfeld am 07. Mai 2015 - 09:27:26
Interessanter Buchtipp, werde ich mal reinschauen, aber wenn er tatsächlich hauptsächlich auf Keramikanalysen aufgebaute Theorien zur spätantiken Wirtschaft benutzt, bewegt er sich - milde gesagt - auf sehr dünnem Eis.
Archäologische Quellen sind immer nur Stichproben bestehender Gesellschaften, und die Deutung, was eine konkrete materielle Fundlage zum gesellschaftlichen Kontext aussagen kann, ist sehr sehr schwierig und sollte sehr vorsichtig betrieben werden.

Mal angesehen davon, daß die vorhandenen schriftlichen Quellen kein dermaßen katastrophales Bild zeichnen. Und auf die Meinung der Zeitgenossen sollte man eigentlich immer etwas geben.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Yogsothoth am 09. Mai 2015 - 13:56:27
Hallo!

Dies ist wirklich eine extrem mitreißende Diskussion! Die Frage nach den Gründen für den Untergang des Weströmischen Reiches ist für mich eine der Schlüsselfragen in der Geschichte überhaupt.

Schon seit Gibbon ist die westliche Welt vollkommen zu Recht von der Frage fasziniert, ob man aus dem Zerfall der klassischen antiken Zivilisation nicht auch Rückschlüsse für die Betrachtung unserer Zeit ziehen kann oder sogar muss. Natürlich sind immer wieder allzu plumpe Analogien gezogen worden, aber bestimmte Muster drängen den Vergleich ja geradezu auf.

Der jeweilige Umgang mit dieser Frage zu verschiedenen Zeiten ist an sich wiederum sehr aussagekräftig bezüglich des jeweils gerade vorherrschenden Zeitgeistes. Während der Aufklärung war das Christentum die entscheidende Ursache, während des 19. Jahrhunderts fabulierte man von \"jungen germanischen Völkern\", die das morsche Rom hinweggefegt hätten und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Einwirkung barbarischer Invasionen immer weiter heruntergespielt.

Ich sehe auch eine aktuelle Neubewertung v.a. durch angelsächsische Historiker, allen voran Peter Heather. Nachdem zuletzt die Transformationsthese so weit zugespitzt wurde, dass man sich fragte, ob von einem \"Untergang\" überhaupt die Rede sein kann, sieht man jetzt wieder eine verstärkte Betonung der mitunter auch gewaltsamen Umbrüche.

Ich denke über zwei Dinge muss man sich nicht streiten, weil diese ohnehin klar sind. Erstens gab es geographisch und zeitlich viele unterschiedliche Entwicklungen in diesem Prozess, man kann nicht Afrika, England und Italien in einen Topf werfen. Zweitens gibt es nicht EINE Ursache, natürlich handelt es sich um eine extrem komplexe, multikausale Entwicklung.

Aber grundsätzlich stimme ich Heather in wesentlichen Punkten zu, man hat es wohl in der Tat mit einem massiven Zivilisationsbruch zu tun. Innerhalb relativ kurzer Zeit wandelte sich nicht nur die politische Struktur, sondern auch die gesamte Alltagskultur. Das v.a. in den 70er bis 90er Jahren vorherrschende Bild von \"weitgehend friedlicher Transformation\" halte ich für etwas euphemistisch.

Die entscheidende Phase liegt wohl im späten 5. Jahrhundert, ungefähr zur Zeit als Sidonius Apollinaris geschrieben hat. Ob man Odoaker nun noch mit als Weströmer rechnet, oder schon als barbarischen Nachfolger, macht eigentlich keinen großen Unterschied. Ich finde das traditionelle Datum von 476 n. Chr. daher als Richtwert ganz gut. Der justinianische Versuch der Rückeroberung konnte in Italien ja eben nicht an eine fortdauernde Identifikation der Italiker mit dem Imperium anknüpfen, daher würde ich sagen, dass das Weströmische Reich zu dieser Zeit bei den Zeitgenossen kein Thema mehr war.

Und Tumbertor hat etwas auch aus meiner Sicht sehr Wichtiges herausgestellt: Die Erforschung des Themas ist heute teilweise von deutlichen Befindlichkeiten aufgrund der aktuellen Migrationsproblematik überlagert. So wie für die Althistoriker der 30er Jahre jeder Gote ein \"arischer\" Vorfahr der modernen Deutschen war, ist heute für viele selbstverständlich der \"Barbar\" ein harmloser Migrant, der nur die Gesellschaft des Weströmischen Reiches multikulturell -oder als aufgrund eines demographischen Wandels dringend benötigte Fachkraft- bereichert hat. ;)

Gruß,


Yogsothoth
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 09. Mai 2015 - 14:34:32
Zitat
Grundsätzlich hat Tumbertor etwas auch aus meiner Sicht sehr Wichtiges
herausgestellt: Die Erforschung des Themas ist heute teilweise von
deutlichen Befindlichkeiten aufgrund der aktuellen Migrationsproblematik
überlagert. So wie für die Althistoriker der 30er Jahre jeder Gote ein
\"arischer\" Vorfahr der modernen Deutschen war, ist heute für viele
selbstverständlich der \"Barbar\" ein harmloser Migrant, der nur die
Gesellschaft des Weströmischen Reiches multikulturell -oder als aufgrund
eines demographischen Wandels dringend benötigte Fachkraft- bereichert
hat. ;)
Nicht nur heute. Das war schon immer so in der Geschichtsschreibung. ÜBrigens ist nicht allein das Bild des tatkräftigen Barbaren, der die erschlafften Römer hinweggefegt hat ein Bild der national geprägten Geschichtsschreibung des 19. Jh. Auch die Übertragung moderner Staatsbildngsprozesse ist so eines. Das mit den tatkräftigen Barbaren findet sich immerhin schon bei Tacitus.

Mommsen z.B. hat seine römische Geschichte so komponiert, dass sie analog zur deutschen Reichsgründung mit Augustus ihren Gipfel erreicht. Nachdem endlich über die Etappen Eroberung der Halbinsel und Bezwingung des Puniers, die Überwindung innerer Zwistigkeiten ( Bundesgenossenkrieg, Bürgerkriege) endlich unter Augustus die Pax Romana Einzug gehalten hat. Mommsen unterstellt den Italikern z.B. eine dringenden Wunsch nach nationaler Einheit analog zu den nationalistischen Strömungen in Deutschland im 19. Jh.

Meiner Meinung nach ergibt die Frage nach dem Untergang des römischen Reiches nur dann einen Sinn, wenn man genau diese Sicht wie Mommsen et al sie hatten, annimmt. Die ist aber unhistorisch. Denn das Lebenszentrum der antiken Menschen war die Polis im weitesten Sinne( damit man den Begriff auch im nichtgriechischen Raum anwenden kann). Noch nicht einmal Italien war völlig romanisiert, bis heute nicht. Noch heute gibt es griechischsprachige Dörfer in der Magna Grecia. Wen die Literaturquellen einen Untergang beschreiben, so ist dies die Sicht der römischen Aristokratie, die tatsächlich im Laufe der Jahrhunderte ihr Dominat zerbröseln sah.

Das heißt übrigens nicht, dass im Umkehrschluss alles friedlich verlief und es eine friedliche Einwanderungs -und Assimilierungswelle gegeben habe. Im Gegenteil. Aber genauso wie auch nicht während des Dreissigjährigen Krieges ganz Deutschland ständig von marodierenden Heeren heimgesucht wurde, wird das Gebiet des weströmischen Reiches überall gleichzeitig von marodierenden Barbarenhorden geplündert und besiedelt worden sein. Und nur weil auf einmal nicht mehr die gesamte römische Welt miteinander Handel getrieben hat, muss das lokal auch das Ende römischer Herrschaft und Kultur gewesen sein. Die Gemeinden haben sich, wo sie es konnten wieder autarker gemacht. Das geht selbstverständlich auch mit einer Abnahme der Warenqualität einher, wie sie hoch arbeitsteilige Kulturen hervorbringen können.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: steffen1988 am 09. Mai 2015 - 17:02:37
Stimmt, in Süditalien gbt es noch die minderheitensprache \"Greko, da wurde früher vermutet es handle sich um überreste der Griechischen Bewohner in der Zeit nachdem Ostrom/Byzanz SÜditalien wieder zurückerobert hatte. Neueste Forschungen haben Hinweise gefunden wonach die Sprachreste aus Pre-Römischer Zeit stammen.

In der Schweiz und Norditalien gibt Heute übrigens noch die Rätoromanischen Sprachen. Diese Sprachen von denen es drei gibt sind voneinander Issoliert und weißen nur schwachen EInfluss des Lateins auf, was auf eine Geringe Romanisierung hinweist.

Zitat
Und nur weil auf einmal nicht mehr die gesamte römische Welt miteinander
Handel getrieben hat, muss das lokal auch das Ende römischer Herrschaft
und Kultur gewesen sein. Die Gemeinden haben sich, wo sie es konnten
wieder autarker gemacht. Das geht selbstverständlich auch mit einer
Abnahme der Warenqualität einher, wie sie hoch arbeitsteilige Kulturen
hervorbringen können.

Das um 410 von Rom aufgegeben Britanien war zwar auch nicht zu 100 % romanisiert aber bei den Brito-Romanischen Königreichen sieht man die starke EInflüsse in Sprache und Namen. Die Briten im Süden (sofern sie von den Sachsen noch nicht Zwangsgermanisiert wurden) sahen sich noch im 6.Jahrhundert als Römer.

Die stark Romanisierten Berber und Mauren in Nordafrika waren auch noch zu Zeiten der Islamischen Expansion von römischer Kultur geprägt.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Hanno Barka am 10. Mai 2015 - 09:30:28
Die \"Transformationstheorie\" leugnet weder den Untergang des römischen Reiches, noch daß gewaltsame Ereignisse im Spiel waren. NIemand behauptet, daß die Lebensumstände im \"orbis terrarum\" um 300 die gleichen waren wie um 600. Die Frage ist ob es einen bestimmten Zeitpunkt gab wo sich Alles (oder zumindest das meiste) auf einen Schlag änderte. Wie gesagt der Unterschied zwischen 300 und 600 ist recht augenfällig, aber wie schaut der Unterschied zwischen 450 und 500 aus? hat sich da wirklich soviel geändert um 476 als \"die Zäsur\" hinzustellen? Heil  und friedlich war die römische Welt 476 schon lange nicht mehr und auch nach 500 war nicht alles zivilisationslose Barberei.

Auch wenns wieder mal ein Abschweifen ist aber es kommt mir ein bissl vor die Musikjahrzehnte der Popmusik. Die 70er - die 80er. Wir lieben es in Kategorien zu denken :) Ja 1975 hat sich die Hitparade anders angehört als 1985, aber ist ein Song von 1979 wirklich so anders als einer von 1981? Und hat die Ermordung John Lennons den Untergang des Disco verursacht? In wie weit war das Concert in Central Park ein \"major contributor\"?
Ok - nehmt das bitte cum magno grano Salo, aber manchmal sehe ich da gewisse Ähnlichkeiten im Denkmuster.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 10. Mai 2015 - 10:07:55
@ Greymouse. Dein Beispiel veranschaulicht gut, was das Problem mit Zäsuren ist. Sie sind nachträgliche Setzungen der Geschichtswissenschaft. Zumindest meistens. Und sie haben selten etws mit der Sciht der Zeitgenossen zu tun.

Deswegen sind Zäsuren nicht völlig sinnfrei. Sie helfen, die Chronologie zu strukturieren. Man sollte dabei immer im Hinterkopf haben, dass es sich nicht um reale Einschnitte handelt, sondern um Hilfsmittel.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Goltron am 10. Mai 2015 - 10:22:25
So sehe ich das auch. Man sollte auch nicht vergessen das es sich beim ganzen \"Untergang\" Westroms ja nicht um einen kulturellen Kampf Römer gegen Barbaren gehandelt hat. Deshalb ist es in meinen Augen grundsätzlich falsch mit dem Datum ein plötzliches Umschlagen der Zivilisation in Barbarei zu verbinden. Es bringt die Entwicklungen in diesem Zeitraum in meinen Augen aber gut auf den Punkt, stellt wenn man so will so etwas wie einen Höhepunkt vor dem langsamen abflauen des Umbruchs dar.

Ich habe ein Buch das sich mit den Bajuwaren und deren Ethnogenese beschäftigt und ich erinnere mich vage das es dort so dargestellt wird das sich die Lebensumstände Ende des 5./Anfang des 6. Jhd tatsächlich stärker verändert haben als es davor oder danach der Fall war. Zurückzuführen ist das auf den Zusammenbruch der römisch-militärischen Ordnung deren Auswirkung lokal mehr oder weniger stark verzögert werden können.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: WCT am 10. Mai 2015 - 15:05:26
@ Goltron Handelt es sich dabei um Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern I, Herwig Wolfram[u.a.](Hgg.), Wien 1990 ?
Diesbezüglich kann ich empfehlen (da auch online abrufbar): Hörtl, Elisabeth: Burgundiones -Ethongenese und Ansiedlung, unveröffentlichte Diplomarbeit, Wien 2012
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Thaddäus am 10. Mai 2015 - 22:09:55
Hallo zusammen,

eine interessante Diskussion. Soweit ich die Diskussion verfolgt habe, stellt sich mir eher die Frage, ob es nicht schlicht darum geht, wie jeder Einzelne der Diskussion den Begriff „Untergang“ definiert. Es wird meiner Meinung nach eher darum gestritten, ob es nun ein Niedergang, Untergang oder eine Transformation sein soll.

Für mich steht eindeutig fest, dass es im Gebiet des Römischen Reiches (um es mal neutral zu formulieren) einige große Veränderungen gegeben hat und wäre uns eine Zeitreise möglich, sich dem „Besucher“ im 3 Jahrhundert ein deutlich anderes Bild zeigen würde, als im 6. Jahrhundert. Es hat sich also definitiv einiges getan und darüber streiten sich die Diskutanten hier auch offensichtlich nicht. Ein genaues Datum festzulegen, stellt für mich jedoch nicht zwingend diese starre Einordnung dar, wie es gerne in früheren Zeiten von Historikern gemacht wurde, sondern dient simpel und einfach dazu, gewisse Ereignisse besser definieren und einordnen zu können.

Was die Argumentation einiger Teilnehmer hier angeht, so möchte ich jedoch mal einen weiteren, neuen Blickwinkel in die Runde werfen. Für mich ist es immer wichtig, ob ein Argument – ob nun historisch oder in anderen Zusammenhängen – wirklich auch dann standhält, wenn man die einzelnen Teile des Argumentes ersetzt. Was möchte ich damit sagen? Angenommen, es wird die These vertreten, dass das römische Reich nicht untergegangen ist, sondern eher von einer Transformation gesprochen werden soll – denn für den einzelnen Bauern hat sich nahezu nichts geändert (höchstens über einen Zeitraum von Jahrhunderten) und lediglich für die adlige Oberschicht gab es diverse Transformationen des Systems, während Kultur und Verwaltung auf der unteren Ebene weitgehend unangetastet blieb. Ebenso waren die Gewalteinwirkungen einzelner kriegerischer Auseinandersetzungen immer lokal beschränkt und haben nicht dauerhaft das ganze Reich erfasst. Deshalb kann man also nicht von einem Untergang des römischen Reiches sprechen, sondern eher von einer Transformation. Ersetzt man nun die Elemente dieses Arguments mit Entsprechungen anderer Ereignisse und halten sie weiterhin stand, so wäre für mich das Argument als aussagekräftig anzusehen.

Um zeitlich keine zu großen Sprünge zu machen, gehen wir doch einfach ein paar hundert Jahre zurück – und sprechen nun von der Transformation der römischen Republik. Denn einen Untergang hat es nicht gegeben. Für die adlige Schicht hat sich zwar etwas geändert, die wirren der Kriege haben jedoch nicht alle Bauern im Reich getroffen, die Selbstverwaltung hat sich kaum geändert und kulturell hat sich sicherlich weiterhin jeder als Teil Roms gefühlt. Selbst das neue Staatsoberhaupt hat mit großen Mühen eine Kontinuität zur Republik gesucht. Ist also die Republik überhaupt nicht untergegangen? Für mich kann man durchaus den Begriff „Untergang“ bei der Republik anlegen und das Imperium Romanum und sein Untergang, ist für mich mit einem ähnlichen Blickwinkel zu betrachten. Auch wenn sich für den einzelnen „kleinen Bürger“ vielleicht nicht viel geändert hat, so wurden doch grundlegende Strukturen zerstört oder komplett verändert, so dass man das, was man vorher als A definiert hat, später nur noch als B wiedererkennt.

Für den ein oder anderen mag der Begriff Untergang dann jedoch vielleicht nicht passend sein, da der Zeitraum im Falle des Imperium Romanum zu groß ist – für mich spielt das jedoch keine große Rolle. Was den Untergang eines Reiches angeht, sollte man vielleicht nicht die Maßstäbe anlegen, die wir aus Mitte des 20. Jahrhunderts kennen. Ein Untergang kann durchaus langsam, schreitend voran gehen und muss nicht in einer allesvernichtenden Apokalypse münden!

Per Definition geht es bei der ganzen Diskussion um den „Untergang des Römischen Reiches“ – und auch wenn man in der Antike natürlich kein modernes Bild eines Staates anlegen kann, so geht es doch irgendwie am Ende darum, ob das Gebilde, welches man als „Staat“ benennen könnte, aufgehört hat zu existieren und ob die Gründe dafür eher destruktiv oder nicht waren. Im Falle Roms hat für mich dieses Gebilde definitiv auf destruktive Weise ein Ende gefunden und daher kann man durchaus von einem Untergang sprechen… vielleicht ist Niedergang auch ein passender Begriff. Transformation ist aber deutlich zu euphemistisch.

Auch wenn ich keine wirklichen Argumente zu dem Thema aus historischer Sicht beigetragen habe, halte ich es einfach für sehr wichtig, die ganze Diskussion zunächst einmal auf dieser Ebene zu führen.
Das der Untergang des Römischen Reiches vielschichtig war und man sicherlich nicht Tag X des Jahres Y als genaues Datum benennen kann, steht für mich außer Frage. Ein Datum als grobe Richtlinie zu nehmen, um dieses Thema einfach besser greifbar zu machen, halte ich jedoch für Sinnvoll und das Jahr 476 zu nehmen, birgt durchaus gute Argumente. Bei vielen Veränderungen gibt es einfach einen Punkt, ab dem man A nur noch als B erkennt und solch einen Punkt grob zu bestimmen, halte ich für absolut angebracht. Ansonsten könnte man sämtliche Epocheneinteilungen aufheben und sieht die Geschichte einfach als immerwährende Transformation (was sie wohl auch tatsächlich auf eine gewisse Weise ist). Da der Mensch jedoch in Kategorien und Schubladen denkt und unser ganzes Denken von Diskriminierungen (im eigentlichen Wortsinn) bestimmt ist – sind wir fast schon gezwungen, Dingen einen Namen zu geben und für eine Schublade passend zu Definieren. Die Ereignisse, die sich auf dem Gebiet des Imperium Romanum irgendwann zwischen 300 und 600 n. Chr. abgespielt haben, finden bei mir ganz gut in der Schublade „Untergang“ Platz und als grobes Datum der Orientierung ist das Jahr 476 schon eine ganz gute Wahl.

Ich hoffe mein Beitrag war nicht zu langatmig und vorbei am Thema – aber wenn man nicht auf dieser Ebene eine Einigung erzielt, wird man sich wohl nie einig bei dieser Diskussion.

Gruß,

Thaddäus

P.S.: Bitte folgendes nicht allzu ernst nehmen:
Ob man auch von der Transformation des Titanic sprechen kann? Schließlich wurde sie nicht aus unserem Raum-Zeit-Kontinuum gerissen, sondern liegt nun einfach an einem anderen Platz in einer anderen Form. Einen genauen Zeitpunkt kann man auch nicht definieren – denn beginnt der Untergang nun mit der Entscheidung des Kapitäns, zu schnell zu fahren, oder bereits bei der Fehlkonstruktion der Schwimmkammern oder erst als das Schiff in zwei Hälften zerbricht? Man sollte Dinge einfach durchaus mal beim Namen nennen und ein destruktives Ende einer Sache kann man gerne als „Untergang“ bezeichnen.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 11. Mai 2015 - 00:19:57
Zitat
Selbst das neue Staatsoberhaupt hat mit großen Mühen eine Kontinuität
zur Republik gesucht. Ist also die Republik überhaupt nicht
untergegangen? Für mich kann man durchaus den Begriff „Untergang“ bei
der Republik anlegen und das Imperium Romanum und sein Untergang, ist
für mich mit einem ähnlichen Blickwinkel zu betrachten. Auch wenn sich
für den einzelnen „kleinen Bürger“ vielleicht nicht viel geändert hat,
so wurden doch grundlegende Strukturen zerstört oder komplett verändert,
so dass man das, was man vorher als A definiert hat, später nur noch
als B wiedererkennt.
Ich denke, die Zäsur 476 ist schon ganz gut gewählt. Denn spätestens zu diesem Zeitpunkt war der Herrschaftsbereich des weströmischen Kaisers auf Null geschrumpft. Das ist für uns zur Strukturierung ganz hilfreich. Transformation ist übrigens keineswegs euphemistisch. Es ist die neutrale Formulierung eines Übergangs in eine neue Form. Sie sagt aber überhaupt nichts darüber aus, wie dies vonstatten ging. Transformation ist meines Erachtens der einzig treffende Begriff, weil sich einer Wertung enthält und dem Rechnung trägt, dass die Zeitgenossen die Veränderung garnicht bemerkt haben könnten. Meiner Meinung nach treten Unterschiede erst dann zutage, wenn man die Vergleichspunkte genügend weit weg voneinander wählt und dann schaut, was sich verändert hat und was geblieben ist. Das kann der Historiker aber selten die Zeitgenossen.

Aber um mal im Bilde zu bleiben. Waren die ehemaligen Foederativerbände, auf die sich Odoaker stützte, auf einmal, nur weil der Kaiser weg war wieder oder immer noch felltragende Barbaren? Oder waren sie das, was man als den Rest des weströmischen Heeres ansehen konnte, das wie so viele Male vorher einfach einen General auf den Schild gehoben hat?

Was den Untergang der Republik anging, nunja es gab Zeitgenossen, die das genau andersherum sahen. Nämlich als Wiederherstellung der Republik durch den Princeps. Und ich denke auch, dass der entscheidende Unterschied zwischen Augustus und sagen wir mal Pompeius weniger in ihrem Handeln und ihren Methoden lag, sondern eher bei ihren Widersachern. Genauer dem Fehlen solcher Widersacher bei Augustus. Weil die Senatsaristokratie nach dem hohen Blutzoll beinahe eines Jahrhunderts Bürgerkriege weder willens noch in der Lage war, sich einer solchen Machtanhäufung bei einer Person entgegenzustellen. Augustus war bei weitem nicht der Erste, der so viele Sondervollmachten hatte. Das Neue trat bei ihm meiner Meinung nach erst am Ende seiner Herrschaft auf. Nämlich bei seinem Versuch, eine Erbmonarchie zu schaffen. Ansonsten war geradezu um Kntinuität und Tradition bemüht.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Thaddäus am 11. Mai 2015 - 05:09:21
Zitat von: \'severus\',\'index.php?page=Thread&postID=192625#post192625
Transformation ist übrigens keineswegs euphemistisch.
Transformation ist sehr wohl euphemistisch, wenn durch diesen Begriff die negativen Aspekte eines Ereignisses \"verschleiert\" werden. Grade weil dieser Begriff wertneutral ist, habe ich meine Bedenken ihn für Ereignisse wie den Untergang des Römischen Reiches zu nutzen. Du sagst selbst, dass es eine Zäsur gab und eine Zäsur gibt ist nur dort, wo es nach der Zäsur einen deutlichen Unterschied der Situation zu der Situation vor der Zäsur gibt. Wir sind uns alle einig, dass zwischen 300 und 600 extreme Veränderungen stattgefunden haben und diese Entwicklungen nicht sonderlich förderlich für das Bevölkerungswachstum und allgemeinen Wohlstand waren (um es auch mal etwas neutraler zu halten).Ich stimme vollkommen überein damit, dass man Personen und ihr Handeln in der Geschichte nicht mit der Moral und Ethik aus heutiger Sicht beurteilen darf. Es waren eben Menschen ihrer Zeit. Die Resultate kann ich aber sehr wohl als negativ oder positiv beurteilen. Wenn man beim Untergang Roms von einer Transformation spricht, so sollte man dann aber zumindest konsequent sein und einen gleichen wertneutralen Standpunkt für alle anderen historischen Ereignisse anlegen.Ich verwende sicherlich nun deutlich überspitzte Beispiele, einfach um meinen Standpunkt zu unterstreichen. Würdest Du es richtig finden, wenn man von einer \"Transformation der Amerikanischen Bevölkerung\" spricht, anstelle von der Auslöschung ganzer indigener Völker bei der Kolonisierung Amerikas? Es gab auch hierzulande eine Transformation bestimmter Prozentsätze der Bevölkerung - Völkermord ist doch vielleicht zu wertend? Immerhin haben viele Zeitgenossen es auch nicht als solches empfunden oder sogar als gut und hilfreich bezeichnet. Menschenopfer sind für mich auch durchaus als Mord zu bezeichnen, auch wenn die Beteiligten es als heilsbringende Möglichkeit gesehen haben mochten - oder zumindest auf eine bessere Ernte im nächsten Jahr gehofft haben. Versteh mich bitte nicht falsch - ich halte es nur einfach für falsch, wenn man Dinge nicht beim Namen nennt und selbst wenn Zeitgenossen bestimmte Entwicklungen nicht wirklich überschauen konnten und nicht direkt die Konsequenzen gespürt haben oder einfach unbeteiligt waren, so haben doch grade wir als Historiker die Möglichkeit eben solche Ereignisse deutlich weitreichender zu betrachten. Am Beispiel der römischen Republik wollte ich auch nur zeigen, dass diese aufgehört hat zu existieren und sicherlich nicht so, wie es \"im Sinne der Republik\" war. Sondern durch einen langanhaltenden Zersetzungsprozess mit viel Gewalt und Leid. Hier lediglich von einer Transformation zu sprechen, ist meiner Meinung nach schlich euphemistisch! Sich immer nur auf Zeitgenossen zu stützen, dürfte in vielen Fällen auch ein aus heutiger Sicht falsches Bild der gesamten Situation ergeben und vor allem liegen uns doch in vielen Fällen nahezu keinen Quellen vor. Es wurde häufiger erwähnt, dass sich für die Bauern etc. nicht viel geändert hat und sie es nicht als \"Untergang\" wahrgenommen haben. Abgesehen von archäologischen Quellen und Rückschlüssen aus diesen sind uns aber die Hände gebunden und wir können diese Aussage nicht wirklich mit absoluter Sicherheit machen - mir sind zumindest keine weitreichenden Tagebücher der römischen Unterschicht in großer Stückzahl bekannt. Ich halte es absolut für plausibel, dass viele es nicht als Untergang wahrgenommen haben, vor allem nicht auf kurze Sicht gesehen. Jemand der 450 geboren wurde und jedoch vielleicht 80 Jahre gelebt hat, wird am Ende dann vielleicht doch deutliche Veränderungen empfunden haben und die Teile der Bevölkerung die jahrhundertelang zuvor keinen Krieg erlebt haben und nun plötzlich von marodierenden Horden heimgesucht wurden, haben es sicherlich als negativ empfunden und haben möglicherweise sogar von einem Untergang gesprochen.
Zitat von: \'severus\',\'index.php?page=Thread&postID=192625#post192625
Aber um mal im Bilde zu bleiben. Waren die ehemaligen Foederativerbände, auf die sich Odoaker stützte, auf einmal, nur weil der Kaiser weg war wieder oder immer noch felltragende Barbaren? Oder waren sie das, was man als den Rest des weströmischen Heeres ansehen konnte, das wie so viele Male vorher einfach einen General auf den Schild gehoben hat?
Ich glaube, man darf nicht den Fehler machen und einen Prozess, nur weil er sich zeitlich deutlich ausgedehnt hat, nicht als das zu bezeichnen was er war. Wir sind uns alle einig, dass die Wirtschaft, das Militär und viele andere Dinge einen gewissen Niedergang durchmachten und die Foederatenverbände sind natürlich nicht durch den Wegfall des Kaisers auf einmal wieder Barbaren - es zeigt aber, dass eben ein deutlicher Wandel stattgefunden hat, der schon viel früher anfängt, aber letztlich durchaus ein Baustein zum Ende Roms sein mochte. Die Zeitgenossen haben vielleicht die Situation nicht als Untergang erlebt - dafür war der Prozess zu schleichend. Ein Römer des 1. Jahrhunderts würde sich aber doch sicherlich unwohl gefühlt haben, wenn er auf einmal 500 n. Chr. aufgewacht wäre.
Es ist vielleicht ein wenig wie bei dem Frosch im Kochtopf ... er hüpft nicht raus, weil er sich langsam an die steigende Temperatur gewöhnt... bis schließlich die Proteine in seinem Körper eine Transformation durchmachen :smiley_emoticons_pirate_smile: und er stirbt. Trotzdem wurde der Frosch gekocht - auch wenn er es vielleicht nicht so wahrgenommen hat.
Ich hoffe Du verstehst meinen Text mit einem gewissen Augenzwinkern - ich habe sicherlich an diversen Stellen überspitzt formuliert. Ich möchte mich einfach nur dagegen wehren, alles immer möglichst wertneutral zu betrachten. Es ist ja wie gesagt vollkommen richtig, das Handeln etc. von historischen Personen nicht durch eine moderne Brille zu betrachten und keine modernen Maßstäbe an das Handeln anzulegen. Die Ereignisse als solche kann man aber meiner Meinung nach durchaus wertend betrachten und es verfälscht auch die Wahrnehmung von Ereignissen, wenn man sie absolut wertneutral versucht zu vermitteln.

Ach ja - natürlich hat eine Transformation stattgefunden und an dem Begriff als solchem ist auch nichts direkt auszusetzen. Verwendet man jedoch ausschließlich den Begriff Transformation und unterstreicht nicht auch die negativen Konsequenzen, die meiner Meinung nach einem Untergang des Reiches gleichkommen, so wird durch den Begriff schnell eine Art Kontinuität vorgegaukelt, die es so nicht gab. Selbstverständlich kann eine Transformation allumfassend sein, es impliziert jedoch auch eine gewisse Kontinuität - denn das Alte hört nicht auf zu existieren, es lebt eben in einer neuen Form fort. Es war also alles garnicht so schlimm - schließlich existiert alles in einer neuen (besseren?) Form weiter ... Der Begriff Untergang impliziert doch auch eine Transformation, nur mit deutlich negativer Konnotation. Deshalb halte ich den Begriff für die Ereignisse zwischen 300 und 600 als absolut passend!
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 11. Mai 2015 - 08:58:36
Zitat
Transformation ist sehr wohl
euphemistisch, wenn durch diesen Begriff die negativen Aspekte eines
Ereignisses \"verschleiert\" werden. Grade weil dieser Begriff wertneutral
ist, habe ich meine Bedenken ihn für Ereignisse wie den Untergang des
Römischen Reiches zu nutzen.
Das ist mit Verlaub unlogisch. Weil du der Setzung Untergang zuneigst, lehnst also einen wertneutralen Begriff ab.

Zitat
Würdest Du es richtig finden, wenn man von
einer \"Transformation der Amerikanischen Bevölkerung\" spricht, anstelle
von der Auslöschung ganzer indigener Völker bei der Kolonisierung
Amerikas?
Hier liegt des Pudels Kern. Du verwendest Transformation im falschen Zusammenhang udn unterstellst, Transformation sei ein Begriff, der negatives verschleiern soll. Transformation bezieht sich immer auf die Veränderung des Untersuchungsgegenstandes von innen heraus. TRansformation für Eroberung zu verwenden ist schlicht falsch. Denn darum ggeht es nämlich in der Diskussion über das spätrömische Westreich.

Es wäre ein Untergang, wenn auf einmal Barbarenhorden über das Westreich hereingebrochen wären und allein mit ihrer rohen Gewalt den römischen Staat hinweggefegt hätten. Es gibt aber durchaus Argumente, dass es so eben nicht gelaufen ist. Vilemehr war es ein langer Prozess, in dem versucht wurde, die Foederaten ins Imperium zu integrieren und auch als Sperrmauer anzusiedeln. In dem Maße aber, wie die Römer den den nicht italischen Bewohnern des Imperiums die Verteidigung des Reiches überließen, marginalisierten sie sich selbst. Spätestens seit Diokletian unterschied sich der römische Senat kaum mehr gegenüber dem Senat irgendeiner Stadt im Reich. Die politische Macht lag da schon längst bei den vermeintlich barbarischen Soldatenkaisern, die bisweilen kaum Latein sprachen.

Langer Rede kurzer Sinn. Es hat eine Transformation dessen stattgefunden, was man unter dem römischen Reich überhaupt zu verstehen hatte und wie Herrschaft durch das Imperium ausgeübt wurde. Also eine Begriffstransformation. WEnn du jetzt dagegne hältst, dass es sehr wohl einen Untergang gegeben habe, dann kann ich nur sagen, ein Begriff kann nicht untergehen. Denn letztlich sind solche Dinge, wie Herrschaft, Staat und Kultur mehr oder weniger geistige Konstrukte, um bestimmte Phänomene zu beschreiben. Begriffe wnadeln ihre Bedeutung. Die Karolinger nannten ihre Herrschaft auch Res Publica. Und das obwohl sie wohl kaum etwas mit der römischen Res Publica gemein hatte. Trotzdem ist der Begriff nicht falsch. Res Publica ist nichts anderes als das Gemeinwesen oder wörtlich die öffentliche Angelegenheit.

Man sollte vielleicht wegkommen, die spätröisch Geschichte zu sehr aus der Sicht von oben zu betrachten und vielmehr regional untersuchen, was in der fraglichen Periode passiert ist. Denn dann tritt zutage, wo tatsächlich massive Verwüstungen und Verheerungen aufgetreten sind, wo Kontinuitäten gewahrt wurden und wo Neues versucht wurde.

Hier aber tritt ein ganz entscheidendes Problem hinzu. Ein Quellenproblem. Wir haben meines Wissens nur ganz wenige Schriftquellen aus dieser Zeit und diese sind Schriftquellen aus der Umgebung des byzanthinischen Hofes. Historiker, die für die Eliten über die Eliten des Reiches geschrieben haben.

Im Übrigen ist auch ein Rückgang an Schriftlichkeit nicht zwingend ein Beweis für den Rückgang an Kultur. Es ist nur ein Beweis dafür, dass weniger Schriftquellen überliefert worden sind. Wenn aber keine Schriftquellen mehr vorhanden sind, heißt das, wir können keine quellenfundierten Aussagen mehr über die Epoche machen, die mehr sind als Spekulation auf Basis einer dürftigen archäologischen Fundlage.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: WCT am 11. Mai 2015 - 09:10:03
Sry aber jegliche moralische Bewertung und Bezeichnung ist standortgebunden und daher niemals objektiv. Nationalkonservative dt. Historiker des letzten und vorletzten Jahunderts dürften die Völkerwanderung, da sie wohl die Zerstörung überkommener orientalisch-autokratische Herrschaftsstrukturen und der Beginn der glorreichen ,,germanisch-dt. Nation\" konstatiert hätten, durchaus sehr positiv gewertet haben.
Und auch aus heutiger aufgeklärten europäischen Perspektive: ohne den Untergang des römischen Reiches wohl keine Genese der parlamentarisches Demokratie im Mittelalter und Neuziet. Und das wäre doch wirklich schade, oder?

Jegliche moralische Bewertung ist nur durch Konstruktion alternativer Szenarien/Handlungsalternativen möglich. Das ist aber kontrafaktische Geschichtsschreibung die bekannterweise eine sehr problemantische Methodik hat. Versteht mich nicht falsch ich möchte weder dem positivismus noch dem hegelianischen Geschichtsbild hier das Wort reden. Allerdings sollte uns immer an einer klaren Trennung zwischen konstantierbaren Fakten und Bewertung gelegen sein, besonders im Fall der Terminologie, da sonst wissenschaftlich unfruchtbare Denkschranken entstehen können, welche lange nachwirken können (siehe Intentionalismus/Funktionalismus). Ich kann daher in der Bezeichnung Tranformation keinen Euphemismus erkennen, gerade da die durch die Quellen vermittelten Fakten, doch ganz andere sind als etwa bei dem Völkermord an den Indianern.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Thaddäus am 11. Mai 2015 - 23:56:27
@ Severus: Unlogisch ist es sicherlich nicht, da ich bei meiner Beurteilung durchaus einer Logik folge. Du bewertest die Ereignisse auch - oder möchtest Du sagen, dass Du die Ereignisse nicht Bewertest, sondern lediglich Fakten auflistest, ohne Auswertung? Absolute Objektivität gibt es schlicht nicht.- und da ich es unpassend finde, die Wirren durch die die Menschen damals gegangen sind nicht als das zu bezeichnen, was sie waren, sondern stattdessen einen Begriff wähle, der keinen Hinweis auf negative oder positive Begleiterscheinungen zulässt, finde ich den Begriff Untergang durchaus passend. Für Dich haben also die Ereignisse weder postive noch negative Folgen für die Bevölkerung gehabt? Man kann also nicht sagen, dass sich etwas verschlechter hat? Es war eben eine Transformation - mehr nicht? Eine Veränderung - ohne negative oder positive Tendenzen? Transformation kann natürlich negative oder positive Tendenzen enthalten, diese müssen dann jedoch gesondert erörtert werden, da der Begriff keinen Schluss darauf zulässt! Untergang impliziert für mich ein Ende auf destruktive Weise und das Ende des römischen Reiches stellt für mich genau so ein Ende dar. Es gab zwar Kontinuitäten, jedoch hat sich in sehr vielen Bereichen die Lebensqualität verschlechtert und es haben viel Menschen unter den Ereignissen gelitten. Ich behaupte ja nicht das der Begriff Transformation faktisch falsch ist - es beschreibt eine Veränderung ... mir ist nur wichtig, dass man dann jedoch zusätzlich die Konsequenzen, die diese Veränderungen mit sich gebracht haben auch unterstreicht. Lediglich von einer Transformation zu sprechen klingt, wie gesagt, sehr schnell so, als wäre nichts passiert, außer, dass nun etwas altes in einer neuen Form weiter existiert und das ist nun einmal nicht der Fall beim römischen Reich. Es hat aufgehört zu existieren und ist dabei durch viele Krisen bis zum Ende gegangen und sowas kann man durchaus als Untergang bezeichnen.
Ich glaube wir reden ein wenig aneinander vorbei und haben am Ende gar nicht so eine unterschiedliche Meinung. Wir haben vermutlich nur jeweils leicht unterschiedliche Definitionen der Begriffe \"Untergang\" und \"Transformation\".
Nach Deiner Definition ist Untergang ein zwingend von außen und durch Eroberung herbeigeführtes Ereignis:
Zitat von: \'severus\',\'index.php?page=Thread&postID=192629#post192629
Es wäre ein Untergang, wenn auf einmal Barbarenhorden über das Westreich hereingebrochen wären und allein mit ihrer rohen Gewalt den römischen Staat hinweggefegt hätten.
Für mich ist der Begriff Untergang deutlich weiter gefasst. Es kann meiner Meinung nach auch von Untergang gesprochen werden, wenn es ein vielschichtiger, langatmiger Prozess ist - der wichtige Faktor für mich ist der destruktive Aspekt! Laut Duden halte ich \"das Zugrundegehen\" für eine gute Definition.
Transformieren beschreibt lediglich eine Umformung. Es deutet dabei keineswegs auf eine destruktive oder konstruktive Entwicklung hin und verschleiert daher meiner Meinung nach durchaus, ob ein Ereignis nun im Zusammenhang mit Gewalt oder anderen negativen Aspekten behaftet ist.

Ich habe ja bewusst geschrieben, dass ich überspitzte Beispiele verwendet habe und bewusst extreme Beispiele genannt. Per Definition ist der Begriff im Falle der amerikanischen Bevölkerung allerdings nicht falsch. Die Bevölkerung wurde deutlich umgeformt - wenn man es eben absolut wertneutral mit diesem Begriff beschreiben will. Deshalb halte ich den Begriff Transformation für einen Euphemismus.
Eine moralische Wertung ist übrigens nicht nur durch Konstruktion alternativer Szenarien möglich. Ich halte jedoch eine moralische Bewertung durchaus auch für gefährlich, da es schnell zu falscher Beurteilung von Fakten führen kann, wenn die Bewertung der Fakten nicht zuerst und die moralische Bewertung als zweites kommt. Vor allem sollte man das Handeln der Personen nicht durch eine Brille der modernen Moral und Ethik versuchen zu erklären. Eine moralische Wertung halte ich aber dennoch für wichtig - sonst dürften wir z.B. den Holocaust nicht als schreckliches Ereignis bezeichnen sondern dürften nur die Fakten nennen und sagen \"so war es eben\". Für mich bestehen da 2 ebenen - einmal die rein faktische und zum anderen die Ebene, wie wir aus heutiger Sicht die Erkenntnisse beurteilen, die wir durch die Fakten gewonnen haben. Rein faktisch - und da stimme ich ja auch vollkommen überein - durchlebte das römische Reich eine Transformation. Dennoch war diese Transformation für viele Menschen eine Katastrophe und es ist daher durchaus auch als Untergang zu bezeichnen.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Thaddäus am 12. Mai 2015 - 00:26:53
@WCT: Keine Bewertung kann objektiv sein - ob moralisch oder nicht. Kein Mensch wird jemals wirklich objektiv Urteilen können. Wir können versuchen möglichst Objektiv zu sein - aber das war es auch schon. Es ist auch nur eine Eigenart des aktuellen Zeitgeistes, dass man diese Art der Bewertung als \"richtig\" ansieht. Wie Du schon geschrieben hast, sahen es die Menschen vor 100 Jahren anders und werden es in 100 Jahren sicherlich auch wieder anders sehen. Vielleicht wird dann auf rein emotionaler Ebene bewertet ;) ...
Wie ich in dem Post zuvor geschrieben habe, kann ich Dir gewissermaßen auch nur Recht geben, dass es eine Trennung zwischen Fakten und ihrer Bewertung geben muss. Jedoch obliegt es uns doch auch durchaus, die Fakten und die Erkenntnisse daraus zu bewerten - Fakten allein sagen dann doch leider nicht viel aus, wenn man sie nicht auch in Zusammenhänge bringt, auswertet und eben auch bewertet. Sonst dürften sich unsere Erkenntnisse darin erschöpfen, dass beispielsweise an Ort A eine Tonscherbe gefunden wurde. Wie sie dahin gekommen ist, warum sie da liegt, was die Menschen damit angestellt haben ... das sind doch alles Bewertungen und gehen über die reinen Fakten hinaus! So zu tun, als ob die Arbeit als Historiker eine reine Sammlung von Daten und Fakten ist, halte ich für falsch. Die Interpretation der Fakten ist doch ein sehr essentieller Bestandteil der Arbeit als Historiker und dieser Teil ist wohl immer durch Bewertungen bestimmt und kann daher auch nicht absolut Objektiv sein. Nicht ohne Grund kommen immer wieder Debatten zu Themen, die schon hundertmal geführt wurden, weil jemand die Fakten nun anders interpretiert.
Ich möchte daher Deine Aussage deutlich erweitern - wie ich oben geschrieben habe. Jede Bewertung und Interpretation von Quellen ist Subjektiv. Man kann nur versuchen, bei der Bewertung und Interpretation möglichst objektiv zu sein.
So zu tun, als könnte man daher das Ende des römischen Reiches wertneutral betrachten, ist dann doch eigentlich von vornherein zum scheitern verurteilt.

Bitte versteht mich nicht falsch - ich nehme bewusst eine stärkere Haltung zu meinem Standpunkt ein, als ich vielleicht wirklich vertrete. Eine Wertneutralität halte ich einfach für unmöglich und rein auf faktischer Ebene lässt sich fast keine Erkenntnis gewinnen. Interpretation und Bewertung ist immer nötig und es liegt in der Natur des Menschen, dass diese Dinge subjektiv vonstattengehen.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 12. Mai 2015 - 00:27:02
Ich glaube, wir reden tatsächlich aneinander vorbei. Meiner Ansicht nach bezieht sich die Transformationstheorie weniger auf konkrete Ereignisse als vielmehr auf die Wandlung des Begriffs Römisches Reich. Und diese Wandlung fand in der gesamten Geschichte des Römischen Reiches statt. Dies zu untersuchen, hat nichst mit Verschleierung unangenehmer Fakten zu tun. Es ist notewendige Begriffsklärung. Denn man muss versuchen, herauszufinden, was die Zeitgenossen in der Zeit un unter dem Römischne Reich verstanden haben.

Das stellt in keinster Weise in Abrede, unter welchen Bedingungen neue Herschaften auf dem Gebiet des weströmischen Reiches errichtet wurden. Hat man es mit literarischen Quellen zu tun, die über die Geschehnisse berichten, so hat man insbesondere in der antiken Geschichtsschreibung mit Topoi zu kämpfen, die sich beinahe seit Anbeginn der Historiographie immer wieder finden lassen. So zum Beispiel, den Topos von den tatkräftigen GErmanen udn den verweichlichten Römern, denen der Gemeinsinn abhanden gekommen sei. Die sich lieber dem Trunke und den Ränken hingaben, als für das Gemeinwesen zu streiten. Es gab kaum einen Historiker aus der Antike, der wesentliche Konflikte innerhalb der Res Publica erfasst und begriffen hätte. Und genau solche blinden Flecken, die daraus resultieren, dass die Geschichtsschreiber zur privilegierten Oberschicht gehörten und die Konflikte im Volke zwar wahrnahmen aber nicht erklären konnten, füllten die Historiker mit solchen Topoi von habsüchtigen Individuen, die nur ihrem Eigennutz fröhnten. Das geht schon bei Sallust los, setzt sich fort bei Tacitus usw. Genau solche Topoi, wenn man sie für bare Münze nimmt, legen aber den Schluss nahe, dass es einen Untergang gegeben habe.

Und gerade spätantike Texte triefen nur so, vor solchen Topoi. Das hat damit zu tun, dass man als Autor seine Gelehrtheit durch möglichst viele versteckte Literaturzitate zum Ausdruck brachte. Man kann als moderner Historiker nun die Sicht der Quellen übernehmen, wie es Mommsen et al getan haben oder man kann die Texte dahingehend abklopfen, was reine Fiktion, was bloßes Literaturzitat ist und was der wahre Kern der Aussage ist.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Thaddäus am 12. Mai 2015 - 00:33:43
@ Severus:

Ich habe es mir doch gedacht, dass wir tatsächlich aneinander vorbei reden. geht es Dir lediglich um den Begriff \"Römisches Reich\" - stimme ich der vollkommen zu. Ein Begriff kann wirklich nicht untergehen.
Wenn ich jedoch lese \"Der Untergang des römischen Reiches\" - dann sehe ich darin alles was damit im Zusammenhang steht. Und das, was im 2. Jahrhundert als römisches Reich bezeichnet werden kann, ging sicherlich im Laufe der nächsten Jahrhunderte zugrunde. Der Begriff hat sich stark gewandelt - und es fand eine Transformation statt. Das was aber mal das Reich war, ist meiner Meinung nach untergegangen ....

kann man sich so irgendwie einigen? :D
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Thaddäus am 12. Mai 2015 - 00:35:28
ach ja .. und was die Interpretation von Quellen angeht, haben wir wohl auch die gleiche Sichtweise... Ich finde es aber sogar interessant, was man andersherum aus den Topoi für Rückschlüsse ziehen kann (wenn man sie als solche erkennt).
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Thaddäus am 12. Mai 2015 - 00:37:50
\"Die Transformation des Begriffes Römisches Reich\" - damit kann ich leben ;)
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Mansfeld am 12. Mai 2015 - 09:44:08
Geschichtstheoretisch ist das durchaus okay, wenn man letztendliche Objektivität als unerreichbar ansieht, aber mal zur Fragestellung:

Wo konkret siehst du denn katastrophale, den Begriff \"Untergang\" rechtfertigende Vorgänge, die durch die bestehdne archäologische und historigrafische Überlieferung gedeckt sind?
Der Begriff \"Transformation\" wurde ja deswegen von der Forschung ins Spiel gebracht, weil bei genauerer Betrachtung eben nicht nachgewiesen werden konnte, daß hier ein Untergang stattgefunden hat. Die Städte bestanden weiter (in kleinerer Form, aber diese Schrumpfung begann schon Ende des 3. Jahrhunderts), ebenso die meisten Institutionen, bei denen sich nur die soziale Herkunft der wahrnehmenden Amtsträger wandelte. Z.B. gab es im 3. Jahrhundert ganz offiziell das Amt eines Magister Militum für Gallien, und die Merowinger führen diesen Titel auch weiter und das nicht nur aus propagnandistischen Gründen - man geht inzwischen davon aus, daß sowohl sie selber als auch die gallischen Untertanen in ihnen tatsächlich Magistres militum in klassischer spätrömischer Tradition sahen.

Es gibt viele weitere Beispiele, die gegen einen Epochenumbruch sprechen, wie er durch \"Untergang\" suggeriert wird. Denn dafür fände man dann genau so gültige Ansätze im Krisenjahrhundert der Soldatenkaiser (3. Jh.), da spricht man dennoch nicht vom Untergang.

Das ist jetzt etwas überspitzt, aber Transformation wurde in der Forschung ja nicht aus Jux und Dollerei als Begriff für diese Zeitschiene etabliert, und da habe ich bis jetzt noch keine Argumente gesehen, die dem eklatante Mängel nachweisen könnten.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Tumbertor am 12. Mai 2015 - 09:58:55
Hi,

ich finde die Diskussion sehr anregend und eigentlich auf einem guten Niveau, Applaus.

Ich frage mich eigentlich immer, warum uns alle, egal mit welchem Ergebnis, dieses Thema so berührt.

Die dahinter liegende Grundfrage ist doch, ob die Geschichte der Menschheit einen stetigen Fortschritt zum Besseren ( politische Emanzipation, Minderheiten, Gender und so... ) darstellt  oder z.B. ein zyklisches Wachsen und Vergehen. Wenn man an ersteres glaubt, dann sind 600 Jahre \"Verfall und Dunkles Zeitalter\" sicher ein kleines Problem.

Dazu sollte man mal Oswald Spengler lesen.

Gruß
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Tumbertor am 12. Mai 2015 - 10:06:17
Hi,

kleiner Scherz am Rande:

(http://www.nairaland.com/attachments/1357658_Idi20Amin1_jpg7f2c9fe6c43188db215520b92722fd8f)

Bild:  Gallo-Römische Senatoren huldigen dem neuen Magister Militum Chlodwig.

\"  Z.B. gab es im 3. Jahrhundert ganz offiziell das Amt eines Magister Militum für Gallien, und die Merowinger führen diesen Titel auch weiter und das nicht nur aus propagnandistischen Gründen - man geht inzwischen davon aus, daß sowohl sie selber als auch die gallischen Untertanen in ihnen tatsächlich Magistres militum in klassischer spätrömischer Tradition sahen.\"

Gruß
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Yogsothoth am 12. Mai 2015 - 10:46:51
Hallo!


Ich finde diese Diskussion auch sehr anregend. Tolle Argumente auf allen Seiten!

Ich gebe in den meisten Punkten Thaddeus und Tumbertor Recht. Lustige Analogie, übrigens.


Zitat von WCT:

\"Jegliche moralische Bewertung ist nur durch Konstruktion alternativer Szenarien/Handlungsalternativen möglich. \"


Wenn man vom \"Untergang\" des Weströmischen Reiches spricht, ist das sicherlich ein Werturteil, aber kein moralisches. \"Ermordung\" wäre eines...

Auch der Begriff \"Transformation\", der an sich wertneutral ist, kann in seiner Verwendung euphemistisch sein. Nämlich dann, wenn man ihn verwendet, um einer Wertung auszuweichen, die sich eigentlich aufdrängt, die man aber vermeiden möchte, weil man sich in Bezug auf aktuelle Entwicklungen unangenehm davon berührt fühlt.

Genau das unterstelle ich Teilen der Geschichtswissenschaft im Hinblick auf den Umgang mit dem Thema \"Verfall bzw. Verschwinden des Römischen Reiches\".

Bezogen auf andere Themen (z.B. Nationalismus, Kolonialismus usw.) schrecken Historiker ja nicht gerade vor Werturteilen, auch moralischer Art, zurück, sondern betrachten ein gesellschaftspädagogisches Einwirken auf die Öffentlichkeit auf Basis solcher Urteile über die Vergangenheit ja geradezu als ihre Hauptaufgabe und Daseinsberechtigung. Warum dann die Hemmungen in Bezug auf die Antike?

Zur Quellenlage habe ich den Eindruck, dass selbst wenn man lokale zeitliche Verschiebung, topoi-beladene Schriftquellen und eine dürftige Gesamtzahl an Quellen berücksichtigt, sich ein Bild ergibt, das im Wesentlichen schon den Ausdruck Untergang rechtfertigt. In England z.B. fand fast exakt das selbe statt, wie in einigen südamerikanischen spanischen Kolonien. Die einheimischen Männer wurden, laut genetischer Untersuchung, fast komplett von der Fortpflanzung abgeschnitten, die Eroberer eigneten sich Land und Frauen im Rahmen einer sehr gründlichen Landnahme an. In Gallien blieb die romanische Bevölkerung zahlenmäßig interessanterweise in der Übermacht, wie schon die sprachliche Entwicklung zeigt, aber obwohl nur die Kriegerkaste und Herrscher ausgetauscht wurden, folgt die gallo-römische Oberschicht im Laufe von 1-2 Generationen deren Lebenswandel und die Enkel griffelschwingender Grammatik-Enthusiasten werden analphabetische Schlagetots. Im gallischen und germanischen Grenzbereich werden römische Gebäude bis zum Verfall bewohnt, dann aufgegeben und direkt daneben Hütten gebaut. Aus großen Prachtgebäuden werden Metallklammern und Steinblöcke gebrochen, Straßennetz und Wasserversorgung verkommen... also um zwischen dem allgemeinen Lebensstandard bis ca. 400, und dann dem um ca. 500, zumindest in weiten Teilen Europas, keinen Niedergang zu erkennen, muss man sich schon etwas mühen.

@ severus: Auch was die erwähnte Transformation der Republik angeht, würde ich die Kontinuitäten nicht überbetonen. Nach hundert Jahren Bürgerkrieg hatte sich die alte republikanische Führungsschicht selbst ausgerottet und der vollkommen müde gekämpften Bevölkerung war die Alleinherrschaft lieber, als fortgesetztes Chaos. Augustus sehe ich eher als das Vorbild für Senator Palpatine bei Star Wars und weniger als Retter der Republik.

Eine sehr faszinierende Frage in Bezug auf unser Thema ist für mich noch etwas anderes:

Die total durchmilitarisierte römische Bevölkerung der späten Republik, die in der hellenistischen Welt als barbarische Krieger gefürchtet waren, sind einige hundert Jahre später zu einer wehrunfähigen oder wehrunwilligen Bevölkerung geworden, die hilflos der Machtübernahme kleiner, eingewanderter Gruppen ausgeliefert ist. Wie ist das möglich? 20.000 Goten oder Wandalen setzen sich als neue Führungsschicht auf Millionen von Römern... hat die \"Pax Romana\" des Augustus und die weitgehende Professionalisierung und Abtrennung des Militärs von der Zivilbevölkerung zu einer Pazifizierung geführt, die in diesem Falle verhängnisvoll war? Im Sinne einer Domestizierung zu hilflosen Steuerzahler-Untertanen?

Viele Grüße,

Yogsothoth
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Thaddäus am 12. Mai 2015 - 11:39:54
@Mansfeld: Das interessante ist ja, dass Severus und Du eine ganz andere Vorstellung vom Begriff Transformation haben. Severus bezieht \"Transformation\" auf den Begriff \"Römisches Reich\" und Du siehst dabei, so wie ich es auch erst bei Severus angenommen habe, das Reich als solches in einer Transformation begriffen.
Severus gebe ich vollkommen Recht, dass man durchaus von einer Transformation sprechen kann, was den Begriff angeht. Das Reich als solches hat jedoch deutlich negative Entwicklungen gemacht, die ich getrost als Untergang bezeichnen möchte.
Was die Bezeichnung Untergang angeht, so scheinst Du damit auch das Ende jeglicher Existenz zu bezeichnen. Ich habe ja mehrfach geschrieben, dass für mich durchaus Kontinuitäten bei einem Untergang gegeben sein können und im Römischen Reich war das sicherlich der Fall. Der Unterschied zwischen dem Römischen Reich im 2. Jahrhundert und dem 6. Jahrhundert ist für mich jedoch so gravierend, dass ich tatsächlich infrage stelle, ob das Reich überhaupt noch wiederzuerkennen ist, oder doch eben untergegangen ist.
Yogsothoth hat ja auch einige Hinweise gegeben, die eine Untergangstheorie stützen und wenn man mal ehrlich ist - wenn die Bevölkerung der Haupstadt von einer Million auf vielleicht ein Zehntel gesunken ist... dann war etwas ganz im Argen! Natürlich sind die Römer nicht ausgestorben (das habe ich tatsächlich schonmal von jemanden gehört) - aber das Reich hat sicherlich nicht die Zeit unbeschadet überstanden. Viele Begriffe haben die Zeit überdauert - und in diesem Punkt gebe ich Severus absolut Recht.
Das Römische Reicih hat irgendwann jedoch auch komplett aufgehört zu existieren - und das Ende war nicht von Heiterkeit geprägt, sondern von wirtschaftlichem, kulturellen, militärischen, wissenschaftlichen Niedergang.
Natürlich kann man nun argumentieren, dass das, was um 700 existierte kulturell genau so hochwertig war, wie das was 200 existierte, denn alle Kulturen könnte man auch als gleichwertig ansehen (was ich nicht tue) - aus meiner Sicht war es jedoch ein Verfall und eine eigene Meinung steht jedem zu.

Interessant fände ich nun eine Erörterung von Dir (Manfeld) und Severus zu dem Thema \"Transformation\", denn ihr scheint beide doch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon zu haben. Einmal steht der Begriff im Raum und einmal das, was ich der Einfachheit halber als Staat bezeichnen möchte (auch wenn der Begriff natürlich nicht korrekt ist).
Kann man tatsächlich bei dem Staat lediglich von einer Transformation sprechen, oder gab es doch Ereignisse die man als Katastrophe, Untergang, Verfall, Zugrundegehen etc. beschreiben müsste? Das der Wertneutrale Begriff \"Transformation\" auf den \"Begriff\" angewendet werden kann, finde ich absolut vertretbar.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Thaddäus am 12. Mai 2015 - 11:55:31
@Mansfeld: Deine Frage an mich hast Du quasi selbst beantwortet. Ein Untergang muss nicht das Apokalyptische Ende in kurzer Zeit sein, wie es das 3. Reich fabriziert hat. Genau der schleichende Prozess, den Du erwähnst, der durchaus schon im 3. Jahrhundert beginnt und sich langsam fortschreitend durch die Geschichte zieht, bis das römische Reich zur Unkenntlichkeit zerfallen ist - genau das bezeichne ich als Untergang. Gestützt wird es durch Deine eigenen Erwähnungen und man kann sicherlich noch viele hinzufügen (Demographisch, Wirtschaftlich .. es lassen sich viele Hinweise geben, die auf eine Rückentwicklung schließen lassen)
Wie ich schon geschrieben habe, die Definition \"zugrunde gehe\" finde ich sehr passend. Etwas kann auch sehr langsam zugrunde gehen ;) ... aber es bleibt dabei durchaus ein Untergang. Es ist eben keine positive Entwicklung, sondern destruktiv.


@Tumbertor: Ohoh.. der Spengler, da reagieren aber viele allergisch drauf. Ein gewisses Auf und Ab halte ich jedoch durchaus für nachvollziehbar. Es findet sich irgendwie in fast allen Bereichen, man betrachte allein mal die Wirtschaftlichen Zyklen! Etwas abstrakter gesehen finde ich es immer auch recht amüsant, dass es sich auch in der Geschichtswissenschaft findet. Es gibt eine These A - Später kommt jemand mit einer revolutionären Gegenthese B - und am Ende einigt man sich dann in der Mitte, bis wieder irgendwer mal wieder was neues findet. Wie ein Pendel ;).
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: steffen1988 am 12. Mai 2015 - 11:59:22
Von einer Transformation des Reiches würde ich nicht sprechen. Ich verstehe darunter die Veränderung zu etwas gleichem, besseren oder effektiveren als das davorige. Beim Römischen Reich sollte man von einem Untergang abstand nehmen und eher von einem Niedergang sprechen. Vorallem einem Kulturellen und MIlitärischen Niedergang.

Ich wunder mich das noch niemand den möglicherweise degerativen Einfluss des Christentums auf diesen \"Niedergang\" ins Spiel gebracht hat.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Thaddäus am 12. Mai 2015 - 12:02:08
Zitat von: \'Yogsothoth\',\'index.php?page=Thread&postID=192700#post192700
Bezogen auf andere Themen (z.B. Nationalismus, Kolonialismus usw.) schrecken Historiker ja nicht gerade vor Werturteilen, auch moralischer Art, zurück, sondern betrachten ein gesellschaftspädagogisches Einwirken auf die Öffentlichkeit auf Basis solcher Urteile über die Vergangenheit ja geradezu als ihre Hauptaufgabe und Daseinsberechtigung. Warum dann die Hemmungen in Bezug auf die Antike?
Wenn es keine Werturteile gibt, dann kann es eigentlich auch keinen wirklichen Erkenntnisgewinn geben. Wenn wir lediglich Fakten auflisten, dann sind wir an dem Punkt \"Tonscherbe XY wurde auf dem Acker hinter der Kirche gefunden\".
Abgesehen davon, bleibt keine weitere Erkenntnis, wenn man nicht den Fund interpretiert und bewertet - und genau da setzt eben auch das Werturteil ein, von dem sich kein Mensch frei machen kann. Bewertet man z.b. den Rückgang der Bevölkerung Roms nun als tolle Neuerung, - eine Herausforderung, der sich Rom stellen durfte und welche die Gesellschaft vielleicht sogar nach vorne gebracht hat, oder bezeichnet man es doch eher als Rückgang und Zerfall ... die Interpretation ist ein Werturteil.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Thaddäus am 12. Mai 2015 - 12:07:49
Zitat von: \'steffen1988\',\'index.php?page=Thread&postID=192707#post192707
Beim Römischen Reich sollte man von einem Untergang abstand nehmen und eher von einem Niedergang sprechen.
Niedergang habe ich ja auch durchaus schon angeführt - es kommt wie gesagt wohl ein wenig auf die persönliche Definition der Begriffe an. Bei Niedergang schwingt natürlich schon ein wenig der längere Zeitraum vielleicht mit. Transformation ist jedoch zu Wertneutral für meinen Geschmack und es sollte ein Begriff gewählt werden, der die destruktiven, negativen Effekte wiedergibt. Niedergang klammert für mich vom Gefühl her ein wenig den Gewaltaspekt aus, während Untergang oft nicht über diesen langen Zeitraum verstanden wird. Es lässt sich da bestimmt herrlich drüber streiten :).

Im Englischen finde ich das \"Rise and Fall of the Roman Empire\" eigentlich eine gute Bezeichnung für das Werden und Gehen.

Führt Spengler nicht auch das Christentum als degenerativen Einfluss an? Wobei ich dieses Thema ehrlich gesagt für sehr umfangreich halte, denn der Osten des Reiches hat ja \"trotz\" Christentum noch lange weiter existiert und hat nicht so sehr diesen Niedergang erfahren. Es kann also höchstens ein Einfluss unter vielen gewesen sein, für das westliche Reich... wenn überhaupt. Ich würde es eben eher bezweifeln - da es auch durchaus einigende und stärkende Elemente für den Staat beherbergt hat.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Mansfeld am 12. Mai 2015 - 12:13:23
Insgesamt sehr schöne Diskussion mit sehr klugen Teilnehmern, nur mal so angemerkt  :)

Die angesprochenen Verfallserscheinungen (Verringerung der Stadtbevölkerung, Verfall bestehender baulicher Infrastruktur) setzen allerdings in der Soldatenkaiserzeit schon ein, aber wie alle ja schon gesagt haben, es ist schwer zu sagen, ab wann eine Situation eine rote Linie überschreitet.

Aber nur zur Klärung, was versteht ihr unter Untergang?
Das Verschwinden einer staatlichen Organisationsform in einem bestimmten Zustand? Immerhin heisst es ja im Threadtitel \"Untergang des Weströmischen Reichs\". Das impliziert ja schon eine poltische Betrachtungsweise.
Einen Niedergang der materiellen Kultur? Ist zumindest in der Alltagskultur nicht festzustellen, höchstens bei größeren Bausubstanzen (Aquädukte, Straßen).
Eine Verkleinerung der Wirtschaftsräume? Da ist man sich nicht so einig, archöologisch lässt sich ein funktionierender Fernhandel auch nach 476 nachweisen.
Oder ein Rückgang der Schriftlichkeit und des kulturellen Niveaus? Ersteres ist tatsächlich festzustellen, letzteres - naja, Goldschmiedearbeiten aus der Völkerwanderungszeit haben ein sehr hohes technisches Niveau, teilweise können wir heutzutage mit all unserer Technik da so einiges immer noch nicht nachmachen.

Übrigens kann man dieselbe Diskussion auch über \"Wann endet das Mittelalter\" führen, wenn es um die reine Abgrenzung geht.

P.S.: Ich glaube, ich habe bei \"Untergang\" einfach zu sehr Bilder wie 1945 im Kopf, daher mein Unbehagen mit der Anwendung auf den Übergang Spätantike/Frühmittelalter.  :)
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Tumbertor am 12. Mai 2015 - 13:50:16
Hi,

zu Thaddäus und Severus.

Ich meine, dass es neben dem moralischen und dem indifferenten Standpunkt zur Bewertung der Historie auch noch einen dritten gibt, den ästhetischen.

\"Denn nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt.\"  F.Nietsche

Wie will man etwa ein historisches Juwel wie den Untergang der Azteken moralisch beurteilen ?  Wer sind denn hier die \"Guten\" ? Und sollte man sich als Wargamer etwa wünschen, es hätte die Napoleonischen Kriege nie gegeben ?

Der Untergang Roms ist nun einmal, von Ferne betrachtet, reizvoller als manche ruhigere Epoche. Ich stelle mir die Betrachtung in etwa so vor, wie ein Zoologe sich mit kalter Erregung die Tumulte zwischen zwei Termitenhaufen unter der Lupe anschaut.

Übrigens, wer gerne GoThrones schaut, sollte diese Perspektive eigentlich kennen.

Gruß
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 12. Mai 2015 - 17:13:27
Zitat
Der Untergang Roms ist nun einmal, von Ferne betrachtet, reizvoller als
manche ruhigere Epoche. Ich stelle mir die Betrachtung in etwa so vor,
wie ein Zoologe sich mit kalter Erregung die Tumulte zwischen zwei
Termitenhaufen unter der Lupe anschaut.
Vielleicht ist auch so wie bei schweren Autounfällen. Alle finden es eklig, aber alle glotzen hin 8o .

@ Mansfeld mir geht es da wie dir. Wenn ich Untergang höre, habe ich irgendwie rauchende Ruinen und Trümmerfrauen vor mir und Männer in umgefärbten Uniformen. ( Bevor das nächste Offtopic losgeht, ich habe den neuesten Beitrag zum Mythos Trümmerfrau zu Kenntnis genommen.)Also den endgültigen und totalen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Hanno Barka am 12. Mai 2015 - 21:12:35
Nur mal so als Denkanstoß/ Einwurf/ whatever... : Für die Menschen des 5. Jahrhunderts gab es kein weströmisches (oder oströmisches Reich) - es gab den orbis terrarum. Die Teilung in 2 quasi voneinander unabhängige Staaten ist auch etwas was wir aus moderner Sicht nachträglich implementiert haben. Selbst nach Theodosius gab es nur ein römisches Imperium. Ich verwende diesen Begriff hier bewußt in seiner lateinischen Urbedeutung (Herrschaft) und als Basis des militärischen Ehrentitels Imperator, weil das ein wenig vermittelt was das römische Reich für seine Bewohner war. Wie schon erwähnt hatten diese Leute keinen mit unserem vergleichbaren Begriff von Staat. Zumindest bis Diocletian (der den Titel Domninus beanspruchte) wussten die Römer nicht mal, daß sie ein Kaiserreich waren, sondern hielten sich für eine Republik ... Der Titel Imperator war, wie gesagt ein militärischer Ehrentitel, der einem Feldherren verliehen wurde, wenn ihm ein Triumphzug genehmigt worden war. Augustus und Caesar waren bloße Ehrentitel ohne damit verbundene gesetzliche Funktionen. Die faktische Macht des \"Kaisers\" leitete sich vor allem von seiner Unterstützung des Militärs ab. (zu Beginn der Prätorianer später dann der \"gewöhnlichen\" Legionen), die gesetliche Legitimation leitete sich davon ab, daß er stets einen, oft auch gleichzeitig mehere Schlüsselposten der Republik innehatte. (Konsul, Diktator, Pontifex Maximus, Volkstribun etc. pp.) Und seit Diokletian war man auch gewohnt, daß das Reich mehr als einen Augustus ond Caesar haben konnte.
Ich will hier nicht vom Thema abschweifen, aber ich versuche mal zu unterstreichen wie unterschiedlich das römische Reich aus damaliger vs. heutiger Sicht ist.
Und was hat sich jetzt nach der Machtergreifung Odoakers in Italien (dem defacto letzten Gebiet, über das das \"weströmische Reich\" noch faktische Macht ausüben konnte) für den einfachen Bürger (aber auch den typischen Adeligen) verändert?
Rekapitulieren wir die Situation vor Odoaker: Das politische Zentrum ist Ravenna, dort sitzt die Verwaltung und es gibt es einen (ethnisch germanischen) Patricius, der de facto die Macht innehat,da er die germanischen Foederati hinter sich stehen hat. Des weiteren gibt es in Ravenna noch einen Augustus, der wie schon seine Vorgänger eine Repräsentationsfigur ist, nach der Pfeife des Patricius tanzen muss und keine faktische politische Macht in Italien inne hat.
Vergleichen wir die Situation nach der Machtergreifung Odoakers:  Das politische Zentrum ist Ravenna, dort sitzt die Verwaltung und gibt es einen (ethnisch germanischen) Patricius, der de facto die Macht innehat,da er die germanischen Foederati hinter sich stehen hat. Des weiteren gibt es eine Augustus in Konstantinopel, der zwar nicht nach der Pfeife des Patricius in Ravenna tanzt, aber keine faktische politische Macht in Italien inne hat.
Das ist dann der Untergang der römischen Zivilisation?

ps: Afaik weiß man nicht sicher ob Odoaker den Titel rex Italium selbst getragen hat, oder ob er ihm von der Geschichtsschreibung posthum verliehen wurde.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 12. Mai 2015 - 22:37:30
Zitat
stets einen, oft auch gleichzeitig mehere Schlüsselposten der Republik
innehatte. (Konsul, Diktator, Pontifex Maximus, Volkstribun etc. pp.)
Das ist in der Tat eher Legitimation als reale Machtbasis. Aber mir der faktischen Entmachtung des Senats waren die Magistraturen noch viel mehr als in republikanischer Zeit bloße Ehrentitel. Den verfassungsmäßigen Ausdruck für die Macht des Princeps fand sich in der tribunicia potestas ohne das Tribunat inne haben zu müssen. Und sie spiegelt auch wider, wie kaiserliche Macht seit Augustus ausgeübt wurde. Denn die tribunicia potestas war keine Macht, etwas zu forcieren, sondern Gesetzeseingaben per veto zu unterbinden. Das Wesen des Prinzipats war bis zu den Soldatenkaisern im Wesentlichen darauf gsetützt, die Kontrolle über die strategisch wichtigen Provinciae und über das Militär auszuüben und ansonsten den Senat Rom verwalten zu lassen und lediglich dann einzugriefen, wenn dies den Kaisern notwendig erschien. Und natürlich Einfluss darauf zu nehmen, wer, welchen Posten bekleidete. Im Übrigen stützten sich die Principes im Wesentlichen auf die senatorische Oberschicht und noch Sueton urteilt über die verschiedenen Kaiser, inwiefern sie gegenüber der senatorischen Oberschicht die nötige Würde wahrten und deren Stellung wahrten. Es ist bezeichnend, dass genau die Kaiser einen gewaltsamen Tod fanden, die gegen dieses Prinzip verstießen und sich eine anderweitige Machtbasis zu schaffen suchten. Caligula, Claudius(wohl) Nero. Sie alle überzogen die römische Senatsaristokratie mit Schmähung und Terror.


Erst unter den Soldatenkaisern änderte sich die Machtbasis und Herrschaftsausübung. An die Stelle der Senatoren rückten die Ritter. Da erst kam eine umfangreiche kaiserliche Verwaltung auf.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: Tumbertor am 14. Mai 2015 - 09:05:11
Zitat von: \'severus\',\'index.php?page=Thread&postID=192725#post192725
Vielleicht ist auch so wie bei schweren Autounfällen. Alle finden es eklig, aber alle glotzen hin 8o .

Ich denke, es ist nicht einfach nur das \"Blut\" oder sogar der Ekel. Mehr das Gefühl eines gänzlich Fremden oder Fernen und dann doch wieder der Vertrautheit.

Historischer Krieg, Chaos und Gewalt sind ja weniger aus Sensationsgründen interessant als vielmehr durch die Intensität und Dichte der Handlung. Die ganze Breite menschlichen Handels steht plastisch vor einem.
Titel: Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Beitrag von: severus am 14. Mai 2015 - 15:41:50
Zitat
Ich denke, es ist nicht einfach nur das \"Blut\" oder sogar der Ekel. Mehr
das Gefühl eines gänzlich Fremden oder Fernen und dann doch wieder der
Vertrautheit.

War auch nicht ganz ernst gemeint, zumla die Zahl der Hersteller doch auch arg dünn gesäht ist, deren Figuren nach misslungenem Schutzwurf anfangen tatsächlich zu bluten oder Gleidmaßen zu verlieren.

. Krieg hat etwas sehr ambivalentes. Nichts läge mir ferner, mir zu wünschen, selbst eine echte Schlacht als Teilnehmer zu erleben. Oder Krieg als Mittel der Politik gutzuheißen. Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass von Waffen und Militär ein gewisser Reiz ausgeht, der die archaischsten Instinkte anspricht.

Ich kann z.B. auch Pazifisten nicht verstehen, die sich nicht einmal die Mühe machen, sich mit Kriegen udn all den Dingen auseinanderzusetzen, weil Kriege ja doof sind. Gerade wenn fundiert Kritik üben will, sollte man sich doch mit dem Objekt seiner Kritik auseinandersetzen.

Meiner Ansicht nach stellt z.B. Clausewitz das Verhältnis von Politik auf den Kopf, wenn er sagt, dass Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. Umgekehrt, im Krieg tritt das wahre Wesen von Herrschaft und Politik brutal offen zutage. Herrschaft beruht auf Gewalt. Und im Kriege wird sie hemmungslos ausgelebt. Nicht nur das, im Kreige offenbaren sich die tatsächlichen Machtverhältnisse, die friedlichen Zeiten hinter der Fassade von Verfassungen verborgen liegt.