Die meisten hier dĂŒrfte zu einer Generation gehören, bei der Spielrunden ein Faktor der Sozialisation sind. Viele werden darĂŒber hinaus die Erfahrung gemacht haben, dass es auch bei Spielen ab und an einer intellektuellen Herausforderung bedarf, dies anderen wieder zu anstrengend ist. FrĂŒher gab es die, die ab und an mal eine Partie Schach spielten und die evt. sogar einmal im Jahr die SchachĂŒbertragung im WDR sahen. In den 90er Jahren gab es hier einen Bruch. Schach wird in der Regel sportlich betrieben und kaum als Spiel. Dadurch gibt es wesentlich weniger Spieler in meiner Leistungsklasse, um es mal so zu nennen. Die einen studieren es geradezu und befinden sich heute unter den Spielern in der Mehrheit, wĂ€hrend die anderen, heute weniger Spieler, es als VergnĂŒgen spielen und nicht jede Eröffnung bis zum 40. Zug auswendig kennen. Ich bin sicher, dass sich das VerhĂ€ltnis auch wieder umkehrt und es muss nicht in jeder Region dieselbe Entwicklung sein. Ăhnliches kann man selbst bei Skat beobachten.
Beim Wargaming ist dies kein so groĂer Gegensatz wie bei anderen Spielen. DafĂŒr kommen hier als Hintergrund die Geschichte und die Mechanismen des Krieges hinzu. Mit entsprechender historischer Vorbildung, geht man anders an die Sache heran, als ein Spieltheoretiker. Wer speziell an den AblĂ€ufen im Krieg interessiert ist, wie ein Offizier, der wird wieder eine andere Herangehensweise haben. Vierte suchen auch einfach eine Unterhaltung auf einem gewissen Niveau und mit genĂŒgend Abwechslung (ohne Anspruch auf VollstĂ€ndigkeit: GelĂ€ndebau, Malen, Spielen, Recherche, Fachsimpeln und eben auch die Nachstellung historischer Situationen). FĂŒr mich gehört alles dazu.
Zur Zeit Fachsimpeln wir eben wieder ĂŒber die Möglichkeit der Simulation. Ich wĂŒrde nicht Frostgrave und Saga in meiner Sammlung haben, wenn ich nicht auch mal einfach an Unterhaltung interessiert wĂ€re. Dabei fĂŒhre ich gerne ins Feld, dass sich Saga eben an den Sagas orientiert, also eine andere Sichtweise der Historie verarbeitet. Ich habe keine Ahnung, ob sich dafĂŒr noch jemand im Forum interessiert. Aber im Gegensatz zu vielen anderen, rĂŒhrt mein Interesse an der Geschichte nicht nur aus der Philologie her, sondern bezieht auch die ArchĂ€ologie und -hier entscheidend- die AnsĂ€tze der Ethnologie und Völkerkunde (definiert als die BeschĂ€ftigung mit der eigenen Gruppe von als Einheit gesehenen Ethnien; mit dem, was einige befĂŒrchten hat dies Fach heute nichts mehr zu tun) mit ein. Da ergibt sich nĂ€mlich plötzlich die Frage, was es bedeutet, dass die Sichtweise des Kriegs im 13. Jahrhundert in den Sagas (oder auch in höfischen Epen) so und nicht anders war. Beeinflusste das reale Entscheidungen, wie es ja von der biblischen ErzĂ€hlung lange bekannt ist? Wie wirkte sich das Kriegsspiel auf Entscheidungen im 2. Weltkrieg aus? Und umgekehrt, wenn auch nicht soweit zurĂŒckreichend: Wie beeinflussen die jeweiligen Ansichten das Wargaming?
Das wird vielen völlig uninteressant erscheinen und vielleicht die Frage hervorrufen, warum der Rio das so interessant findet. Und genauso ist es m.E. mit der Frage nach der Simulation. Allerdings ist es eine Frage, auf die man bei theoretischer BeschĂ€ftigung sofort stöĂt: Jedes Spiel ist zu einem gewissen Anteil Simulation.
Aber jedes Spiel ist auch Kunst. Kunst kann unterschiedlich beurteilt werden. Voltaire sagte mal, dass jede Art von Kunst gut ist, auĂer der, die langweilig ist. In diesem Spott steckt viel Wahres. Es kommt auf die Sozialisation und die jeweilige AusprĂ€gung unserer Bildung an, was wir interessant finden. Die Szene, in der in 'Life of Brian' 100 mal 'Römer geht nach Hause' an die Wand geschrieben werden muss, hat fĂŒr jeden, der Lateinunterricht genossen hat, einen wesentlich intensiveren Bezug.
Und genau wie sich jeder fĂŒr GemĂ€lde anders interessiert, interessiert sic eben jeder anders fĂŒr Spiele (und Simulationen).
Wenn nun um die Abbildung der Wirklichkeit durch Regelmechanismen diskutiert wird, geht es eben um die Sichtweise auf die Historie, die tatsĂ€chlichen Ereignisse. Wer Geschichte nur als halbwegs interessante oder auch langweilige ErzĂ€hlung sieht, wird dies nicht so nachempfinden, wie jemand, der alle Quellen zu einem bestimmten Problem, einem bestimmten Ereignis kennt, sich per se fĂŒr Geschichte interessiert und wer sich in erster Linie fĂŒr den militĂ€rischen Ablauf interessiert, wird es auch nochmals anders betrachten.
Hier sind wir aber bei eher technischen Fragen, nicht bei Wissenschaft. Wir diskutieren ja nicht darum, ob Kolonnen durchdrungen werden können, sondern wie dies korrekt dargestellt wird. Und auch die Diskussion hier im Thread ist eher an praktisch Vorhandenem ausgelegt: Wie kann man damit Ergebnisse erzielen, die möglichen historischen entsprechen? Das das nicht 1:1 funktioniert, ist ja jedem klar - das setze ich voraus. Es geht auch explizit nicht darum, dass es "die RealitĂ€t echten Krieges abdeckt". Bei jeder Simulation geht es um begrenzte Fragen. Hinsichtlich des Krieges hat schon Clausewitz die Unmöglichkeit der Beschreibung aller Faktoren konstatiert, woran sich bis heute nichts geĂ€ndert hat. Auch professionelle Berechnungen, wie sie in den letzten Jahren aufkamen, berĂŒcksichtigen das und gelten immer nur fĂŒr bestimmte FĂ€lle. Aber kann man so an den SchrĂ€ubchen drehen, dass es gut genug funktioniert, dass eine oder mehrere Fragen oder Erscheinungen relevant sind?
Was die Kompensation unseres Drangs nach Gewalt betrifft, sehen wir ja an der Leere im Forum wĂ€hrend wichtiger FuĂballspiele, dass wir da nicht anders sind als der Rest der Bevölkerung. Jedenfalls, wenn wir der gĂ€ngigen Theorie folgen. Denn dazu gibt es mittlerweile auch ganz andere AnsĂ€tze, die viele vermeintliche Wahrheiten verwerfen, weil sie die Rolle der Traumatisierung eigentlich der gesamten europĂ€ischen Bevölkerung von Beginn der Geschichte bis 1648 und danach in Kriegszeiten ernst nehmen. Wir wissen, dass wir nicht einfach anders mit Gewalt und Kompensation umgehen. Die Gesellschaft war einfach bis in die 70er Jahre noch durch den Krieg traumatisiert, weshalb ab dieser Zeit die hĂ€ufigen, ja geradezu regelmĂ€Ăigen SchlĂ€gereien rapide abnahmen. Das ist auch in anderen langen Friedenszeiten zu beobachten. Der vielzitierte Drang nach Gewalt wurde aber mit in traumatisierten Gesellschaften sozialisierten Untersuchungsgruppen festgestellt.
Kommen wir zur Wissenschaft. Hierzu kann ich viel oder wenig schreiben. Nach Kant, kann nicht mehr gesagt werden, dass eine Gruppe von Menschen keine Wissenschaft betreiben kann. Voraussetzung ist, dass diese Gruppe bereit ist, auf dem entsprechenden Gebieten zu Experten zu werden oder solche bereits beinhaltet. Dabei ist auch ein unterschiedlicher Stand der Mitglieder der Gruppe akzeptabel und bestimmtes, zweckmĂ€Ăiges, begrĂŒndetes Vorgehen wird vorausgesetzt. Gerade in Teilen der Historie bringen es historische Laien immer wieder auf einen hohen Stand, wozu schon Mommsen trotz aller DĂŒnkel den Grund kannte: Kein Historiker kann alles wissen, weshalb er klug beraten ist, manchmal auch auf Laien zu hören, die eben nur ein oder ein paar Gebiete kennen. NatĂŒrlich mĂŒssen die allgemeinen HintergrĂŒnde beachtet bleiben. Besonders wichtig ist fĂŒr die Wissenschaftlichkeit die öffentliche und offene Diskussion, also im Netz heute vor allem der Verzicht darauf, unliebsame Meinungen einfach niederzubrĂŒllen. (Ich beziehe mich lieber auf andere Grundlagen, aber das Bundesverfassungsgericht verlangt -es ging wohl um Fragen der Förderung- einen gewissen Kenntnisstand und ein methodisch geordnetes Vorgehen, sowie, wenn ich mich nicht irre, die Ăffentlichkeit. Bei manchen Themen ist es einfach hilfreich, sich mal die Interpretation der Juristen anzusehen.) So hoch sind die HĂŒrde also nicht, erst recht ist Wissenschaft keinem geheimen Kult oder einer Gilde vorbehalten. Es kommen noch ein paar Bedingungen hinzu, die aber auch nicht geheim sind. AutoritĂ€ten dĂŒrfen dabei nicht als Wahrheitskriterium herangezogen werden, wie schon die Namen Pythagoras und Aristoteles beweisen; ihre Argumentation als solche schon. (Ohne die EinfĂŒhrung der formalen Logik durch Aristoteles in der 'Ersten Analytik' funktionierte heute kein Computer.) Hieran scheitern viele heutige 'offizielle Wissenschaftler', da sie sich auf AutoritĂ€ten berufen. Darum kann ich mich auch immer wieder auf DelbrĂŒcks Argumentationen berufen, obwohl er in Vielem widerlegt ist. (Da ja viele Schlachtfelder erst kurz nach Herausgabe seiner Schriften kartiert wurden, waren viele seiner Fehler vorprogrammiert.) Ich bemĂŒhe ihn nicht als AutoritĂ€t, sondern schlieĂe mich seiner Argumentation in bestimmten Dingen -etwa beim Erweis der DolchstoĂlegende als Legende- an, wĂ€hrend ich ihn fĂŒr anderes -die Entnahme der wirtschaftlichen Bedingungen der Zeitenwende in Germanien aus dem Deutschland seiner Zeit etwa- kritisiere. Aber es ist auch ein Beispiel dafĂŒr, dass das weitere schon umstritten ist. Andere verlegen sich nĂ€mlich genau auf die Bedeutung von AutoritĂ€ten und ignorieren gegen alle Gesetze der Logik die Gegenbeispiele. Und in den vergangenen Jahren gab es von der Presse wahrgenommene Diskussionen, weil die ArchĂ€ologie eine offene Diskussion teilweise ablehnt, wĂ€hrend Teile der Geschichtswissenschaft ihre Methoden und Maniriertheiten im Prinzip fĂŒr unangreifbar erklĂ€rten, eine Diskussion also ebenfalls ablehnten. (Trojadebatte, Kalkriese-Diskussion) Bei dem Stand, den hier im Forum einige mitbringen oder sich erarbeiten, sind, solange die Argumente gegenseitig beachtet werden und mit RĂŒcksicht auf die eher umstrittene Teile der Definition, einige Diskussionen hier schon wissenschaftlich. Die Frage nach dem Niveau ist dann natĂŒrlich noch eine andere. Auch eine wissenschaftliche Diskussion kann ja fehlgehen. (Und es gehört natĂŒrlich auch dazu, zu berĂŒcksichtigen, wo man sich nicht oder wenig auskennt.)