Epochen > Tabletop allgemein
Was kann tabletop?
Maréchal Davout:
--- Zitat von: Decebalus am 08. Oktober 2020 - 15:45:29 ---@tattergreis. Ja, ich widerspreche dir auch.
Erstmal ging es mir aber darum, dass die Frage einfach oder komplex nichts mit dem Simulationscharakter zu tun hat.
Mein Widerspruch wäre, dass viele Regelwerke durchaus den Anspruch haben, Schlachten zu simulieren. Und aus denen kann man auch grundsätzlich etwas lernen.
Selbstverständlich hast Du Recht, dass Kriegsspiel, wie es beim Militär betrieben wird, zur militärischen Ausbildung dient, während Tabletop Spaß machen soll. Damit gibt es einen grundsätzlichen Unterschied. Aber viele Tabletop-Regeln sehen den Spaß darin, dass ihr Ergebnis "realistisch" ist. Und hier nähern sie sich eben Simulationen an.
Ich würde annehmen, dass man mit Grande Armee oder Age of Eagles doch Erkenntnisse zur Schlacht bei Waterloo gewinnen kann. Das mag auf kleiner Ebene sein, etwa wie klein das Schlachtfeld war oder dass eben die Stärke der Truppen bestimmte Möglichkeiten nicht eröffnete.
Der Militärhistoriker Philipp Sabin ist übrigens der Meinung, man kann aus Simulationen historische Ergebnisse ziehen.
https://www.amazon.de/Lost-Battles-Reconstructing-Clashes-Ancient/dp/0826430155
Und seine Regeln sind eigentlich auch nichts anderes als ein grid-basiertes Tabletop-System.
--- Ende Zitat ---
Ja, ich stimme Decebalus in seinem Widerspruch zu. Grande Armée ist eine Simulation. Da gibt es z.B. auch optionale Regeln, die es noch realistischer machen. Z.B. die Regel zu blown horses (da Pferde oft nicht optimal ernährt und gepflegt waren/sein konnten, hatten sie zumeist nur einen guten Galopp in sich, so dass ihr Wert nach einem Angriff enorm sinkt), das benutzen wir nicht immer.
Witziger Weise wird bei GA das überlegene Wissen des TT-Generals, das Kommandeure im Feld nicht haben konnten, durch einige Faktoren eingeschränkt: Korpskommandeure oder auch nur einzelne Brigaden machen oft nicht was du willst (bestimmte Zwangsbewegungen in der Nähe des Feindes über Würfelwürfe führen dazu oder die Persönlichkeit bestimmter Untergebener).
Auch die Tatsache, dass man einfach sehr viele Brigaden in seiner gesamten Armee hat und der Gegner auch, führt dazu, dass man weniger schaut, wie stark wirklich die einzelne Einheit gegenüber Brigade 27 ist, sondern im Großen denkt.
Also kann man über GA meiner Meinung nach eine Menge davon lernen, womit sich ein Feldherr der napoleonischen Kriege beschäftigte (und womit nicht). Wie abhängig man von wechselndem Wetter sein kann, von Einheiten und Untergebenen, die nicht machen, was man will und wie man damit rechnend arbeitet oder wie man seine Taktik daraufhin anpasst.
Auch wie schwerfällig manche Armeen mit komplizierten, veralteten Kommandostrukturen sein konnten im Vergleich zu Napoleons recht moderner Strukur wird ziemlich gut simuliert.
Beim Spielen der meisten Schlachten merken meine historisch versierten Gegenüber und ich, dass man auf die gleichen Probleme trifft, wie die Originale vor gut 200 Jahren.
Sich der Realität zu versuchen, weiter anzunähern, indem man z.B. dem realen Gelände eines Schlachtfeldes noch näher kommt, ist möglich und eine interessante, erwägenswerte Sache.
Am Ende ist es natürlich keine perfekte Simulation, aber doch eine Annäherung, durch die man Dinge über realen Krieg vor gut 200 Jahren lernen kann.
tattergreis:
Und kannst Du mit Grande Armee lernen, wie Napoleon hätte Waterloo gewinnen können?
Pappenheimer:
--- Zitat von: Maréchal Davout am 08. Oktober 2020 - 19:37:00 ---Beim Spielen der meisten Schlachten merken meine historisch versierten Gegenüber und ich, dass man auf die gleichen Probleme trifft, wie die Originale vor gut 200 Jahren.
Sich der Realität zu versuchen, weiter anzunähern, indem man z.B. dem realen Gelände eines Schlachtfeldes noch näher kommt, ist möglich und eine interessante, erwägenswerte Sache.
Am Ende ist es natürlich keine perfekte Simulation, aber doch eine Annäherung, durch die man Dinge über realen Krieg vor gut 200 Jahren lernen kann.
--- Ende Zitat ---
Das sind auch unsere Eindrücke und das gilt sogar für weniger oft durchgekaute Schlachten.
Natürlich glaubt man auch manchmal "Oh, das klappt genauso wie es sein sollte." weil man einfach voreingenommen ist.
Aber prinzipiell fühlt sich eine Schlacht schon spannender an, wenn die beiden Seiten A) ihre generellen Charakteristika haben und B) ihre speziellen Charakteristika zur Schlacht (z.B. kleine spanische Bataillone infolge hoher Desertionszahlen bei den Spaniern in Italien).
Ich habe keine Ahnung von GA, aber so wie Du Deine Schlachten beschreibst, scheint mir GA genau das abzubilden.
Schade, dass sowas für meine Zeit eigentlich unpassend wäre, da die Armeen einfach noch nicht so strukturiert waren (vielleicht abgesehen von den Franzosen, die schon in Brigaden Einteilungen kannten). Andererseits geht's ja auch so... :)
Riothamus:
Zur Perspektive des Generals und DBA ist anzumerken, dass DBA genau diese Einnehmen will. Phil Barker fragt ausdrücklich, welche Informationen ein General über den Ausgang eines Kampfes erhält und passt die Möglichkeiten entsprechend an. Schön, wenn auch nicht einfach zu lesen ist, dass die Regelmechanismen meist begründet werden. Das viel genannte Schere-Stei-Papier-Prinzip für den Kampfausgang richtet sich nach den Angaben aus der Antike. Auch das Verschieben von Elementen einer Schlachtordnung statt von Einheiten gehört, samt der ebenfalls angesprochenen Frage, was und wieviel ein General entscheiden kann, hierher. Interessanterweise entsteht ein System ähnlich dem der antiken Militärtheoretiker, die ja die griechische Schlachtordnung einfach idealisierten und nach dem -rechnerisch gut nachzuvollziehen- die römische Organisation von den Punischen Kriegen bis in die Spätantike und auch noch in Byzanz entsprach. Ob es klug war, dass System bis zum Ende des Mittelalters auszuweiten ist natürlich eine ganz eigene Frage. Und natürlich kannten auch andere das klassische Vorbild, aber ob es wirklich so einfach auf alle Barbaren auszudehnen ist?
Aber schauen wir auf den Kernbereich. Warum gibt es andere Ausgänge? Zum einen ist da das Zufallselement, dass wegen der oben angesprochenen Überlegung zum Einfluss des Generals recht hoch sein muss. Es sind darin eben auch sehr viele Faktoren repräsentiert. Und dann ist da die Kenntniss der Geschichte: Niemand wird, wenn das Thema Cannae ist, sich so leicht wie die Römer 216 v. Chr. in die Falle locken lassen. Auch der eher technisch interessierte Wargamer wird genügend über eine nachgespielte Schlacht wissen, um nicht zu versuchen, vermeintliche Fehler zu vermeiden. Es ist, wie schon Cicero zu Prophezeiungen feststellte: Ihre Kenntnis verändert unser Verhalten.
Die Simulation einer Schlacht kann also nur dann zu demselben Ergebnis wie in der Historie führen, wenn dieselben Entscheidungen gefällt werden und der Zufall (Clausewitz: Friktion im Krieg; das Steinchen, dass in den Huf des Pferdes gerät und den Boten aufhält) ausgeschaltet wird. Aber das ist dann keine Simulation. Das ist ein bloßes Nachvollziehen.
An dieser Stelle ist natürlich die Frage, was mit Simulation und Nachvollziehen gemeint ist, denn auch ein solches Nachvollziehen als Simulation kann Ergebnisse liefern. Nicht zuletzt wäre eine hierdurch zu beantwortende Frage, ob das historische Ergebnis in einer Simulation möglich bleibt. Wenn dem nicht so ist, wäre die Simulation anzupassen. Gerade bei DBA wird genau hierüber oft diskutiert. Den Begriff Simulation benutze ich hier im Gegensatz zum Nachvollziehen aber so, dass auch abweichende Entscheidungen möglich sind. Es soll ja nicht immer dasselbe sein. Es soll geklärt werden, was auch möglich gewesen wäre, grundsätzlich eine unhistorische, eine militärisch-technische Frage, die Historikern -eine korrekte Simulation vorausgesetzt- allenfalls an die Hand geben kann, ob nicht eine seltsam anmutende Entscheidung vielleicht doch rational war.
(Hier ist natürlich dann auch das grundsätzliche Beweisproblem relevant: Wir können ja nur beweisen, dass etwas nicht stimmt, aber nicht, dass etwas stimmt. Insofern gibt es sowieso keinerlei korrekte Simulationen der Wirklichkeit. Ja, im gesellschaftlichen Diskurs eher eine oft zitierte Plattitüde, mitunter auch ungerechtfertigtes Totschlagargument, aber eben auch tatsächlich bei der Beurteilung einer Simulation zu berücksichtigen. Insofern bin ich natürlich deiner Meinung, tattergreis. Nur weise ich darauf hin, dass eine veränderte Eingabe -veränderte Entscheidungen oder Voraussetzung- zu anderen Ergebnissen führen können muss. Wenn bei Waterloo bewusst Regen und Feuchtgebiete weggelassen werden, ist dies eine solche Änderung, wenn dies unbewusst geschieht, ein Fehler im Szenario, aber nicht unbedingt ein Fehler des Simulationssystems. Gewöhnlich kann ja für Kavallerie unpassierbares oder schwer passierbares Gelände ausgewiesen werden. Doch Vorsicht! Am Vorabend der Schlacht bei Jena dachten die Preußen, dass Napoleon seine Artillerie nicht von der Stadt auf das Schlachtfeld hochbekäme. Bekanntlich gelang es ihm. Er ließ einfach zusätzlich Pferde der schweren Kavallerie vor die Kanonen spannen. Will sagen: Selbst Praktiker übersehen manchmal naheliegende Lösungen. In diesem Fall war die preußische Führung darauf fixiert, die Pferde der Kavallerie möglichst zu schonen, während Napoleon hier einfach als Artillerist dachte. Wir müssten hier also eine Sonderregel für so einen Fall einführen. Aber wann wäre die anzuwenden? )
Wie eingangs zu DBA gesagt, ist dann auch die Frage, was simuliert wird. Saga bezieht sich beispielsweise nicht auf das Geschichtsbild des Historikers, sondern auf das durch die Sagas vermittelte Bild der Geschichte. Es wäre also zu fragen, ob das System den Sagas entspricht, wenn wir einmal darüber hinweg sehen, dass z.B. die Sache mit den Erschöpfungsmarkern ganz klar ein Spielmechanismus ist.
Hier sind wir dann bei der Frage, was ein Regelsystem sein will. Kugelhagel etwa gibt in der Einführung an, sich an Anfänger beim Tabletop zu wenden und ist dementsprechend stärker vereinfachend. Wir werden hiermit also kaum Fragen zu Waterloo oder Cannae klären wollen. Es bliebe aber zu fragen, ob und wenn ja, wozu und in welcher Hinsicht es vielleicht aussagekräftig zu Einzelfragen ist. Hier wäre etwa die Frage nach der Bedeutung des sogenannten FoG of War. Offensichtlich ist der bei Kugelhagel etwas übertrieben, da es schon vor Beginn der betrachteten Zeit Fernrohre gab. Dennoch wird gezeigt, dass die Aufklärung oder ihr Fehlen das Spiel beeinflusst.
Wie schon angedeutet, will ich hier niemandem direkt und fundamental widersprechen. Ich weise nur darauf hin, dass das Thema Simulation sehr viel weiter gefasst ist und noch mehr Probleme bietet.
Die ganze Problematik der Abtrennung dessen, was unser Hobby ausmacht vom militärischen Kriegsspiel durch H.G. Wells und sein Little Wars*, die spätere "Vereinfachung" dieser Systeme und ihre Veränderungen ist dabei noch gar nicht betrachtet. Phil Barker hat DBA -den nötigen Hintergrund hat er; sein Buch über die Armeen zur Zeit des römischen Kaiserreichs galt über 30 Jahre als Standardwerk, dass Studenten auch hierzulande empfohlen wurde**- audrücklich als Simulation aufgebaut. Saga bezeichnet sich selbst als Spiel, dass den Spielern ermöglicht eigene Sagas -jedenfalls den Actionteil- zu schreiben. Kugelhagel bezeichnet sich als Spiel, achtet aber eindeutig mehr als Saga auf die Historie. Hier müssen wir also differenzieren und auch berücksichtigen, dass Spiele immer auch Simulation sind, auch wenn nicht immer zu militärischen Fragen. Und seien wir ehrlich. Die Militärs haben ihre diversen Kriegsspiele auch als Spiel benutzt. Zur gar nicht so alten Differenzierung von Spiel und Simulation ist hier im Forum auch schon geschrieben worden.
* Ich beziehe hier für mich auch Floor Games ein. Nicht direkt militärisch, geht es doch um ein Abbild der Welt unter Einschluss des Militärs. Ähnlich wie bei Saga geht es aber um eine romantisierte oder ,besser gesagt, aus damaliger Sicht kindgerechte Welt, was bei den teils kolonialen Themen vor dem Hintergrund des sozialistischen Parlamentsmitglieds aus heutiger Sicht recht seltsam anmutet.
** Jedes Werk hat seine Zeit und in der Neuauflage ignoriert er einige Ansätze, die die Wurzeln der Militärgeschichte neu denken wollen, um nicht auf heute als unangemessen geltenden Gedanken zu fußen. Kann man diese -wahrscheinlich bewusste- Ignoranz noch nachvollziehen, muss doch darauf hingewiesen werden, dass auch aus wissenschaftlicher Sicht wegen der im Streit teils eher politisch gesetzten Grundlagen*** eine Neubetrachtung angebracht ist, die aber mitunter zu weit getrieben wird, wenn etwa längst widerlegte Thesen aufgestellt werden. Die Sache mit der Political Correctess ist hier oft nur schlecht sitzender nachträglich festgetackerter zeitgemäß erscheinender Überbau. Jedefalls empfinde ich das so. Dementsprechend ist bei der fast unveränderten Neuauflage eine Chance vertan worden.
*** Ein Beispiel wäre der als Feldwebel "aus der Hefe des Volkes" statt als Hauptmann gedachte Zenturio, der in der Regel aus der bevorrechtigten Reihen der Equites stammte, weil im 19. Jahrhundert der gesamte Niederadel sich in der Tradition der römischen Patrizier sah und die Equites als Kaufleute verachtete, während er die Offiziersstellen als seine Domäne betrachtete. Tatsächlich müssen die Funktionen eines Zenturios differenziert betrachtet werden. Schon militärisch gab es verschiedene Ränge von Zenturionen, je nachdem unserem Hauptmann, Major oder Oberst entsprechend. Gesellschaftlich kam einiges auf die Herkunft an. Ursprünglich wurden geeignet erscheinende Veteranen gewählt oder ernannt, wobei wohl auch immer mehr auf die Herkunft geachtet wurde. In der Kaiserzeit wurde der Rang die Domäne der Equites, die hier neben finanzieller Stärke auch eine Art Dienstadel ausbildeten und ihn sogar als Einstiegsrang zugesprochen erhielten. (Offiziell, aber immer noch vereinfacht: Wer die Erlaubnis bekam, als Zenturio anzufangen, wurde sozusagen schneller und bevorzugt befördert.) Und die gesellschaftliche Funktion der Equites hat sich im Laufe der römischen Geschichte auch verändert.
tattergreis:
Diesen Beitrag schrieb ich vor der Lektüre von Riothamus epischem Werk :)
Dass durch die Beschäftigung mit einer Schlacht sich ein Erkenntnisgewinn ergibt, stelle ich ja gar nicht in Abrede, und man sieht ja auch hier im Forum super ausgestaltete Nachbildungen von Schlachtfeldern. Ich denke auch, dass man zum Beispiel bei der Betrachtung der Spielberichte von Maréchal Davout sehen kann, dass Waterloo ein enges Schlachtfeld war.
Man könnte auch mit einem einfachen Kniff die Perspektive von Napoleon (oder besser von Ney) besser darstellen, indem man die alliierten Truppen hinter dem Kamm einfach gar nicht aufstellt.
Und wenn man die Bodenverhältnisse und die meines Erachtens immer vernachlässigten Befehlsstrukturen adäquat nachstellt und sogar die Charaktere der Beteiligten einfließen lässt wie bei HoW, so bräuchte man meines Erachtens noch immer eine Computersimulation, um aussagekräftige Erkenntnisse zu haben.
Wenn ich mich irre, und ein TT in der Lage ist, eine Schlacht in ihrem eigentlichen Wesen zu simulieren, dann wäre meine mittlerweile aufgegeben Suche nach dem Heiligen Gral wider Erwarten doch erfolgreich.
Ich hab Sabin gestern Abend nicht vollständig durchgelesen, und ich bin mir nicht sicher, ob Sabins Regelwerk den Anspruch erhebt, nachprüfbare Erkenntnisse über die Auswirkungen von "anderen Lösungen" zu liefern. Aber ich denke, den Blick auf andere Lösungen zu eröffnen versucht Sabin auch. Also auf jeden Fall ein Argument für Pappenheimers Aussage.
Wie hoffentlich erkennbar, ist mein Satz
-"Und so würde ich der Aussage zustimmen, dass TTs den Blick für alternative Lösungen beim TT aufzeigen, eine Übertragung in die Militärgeschichte ist aber nicht möglich."
eine Einschränkung, aber nicht eine völlige Ablehnung der These von Pappenheimer :
-"Tabletopspiele weichen erfahrungsgemäß von den historischen Schlachten ab, können aber auch dazu dienen, den Blick für alternative Lösungen zu öffnen." ist.
Es ist allerdings eine intensive Prüfung notwendig, ob das Simulationsmodell, also das Regelwerk, das beabsichtigt und dann auch leistet.
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln