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`Behind Oahu´

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AEON:
\"Muss schon sagen - die Karren, die es hier gibt, die taugen mir!\" lehnte sich Rabensteyn gemütlich auf der Rückbank des lackschwarzen Chevrolet Impala zurück. Das ewig lange Cabrio mit seinen überbordenden Chromverzierungen und dem Reserverad in einer Art Wanne am Heck war über fünf Meter lang und leicht zwei Meter breit. Die zwei durchgehenden Sitzbänke boten insgesamt sechs Leuten bequem Platz und man saß auf ihnen wie auf einer Couch. Rabensteyn saß hinten mit einer großäugig um sich staunenden Pearl und einer wie üblich misstrauisch wirkenden Diega, während Loo vorne zwischen einer neugierigen unherblickenden Alun saß - und einer belustigt lächelnden Kou Lunh, die den Wagen mit seinem großen und vor sich hinblubbernden Motor souverän durch den Verkehr der nächstegelegenen Stadt steuerte, die Kalevala hieß.
Hier sah es aus, wie es in einer Stadt nur aussehen konnte - hier waren überall diese typisch klotzigen Autos, die kein Vergleich zu den stromlinienförmigen, leisen Karossen der Konzerner waren - das waren zwei völlig unterschiedliche Stylerichtungen, aber es war unschwer festzustellen, daß Rabensteyn diese Wagen mit ihren Heckflossen und den mächtigen Kühlergrilldesigns sehr mochte. Die Leute, die man hier sah, wirkten alle, als wären sie auf Urlaub, fand Diega. Abgesehen von der Tatsache, daß sie als Tuvalesen alle irgendwie etwas nach Loo oder Kou Lunh aussahen, gab es auch hier alle möglichen Typen und Varianten: Dick, dünn, alt, jung...
Es fiel auf, daß es hier wesentlich lebhafter auf den Straßen zuging als in New Hanover, der Konzernerstadt auf New Caledonia. Und natürlich sah es hier altmodischer aus - nicht wenige Häuser am Stadtrand standen auf großen Grünflächen und waren als weitläufige, eingeschossige Bungalows ausgelegt, augenscheinlich aus Holz gebaut, das anschließend gestrichen worden war. Man sah alle möglichen kleineren und eigenständigen Geschäfte, Läden und Lokale - nicht die typischen, zu Ladenketten gehörigen Filialen, wie sie in den Konzernerliegenschaften gang und gäbe waren.
Und selbst die Innenstadt mit ihren vielleicht 20-geschössigen Hochhäusern wirkte irgendwie... man könnte fast sagen, gemütlich. All das wirkte mit den x-mal geflickten Asphaltstraßen, den roten Hydranten, den Telefonzellen, Straßenlaternen und Strommasten wie... BIlder aus längst vergangenen Zeiten, wie Diega und Rabensteyn sie mal in antiken Dateien über die Erdgeschichte gesehen haben mochten. Und es gab hier auch breite Straßen, die in gewissen Abständen von Hibiskusbäumen oder Palmen gesäumt waren - sogenannte Alleen. Und schließlich sagte Diega etwas, das Rabensteyn verblüfft eine Braue hochziehen ließ: \"ich... mag es hier.\"
\"Wir auch.\" gab Kou Lunh lächelnd zurück: \"Deshalb haben wir Krieg. Ich habe eine eurer Städte gesehen - und wie ihr mit uns umgeht. Nicht mein Fall...\"
\"Echt jetzt?!\" staunte Loo und die Tuvalesin nickte: \"Sieht alles sehr... kalt und steril da aus. Ewig hohe Wolkenkratzer, die aussehen wie aus dunklem Glas - und Straßen, die sehr breit und geradezu lächerlich glatt sind - die sehen aus, als wären sie naß.\"
\"Dieser Architekturstil nennt sich `Corporate Style´.\" ergänzt Alun und Kou Lunh fragt zurück: \"Und wie nennen die Konzerne Sklaverei?\"
Kou Lunh fuhr fort: \"Ich denke,l ich habe rausbekommen, wie´s abläuft - diese Typen tauchen erst dann auf, wenn die Einwohner einer möglichen Welt schlau genug sind, Maschinen zu bedienen und noch nicht so technisch hochentwickelt, um ihnen Paroli bieten zu können - perfekte Arbeitskräfte.\"
\"Das erklärt so Einiges.\" meint Rabensteyn und Kou Lunh grinst wieder: \"Dummerweise ist das hier Tuvalu II. Eine Welt mit sehr viel Wasser - und wir sind gut in der Nähe von sehr viel Wasser.\"
\"Das kann man wohl sagen.\" stimmte Diega zu: \"Hab´ mal einen gesehen, der ist in´s Wasser gesprungen - und der kam erst nach 40 Minuten wieder rauf...\"
\"Das gehört auch zu meinem eigentlichen Beruf - ich bin normalerweise Perlentaucherin.\" erklärte Kou Lunh gelassen und meinte weiter: \"Wie gesagt, im Gegensatz zu dem ganzen High-Tech-Zeugs der Konzerne und dem Krams, den ihr euch einoperieren lasst, mögen wir niedlich und putzig erscheinen - aber wir sind genau richtig für diese Welt. Unser Zeugs hat kein Problem mit hoher Luftfeuchtigkeit. Wir haben unsere eigene Kultur - und die mögen wir recht gern.\"
Loo grinst und machte das Radio des Wagens an: \"Ganz genau - willkommen also bei uns!\"
\"Okay, eigentliche Perlentaucherin - was ist dann Dein richtiger Job?\" fragte Diega und Kou Lunh meinte belustigt: \"Hähä, das ist geheim. Findest Du´s raus - muss ich Dich töten.\"
Alle sahen sie mit großen Augen an - inklusive Loo und die Tuvalesin zuckte entschuldigend mit den Schultern: \"Ich sehe schon, meine Gags ziehen nicht so besonders.\"
\"Näh, echt nicht!\" mein Pearl. Sie sah zu Kou Lunh rüber und fuhr fort: \"Fettes Sorry - aber wenn DU das sagst, klingt das nicht sehr witzig!\"
\"Uh, ich sehe, ich muss an meiner Ausstrahlung arbeiten - danke für den Tip!\" grinste die tuvalesische Agentin breit und Alun meinte: \"Also bist Du sowas wie eine Geheimagentin.\"
\"Öhhm... jaaa - so gesehen, kann man das so sehen.\" entgegnete Kou Lunh gedehnt und sah zu der unirdisch schlanken blonden Frau rüber: \"Aber hey - wenn ich mir Dich so ansehe, dann hast Du auch ein paar Geheimnisse, nicht?\"
\"So gesehen, kann man das so sehen, ja...\" grinste Rabensteyn breit - und zündete sich eine der hier typischen Zigarren an. Ja, er musste Diega recht geben - ihm gefiel es hier auch zusehends besser und besser.

AEON:
Hang Loose

\"Mann, ihr seht selbst in eurer Freizeit so verdammt offiziell aus - meine Fresse!\" fluchte Rabensteyn, als Diega und Alun aus dem Cabrio aussteigen. Jemand wie Alun zog natürlich auch in einem Auto sitzend viele Blicke auf sich, aber als sie aus der schwarzen Renommierkutsche ausstieg... Die ewig lange Blondine hatte ihre übliche Garderobe aus ihrem Survivalpackage gezogen - diese war zwar pastellfarben, aber hatte eindeutig sowas wie Rangabzeichen - oder sowas. Und Diega - Pearl vermutete, jemand wie sie war immer im Dienst...



\"Einer muss ja aufpassen, daß Alun nicht einfach so geklaut wird.\" war Diega´s simple Antwort. So ging der bunte Haufen auf einer Strandpromenade flanieren - und sie wunderten sich über den Lieblingssport der Einheimischen - auf übergroßen, bunten Bügelbrettern stehen und Wellen abreiten.
\"Neben Kanufahren und Tauchen ist das unser Lieblingssport. Wir nennen es surfen.\" erklärt Kou Lunh den erstaunten Neuankömmlingen. Und auch hier hörten sie aus großen Kasettenrecordern die Musik, die bei den Jugendlichen gerade hoch im Kurs stand.

https://www.youtube.com/watch?v=okzmGI-Paj8

Pearl mochte diese Musik - und sie fand, daß sie wirklich gut zu... allem hier passte. Diese enorm großen Wellen, die blaugrün-gläsern wie in Zeitlupe brachen - und die Surfer, die wirklich beeindruckende Tricks auf Lager hatten - und wie sich das Sonnenlicht in den Wasserspritzern brach - sie fand, daß das genau der Zeitpunkt war, ihre superlässige BORGHESIA-Sonnenbrille spazierenzutragen - mit einem breiten Grinsen, versteht sich: \"Woah, das ist ul-tra-ver-schärft hier!\"
Loo sah sie mit einem fragenden Blick an: \"Ich nehme an, das ist was Gutes?\"
\"Ist es schwer, diese Dinger zu fahren?\" fragte Pearl aufgeregt und Loo sah etwas überrumpelt aus: \"Die Boards? Öhhm... weiß nicht - wir lernen das schon von kleinauf...\"
\"Woah, ich will das auch können!\" blickte Pearl mit ihren großen Amethystaugen auf den Strand runter - was man aber nicht sah, wegen der Sonnenbrille. Kou Lunh begann zu grinsen und meinte: \"Okay - kein Akt. Ich zeig´s Dir - aber an einem kleinen, nicht allzu überlaufenen Strand. Willst Dich doch nicht vor der ganzen Mannschaft zum Obst machen, oder?\"
Pearl sah sich zu der amüsiert grinsenden Agentin um und Rabensteyn sah unter seinem breitkrempigen Hut mit einem ähnlichen Grinsen zu ihr hin: \"Ich hab´ keine Ahnung, was Du alles drauf hast, Kleine - aber bevor Du hier von der Planke segelst und den halben Ozean in den Hals kriegst, würde ich ihre Option wahrnehmen. Lernen vom Profi ist immer gut.\"
\"Dann weiß ich ja schon, was wir heute tun werden. Und nein, wir werden nicht versuchen, die Weltherrschaft an uns zu reißen.\" hielt Diega der überraschten Pearl ein knallgelbes, dreifinniges Swallowtail-Board hin: \"Hier - Geschenk des Hauses - weil Du genau so bist, wie eine nervige kleine Schwester - die ich nie hatte. Und wenn Du das mit dem Surfen nicht hinkriegst - dann frisst Du das Teil, comprendez?\"
\"Wo hast Du denn das...\" begann Alun und die Latina zeigte auf einen flachen Bungalow gegenüber der Straße, an dessen Fassade ein Schild zu lesen war: BIG ZEKE´S BOARDS´N MORE!: \"Die haben so viele davon, daß sie sie verhökern müssen.\"
\"Und wie hast Du bezahlt?\" fragte Alun misstrauisch weiter, als die Soldatin ihr nun kahles, linkes Handgelenk hochhielt: \"Der war ganz scharf auf meine Uhr. Was glaubst Du denn? Daß ich ihm die Knarre unter den Rüssel halte?!\"
\"So ganz abwegig finde ich den Gedanken nicht...\" warf Rabensteyn von der Seite ein und Diega fluchte: \"Ich halte DIR gleich die Knarre unter den Rüssel - und Du hast die Wahl, welchen R...\"
\"Das sind ja Worte, hart wie´s Kokosnüsschen - jetzt geht´s aber erst mal ab zur Strandbar, damit ihr wisst, wo man was Hübsches zu trinken kriegt - und wenn ihr wollt...\" grinste Kou Lunh und Loo fuhr fort: \"...dann kenne ich danach genau den Strand, den Pearl brauchen könnte.\"

AEON:
\"Ladies´n Gentlemen, here we are, life from the Kalevala Spaceport, where the first tuvalesian Attempt to fly into Space is just about to take Place...\" war es aus den Radios und den TV-Geräten an den Strandbars zu hören, wo sich zur Dämmerung alle drängten - und einem Bericht folgten, der vom ersten bemannten Raumflug eines `Astronauten´ der tuvalesischen Luftwaffe handelte. Am meisten amüsierte die Neuankömmlinge die nostalgische und altmodische Aufmachung der Nachrichtensendung mittels abenteuerlicher Zeichentrick-Fotomontagen, um den Zuschauern ein Swing-By-Manöver zu erklären, bevor der Astronaut sich in der AX-15 dem riesigen Kolonialschiff ACONCAGUA nähern soll, das seit annähernd einem Jahrtausend den Planeten umkreist - Das Ding ist so groß, daß man es problemlos von hier unten aus sehen kann.



Aber Rabensteyn sieht schon - Loo und Alun sind ein Herz und eine Seele, wenn´s um was geht, das abheben und fliegen kann. Und der Söldnerführer sieht sich das schwarzweiße Ding im Fernsehgerät an und denkt sich: `Wow - in der Blechkiste fliegt einer da rauf - mit fast 8000 Sachen? Zum ersten Mal und ungetestet? Mann, der Typ muss Messingklöten haben - oder absolut bescheuert sein!´
Und als sie das Bild eines jungen Soldaten sehen, der zwar die typisch braune Haut eines Tuvalesen, aber zu einer Art `Mozartzopf´ gebändigte milchweiße Haare hat, denkt Rabensteyn sich basserstaunt: `Der sieht ja total drollig aus - also entweder bin ich echt `ne feige Flasche und lose gegen DEN DA total ab - oder der Typ ist so bekloppt wie `ne verdammte Scheißhausbremse. Ich hoffe mal letzteres...´
\"Ich kenne den. Das ist Darius Troy - einer von diesen Sunnyboyz, denen einfach alles gelingt.\" grummelt Loo, als er in die Flimmerkiste guckt und Diega sieht ihn schief an: \"Lass´ mich raten - Du wolltest auch dieses Höllengefährt testen - hast aber gegen den Schönling abgestunken?\"
Loo grinst: \"Ganz genau - alles, was der anpackt, gelingt ihm irgendwie - sogar seine Stimme ist cool. Kennst Du diese Art Mensch? Entweder man wird total der Fan von ihnen - oder man kauft sich ein Scharfschützengewehr?\"
Nichtssagend zeigt Diega auf Kou Lunh, die immer noch mit Pearl in der Brandung zugange ist: \"Die da. Es gibt eben den Schlag Leute, der überall eine gute Figur macht. Und es ist zum Kotzen, weil es immer so aussieht, als sei da gar nichts bei.\"
\"Wahrscheinlich ist sie genau deswegen beim tuvalesischen Geheimdienst gelandet.\" mutmaßt Rabensteyn und stößt Loo mit dem Ellbogen an: \"Ihr scheint ja einen Haufen solcher Leute hier zu haben, Kumpel.\"
\"Ja - nur hast Du sie meistens genau da, wo Du sie nicht haben willst - oder nicht brauchen kannst, weil sie Dich im Vorbeigehen wie einen kompletten Idioten aussehen lassen.\" meint Loo, aber dann werden die beiden von Alun aus ihrer eigenartigen Unterhaltung gerissen, als sie einwirft: \"ICH stehe da wie eine Idiotin. Aber ich habe Glück - denn ich bin nicht da, wo ich wie eine Idiotin aussehen würde.\"
\"Das zählt dann auch nicht!\" winkt Rabensteyn ab und Loo fragt: \"DU... wärst die umwerfendste Idiotin von allen! Was kannst DU denn wohl schon verbockt haben?\"
\"Naja - ich wurde von einem total obsoleten feindlichen Kampfflugzeug vom Himmel geholt - und die Feindmaschine ist so gut wie unbeschädigt, während die 33 Millionen Keyz teure X-23 totaler Schrott ist?\" antwortet die hochgeschossene Blondine und Rabensteyn grinst Loo an: \"Ha - das soll Mr. Wonderful in seinem Raketenschlitten erst mal nachmachen! Das ist wie mit einem Vorderladergewehr einen FullBorg auszuknipsen!\"
\"Ist Alun nicht ein FullBorg?\" fragte Diega gedehnt nach und Rabensteyn stutzt - überlegt etwas - und fragt den Barkeeper dann: \"Sag mal - haste noch was von diesem Cuba-Libre-Zeugs? Brauche bald `ne gute Ausrede, falls ich noch mehr Blödsinn ablasse...\"

AEON:
Am nächsten Tag...

...lernten die Neuankömmlinge eine völlig andere Welt kennen - die unter Wasser. Das wahre Tuvalu II. 84% dieser Welt sind sonnendurchfluteter, vergleichsweise seichter Ozean. Tiefer als 4200 Meter ist es hier nirgends - so glaubt man. Gut, zum Ertrinken reicht das natürlich locker aus, aber bei Diega und Rabensteyn erhärtete sich der Verdacht, daß Ertrinken unter den Tuvalesen wahrscheinlich eine eben so seltene Todesart wäre, wie das Stürzen in einen Wandspiegel und das nachfolgende eigene Enthaupten an einer großen Spiegelscherbe.
Während die Söldner auf ihre moderne Tauchausrüstung zurückgriffen, zogen Loo und Kou Lunh es vor, einfach so wie sie waren in die Welt der archaischen Riffe einzutauchen - im wahrsten Sinne des Wortes. Alun konnte ebenfalls vergleichsweise lange die Luft anhalten - sie griff aber wenigstens zu Taucherflossen - um genau zu sein zu einer Monoflosse. Aber der Eindruck, daß die Tuvalesen für diese Wasserwelt wie geschaffen waren (was sie ja prinzipiell ursprünglich auch waren), erhärtete sich, wenn man ihnen zusah, wie sie mit der Agilität von Seehunden einfach so unter Wasser unterwegs waren. Und das riesige Riff vor Vanuatu war spektakulär - das war selbst demjenigen klar, der sich kein Stück mit Ozeanologie auskannte.



Zuvor hatte Kou Lunh Pearl und den Söldnern noch erklärt, weshalb sie einfach nur ihre Jeans, ein Top und ein Tauchermesser dabeihatte - es reichte ihr vollkommen und ihre Jeans hält in ihrem knappen Schnitt die Beinmuskulatur in Form - auch Fische sind vergleichsweise `hart´, was ihre effektive Stromlinienförmigkeit noch erhöht. Zudem ist Jeansstoff rauh - was einen ähnlichen Effekt wie Haihaut zeigt. Das mögen winzige Vorteile sein, aber sie summieren sich. Auf jeden Fall war die quirlige Pearl ein großer Fan ihrer `Lehrerin´ und dementsprechend ähnlich gewandet unterwegs. Das größte Geheimnis der tuvalesischen Anatomie war die angewandte Simplizität - Tuvalesen sind tatsächlich retrogenetisch optimiert worden - ursprünglich, um den Autodoc-Einheiten auf der Aconcagua die `Wartung´ der Cryostasetanks mitsamt deren Inhalt zu vereinfachen - aber auch, um sie optimal für eine Wasserwelt auszustatten. So ist ihr Organlayout absolut symmetrisch. Dinge, die sich eventuell entzünden können und verzichtbar sind - wie beispielsweise der Appendix oder Tonsillen - fehlen vollkommen. Den Tuvalesen mit ihrem verdichteten Körpergewebe und den durchsichtigen `Nickhäuten´, die es ihnen ermöglichen auch ohne Taucherbrillen unter Wasser sehen zu können, ist die verwirrende, unaufgeräumt wirkende Anatomie der Terraner ein komplettes Rätsel - vor allem, wenn sie wie einige Söldner oder auch Pearl kybernetisch oder biogenetisch aufgerüstet worden sind. Nun ist Pearl ihrem Vater für einen kurzen Moment dankbar, daß er ihr eine endodermale Impaktpanzerung spendiert hat - die bei kinetischer Einwirkung steinhart wird. Als Tochter eines einflussreichen Mannes muss man auch ein wenig geschützt sein - mit einem Schutz, der nicht zu entdecken und falls doch unentfernbar ist. Sie selber hat sich in weiser Voraussicht die Effektivität ihres Lungengewebes erhöhen lassen - so sind wenigstens bis zu 20 Minuten Tauchzeit drin.
Der technologische Fortschritt ermöglicht es den Terranern sogar Organe, Glieder oder sogar komplette Körper am Mediframe anpassen und in einem 3D-MediPrinter `ausdrucken´ zu lassen. Es wäre ihnen sogar möglich, sich jedesmal, wenn sie zu altern beginnen, neue Körper designen und anpassen zu lassen - wenn sie es sich leisten können, versteht sich. So kann man auch dafür sorgen, daß man nach einem solchen Eingriff völlig anders aussieht - nur das EEG könnte einen dann noch als den verraten, der man ist. Und selbstverständlich wissen die Geheimdienste das - und so auch Kou Lunh.
Soldaten und Söldner wiederum stehen oft auf altmodische `Hardware´. Ein kybernetischer Arm und ein kohlenstoffnanoröhrenverstärktes Endoskelett machen einen ebenfalls sehr stark und `wartungsarm´. Man kann tatsächlich repariert werden. So gibt es militärische FullBorgs - Kampfkolosse, die leicht bis zu einer halben Tonne wiegen können, IR-Sensoren, Restlichtverstärker, optische und akustische Leveldamper, systeminterne Kampfdrogeninjektoren und Filtersysteme gegen Kampfstoffe sowie dementsprechende Komposit-Körperpanzerung aufweisen können, welche die wirklich außerirdischen Aliens sind - in den Augen der Tuvalesen. Die nennen sie einfach Kampfroboter - wie frisch aus den SciFi- Filmen, die sie sich oft in den Autokinos ansehen. So leistungsstark wie ein menschengroßes Insekt, muss man sie im Ernstfall tatsächlich sprengen - daher gibt es in den tuvalesischen Streitkräften seit Neuestem Soldaten mit eigens entwickelten, langläufigen M-79-Granatgewehr-Versionen im Kaliber 40mm, die inzwischen speziell dafür ausgebildet werden, diese FullBorgs zu jagen und zu sprengen. Diese Leute kommen aus der neugegründeten MAXTAC-Einheit, die sich damit beschäftigt, neue Feindtechnologien zu identifizieren, falls möglich zu untersuchen und zu analysieren - und geeignete Gegenmaßnahmen zu entwickeln.
Aber all das ist momentan angenehm weit weg. Alun und Pearl sehen sich mit großen Augen um - sie tragen Halbschalen-Kontaktlinsen, um unter Wasser klar sehen zu können. Und was sie alles sehen konnten... Kopffüßer, deren Körper in Gehäusen steckten wie bei Schnecken - in den erstaunlichsten Formen und Farben. Manche winzigklein - andere riesig groß. Eines der Tiere mit einer langgestreckten Schale, ähnlich einem Walrosszahn, brachte es auf fast fünf Meter Länge. Ein anderes Tier mit einer Ammonitenschale hatte einen Duchmesser, vergleichbar mit einem Traktorrad. Zahlreiche Sorten von Quastenflossern in schillernden Farben schwammen zwischen den haushohen Korallen herum und auch auf dem weißsandigen Grund zwischen den bunten Korallen und farbenfrohen Blumentieren waren zahlreiche Mollusken zu sehen - wie Muscheln, Brachiopoden oder opulent geformte Seeschnecken. Zwischen diesen wuselten asselähnliche Trilobiten entlang, immer auf der Hut vor den bis zu drei Meter großen und verblüffend schnell schwimmenden Seeskorpionen - und es gab seltsam geformte Panzerfische am Boden, die ein wenig an Welse erinnerten. Weiter draußen trieben seltsame Staatentiere umher - manche so groß wie Regenschirme. Diese als Graphtolithen bezeichneten Zellgemeinschaften wirkten wie Biosphärenkuppeln mit langen, gefiederten Antennen am unteren Ende.
Und das war nur das Bild in den Riffen - die Hochsee barg noch ganz andere Absonderlichkeiten - wie den bis zu acht Meter langen Steinbeißer - ein massiger, muränenschwänziger Panzerfisch mit einem Kopf wie eine Blechschere. Es war klar, daß man dem besser aus dem Weg gehen sollte. Er war das Äquivalent des Weißen Hais. Dann waren da noch die planktonfilternden Riesen - unter denen 17 Meter lange Friedfische zu finden waren, mit eingeführte Wale und die Nachts auftauchenden `Glasuhren´, Quallen von bis zu 60 Metern Durchmesser, deren Biolumineszenz sie nachts weithin leuchten ließen. Wenn es ein Tier gab, das den Tuvalesen heilig war - dann das. Glasuhren waren gewaltig. Majestätisch, langsam und absolut harmlos hingen sie schwerelos in den Tiefen der offenen See und waren ein lebendes Mysterium. Man wusste nicht wie alt sie wurden, man wusste auch nicht, welche männlich oder weiblich waren (oder ob das bei ihnen überhaupt eine Rolle spielte), oder wie hoch ihre wie auch immer geartete Intelligenz war. Vorhanden war sie jedenfalls, das hatten sie auf´s ein oder andere Mal beeindruckend bewiesen. Sobald beispielsweise Taucher auf sie trafen, konnten diese feststellen, daß die Bewegungen der eleganten, gläsern wirkenden Giganten... vorsichtiger wurden. Gerade so, als ob sie diese winzigen, seltsamen Tiere nicht aus Versehen verletzen wollten.
Langsam wurden Rabensteyn, Alun und Diega klar, auf was für einer Welt sie hier gelandet waren.
Auf einer äußerst geheimnisvollen.
Und das war erst der Anfang...

AEON:
The Choice we made

Technologie ist immer so eine Sache. Nach der Landung auf der Wasserwelt Tuvalu II - versagte sie - beinahe komplett. Erst langsam kamen die Siedler Generation für Generation wieder auf die Beine und entschlüsselten das, was verlorengegangen war. Die Klügsten und Weisesten unter den Tuvalesen wurden in den Wissenschaftlichen Rat gerufen - und bilden diesen bis heute. Selbstverständlich - gemessen an dem, was den Tuvalesen heute möglich ist - können diese Leute die gesamten historischen Technologiedateien lesen - aber bei Weitem noch nicht alles nachbauen. Denn genau dies tun sie - sie tasten sich vor. Sie... kopieren.
Und sie werten die historischen Querverweise aus.
Und so führt das Meistern einer Technologie zu den ersten Schritten in der nächstkomplizierteren. Nukleartechnik... ist bekannt. Sorgfältig werden die parallel verlaufenden historischen Hinweise über Störfälle und deren Ursachen ausgewertet - und beratschlagt, ob es Mögliochkeiten gäbe, diese zu vermeiden. So wurde beschlossen, daß Atomwaffen ein absolutes Tabu darstellen. Denn jeder auf Tuvalu weiß, wo diese ursprünglich getestet wurden.
Und was sie anrichteten - damals auf der Erde.
Das, was die Verteidigungsstreitkräfte an Material nutzen ist das, was sich erwiesenermaßen in trropischen Gebieten bewährt hat - und was infrastrukturell gut miteinander kombinierbar war. Im Rahmen ihres momentanen technologischen Standards betrifft dies das Material einer ehemaligen sogenannten Supermacht, die damals auf der Erde in einer Gegend namens Indochina operierte. Das Versagen der damaligen Militärpsychologen, Strategen und Politiker ändert nichts an der Tatsache, daß das verwendete Material ausgezeichnet und zuverlässig war. Und so entschloss man sich kurzerhand, all dieses Kriegsmaterial inklusive der gut funktionierenden Infrastruktur einfach wiederzubeleben - inklusive der Bedeutung der Kokarden und Kürzel.
U.S. bedeutet Vereinigte Staaten - und genau das findet man auf dieser Ozeanwelt.
All die Archipel, Inselketten und Kleinkontinente - sind die Vereinigten Staaten.
Vereinigt im Kampf gegen Invasoren von außen.
Dennoch sind Tuvalesen natürlich keine U.S.-Amerikaner - ihr Wirtschaftssystem ist ein Anderes. Hier hat man aus der Vergangenheit gelernt - immerhin waren ihre Vorfahren in ferner Vergangenheit oft die Verlierer dieses Systems gewesen. Und dieses System wird momentan von den Invasoren in´s Extreme weitergeführt. Mit ein Grund, weshalb man über den unangemeldeten Besuch nicht gerade glücklich ist...
Aber Wissenschaftler sind natürlich neugierig - und Fortschritt ist eine logische Folge von Neugier. In Forschungseinrichtungen werden verschiedene Technologien wiederbelebt, untersucht und wenn möglich neu kombiniert - so entstand auch die AX-15, das erste wiederverwendbare `Raumschiff´ der Tuvalesen. Bisher hat man sehr leistungsstarke Raketen benutzt, um beispielsweise Satelliten zu starten - oder aber, um Gefahrenstoffe (wie alte Brennelemente) einfach in die Sonne zu befördern - hier will man den Kram nicht haben.
Man hat aber auch schnell entdeckt, daß diese Welt selbst noch alles Andere als erforscht ist. Neben all den geologischen Eigenheiten und endemischen Lebensformen gibt es noch eine andere Überraschung: Luftaufnahmen zeigen überwucherte, äonenalte Ruinen von manchmal ganzen Städten. Sonarkarten zeigen ebenfalls solche Ruinen - unter Wasser. Man weiß inzwischen, daß die `Altvorderen´ in etwa menschengroß waren - mehr aber nicht.
So entstand das Wissenschaftsgebiet der Xeno-Archäologie. Und diese Forscher planen einige Expeditionen - wozu sie natürlich eine Crew brauchen - und Ausrüstung. Eine hervorragende Gelegenheit, neues Material diversen Feldtests zu unterziehen, wie der Wissenschaftliche Rat findet...
Und der Geheimdienst meldet, daß es eventuell sogar eine risikobereite Crew geben könnte...
Und die Politik denkt, daß diese offenbar ganz eigene Truppe ein gutes Medienzugpferd sein könnte - ein sogenannter Propagandacoup.
Möglicherweise also bekommt Loo seine ganz eigene Chance.

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