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Realismus im Reenactment

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meyer:
Mittelaltermärkte sollte man nicht mit Reenactment verwechseln.
Sicherlich gibt es immer Schaustellergruppen die sehr gut recherchierte Ausrüstung haben, aber die Masse der Leute sind ja die Gäste. Und ich finde es schön wenn die Leute gewandet erscheinen.
Den \"Zivilisten dazwischen würde man ja auch nicht vorwerfen das ihre Kleidung nicht passt oder der Kinderwagen nicht aus Holz ist.
Wir tragen zu solchen Events auch immer ne einfache Bauerntracht, wobei die Schuhe da bestimmt auch nicht passen, weil die Leute damals gar keine hatten  :D .
Gerade auf solchen Märkten sollten man die Kirche im Dorf lassen, meine ich.

Pappenheimer:
Es gibt halt massig Veranstaltungen, wo der Hintergrund ein anderer ist, es nicht darum geht stimmige Darsteller, sondern evtl. die ganze Bandbreite des Hobbies zu präsentieren oder aber der Veranstalter (inkl. Museen) einfach selber nicht weiß, was richtig ist oder das nicht interessiert.

In Waterloo 2015 gab es im Grunde auch eine ziemliche Bandbreite. Gruppen mit sehr guter Ausstattung, die auch exerzierten etc., welche mit guter Ausstattung, die aber nicht willens waren gescheit zu \"trainieren\", um dann im Gefecht als Verband zu funktionieren (ich rede jetzt von einem Bataillon von 120+ Musketen) und schließlich mangelhafte bis schlechte Ausstattung.

Wirklich durchgängig beachtliche Qualität in Ausstattung wie Kenntnissen der Darsteller (auch Vorraussetzung für z.B. Exerzieren) kenne ich im Grunde nur von kleineren Veranstaltungen mit 10-100 Darstellern. Aber selbst bei von mir selbst organisierten Events fällt mir manchmal die Kinnlade runter, wenn jemand, den ich eigentlich für einen guten Darsteller halte, sich einen ziemlichen Klops leistet (Besuchern Quatsch erzählt (aufgrund von Spekulationen/Halbwissen), vor meinen Augen Zigarette raucht (Mitte 18.Jh. und dann nur ohne Filter nur in Lateinamerika bekannt) etc. pp.). Sich irgendwie aufzuregen habe ich mir abgewöhnt. Vor 10 Jahren habe ich mich noch extrem aufgeregt. Bringt nichts. Mittlerweile suche ich im Nachhinein das klärende Gespräch.

Realismus im Reenactment/LH ist so eine Sache. Begrenzt möglich.
Mal als Beispiel: wo es latte ist, dass ich nix sehe, lasse ich auch mal die Kontaktlinsen weg. Als Organisator, wenn ich ein Programm einhalten muss, evtl. Ressourcen verwalten, schnell mal meine Ausrüstung finden etc. muss, dann geht\'s nicht ohne.
Oh yeah! Ich weiß noch wie alle geflucht haben, als ich aus Kurzsichtigkeit in nen Topf voll Glühwein bei Nacht reingetreten bin.... :D

Mittelaltermärkte sind so eine Grauzone. Manchmal nimmt man auch als sehr guter Darsteller sowas mit, weil es meinetwegen vor der Haustür liegt. Früher ohne Kinder und weniger Verantwortung im Hobby (bevor ich 3 VAs im Jahr organisiert habe), habe ich auch noch ziemliche Mistveranstaltungen besucht, einfach aus Neugier. :rolleyes:

Riothamus:
Wie man bei solchen Fällen sehen kann, wollen sie eben nicht das Mittelalter simulieren, sondern sich selbst verwirklichen. Okay, sollen sie. Die müssen dann nur erleben, dass ich meckere, wenn sie Gegenteiliges behaupten. Immerhin ist es nicht sonderlich nett, andere Leute (und damit auch mich) anzulügen. (Und damit, dass ich ab und an nicht soviel Selbstbeherrschung habe, ein Lachen zu unterdrücken, müssen sie auch leben. Ich bemühe mich, andere nicht auszulachen, aber jeder hat Grenzen der Selbstbeherrschung.)

Dass sich nicht jeder Reenactor alles leisten kann, einige auch weitgehend nur selbst Angefertigtes tragen, dass dann ob unterschiedlicher handwerklicher Fähigkeit vielleicht nicht so gut gelungen ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Das kann man nicht zum Vorwurf verdrehen.

Als drittes gibt es dann noch Reenactment-Mythen, die nicht totzukriegen sind oder ganz schlicht der Fakt, dass die Recherche eben nichts ist, was vom Himmel fällt. Damit meine ich nicht die Mühe, sich einzulesen, sondern ganz einfach das mangelnde Knowhow. (Wozu ich hier dann auch rechne, dass viele nicht genug Englisch gelernt haben, um Ospreys und andere Literatur aus dem englischen Sprachraum zu lesen, wodurch schon mal eine ganze Menge auf Reenactor abzielende Literatur ausfällt.) Das sind dann Probleme der Wissensvermittlung, die hier sichtbar werden. Und die Verantwortung dafür liegt nicht nur bei den Reenactoren.

Das dann auf Mittelaltermärkten andere Gruppen herumlaufen sehe ich auch nicht negativ. Schließlich wollen wir auch einen bunten Markt erleben und die Besucher kleiden sich ja auch nicht alle in mittelalterliche Gewänder, sondern in die hierzulande übliche Freizeitkleidung.

Schmagauke:
Na jetzt ist das Sommerloch aber wirklich da...

Pappenheimer: Ist das mit der Zigarette Dein Ernst?
Da fällt MIR die Kinnlade runter.

Wenn ich das nächste Mal auf so einem Event bin, will ich nur noch Leute sehen, die zuletzt vor ner Woche im Bach gebadet haben, in den das ganze Dorf seine Nachttöpfe entleert, natürlich ohne Duschgel, Deo etc, ich will durch Pferde-, Schweine-, Hühner und auch Menschenkacke laufen, barfuß versteht sich.
Ich will daß mindestens die Hälfte der Darsteller unter Mangelerscheinungen und zumindest etwas Hunger leidet, das Durchschnittsalter unter 30 liegt, die meisten nur noch die Hälfte ihrer Zähne haben und die müssen braun sein.
Ein paar Nachwirkungen durch Erfrierungen wären auch hübsch anzuschauen.
Ich möchte nur abgekochtes Wasser aus eben erwähntem Bach als Getränk kaufen können, wahlweise auch frische, keimhaltige Milch oder feine Methylhaltige Brauwaren.
Zum Essen reichen mir faulige Zwiebeln, Rüben usw, jemand von meinem Stand kann sich kein Fleisch leisten und auch nicht jagen.
Und ich will Krankheiten sehen, oh ja, die ganze wundervolle Bandbreite.
Sex mit Minderjährigen darf auch nicht fehlen.
Und außerdem...

REALISMUS IM REENACTMENT
Sonne bei Nacht?

Leute, kauft Euch ne Klimaanlage und pinselt wieder :D


Edit:
Ich war übrigens 2015 auch in Waterloo.
Die Sache mit dem Durchschnittsalter...
Da steckten im Schnitt 57 Jahre in jeder Uniform :)
Ganze Veranstaltung für\'n Popo :D

Riothamus:
@ Pappenheimer: Ich glaube, du beschreibst da schon Luxusprobleme bei ernsthaftem Reenactment.

@ Schmagauke: Man kann alles übertreiben. Aber was Poliorketes beschrieben hat, war, dass jemand einen Infanteristen des 1. Weltkriegs darstellt mit preussischer Grenadiermütze aus der Zeit des Soldatenkönigs auf dem Kopf, Sturmgewehr-Replik in der Hand und ein spätmittelalterliches Schwert und eine Radschloßpistole des 17. Jahrhunderts im Gürtel, der im 16. Jahrhundert modern war. Dazu Stiefel preußischer Jäger von 1808 und der Kampfanzug ist Feldgrau gehalten. Ausrüstung aus 5 Jahrhunderten eben.

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