Es gibt natürlich auch Abstufungen dazwischen und natürlich ist immer die Frage, die Sage welcher Zeit betrachtet wird. Die klassischen oder gar hellenistischen Griechen hatten ganz sicher eine andere Sicht als das archaische Publikum Homers. Dazwischen lagen ja sogar solch entscheidende Dinge wie die Griechische Ethnogenese. Aber generell stimme ich natürlich zu.
Ich hatte Regulator einiges per PN geschrieben, weil ich nicht ganz so fit fühlte. Das will ich natürlich geheim halten. Und gleich beim ersten Thema spielt hinein, was mein Vorredner ausführte. Bitte behaltet auch im Hinterkopf, dass im Altertum verschiedene Versionen der Ilias kursierten, die dann von alexandrinischen Gelehrten vereinheitlicht wurden, wozu eine eigene Methodik entwickelt wurde. In der Tradition dieser Philologie stand noch die Bibelübersetzung durch Hieronymus ins Lateinische, falls das jemandem etwas sagt.
Es geht um das Kontingent, welches Memnon nach Troja geführt haben soll. Dazu gehören auch die Äthiopier. Wer ist damit gemeint und woher kommt Memnon eigentlich? Der Einfachheit halber nummeriere ich mal:
1- Mit
Äthiopien bezeichneten die Griechen Kusch. Kusch war das Land südlich Ägyptens, sprich: südlich des ersten Katarakts bei Assuan. Im Alltag würden wir von Nubien sprechen.
2- Als
Grenze zwischen Asien und Afrika galt der Nil, Alexandria, das beiderseits des westlichen Nilarms liegt, galt als Stadt auf zwei Kontinenten. Kusch galt als in Asien liegend und es wurde eine Landverbindung nach Indien, zu dem es sogar mitunter gezählt wurde, angenommen.
3-
Äthiopien war primär auch keine Landesbezeichnung, sondern bezeichnete Leute mit dunkler Haut: Es heißt soviel wie 'Mensch mit verbranntem Gesicht'. Man glaubte, das es im Süden immer heißer würde, bis zu einer nicht bewohnbaren Zone, hinter der es wieder kälter wurde. Die Hautfarbe würde nur von der Sonneneinstrahlung bestimmt, und das, was heute "Volkscharakter" oder "Mentalität" genannt würde, hänge von der Klimazone ab. Dazu nahm man verschiedene Entwicklungsstufen schon mit solchen Sachen wie Steinzeit, Nomaden und Ackerbau an. Mit beidem zusammen erklärte man die Unterschiede der Völker. Cäsar etwa sah die Germanen als Halbnomaden (etwas anders verstanden als heute) und die Gallier als Ackerbauern, ein Teil seiner ethnographischen Exkurse besteht einfach nur aus der Wiedergabe dessen, was für nördliche Halbnomaden, bzw. Ackerbauern als typisch galt. Selbst viele Historiker berücksichtigen das nicht, obwohl es zu den Grundlagen antiker Ethnographie gehört. Ich erkläre das hier, weil Homer keinesfalls im luftleeren Raum steht, auch wenn vieles noch in der Entwicklung war. Es treffen Leute mit verschiedenen Lebensformen und geprägt von der jeweiligen Umwelt aufeinander, keine durch Abstammung und Geschichte geprägten Völker oder Nationen, wie sie in der Moderne verstanden wurden. Natürlich benennt er Ethnien und, wenn man genauer hinschaut, ist es komplizierter, aber hier will ich darauf hinaus, dass Inder und Äthiopier für die Antike kein großer Unterschied war. Hinter den Begriffen stehen eben andere Vorstellungen als in der Neuzeit oder heutzutage.
4. Schon im Altertum war von einem Äthiopien ungefähr in Baktrien und einem Äthiopien in Afrika die Rede. Einerseits lag das an verschiedenen Abgrenzungen der Kontinente, andererseits an Memnon, dem Anführer der Äthiopier (und Inder), die Troja zu Hilfe kamen, worauf ich noch eingehen werde. Heute wird mit den angeblichen asiatischen Äthiopiern in Baktrien viel Schindluder getrieben. (Es ist noch ein wenig komplizierter, aber für Troja ist das uninteressant und würde sowieso zu weit führen.) Es sei auch daran erinnert, dass Pharao Necho II. 596-594 v. Chr. Phönizier Afrika umsegeln lies, wie Herodot berichtet. Durch die überlieferte Nachricht, dass während der Fahrt die Sonne im Norden aufging, wie sie dies auf der Südhalbkugel zu tun pflegt, ist die Fahrt als Fakt gesichert. Damit hatten Afrika und Asien für viele Griechen eine neue Grenze, während andere beim Nil blieben. Und um die alten Geschichten aufrecht zu erhalten, gab es plötzlich Äthiopier in Afrika und Asien.
5. Kommen wir zu
Memnon, der das ganze Thema für den Trojanischen Krieg noch um einige Facetten mehr bereichert. Memnon war der Sage nach ein Neffe des Priamos und ein Statthalter oder Feldhauptmann Assyriens und galt auch als König der Äthiopier. Priamos soll ein Vasall Assyriens gewesen sein. (Der Vasallenstatus beschreibt auch gut die reale Situation der Staaten an der Westküste Kleinasiens im Hethiterreich. )
6. Die griechische Sage kennt das
Hethiterreich nicht mehr. Assyrien hat quasi die Rolle des Hethiterreichs und Memnon bringt die Truppen einiger entfernterer Provinzen (je nach Version der Sage werden Susa oder eben Baktrien genannt) zu Hilfe. Wegen des Vasallenstatus sehe für Memnon eher nicht eine Erinnerung an einen Feldzug Assyriens gegen das Hethiterreich, sondern eine Angleichung an die Realität der Dunklen Zeit. Aber Sagen verknüpfen ja häufig verschiedene Ereignisse eher unsinnig, weshalb das auch nicht ganz ausgeschlossen werden kann. Die Wahrscheinlichkeit spricht hier aber für die Hethiter.
7. Da wurde nach und nach aufgebauscht, er bringt schließlich ein
Indisches Kontingent mit, weshalb wie erklärt, die Äthiopier für die nächste Ausbaustufe nahe lagen. Später wurde er deren König und schließlich wurden die Memnonkolosse und andere Dinge in Ägypten nach ihm benannt, weil man es mit der Grenze zwischen Ägypten und Kusch nicht so genau nahm. (Zumindest ein Teil der Entwicklung liegt nach Homer.)
8. Er hat auch einen Wikipedia-Artikel. Dort findet ihr vielleicht noch andere für euch interessante Aspekte (Flotte, Morgenröte, ...). Das mit Äthiopien geben sie allerdings nicht ganz richtig wieder, was aber eine übliche Vereinfachung ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Memnon_(Mythologie)
Hier auch der Artikel zum Äthiopien-Artikel. Die unterschiedliche, eher ans griechische angelehnte Schreibweise dient der Unterscheidung innerhalb der Wissenschaft:
https://de.wikipedia.org/wiki/AithiopiaFür die antike Ethnographie samt Klimazonen und Entwicklungstheorie ist Klaus E. Müller, Geschichte der Ethnologie, in: Hans Fischer (Hg.), Ethnologie Einführung und Überblick, Berlin, Hamburg, 1992 (Es gibt ältere und neuere Auflagen, ich gebe mein Exemplar an.) als leicht zugänglich zu nennen. Es handelt sich um eine Einführung für Studenten, die auch nützlich für Weltenbauer und RPG-Designer ist. Ich will nicht zu allem und jedem Links und Literatur angeben, aber die Sache mit den Äthiopiern ist sensibel und wie sehr antike Autoren in ihren Schilderungen die Theorie vor der Beobachtung zählen ließen, wollen viele heute nicht glauben.
Was nun daraus machen, wie Memnons Kontingent darstellen? Dabei gehe ich, wie vom Threadersteller nachgefragt von einer Verbindung des Historischen mit der Sage aus und nehme die Gleichsetzung von Troja und Wilusa vorweg. Diesmal sind es Buchstaben.
A.: Historisch plausibel ein Hethitisches Entsatzheer, evt. sogar mit Flotte, anrücken lassen.
B.: Ein Hethitisches Entsatzheer mit Indern und Nubiern. Dies würde ich empfehlen, weil es Sage und Plausibilität am schönsten vereint.
C.: Wie B, nur Assyrer statt Hethiter. Meiner Ansicht nach würde das aber die offensichtlich hethitische Rolle der Assyrer der Sage verkennen und sich zu weit von der Historie entfernen.
D.: Wie A, nur Assyrer. Kommentar siehe C.
Ich würde also unter den genannten Voraussetzungen für Memnons Kontingent Hethiter und Inder und Nubier. Wenn jemand keine Inder will, würde ich auch nichts sagen. Aber der historische Hintergrund sind meiner Ansicht nach die Truppen der weiter entfernten hethitischen Provinzen. Und zur Sage gehören Inder und Äthiopier.
Soweit, was ich dazu sehe. Wie seht ihr das?