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Epochen => Frühes Mittelalter bis zur Renaissance => Thema gestartet von: Goltron am 04. Dezember 2015 - 11:32:14

Titel: Lanzentransport
Beitrag von: Goltron am 04. Dezember 2015 - 11:32:14
Ich frage mich gerade wie berittene Kämpfer im Mittelalter oder auch danach ihre Lanzen transportiert haben. Ich meine damit im Gefechtsfall oder zumindest wenn man seine Waffen Griffbereit haben musste, etwa als Vor- oder Nachhut.
Titel: Lanzentransport
Beitrag von: Jocke am 04. Dezember 2015 - 12:07:48
Bei ner Reise von A nach B wahrscheinlich irgendwo auf einem Karren. Die Griffbereite Waffe für evtl. überfälle wäre in dem Fall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Reiterhammer, Streitkolben, Axt oder Schwert, welche als Sekundärbewaffnung am Mann war. Das Lanzenreiten brachte ja nur was in formation für die gewaltige Durchschlagskraft beim Ansturm in enger Schlachtordnung als Schockkavallerie.
In einem Schlachtzug haben sie die Lanze wohl einfach in der Hand gehalten, wie jede andere Waffe auch.
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Beitrag von: Machine Head am 04. Dezember 2015 - 12:27:46
Trägt die nicht der Lanzknecht?  :tomato:
Titel: Lanzentransport
Beitrag von: Pappenheimer am 04. Dezember 2015 - 13:24:35
Ich dachte, dass die Lanzenreiter dafür ihre Knappen etc. hatten. Karren halte ich irgendwie für unpraktisch und unnötig. Wenn dem Ritter die Lanze zu hinderlich beim Reiten war, hat er sie halt jemandem gegeben, der sowenig zu sagen hatte, dass er sie einfach rumschleppen durfte. Rein physisch ist es bei der damaligen Durchschnittsgeschwindigkeit kein Problem ne Lanze mit sich zu führen. Der Funcken bildet das m.E. bei den \"Lanzen\" (also Ritter mit Gefolge) ganz glaubhaft ab.
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Beitrag von: Jocke am 04. Dezember 2015 - 14:24:45
Fränkische Panzerreiter hatten nicht unbedingt Knappen, das Heer hatte eigentlich immer einen Tross mit Karren usw.
Keiner war damals so bekloppt und hat Tag ein Tag aus die Lanze in der Hand gehabt, das wäre mehr als nur beknackt. Dafür gab es Lasttiere die Bündel mit Waffen schleppten sowie Karren. Ich geh sogar soweit zu vermuten das die Lanzenschäfte erst im Feldlager hergestellt wurden, Lanzen waren sicher verbrauchsgut.
Vor der Schlacht wurden dann mit ziemlicher sicherheit die Waffen verteilt und die Lanzen an die Reiterei ausgegeben... Wenn die Schlacht gewonnen war wurden dann wahrscheinlich die Lanzenspitzen geborgen und wieder aufbereitet.

Der Transport der Lanze durch den Reiter war also vermutlich vom Feldlager aufs Schlachtfeld... mehr nicht.
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Beitrag von: Pappenheimer am 04. Dezember 2015 - 14:36:13
Karren haben halt den Nachteil, dass man dafür halbwegs brauchbare Straßen und Wege braucht. Mit Pferden alleine ist man noch relativ flexibel. In der Neuzeit war es ja auch kein Problem die Lanzen bei den Reitern oder die Piken beim Fußvolk rumzuschleppen.
In \"Worst jobs in history\" gab es auch eine Folge, die recht schön den Aufwand bei der Produktion von Lanzen zeigte. Klar wurde dabei, dass das schon nicht so ganz unaufwändig war. Freilich ging es dann darum, dass das Zeug auf den Turnieren nur so verschrottet wurde, aber das waren auch die extra schön malerisch splitternden Turnierlanzen.

\"Worst jobs in History - Royal\" https://www.youtube.com/watch?v=ksg1cs7ZJ-U
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Beitrag von: ArcShao am 04. Dezember 2015 - 15:00:07
Kann die Aussagen von Jocke bestätigen. Es war auf jeden Fall der Transport per Tross im Karren normal. Nicht mal das Kettenhemd wurde prinzipiell getragen, sondern in nem Sack mit Sand gefüllt aufs Pferd gehängt, gem. meinem Wissen. Das ständige gepanzert und schwer bewaffnet sein gehört eher in die Fantasy und P&P RP Richtung ;) Kann jeder bestätigen, der in nem Mittelalterverein ist und mehrere Tage in Gewandung und Rüstung verbringt abseits von einem Event zbs. bei einer Wanderung und so. Da wird einem erst bewusst, wie absurd solche Ideen überhaupt sind wie ständig voll gewappnet sein. Damals hat min sich auch erst zur Schlacht gerüstet, wenn es soweit war. Ist ja heute auch nicht anders. Und wir haben sogar alles leichteres Material und um Welten bessere Logistik.
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Beitrag von: Pappenheimer am 04. Dezember 2015 - 15:08:12
Gibt es dann Beispiele dafür, dass überrumpelte Ritterheere erstmal aufgeschmissen waren? Haben die Ritter ihre persönlichen Karren immer bei sich gehabt, damit sie an ihr persönliches Zeug kamen? Oder war das Allgemeingut? Jeder kriegt ne Lanze, der eine braucht? Wie kann man sich das vorstellen? Oder war die Aufklärung damals schon so prima, dass man immer genau wusste, ob man gerade einen Feind in 5-10 km Umfeld erwarten durfte? Bei nem Begegnungsgefecht müssen ja diejenigen, die zuerst angezogen waren oder vorsichtshalber schon angezogen rumrannten im Vorteil gewesen sein.  8)
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Beitrag von: Riothamus am 04. Dezember 2015 - 17:00:31
Wenn ich mich recht entsinne ist Karl der Kühne einmal aus der Marschkolonne mit seinen Rittern direkt zum Angriff übergegangen. Natürlich wird man nur in Feindnähe den ganzen Tag gerüstet gewesen sein. Wenn nicht, gab es auch keine Marschordnung, der einzelne Ritter zog einfach mit seinem Gefolge die Strecke bis zum nächsten Lager. Ein Ritter hatte übrigens ein Packpferd. Das taucht auch in den Quellen auf, hängt aber wohl damit zusammen, dass so mancher Ritter sich keinen Karren mehr leisten konnte. Bei Delbrück in Westfalen wurde 1411 ein großes Ritterheer von den Bauern der umliegenden Dörfer besiegt und zu großen Teilen gefangen genommen, weil man nicht mit einem Angriff rechnete und ungeordnet, sowie wahrscheinlich ungerüstet, das wurde jedenfalls schon mal angenommen, durch feuchtes und unübersichtliches Gelände zog.

Und auch im Frühmittelalter wurde nichts ausgegeben oder zentral beschafft; jeder Krieger war für seinen Kram verantwortlich. Schauen wir nach England: Da wurde in der Heimat überprüft, dass die Waffen einsatzfähig waren.

Später war genau geregelt, wer was für einen Wimpel / was für ein Banner / etc. pp. führen durfte. Dies Statussymbol hat man dann auch möglichst gezeigt.

Schon bei Delbrück ist einiges belegt. Für die Kultur der Kriegführung des Hochmittelalters empfehle ich sonst immer Georges Duby, Der Sonntag von Bouvines 27. Juli 1214, Berlin 1988. Aber ich kann mich gerade nicht entsinnen, ob dort etwas zum Waffentransport steht.

EDIT: Feindnähe heißt ohne vernünftige Aufklärung natürlich ein wesentlich größerer Bereich und oft wahrscheinlich bloß eine Vermutung.
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Beitrag von: Jocke am 04. Dezember 2015 - 18:05:23
Zitat von: \'Pappenheimer\',\'index.php?page=Thread&postID=208872#post208872
Gibt es dann Beispiele dafür, dass überrumpelte Ritterheere erstmal aufgeschmissen waren? Haben die Ritter ihre persönlichen Karren immer bei sich gehabt, damit sie an ihr persönliches Zeug kamen? Oder war das Allgemeingut? Jeder kriegt ne Lanze, der eine braucht? Wie kann man sich das vorstellen? Oder war die Aufklärung damals schon so prima, dass man immer genau wusste, ob man gerade einen Feind in 5-10 km Umfeld erwarten durfte? Bei nem Begegnungsgefecht müssen ja diejenigen, die zuerst angezogen waren oder vorsichtshalber schon angezogen rumrannten im Vorteil gewesen sein. 8)
Von welchem Zeitraum sprechen wir hier eigentlich? Für nen Lanzenanritt brauch man ne Formation und geeignetes Gelände, da würde also ein \"Überfall\" garkeine Chance dafür geben, deswegen hatte jeder Reiter auch seine Seitenwaffe. Das Persönliche Zeug eines Ritters wurde entweder am Pferd direkt Transportiert oder an einem Lasttier/Karren. Die beschreibung der Schlacht von Azincourt zeigt ausserdem durchaus auf das die Aufklärung sehr wohl gut war und das auch ein Erschöpftes und unterlegenes Heer wie das von Heinrich dem V. nicht so einfach überrumpelt wurde.
Lanzen waren wie gesagt \"Verbrauchsmaterial\", wie Pfeile, ergo gehen wir mal davon aus das der Ritter selbst keine Lieblingslanze hatte, die nur für ihn war... Das halte ich eher für einen Romantisierten Mythos...
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Beitrag von: T. Dürrschmidt am 04. Dezember 2015 - 19:43:22
Guckt mal hier:

Teppich von Bayeux (http://www.bayeuxtapetet.dk/engelsk/images/photogalerier/scener_1/scene%2026.jpeg?modal=1)
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Beitrag von: Jocke am 04. Dezember 2015 - 20:12:17
Danke Herr Dürrschmidt, genau die Szene hab ich heut mittag gesucht, aber aus Zeitmangel nicht gefunden, wusste das der Teppich sowas hat...
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Beitrag von: Wellington am 04. Dezember 2015 - 20:41:20
Danke! Ich wußte dass es ein Bild gibt, aber nicht mehr welches jahrhunder :D
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Beitrag von: T. Dürrschmidt am 05. Dezember 2015 - 01:12:17
(http://www.milites.net/img_pro/wag_kfb.jpg)
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Beitrag von: Pappenheimer am 07. Dezember 2015 - 15:19:55
Danke für die illustrierenden Bilder, auch für die Bemerkungen von Riothamus.

@ Jocke
Wobei ich mich auch nicht entsinnen kann, dass um Lanzen großartiges Gewese gemacht wurde. Ausnahmen mag es geben. In den Sagen stehen die Schwerter ohnehin weit stärker im Fokus.
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Beitrag von: Riothamus am 07. Dezember 2015 - 16:52:47
Der Teppich von Bayeux ist in diesem Zusammenhang natürlich in sofern etwas ungünstig als Quelle, da er sozusagen eine Ausnahme von der Ausnahme darstellt. Bekanntlich kann man die Normandie als Musterstaat betrachten. Zum anderen aber musste Wilhelm auf externe Krieger zurückgreifen, da ein Teil seiner Vasallen abstritt, ihm zur Eroberung Englands dienen zu müssen. Auch sonst wäre sein normales Aufgebot wohl zu klein gewesen. Welche Gründe man auch immer nennt, sein Heer bestand zu einem großen Teil aus Söldnern und Rittern, die sich dringend ein Lehen erkämpfen mussten. Hier musste der Kriegsherr zurüsten, allein schon um die Qualität der Bewaffnung sicher zu stellen. Es war eben nicht das normale Aufgebot.

Aber es wird auch niemand bestreiten, dass, auch wenn der Teppich die Ausnahmesituation einer besonders großen Unternehmung darstellt, ein Aufgebotsherr Ersatz mit sich führte und bei Bedarf an sein Aufgebot austeilte. (Wobei nicht nur der jeweilige Kriegsherr ein Aufgebotsherr war, sondern auch diejenigen seiner Vasallen, die ein eigenes Aufgebot anführten. Mit diesem Status war ursprünglich das Recht, eine Fahne zu führen, verbunden. Das eigentliche Tragen der Fahne war später meist an eine bestimmte Adelsfamilie als Privileg vergeben.)

(Dazu dienen die Lanzen auf dem Teppich von Bayeux noch in erster Linie als Wurfwaffe und zum Fechten, weniger zum Angriff in der Formation. Aber das ist wieder ein anderes Thema.)

 Doch war im Normalfall genau festgelegt, dass das Aufgebot bewaffnet zu erscheinen hat. Ich habe gerade keine Zeit, es herauszusuchen, weshalb ich dazu noch nichts geschrieben hatte, aber es gibt dazu über das ganze Mittelalter hinweg Schriftquellen. Da soll keine Lanzenspitze mitgebracht werden, sondern ein Speer oder eine Lanze. Keine Pfeilspitzen, sondern Pfeile. Was dann im Dienst verbraucht wurde, musste natürlich ersetzt werden. Der Ritter musste ja schon deshalb einen Satz Waffen besitzen, um sich üben zu können. Was nach Aussage der Fachliteratur gerade für den Lanzenritt besonders notwendig ist.

Dass es einen Unterschied machte, ob man reiste oder gerüstet zu Pferd saß, geht daraus hervor, dass man das Schlachtross eben nicht nicht zum Reiten, also für den Personentransport von A nach B nutzte, sondern dafür ein Reisepferd mit sich führte. Daher muss es notwendigerweise Gewohnheiten gegeben haben, wann ein Heer bereit zur Schlacht marschierte, oder wann es reiste, um mit dem anachronistischen Ausdruck \'marschieren\' den Gegensatz zur ungerüsteten Positionsveränderung zu betonen.

Was die Ursprungsfrage angeht, muss man also feststellen, dass es situationsabhängig war.

Dazu kommt, dass Mittelalter und frühe Neuzeit (Für diese Frage sicher bis in die ersten Jahre des 30jährigen Kriegs zu fassen.) einen sehr langen Zeitraum mit gewaltigen Änderungen bei Kampfesweisen und Logistik umfasst, dass eine pauschale Beantwortung eigentlich zu kurz fasst. Auch muss bewusst sein, dass von einem begrenzten Raum auszugehen ist. Schon auf den Britischen Inseln, in Ost- und Nordeuropa herrschten, zumindest zeitweise andere Regelungen zur Heeresorganisation.