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Wie historisch korrekt sind \"historische\" Regelwerke?
Frank Bauer:
--- Zitat von: \'Antipater\',\'index.php?page=Thread&postID=188768#post188768 ---Vorweg, ich finde die Initiative, Regelwerke fürs historische Tabletop in deutscher Sprache zugänglich zu machen, ganz hervorragend. Dafür also Lob und Anerkennung. (!!einseinself, damit\'s auch jeder gesehen hat. ;) )
Was ich aber vermisse, ist ein bisschen mehr Sorgfalt. Ich rede nicht vom Sinn der Einführungen weiter oben. Mit dem Fokus auf Armeelisten, Sonderfertigkeiten etc. macht das SAGA-Marketing offensichtlich vieles richtig, ob man das persönlich mag oder nicht. Trotzdem will SAGA im Kern ein historisches Regelwerk sein, und da stößt mir die Qualität gerade der deutschen Variante leider übel auf.
Mir ist klar, historische Wargamer haben den Ruf, old farts, Reenactors, Simulationisten und ganz allgemein blöde Spielverderber zu sein – und manche von uns pflegen das Image nur zu gern. Wenn man aber nun mal Regeln mit historischem Anspruch unters – vielfach vom ganzen Drumherum unbeleckte – Volk bringen will, sollte man sich da nicht in der Pflicht sehen, keine schlecht geskripteten Sprechblasen zu produzieren? Sonst würde doch das Regelwerk seinem sowieso schlechten Ruf unter den zornigen alten Männern im Hobby nur gerecht.
Konkret meine ich zum einen die Texte, die sich wie ein holpriger Schulaufsatz lesen. Bei einigem bin ich mir nicht sicher, auf wessen Mist das gewachsen ist; anderes erkennt man leider recht klar als Entlanghangeln per LEO & Co. Ich weiß, dass gute Übersetzer Geld kosten. Wenn man sich als Verleger so jemanden nicht leisten kann oder will, sollte aber wenigstens ein günstig einzukaufender Philologe drüber gucken. Der könnte allzu wörtliche Übertragungen ausbügeln und ein bisschen \"muttersprachliche Eleganz\" (danke, Tankred, für den Ausdruck) reinbringen. Darunter fielen dann auch zu begradigende Formulierungen oder, ganz simpel, Grammatik und Rechtschreibung. Vielleicht steckt im gedruckten Buch mehr solcher Arbeit, die Texte hier lassen das aber nicht erkennen.
Zum anderen, und das finde ich im Setting eigentlich noch störender, entsprechen die historischen Infos leider dem sprachlich gesetzten Niveau. Ich erwarte keine fachwissenschaftlich haltbare Einführung mit Belegstellen und Pipapo, kein cutting edge der Forschung. Es kann aber auch nicht schaden, nicht nur Wörterbücher, sondern auch ein bisschen Einführungsliteratur zu wälzen. Da sollte man dann z.B. bei vormodernen Themen über die Anführungszeichen bei Begriffen wie \"Staat\", \"Nation\", \"Volk\" oder, im gegebenen Kontext, \"Franken\" stolpern. Man mag auch von Kreuzzügen lesen, die teilweise schon vor dem Stichtag anno 1095 liefen, allerdings nach Spanien, Nordafrika, England und sogar quer durchs Hl. Römische Reich (noch fern der Teutschen Nation) führten. Und man wird vielleicht von theologisch-terminologischem Glatteis ferngehalten wie der \"Vergebung der Sündenstrafen\" oder dem \"ayyubidischen Kalifat\".
Klar, den allermeisten, allen voran den \"Zockern\", ist solcher Kram vollkommen Wumpe. Und ich will hier auch nicht von irgendwelchen Bildungsaufträgen fantasieren. Es wäre nur einfach schön, wenn man bei der Neukundenakquise für historische Systeme den Standard der Langstrumpf\'schen Ich-mach-mir-die-Welt-Maxime im SciFi- und Fantasy-Bereich überbieten könnte. Dafür muss der Subtext stimmen. Und der steckt nun mal in den Details, die vom Durchschnittsleser zwar einfach mitverdaut werden, die von Autoren und Übersetzern aber hart zu erarbeiten sind.
Die Diskussion erübrigt sich für dieses Mal, ein paar zerstreute Gedanken aber wollte ich doch eingeworfen haben. Trotz allem freue ich mich nämlich auf das Buch.
--- Ende Zitat ---
Tilmann, wenn du es erlaubst, habe ich deinen Beitrag aus dem SAGA – Kreuzzüge-Thread mal herauskopiert, um an anderer, meiner Meinung nach passenderer Stelle darauf zu antworten.
Ich finde, du hast ganz grundsätzlich völlig Recht mit dem Anmahnen von mehr historischer Genauigkeit bei Spielen, die sich einen historischen Kontext zuschreiben. Die Diskussion darüber, bei welchen \"historischen\" Regelwerken es da großen Nachholbedarf gibt und welche vielleicht ein leuchtendes Beispiel historischer Genauigkeit sind, ist eine gute Diskussion, die aber im Kontext der deutschen Übersetzung der SAGA-Regeln gleich dreifach falsch ist.
Erstens hat Saga tatsächlich nach Aussage des Autors ausdrücklich keinerlei Anspruch auf historische Korrektheit, sondern ist, wie der Name schon sagt, von den nordischen Sagas und ihrer Umsetzung in modernen Medien inspiriert, also Hollywood und Konsorten.
Zweitens weiß ich nicht, warum du SAGA nun gerade exemplarisch herausgreifst, um zu wenig korrekten historischen Rahmen zu bemängeln. Dieser Prüfung müßte sich ja jedes andere Regelwerk ebenfalls stellen und es gibt einige, die da deutlicher dilettieren.
Drittens geht es hier ja \"nur\" um eine Übersetzung. Bei der Übersetzung von Regeln ins Deutsche haben sich bisher wenige mit Ruhm bekleckert. Ich persönlich finde, dass Stronghold bei den ersten beiden SAGA-Büchern da hervorragende und weit bessere Arbeit geleistet haben als viele zuvor. Das ist aber eher eine Frage der Professionalität bei der Übertragung von einer Sprache in die andere und nicht eine Frage historischen Wissens. Ein deutscher Übersetzer wird schwerlich seine Aufgabe darin sehen, historische Ungereimtheiten des Originals richtig zu stellen, von der rechtlichen Seite, im Text massiv von der Vorlage abzuweichen, mal ganz abgesehen.
Mansfeld:
Dem kann ich insgesamt zustimmen.
Wobei ich noch anmerken möchte, daß mit SAGA durchaus möglich ist, in gewissem Rahmen historisch glaubwürdige Skirmishaktionen durchzuspielen. Viele der Battleboardfähigkeiten schöpfen sich aus Klischees, die wiederum verschiedenen Lesarten der Quellen geschuldet sind. Historische Darstellungen benutzen die gleichen Quellen, so daß z.B. die Normannen bei SAGA ziemlich genau so agieren wie die historischen Vorbilder.
Das trifft natürlich nicht auf alle durch die Battleboards erzeugten Eigenheiten zu, aber völlig traumtänzerischer Fantasyblödsinn ist das Bild, das einem SAGA vermittelt, auch nicht.
DonVoss:
Ich habe neulich mal vom \"Golden Age\" des Wargaming gelesen.
Damals bei Featherstone und Young gings noch um Fun und nicht primär um hist. Korrektheit...
Mir kommt das mit der hist. Korrektheit bei Historikern immer so ein bisschen vor, wie die Bauern, die abends am Trecker-Simulator spielen...;)
(is übrigens laut Branchenerhebungen wirklich der Fall...)
Mir reicht es wirklich seicht. Mehr als die Rückseite der Perry-Verpackung muss es nicht sein. Ein bisschen Fachsimpeln geht immer.
Aber ärgerlich wirds für mich, wenn durch Knöpfchenzählerei und Fachwissen, Leute ausgebremst werden. Also vom Spielen, Bemalen oder Übersetzen abgehalten werden. Das hilft dem Hobby nicht weiter, sondern behindert...
Wer immer sich da berufen fühlt seinen Histo-Kram beizutragen, sollte sich aus meiner Sicht fragen, ob er der Sache wirklich weiterhilft.
Denn wie meine Oma immer sagte: Ratschläge sind auch Schläge!
Cheers,
Don
Mansfeld:
Wobei das auch zu 99% vom Tonfall abhängt. Wenn ich mit meinen Kumpels SAGA spiele, mache ich auch mal Anmerkungen, wie weit das jetzt realistisch ist, aber eher locker. Belehrend sind eh nur immer die Leute, die sich irgendwie profilieren wollen (und die meistens auch nicht unbedingt die tolle Ahnung haben :D ).
Pappenheimer:
Bei den 1-2 Regelwerken, die mir extrem historisch korrekt vorkamen, rauchte mir immer der Schädel beim Lesen. :wacko:
Ich war anfänglich sehr angetan von \"Pistolado\". Da werden so ziemlich - so gut beurteilen kann ich das auch nicht - sämtliche Taktiken des späten 16./frühen 17.Jh. abgebildet. Schon allein der Hirnschmalz der da aufgewendet wurde für das Spiel zeitgenössische Schalchten abzubilden ist beachtlich! Nur sind dadurch die Ausnahmen und Detailregeln für jede mögliche Formation oder die verschiedenen Formationswechsel, zeittypischen Kombinationen verschiedener Typen wie leichte und schwere Reiter usw. so umfangreich, dass ich es irgendwann aufgegeben habe, dahinter zu kommen und auf das Skirmish-Regelwerk der Verfasser von \"Pistolado\" ausgewichen bin.
Ich denke auch, es kommt immer auf den Anspruch des Regelwerks an. Ein Regelwerk, das wie Kugelhagel oder andere damit wirbt möglichst einfach zu sein, kann natürlich nicht bis ins Detail alles abbilden. Und wer die \"Details\" für unverzichtbar findet, wird also diese Regelwerke wahrscheinlich für nicht ganz korrekt halten.
Was anderes ist es für mich, wenn in einem Regelwerk (wie in Pike&Shotte) angeblich hist. Hintergründe in Begleittexten erklärt werden und man dort Fehler findet. Das ist eventuell ärgerlich. Andererseits wird sich eh, wer über sowas jammert, noch entsprechende Fachliteratur besorgen, die ja oftmals außer Romanen ein Hauptantrieb zum Zocken eines bestimmten Themas ist.
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