Der Pub > An der Bar
Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
Thomas Kluchert:
@ Mansfeld
Diese Erklärungsansätze klingen natürlich erstmal ganz nachvollziehbar und logisch, wenn man sie so liest. Aber irgendwie greifen sie doch zu kurz. Da ich ja auch Historiker bin (:D) suche ich immer nach Kontinuität - und die findet man ja im Krieg und in Kriegsverbrechen zu Hauf. Immerhin haben schon die (wohlgemerkt demokratischen) Athener in der Antike ganz gemütlich Völkermord begangen, als das Wort noch gar nicht erfunden war. Und da ging es nur um einen Bündnisbruch. Oder man geht in den 30jährigen Krieg, wo die Soldaten ja auch nicht gerade kleinlich waren (ich sag nur Magdeburg), ohne eine ideologische Grundausbildung mitgemacht zu haben. Es gibt sicherlich noch unzählige Beispiele
@ J.S.
Ich kann deine Einstellung total verstehen. Nach dem Abitur hatte ich erstmal 5 Jahre genug vom zweiten Weltkrieg - das Thema kommt einem einfach zu den Ohren raus. Da kann man irgendwann nur noch die Augen verdrehen. Ich hab mich zum Trotz erstmal der Antike zugewendet :D Die Briten kommen auch besser mit der Epoche klar. Hab letztens die BBC-Doku \"War of the Century\" auf Youtube geschaut und war mehr als positiv überrascht. Gut gemacht und sehr ausgeglichen, da hat man wirklich mal den Eindruck gewonnen, wie brutal dieser Krieg von beiden Seiten geführt wurde. Kann ich also nur empfehlen, auch wenn den Briten irgendwie das Jahr 1943 abhanden gekommen ist. Aber dennoch zu empfehlende Populärwissenschaft.
J.S.:
--- Zitat ---Tja, die populäre Meinung ist doch eher: die armen Jungs konnten nicht anders, die sind ja gezwungen worden.
--- Ende Zitat ---
quod est demonstrandum..
--- Zitat --- Böhler zeigt an Quellentexten (Wehrmachtsberichte, Einheitschroniken, etc.) schön nach, wie eine junge, kriegsunerfahrene und nach sechs Jahren NS-Indoktrinierung rassistisch geprägte Generation Tendenzen zu Übergriffen hatte
--- Ende Zitat ---
Naja, die Frage ist, ob Deutsche Historiker überhaupt etwas anderes aus den Unterlagen rausforschen wollen/ können. Ich habe oftmals das Gefühl, dass das Ergebnis eh schon feststeht, bevor überhaupt mit der Arbeit überhaupt begonnen wurde.
Gehen wir doch mal von 2 Annahmen aus:
1. auch ein Historiker muss am Ende des Monats seine Miete bezahlen.
2. es gibt in Deutschland aus politischen Gründen erwünschte und unerwünschte Forschungsergebnisse, unabhängig von ihren Wahrheitsgehalt.
So. Nun könnte man natürlich hergehen und einen Vergleich anstellen zwischen den verschiedenen beteiligten Armeen unter der Fragestellung der Motivation für Kriegsverbechen. Rassismus? Mordlust? Rache? ec. Material gäbs in Hülle und Fülle. Vielleicht kommt dann dabei raus, dass die Deutschen Soldaten wirklich aussergewöhnlich grausam waren, vielleicht aber auch nicht. Und dann? Es könnte ja auch sein, dass sich blöderweise ergibt, dass demokratisch erzogene California- Boys aus Spaß an der Freud wehrlose Menschen getötet haben. Sowas will niemand lesen, dieses Buch wird nicht in den RTL Abendnews vorgestellt und wird auch nicht bei Pustet, Hugendubel und Weltbild in der Auslage zu finden sein. Und die eigene Reputation als Historiker ist natürlich sowieso hinüber.
Wie gesagt - vielleicht. Aber soweit kommt es ja gar nicht erst; wieso aberhunderte Stunden in eine Arbeit investieren, die einem am Ende noch die Karriere kosten könnte. Also liegt dieses Forschungsfeld (in Deutschland) erst mal brach.
Alternative: die restlichen 1000 Jahre Deutscher Geschichte bearbeiten; Problem: der Markt für den Zweiten Weltkrieg ist halt einfach da und wohl auch zu verlockend. Ergibt zusammen mit den genannten Annahmen dann die nie endende Flut aus immer die gleichen Themen beackernden Monographien.
Decebalus:
--- Zitat von: \'Murphy\',index.php?page=Thread&postID=93268#post93268 ---Ich frage mich allerdings (ohne etwas relativieren zu wollen), ob man inhaltlich weit abweichenden Protokolle bekommen hätte, wenn man bspw. römische Legionäre, Soldaten des 30-jährigen Krieges, Soldaten Custers, etc. abgehört hätte. ?(
--- Ende Zitat ---
Vor kurzem habe ich gelesen, dass in dem großen Sturm nach der Schlacht bei Trafalgar, als reihenweise erbeutete Schiffe mit französischen oder spanischen Kriegsgefangenen untergegangen sind, es keinen Fall gab, wo entweder die britischen Bewacher nicht mituntergegangen sind oder wo keine Briten beim Versuch die Gefangenen überzusetzen ertrunken wären. Hört sich für mich nicht so an, als ob dieses Verständnis von Kriegsführung gegenüber den russischen Gefangenen 1941/42 vorgeherrscht hat. Und dann gab es ja auch noch (die wenigen und einflusslosen) deutschen Offiziere, die darauf hingewiesen haben, dass auch wenn Stalin die Haager Kriegsordnung nicht unterschrieben habe, trotzdem das allgemeine Kriegsvölkerrecht gelte.
Ja, tatsächlich finde ich dieses \"In der Nacht sind alle Katzen grau\", bzw. \"Im Krieg sind alle Soldaten grausam\" ziemlich releativierend.
Aber vielleicht liegt es wirklich am Schulunterricht. In Erdkunde durfte ich die verlorenen Ostgebiete auswendig lernen.
Decebalus:
--- Zitat von: \'J.S.\',index.php?page=Thread&postID=93298#post93298 ---... Vielleicht kommt dann dabei raus, dass die Deutschen Soldaten wirklich aussergewöhnlich grausam waren, vielleicht aber auch nicht. Und dann? Es könnte ja auch sein, dass sich blöderweise ergibt, dass demokratisch erzogene California- Boys aus Spaß an der Freud wehrlose Menschen getötet haben. Sowas will niemand lesen, ...
--- Ende Zitat ---
Sorry, ich sage es jetzt so, wie ich es denke:
1. Das Geschwätz vom bösen amerikanisch-westdeutschen System, das uns das Gehirn gewaschen hat, und deswegen können wir nicht mehr denken, was wir wollen, und schön normal national sein, ist tatsächlich ein typischer Topos aus dem rechtsaußen Lager.
2. Ist Dir eigentlich aufgefallen, wie sehr zumindest in den historischen Unterhaltungsmedien eine Relativierung stattfindet. Mal den \"Untergang\" kritisch angeschaut, wo die unschuldig ins System verwickelte Sekretärin am Ende in den goldenen Morgen der Bundesrepublik radelt, oder \"Dresden\", wo eigentlich alle Opfer sind und Briten und Deutsche sich symbolisch in der Liebesbeziehung verzeihen.
2. Du hast keine Ahnung vom populären Bild der USA in Deutschland. Ich habe an der Uni schon einen (pseudo-wissenschaftlichen) Vortrag angehört, dass durch John Wayne und amerikanischen Macho-Kult die US-Soldaten in Vietnam zu Killern abgerichtet waren. Anti-Amerikanismus findest Du (trotz Siegermacht USA) in Deutschland massenweise und er verkauft sich auch gut.
J.S.:
--- Zitat ---1. Das Geschwätz vom bösen amerikanisch-westdeutschen System, das uns das Gehirn gewaschen hat, und deswegen können wir nicht mehr denken, was wir wollen, und schön normal national sein, ist tatsächlich ein typischer Topos aus dem rechtsaußen Lager.
--- Ende Zitat ---
Ob nationaler Pathos gut oder schlecht ist sei mal dahingestellt. Interessant ist, dass du mich sofort in die rechte Ecke stellst und damit meine Theorie im Grunde nur bestätigst.
--- Zitat ---2. Ist Dir eigentlich aufgefallen, wie sehr zumindest in den historischen Unterhaltungsmedien eine Relativierung stattfindet. Mal den \"Untergang\" kritisch angeschaut, wo die unschuldig ins System verwickelte Sekretärin am Ende in den goldenen Morgen der Bundesrepublik radelt, oder \"Dresden\", wo eigentlich alle Opfer sind und Briten und Deutsche sich symbolisch in der Liebesbeziehung verzeihen.
--- Ende Zitat ---
Muss zwischen den letzten 10 000 Guido Knopp Produktionen wohl leider irgendwie untergegangen sein. \"Dresden\" habe ich nicht gesehen, da ich zu diesem Zeitpunkt vom 2.WK wirklich nichts mehr hören konnte.
--- Zitat ---2. Du hast keine Ahnung vom populären Bild der USA in Deutschland. Ich habe an der Uni schon einen (pseudo-wissenschaftlichen) Vortrag angehört, dass durch John Wayne und amerikanischen Macho-Kult die US-Soldaten in Vietnam zu Killern abgerichtet waren. Anti-Amerikanismus findest Du (trotz Siegermacht USA) in Deutschland massenweise und er verkauft sich auch gut.
--- Ende Zitat ---
Aktueller Antiamerikanismus und das Bild der G.I.s im Zweiten Weltkrieg sind ja wohl 2 paar Stiefel. Ausserdem spielte sich der Zweite Weltkrieg ja auch nur zwischen Amis und Deutschen ab, klar. Dieses Beispiel habe ich nur genommen, weil ich zufällig ein (extrem populärwissenschaftliches) Buch zum Thema daheim hab. Hätte ich mir so nie im Leben gekauft, aber meine (für einen knallharten Nationalisten wie mich urtypische polnische) Freundin konnte das ja nicht wissen und hats mir geschenkt. So kam es also, dass ich mir Stephen Ambrose - Cititzen Soldiers angetan habe, mit einigen erstaunlichen Erkenntnissen. Dass Amerikanische Veteranen vom munteren Morden erzählen als wär das sonst nichts, ist eine davon. Aber das mal in nen Gesammtkontext zu setzen würde ja unvermeidbar ins rechte Lager führen, also lassen wirs.
edit: Stephen Ambrose heisst der Mann, Bierce war der mit dem Bürgerkrieg :whistling:
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