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Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?

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Poliorketes:

--- Zitat von: \'Decebalus\',index.php?page=Thread&postID=93299#post93299 ---Vor kurzem habe ich gelesen, dass in dem großen Sturm nach der Schlacht bei Trafalgar, als reihenweise erbeutete Schiffe mit französischen oder spanischen Kriegsgefangenen untergegangen sind, es keinen Fall gab, wo entweder die britischen Bewacher nicht mituntergegangen sind oder wo keine Briten beim Versuch die Gefangenen überzusetzen ertrunken wären. Hört sich für mich nicht so an, als ob dieses Verständnis von Kriegsführung gegenüber den russischen Gefangenen 1941/42 vorgeherrscht hat. Und dann gab es ja auch noch (die wenigen und einflusslosen) deutschen Offiziere, die darauf hingewiesen haben, dass auch wenn Stalin die Haager Kriegsordnung nicht unterschrieben habe, trotzdem das allgemeine Kriegsvölkerrecht gelte.
--- Ende Zitat ---

Sorry, wenn das etwas plump rüberkommt, aber Äpfel sind keine Birnen. Nimm statt dessen die britischen Gräuel nach der Erstürmung von Badajoz aus der gleichen Zeit, und Du \'beweist\' das Gegenteil. Die Behandlung der russischen Kriegsgefangenen war unverzeihlich, grausam und dumm (bei ordentlicher Behandlung der Russen hätte Stalin es nicht so leicht gehabt, den großen vaterländischen Krieg auszurufen). Es ist nun einmal so - Krieg verroht die Menschen. Ob sich die so entstehende Brutalität der Soldaten auch außerhalb der eigentlichen Kämpfe entfalten kann, liegt dabei ganz entscheidend an der Führung. Fördert sie solch ein Verhalten (wie Hitler und Stalin), duldet sie es stillschweigend (Vietnam) oder versucht sie, die Disziplin aufrechtzuerhalten und Auswüchse aktiv zu unterdrücken? Das der Landser kein Unschuldslamm war, bestreitet kein vernunftbegabter Mensch. Aber daß die Wehrmachtsverbrechen ohne Beispiel seien ist Humbug, der die Opfer von Stalin, Mao und Hirohito verunglimpft.

Vor ein paar Monaten lief die Robert McNamara-Dokumentation The Fog of War im Fernsehen. Ich fand seine Schilderungen über Curtis LeMay sehr beeindruckend. LeMay war Stabschef während der Kubakrise und Kommandant einer US-Bomberflotte im 2. Weltkrieg, ein Hardliner, der George W. Bush wahrscheinlich als Weichei bezeichnet und der beinahe den 3. Weltkrieg ausgelöst hätte. LeMay hat die Effektivität der Bombenangriffe auf Japan deutlich gesteigert, wobei Effektivität den Tod zehntausender Zivilisten bedeutete. Seine Begründung war einfach: Lieber hunderttausend Japaner umbringen, als zehntausend Amerikaner bei einer Invasion verlieren. Ihm war dabei völlig bewußt, daß er im Falle einer Niederlage als Kriegsverbrecher gelten würde . Der Mann hatte auf grausame Art Recht, die Arithmetik des Krieges läßt keine Menschlichkeit zu (ob er im Recht war, ist eine andere Frage - siehe Genfer Konvention oder Haager Landkriegsordnung). Für LeMay war der kalkulierte Tod einer großen Zahl von Nichtkombatanten Mittel zum Zweck, genauso wie es der Mord an Millionen für Stalin war. Nur war es LeMays Ziel, damit den Krieg zu beenden und eigene Verluste zu minimieren, Stalins Ziel war die Durchsetzung einer menschenverachtenden Ideologie und seines persönlichen Machtanspruchs (bei Hitler war es nicht anders). Macht das LeMay zu einem besseren Menschen als Stalin/Hitler/Pol Pot oder nur zu einem weniger schlechten?

Was sagt das Bündnis der Westalliierten mit Stalin, der in den vorhergegangenen 20 Jahren den Tod von Millionen von Menschen verursacht hatte, über deren moralische Prinzipien aus - vor allem, wenn man sich in Erinnerung ruft, daß die USA das Lend & Lease auf die UdSSR noch vor Kriegseintritt ausdehnte und zu einem Zeitpunkt, zu dem die Massenmorde der Nazis gerade erst anfingen und deren spätere Ausmaße unmöglich vorherzusagen waren? Ich will damit auf keinen Fall Churchill und Roosevelt auf eine Stufe mit Hitler und Stalin stellen, ich will nur deutlich machen, daß es im Krieg meist nur die Wahl zwischen Pest und Cholera gibt - und das man die (Un-)Taten der Kriegsparteien nicht mit zweierlei Maß messen sollte, sondern Einzelfallbezogen.

Mansfeld:
@J.S.: \"Naja, die Frage ist, ob Deutsche Historiker überhaupt etwas anderes aus den Unterlagen rausforschen wollen/ können. Ich habe oftmals das Gefühl, dass das Ergebnis eh schon feststeht, bevor überhaupt mit der Arbeit überhaupt begonnen wurde.

Gehen wir doch mal von 2 Annahmen aus:
1. auch ein Historiker muss am Ende des Monats seine Miete bezahlen.
2. es gibt in Deutschland aus politischen Gründen erwünschte und unerwünschte Forschungsergebnisse, unabhängig von ihren Wahrheitsgehalt. \"

 

Sorry, das ist eben das, was du sagst - ein Gefühl von dir. Ich hab genügend fröhlich vor sich hinpublizierende Historiker kennengelernt, die radikal unterschiedliche Thesen aufgestellt haben , ohne daß die von dir postulierte wirtschaftlich-existenzielle Abstrafung stattgefunden hätte.

 

Zumindest in dem von mir erlebten Unibetrieb wurde selektive Forschung (also das Rauspicken von Argumenten, die eine vorgefertigte Antwort nur noch bestätigen sollen) gnadenlos schlecht benotet. Spätestens im Kolloquium haben dann verschiedene Fachleute die Lücken in den Argumentationsketten mal süffisant vorgeführt, und bei Publikationen ist die Fachwelt auch immer schnell zur Stelle, um auf Lücken und Betriebsblindheiten einzudreschen.

 

Ein einzelner Prof kann mal in seiner Fakultät ihm unerwünschte Ergebnisse unterdrücken, damit macht er sich aber spätestens auf Fachkongressen zur Lachnummer - Historiker lieben es geradezu, ihren Kollegen Fehler nachzuweisen, da muss man echt ein dickes Fell haben.
Ich habe bei solchen Unterstellungen meinerseits eher das Gefühl, daß dahinter einfach die Unzufriedenheit steckt, daß kein Historiker zu den Schlüssen gekommen ist, die man selber gerne hören würde.

Zu dem Thema \"Entmenschte Soldaten\": generell verrohen Soldaten im Krieg, das ist bei Deutschen nicht anders als bei Eskimos oder Guatemalteken. Entscheidend ist, wie das militärische System damit umgeht: versucht es, sowas in Grenzen zu halten und zu unterbinden, oder toleriert es sowas als Nebeneffekt, oder ermuntert es systematisch dazu? Und letzteres hat das Dritte Reich in einem ungeheuerlichen Ausmaß getan, mehr als z. B. napoleonische oder burgundische Armeen. Es gehört ja einiges dazu, Soldaten preußischer Tradition in so etwas wie den 20. Juli zu treiben.

J.S.:
@Mansfeld: Ich stimme dir ja in den allermeisten Punkten zu. Natürlich werden die genannten radikal unterschiedlichen Thesen munter veröffentlicht und Professoren lieben es ihre Kollegen auseinanderzunehmen (durfte kürzlich mal den Probevorträgen zur Neubesetzung eines Lehrstuhls lauschen..). Natürlich hast du auch Meinungen wie von Stefan Scheil oder Walter Post, schön und gut. Ist also nicht so, dass ich mich über mangelnde Meinungsvielfallt - unter akademischen Kreisen - beschweren würde.
Aber gewisse Bücher werden einfach mit der Intention geschrieben, später auch mal verkauft zu werden. Das meinte ich mit der etwas überspitzten Aussage \"muss auch noch seine Miete\" bezahlen. Besagtes \"Soldaten: Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben\" zielt auf eine breite Öffentlichkeit ab, da könnt ihr mir jetzt erzählen was ihr wollt. Wieso rege ich mich nun darüber so auf? Weil das Buch offenbar von solch elementarer Wichtigkeit/(oder eben Erwünschtheit) ist, dass man sogar Abends in den Nachrichten die Bevölkerung davon in Kenntnis setzten muss, dass es erschienen ist. Die selbe Beobachtung kann man eben auch zu anderen Themenkomplexen machen. In den großen Deutschen Buchketten liegen halt nun einmal 5 Bücher in der Auslage, die sich gegen den Präventivkrieg aussprechen und kein einziges, welches dafür spricht. Und das ist jetzt einfach eine Beobachtung, keine Wertung der Thesen (am schlüssigsten erscheint mir persönlich noch Bogdan Musials Ansatz, bevor ich wieder ins rechte Lager gestellt werde).
Also falls man kommerzielle Absichten verfolgten sollte, dann gibt es meiner bescheidenen Meinung nach genug Gründe sich 2 mal zu überlegen, was man schreibt.


--- Zitat ---Was sagt das Bündnis der Westalliierten mit Stalin, der in den vorhergegangenen 20 Jahren den Tod von Millionen von Menschen verursacht hatte, über deren moralische Prinzipien aus - vor allem, wenn man sich in Erinnerung ruft, daß die USA das Lend & Lease auf die UdSSR noch vor Kriegseintritt ausdehnte und zu einem Zeitpunkt, zu dem die Massenmorde der Nazis gerade erst anfingen und deren spätere Ausmaße unmöglich vorherzusagen waren?
--- Ende Zitat ---

Weil hier ja auch das Thema Geschichtsunterricht angerissen wurde: DAS wären doch einmal Fragen, die man den Schülern näherbringen sollte. Dinge kritisch zu hinterfragen und nicht einfach hinzunehmen, Zusammenhänge aufzuzeigen und dass man aus der Geschichte noch anderes lernen kann, ausser Hitler & Holocaust. Wer das Bündnis der westlichen Demokratien mit totalitären Systemen damals nicht versteht, der wird sich auch heute nicht fragen, wieso man gleichzeit aus vorsätzlicher demokratieliebe und philanthropie ein totalitäres Land zerbombt und das andere untersützt, um mal auf ganz aktuelle Ereignisse Bezug zu nehmen.

Decebalus:

--- Zitat von: \'Poliorketes\',index.php?page=Thread&postID=93310#post93310 --- ...Es ist nun einmal so - Krieg verroht die Menschen. Ob sich die so entstehende Brutalität der Soldaten auch außerhalb der eigentlichen Kämpfe entfalten kann, liegt dabei ganz entscheidend an der Führung. Fördert sie solch ein Verhalten (wie Hitler und Stalin), duldet sie es stillschweigend (Vietnam) oder versucht sie, die Disziplin aufrechtzuerhalten und Auswüchse aktiv zu unterdrücken? Das der Landser kein Unschuldslamm war, bestreitet kein vernunftbegabter Mensch. Aber daß die Wehrmachtsverbrechen ohne Beispiel seien ist Humbug, der die Opfer von Stalin, Mao und Hirohito verunglimpft.

--- Ende Zitat ---

Stimme Dir zu, ich weiß nur nicht gegen wen Du argumentierst? Wer behauptet denn, dass die Wehrmachtsverbrechen ohne Beispiel waren. Sönke Neitzel argumentiert doch gerade mit der von Dir beschriebenen Verrohung. Aber Kriegsverbrechen in diesem Ausmaß sind eben auch nicht \"normal\" für einen Krieg. Und der Vergleich mit Stalin, Mao und Hirohito würde irgendwie besser funktionieren, wenn es hier keinen Kant, kein BGB und keine Grundrechte gegeben hätte.


--- Zitat ---Was sagt das Bündnis der Westalliierten mit Stalin, der in den vorhergegangenen 20 Jahren den Tod von Millionen von Menschen verursacht hatte, über deren moralische Prinzipien aus

--- Ende Zitat ---

Das was Du hier andeutest, sagt es eben nicht aus. Die Westalliierten waren doch nicht frei in der Entscheidung. Sie haben sich Stalin nicht ausgesucht, sondern Hitler hat beschlossen, dass Stalin zu seinen Feinden gehört. Der Feind meines Feindes ist mein Freund ist nunmal in der Außenpolitik unhintergehbar.

Florian:
Na gut, erstmal allgemein: warum hat es ein Teil der Deutschen immer noch nötig Oma und Opa in Schutz zu nehmen? Woher kommt nur das Bedürfnis dauernd zu betonen, dass andere auch grausame Dinge getan haben nur damit die \"eigenen\" Grausamkeiten, also die der eigenen Vorfahren, nicht mehr so schlimm aussehen? Als würde es irgendwas am Judenmord der Deutschen verbessern, dass Stalin auch Antisemit war, dass die Türken die Armenier massakriert haben oder es würde (um ein hier schon genanntes Beispiel zu nehmen) irgendwie den Mord an der Herero relativieren, dass es auch andere Länder gab, die sich in ihren Kolonien wie die Axt im Walde aufführten. Tut es nicht. Verbrechen bleiben Verbrechen auch wenn es viele andere Verbrecher gibt.
Ich finde es auch überhaupt nicht schwer zu akzeptieren, dass große Teile der Generation meiner Großeltern ein verbrecherisches Regime unterstützt haben, einen verbrecherischen Krieg geführt haben und an der Ermordung der Juden Europas aktiv oder durch Duldung/ Wegsehen usw. teilgenommen haben. Ich muss da nichts schönreden oder relativieren. Da war nichts schön oder relativ o.ä. daran. Das verletzt weder mein Selbstwertgefühl noch meine \"Ehre\" noch sonstwas und ich fühle mich übrigens auch in keiner Weise dazu aufgerufen mich permanent für diese Verbrechen meiner Vorfahren zu entschuldigen. Ich fühle mich allerdings dazu aufgerufen, dafür zu sorgen, dass sich sowas nicht nochmal ereignet und dazu gehört eben zuerst anzuerkennen, was war und nicht drum herum zu reden nur weil es einem vllt. nicht passt.

und hierzu:
--- Zitat von: \'Poliorketes\',index.php?page=Thread&postID=93310#post93310 ---Was sagt das Bündnis der Westalliierten mit Stalin, der in den vorhergegangenen 20 Jahren den Tod von Millionen von Menschen verursacht hatte, über deren moralische Prinzipien aus - vor allem, wenn man sich in Erinnerung ruft, daß die USA das Lend & Lease auf die UdSSR noch vor Kriegseintritt ausdehnte und zu einem Zeitpunkt, zu dem die Massenmorde der Nazis gerade erst anfingen und deren spätere Ausmaße unmöglich vorherzusagen waren? Ich will damit auf keinen Fall Churchill und Roosevelt auf eine Stufe mit Hitler und Stalin stellen, ich will nur deutlich machen, daß es im Krieg meist nur die Wahl zwischen Pest und Cholera gibt - und das man die (Un-)Taten der Kriegsparteien nicht mit zweierlei Maß messen sollte, sondern Einzelfallbezogen.
--- Ende Zitat ---
das sagt über die Westalliierten, dass sie den Krieg gegen Deutschland und Japan gewinnen wollten, den sie nicht angefangen hatten. Und das wäre ihnen übrigens ohne die UdSSR ziemlich sicher nicht gelungen. Sonst sagt es erstmal gar nichts.

Und klar, wenn zwei Leute aufeinander schießen unterscheidet sie nicht ihr momentanes Ziel, das immer das unmoralische Motiv ist, den Anderen zu töten, sondern der Grund, warum sie überhaupt in der Situation sind, aufeinander zu schießen. Und da gibt es eben einen elementaren Unterschied zwischen einem angreifenden Faschisten und einem angegriffenen Demokraten (übrigens gilt das auch für den angegriffenen Kommunisten, denn der hat den Krieg halt auch nicht angefangen).

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