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Lesestoff Napoleon oder wie lernt man Knöpfe zählen?

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DerAndereSkaby:
Man sollte nicht vergessen, dass Goya auch parteisch war und Greuel in wahrscheinlich größeren Maße von den spanischen guerrilleros begangen wurden (Verstümmelung von Gefangenen u.ä.)

Napoleon ist definitiv in seiner Zeit einzuordnen und kann schlecht nach heutigen Maßstäben beurteilt werden.
Danach wären Alexander,  Cäsar und die meisten anderen  "Großen" der Geschichte heutzutage eher verwerflich.
Was gerne bei Napoleon vergessen wird, ist sein grundlegender Beitrag in der modernen Gesetzgebung und Staatsgestaltung.

Samonuske:
Jetzt weiß ich es wieder,als ich mich belesen hatte. Muss morgen gleich mal auf dem Dachboden schauen. Habe noch ein Geschichtsbuch aus der Schule, da war genau dieses Bild drin.



@DerAndereSkaby Bitte mehr davon

DerAndereSkaby:
Also...
Napoleon hat das Code Civil eingeführt - sozusagen der Vorfahre des BGB - welches (mit Anpassungen) heute immer noch in Frankreich, Italien und Louisiana gültig ist.
Zu sagen er hätte ein Gesetzbuch eingeführt ist gut und schön: aber was bedeutete dies?
1. Vor dem Gesetz sind alle gleich (heute selbstverständlich, damals nicht)
2. Einführung von Unabhängige Richter und Geschworene (keine Rechtsprechung durch Herrscher)
3. Gleichstellung der Religionen (Ende der Diskriminierung der Juden)
4. Trennung zwischen Staat und Kirche
5. Gewerbefreiheit und freie Berufswahl

Reformen der Verwaltung:
Die Regierungen wie sie uns heute geläufig sind, haben ihren Ursprung durch seine Reformen.
Die heutigen Ministerien, in ihrem Aufbau und Organisation.
Viele der heutigen Ämter (z.B. Einwohnermeldeamt, Finanzamt, Polizei).


Umstritten ist, ob Napoleon wirklich an einem vereinten Europa geglaubt hat. Seine Kritiker tun dies als Vorwand für Eroberungskriege; seine Bewunderer stellen den Grundgedanken im Vordergrund und betrachten die Abweichungen davon als aus der Not entstanden Massnahmen.

Fakt ist, dass er in seinen Schriften über die Notwendigkeit eines vereinten Europas schreibt.
Fakt ist, dass er in einem ersten Schritt, die eroberten Gebiete meistens nicht Frankreich angegliedert wurden, sondern einigermaßen unabhängig (wenigstens innenpolitisch).
Fakt ist, dass später diese Länder immer weniger unabhängig wurden (teilweise doch zu Frankreich annektiert).


Nun zu seinen negativen Eigenschaften:
1. Wenig Wertschätzung für Menschenleben.
Kann man psychologisch bestimmt durch die Kriegserfahrung begründen, es bleibt aber dabei, dass für ihn Menschenleben nun mal "militärische Währung" waren und damit ggf. auch ausgegeben werden konnten. Andererseits eine grundlegende Änderung kam erst nach dem 2. Weltkrieg zustande. Also ja, durch die Entstehung der Massenheere (nicht direkt eine Erfindung von Napoleon, aber von ihm durchaus vorangetrieben) ist der Wert eines Soldatenlebens drastisch gefallen und Napoleon war sich dessen bewusst; aber die ganzen Kriege danach waren nicht anders (amerikanischer Bürgerkrieg, deutsch-französischer Krieg 1870, die Weltkriege).
2. Unterdrücker der Verbündeten.
Seine Massnahmen um die Kriege fortführen zu können waren definitiv unbeliebt. Allerdings auch in Frankreich selber. Tatsächlich wurden Verbündete eher "verheizt" als Franzosen, aber beim Schach opfert man auch eher die Bauern als die Königin.
3. Machthungrig.
Bestimmt, und? Ein Leistungssportler will auch gewinnen und lässt freiwillig auch nicht andere auch mal vor...
Klar in seinem Fall hat es Menschenleben gekostet, aber Frankreich war vor ihm schon im Krieg und die meisten Kriege danach sind nun mal nicht von ihm erklärt worden. Also gilt der Vorwurf genauso für Großbritannien und die anderen Allierten.

Sonderthema Spanien:
Die Franzosen haben tatsächlich einschüchternde Repressalien durchgeführt, aber die Spanische Guerilla war eine Mischung aus religiösen Fanatikern und Räuber (wie die süditalienischen "Briganti" die gegen Murat und später gegen die piemontesische Regierung gekämpft haben, und aus denen sich dann die Mafia entwickelt hat).
Hierzu siehe auch den interessanten Beitrag von unseren Forumsmitglied Thrifles:
https://thrifles.blogspot.com/2018/05/das-regiment-gro-und-erbprinz-und-sein.html

Am 30. November 1808 wurde der Grenadier Schneider zu einem Ochsenkarren, auf dem seine hochschwangere Frau saß, kommandiert, weil der Wagenfahrer entlaufen war: "Bei Cabrera, wo die Heerstraße an dem Fuße einer waldigen Höhe herläuft, war an dem Karren etwas auszubessern, und Schneider blieb nur tausend Schritte hinter der Hinterwache zurück. Plötzlich hörte diese einige Schüsse und ging im Laufschritt zurück. Bei dem Karren angekommen, fanden sie Mann und Frau ermordet und fürchterlich verstümmelt. Der Frau hatten die Kannibalen die Brüste ab- und den Leib aufgeschnitten; dem Mann hatten sie die Scham abgeschnitten und der Frau in den klaffenden Mund gesteckt."

Pappenheimer:

--- Zitat von: Samonuske am 15. Dezember 2018 - 18:00:22 ---Auch ich habe jetzt mal eine Frage als Interessierter Unwissender zu Napoleon. War der Mann nun Gut oder Böse . Oder war das so ein Ding damals einfach, Eroberungszüge müssen sein !?

Habe mir nun verschiedene Dokus angesehen zb diese von Austerlitz, was ich sehr Interessant fand . Da er doch von seinem Volk bzw Soldaten auch geliebt wurde. Wenn ich das richtig verstanden habe.
Dann habe ich die Doku über Ägypten gesehen und da hieß es er hat Ägypten wieder ihre Freiheit bzw ihr Land von den Osmanen zurück erobert , so das sie wieder ihren Glauben ectpp ausüben dürfen. Also so ähnlich wurde es in der Doku gesagt. Denn dann heißt es ja trotz Eroberungszüge, war er ja nicht so schlimme, wie manch andere.

--- Ende Zitat ---
Der Typ hat locker 20 Jahre mindestens die Geschicke Europas geprägt. Da gibt's nicht wirklich ein Gut und Böse.

Als Staatsmann halte ich ihn für überschätzt. Als Außenpolitiker fand ich ihn eine Katastrophe, für Frankreich wie für Europa. Die Außenpolitik verwechselte er oft mit dem Krieg. Man kann auch Einfluss über andere Staaten ausüben, ohne sich zu einem Protektor aufzuschwingen (Rheinbund, Polen) oder ein Mitglied der Familia als Herrscher einzusetzen. Sein Kidnapping von Thronen in Europa ist vielleicht mit den französischen Bourbonen vergleichbar, die dies aber immerhin über Jahrzehnte Jahre erfolgreich betrieben (Spanien, Neapel-Sizilien, Parma). Seine Außenpolitik verschaffte ihm den Hass vieler Völker und diese spiegelte aber auch nur die Verachtung, die er selber für sie hegte. Vielleicht erklärt sich diese verfehlte Außenpolitik mit seiner Ungeduld in allem.

Innenpolitisch war seine Herrschaft eine Fortführung der Reformen der Revolution, v.a. des Direktoriums, dessen Methoden er übernahm (Verbannung feindlicher Organe, Design der Gremien nach römischem Vorbild, Rechtsbeugung). Im Vergleich zum Direktorium wurde Napi die Stabilität hoch angerechnet. Das Direktorium besaß einfach keine Identifikationsfiguren, weder große Redner noch schillernde Feldherren, dafür korrupte, intrigante Machtmenschen ohne Ideale (Carnot vielleicht ausgenommen) oder klare Vorstellungen. 

Als Feldherr hat er lange überragendes geleistet und natürlich auch das Quäntchen Fortune, ob bei Marengo oder Austerlitz.
Anders als der Maréchal de Saxe, den Napi verehrte, konnte sich Napi aber nicht so gut den Umständen anpassen und übersah am Ende 1813 z.B. dass er mit weitaus weniger erfahrenen Truppen arbeiten musste, als in den Jahren seiner großen Siege. Auch dass er mit einem Bündnisheer arbeiten musste. Dieses zu koordinieren und zu motivieren war offensichtlich überhaupt nicht seine Stärke, was man am Russlandfeldzug sieht. Eine Integration der Preußen und Österreicher gelang dort bspw. garnicht.

Wie bei vielen Alleinherrschern litt seine Herrschaft oftmals daran, dass er nicht erkannte fähige Fachleute zu Rate zu ziehen. Der Code Civil ist da eine Ausnahme, wobei er ja auch auf einen langen Prozess zurückgreifen konnte.

Für Frankreich im Schnitt eine Katastrophe. Aus seinen Erfolgen der ersten Jahre hätte er mit weniger Ehrgeiz gewiss auch einen stabilen Staat aufbauen können, wenn er sich auf Frankreich konzentriert hätte.

waterproof:
Napoleon hat einer Zeit seinen Stempel aufgedrückt in der es in Europa nur Monarchien gab. Verhalten hat er sich auch so. Gut und Böse ist für unsere heutigen Massstäbe anders zu bewerten als im 19. Jahrhundert. Wenn man drüber streiten möchte ob seine Eroberungs-Feldzüge nötig waren, sollte man nicht die blutig niedergeschlagenen Aufstände in Polen außer acht lassen. Dort haben die Monarchen aus Preussen und Russland kein Federlesen mit den Polen veranstaltet. Die agressive Kolonialpolitik der Ostindischen Kompanie die zu drastischen Hungersnöten im besetzten Teilen Indiens führte. Das 19. Jahrhundert ist nicht in die Geschichte eingegangen weil alle Nationen demokratisch und Menschenfreundlich waren, außer Napoleon. Sondern weil ein Napoleon den großen und alten Monarchien am Anfang unter Druck setzen konnte nur um am Ende durch den selben alten Feind umzukommen. Und das ganze mit goldverzierten Tressen und großer Uniform. Das macht die napoleonische Ära aus.  ;)

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