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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches

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Hanno Barka:
Man kann Odoakers Herrschaft aber genausogut als eine politische Wiedervereinigung mit dem Ostreich sehen, denn er erkannte sie Oberhoheit von Konstantinopel an und es gibt keinen Hinweis, daß er Italien als von der römischen Welt losgelöstes eigenständiges Königtum sah.

severus:
Wenn man so argumentiert, kann man aber auch das weströmische Reich 1806 enden lassen. Die Frage ist doch, hat sich Odoaker auf wesentliche Reichsinstitutionen gstützt, um seine Regentschaft in Italien zu realisieren? ODer hat er eigene Strukturen geschaffen? Ich halte die Rücksendung der Reichsinsignien nach Byzanz eher für eine formale Anerkennung der Oberhoheit des oströmischen Kaisers als für eine Fortführung des westlichen Reiches.

Es fehlt eigentlich eine stringente Definition dessen, was man als weströmisches Kaiserreich bezeichnet. Ein Corpus von Gebieten und Institutionen, die als unveräußerlicher Kern des Reiches anzusehen sind und deren Fehlen es erlaubt, den Untergang des Reiches zu konstatieren.

hunwolf:
@Severus: du argumentierst meiner Ansicht nach etwas am Kern vorbei. Oberaudorf hat auch eine Funktionierende Verwaltung, der Landkreis Rosenheim auch, aber wenn sich die Bundesrepublik Deutschland morgen auflöst, dann ist es nicht von Bedeutung, daß unser Bürgermeister noch amtiert oder der Landrat weiter im Amt ist. Siehe die Aufgabe der Eigenstaatlichkeit der DDR! Oder das Ende des HRR 1806.
@ Greymouse: mir erschliesst sich nicht, wie du darauf kommst, daß mit der Herrschaft Odoakers sich eine Wiedervereinigung mit dem Ostreich ergibt. Generationen von Historikern sind nicht ansatzweise auf diese Idee gekommen, und sie entbehrt ja auch nach allen überlieferten Fakten jeder Grundlage. Es ist ein Unterschied, ob ein König als Föderat oder nach eigenem Recht herrscht. Und da Odoaker als König von Italien anerkannt wurde, war er per se kein Föderat, sonst hätte ihn Ostrom nur als König der Skiren anerkannt. So, wie die anderen Germanenkönige, wie die frühen Westgoten, die Südgallien als Föderaten erhielten, aber nicht als Könige von Gallien oder der Narbonensis oder von Septimanien, sondern nur als Könige der Westgoten.
Und soweit mir bekannt, hat Odoaker an Byzanz nie Heerfolge versprochen oder geleistet, auch keine Tribute gezahlt usw. Es fehlen also alle Anzeichen einer Subordination.

severus:

--- Zitat --- du argumentierst meiner Ansicht nach etwas am Kern vorbei. Oberaudorf
hat auch eine Funktionierende Verwaltung, der Landkreis Rosenheim auch,
aber wenn sich die Bundesrepublik Deutschland morgen auflöst, dann ist
es nicht von Bedeutung, daß unser Bürgermeister noch amtiert oder der
Landrat weiter im Amt ist. Siehe die Aufgabe der Eigenstaatlichkeit der
DDR! Oder das Ende des HRR 1806.
--- Ende Zitat ---
Das tue ich gerade nicht. Denn ich glaube, der Denkfehler liet darin, moderne Vorstellungen eines Staatsgebildes auf die damalige Zeit zu übertragen. Die Poleis oder Civitates oder Municipien hatten eine viel weitergehende Autonomie als dies heutige Kommunen hatten. Meist beschränkte sich deren Zugehörigkeit zum Reich auch nur auf den Verzicht eigener Außenpolitik. Nehmen wir einmal den Zusammenbruch eines modernen Staates in der deutschen Geschichte, z.B. das Deutsche Kaiserreich 1918. Hier hatte der Zusammenbruch des Staates tatsächlich gravierende Folgen für die meisten Städte und Gemeinden. Nahezu überall bildeten sich irgendwelche Räte aus der Bevölkerung udn den Resten der alten Verwaltung, schon um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Hier bestand ein Handlungsbedarf bis in die kleinsten Kommunen hinein.

Das ist eine völlig andere Situation als in der Antike. Die meisten Bürger des Reiches werden überhaupt keinen Unterschied gespürt haben, ob nun ein Kaiser in Ravenna saß oder nicht. Entweder weil sie eh schon unter der Herrschaft irgendeines Stammensfürsten standen oder weil die lokal vorhandenen Reichswürdenträger eh schon weitgehend autark von der Zentralgewalt agiert haben. Die Kommunen bedurften auch keiner zentralen Verwaltungsebenen, um Recht zu sprechen und durchzusetzen. Dei römische Herrschaft war nie so tiefgreifend, wie dies etwa heute in einem Staat üblich ist. Das war damals auch kaum möglich.

Ich will darauf hinaus, dass wir die röimsche Geschichte hauptsächlich aus der Perspektive römischer Eliten kennen oder aus der Sicht von romanisierten Griechen und anderer assimilierter Eliten.

Hanno Barka:
Ja man könnte sogar 1806 definieren :)  (wenn man unbedingt mag) Und auch wenn Generationen von Historikern sich dazu geäussert haben, es findet in der Geschichtswissenschaft ein Umdenkungsprozess statt. Denn ein römisches Reichsgebilde wie wir es aus der klassischen Geschichtsschreibung kennen gab es nicht. Unser Reichsbegriff fußt auf den Definitionen, die im 19.Jahrhundert durch den Nationalismus entwickelt worden daraus resultiert ein Staatsbegriff, der den Bewohnern des römischen Reiches völlig fremd gewesen wäre. Man könnte genauso gut die EU als das europäische Reich bezeichnen, denn sie ist von der Definition, eines Staates in unserem Sinn mindestens ebensoweit entfern wie das römische Reich. Z.B. gab es im römischen Reich erst durch die Pandektensammlung und Rechtsreform von Justinian eine einheitliche Rechtssprechung - nach (!) dem Untergang des \"römischen Reiches\" - zuvor gabes regional starke Unterschiede welche Gesetzte im Gebrauch waren und wie sie exekutiert wurden.
Auch die Kluft zwischen Römern und Germanen war nicht in der Form existent, wie man im 19. Jahrhundert dachte. Den Germanen aber auch den Römern war damals ethnisch basiertes Nationaldenken fremd. Ob man sich als Römer oder Germane fühlte war  eine kulturelle Angelegenheit, keine ethnische. Durch den Einfluß des Militärs, das seit Severius bis Adrianopel die so ziemlich wichtigste staatstragende Institution des Reiches war und die Germanisierung der Armee entstand auch ein beträchtlicher (ethnisch) germanischer Anteil im römischen \"Realadel\" (ich meine damit Personen die die faktischen Aufgaben einer Adelsschicht im Reich innehatten, auch wenn sie nicht aus Optimatenfamilien stammten) und oft waren es gerade diese ethnisch germanischen Römer, die sich am heftigsten gegen weitere Zuwanderungserlaubnis für Germanen stark machten. Nach Adrianopel verschwamm der reale Unterschied zwischen römischen Bürgern und Föderati noch mehr. Die \"letzten großen Römer\" wie sie die Geschichtsschreibung nennt - Bonifatius und Aetius - beides ethnische Germanen, aber sie kleideten sich nach römischer Mode (die sich von der germanischen nicht besonders unterschied) sprachen Latein und fühlten sich auch als Römer.
Odoaker war Offizier in der kaiserlichen Garde und wurde nach dem Putsch des Orestes zum Kommandanten der Föderati in Italien. Als diese meuterten stellte er sich an ihre Spitze und setzte Romulus Augustulus ab. Er rief sich aber weder selbst zum Kaiser aus, noch installierte er wie Orestes eine Marionette auf dem Thron, sondern schickte den kaiserlichen Ornat nach Konstantinopel mit einem Begleitschreiben, daß man im Westen keinen eigenen Augustus mehr brauche, sondern ich direkt dem Augustus in Konstantionopel unterstelle. Der oströmische Kaiser Zenon erkannte ihn auch als Patricius (d.h. römischen General und Edelmann) an, obwohl es mit Julius Nepos noch einen Thronprätententen gab) Der Kaiserhof Ravenna blieb in Form und Funktion unverändert bestehen und lenkte auch weiterhin die Geschicke des verbliebenen Westreichs, nur stand an seiner Spitze nun nicht mehr ein Augustus, sondern ein Patricius unter der Oberhoheit von Konstantinopel.

Überhaupt ist der plötzliche Zusammenbruch der römischen Zivilisation und das darauf Hereinbrechen des Mittelalters eine Vorstellung des 19. Jahrhunderts das eine zivilisierte Antike und Neuzeit propagierte und dazwischen ein finsteres Mittelalter, in dem die Barabarei ausbrach. In Wirklichkeit gab es aber keine Epochenwechsel in Form von Quantensprüngen, sondern einen langsamen evolutionären Prozess. in Ostösterreich gab es trotz der slawischen Besiedlung bis zum Awareneinfall im 8. Jahrhundert eine römische Verwaltung, die vermutlich den Kaiser in Byzanz als ihren Chef ansah. Die Kanons der mittelalterliche Malerei wurde schon in der Antike im römischen Reich im 4. und 5. Jahrhundert grundgelegt... Mittlerweile gelangt man auch allmählich zur Ansicht, daß das Mittelalter gar nicht so finster und barbarisch war...

Auch in der anderen Reichshälfte ist die Einteilung zwischem antiken Konstantinopel und mittelalterlichem Byzanz eine nachträgliche und künstliche. Die Byzantiner nannten weder sich selbst so noch war der Name Byzanz für das zeitgenössische Konstantinopel gebräuchlich. Sie nannten sich bis zum Fall von Byzanz im 15. Jhdt. Romanoi (römer) obwohl sie zu diesem Zeitpunkt mehr Ähnlichkeit mit den sie belagernden Osmanen als mit den Römern Caesars hatten.

Von daher finde ich es besser nicht vom Untergang oder Zusammenbruch des (west) römischen Reiches zu sprechen, denn es war kein jähes kataklysmisches Ereignis sondern eher ein langsamer Auflösungsprozess in dem neue Staaten entstanden, die teilweise beträchtliche Teile der römischen Kultur übernahmen und weiterentwickelten bis man irgendwann von einem eigenständigen Resultat sprechen kann.

Edith - dem Datum 1806 kann man allerdings entgegenhalten, daß Byzanz zumindest anfangs das heilige römische Reich als selbsternannt und daher illegitim betrachtete und schon Voltaire darüber sagte es sei weder heilig, noch römisch und schon gar kein Reich  :smiley_emoticons_pirate2_biggrin_1:
Sorry für die Teile des Posts die mit dem von Severus deckungsgleich sind, ich hab grad getippt, als er gepostet hat.

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