Epochen > Absolutismus und Revolution
Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
Decebalus:
Super spannendes Thema.
--- Zitat von: \'Davout\',\'index.php?page=Thread&postID=212054#post212054 ---Sicher war da viel bunt und geometrisch (zumindest in der Theorie), ABER: letztlich hatte das alles doch nur brutale Effizienz zum Ziel - eben unter den der Zeit angemessenen Bedingungen.
--- Ende Zitat ---
Das ist halt die zentrale Frage. Selbstverständlich entscheidet letztlich die \"brutale Effizienz\". Aber solange die noch nicht greift ODER wenn sie nicht greifen muss, weil alle Kampfparteien sich bestimmte Beschränkungen auferlegen, bleiben eben kulturelle Beschränkungen in Wirkung. Jena 1806, Frankreich 1940 sind ja nur erklärbar, weil eine Seite aus sozialen und kulturellen Gründen der Meinung war, ihre Kampfweise sei die richtige.
Das schon erwähnte Japan ist doch auch ein gutes Beispiel: Solange man die Europäer draußen lassen konnte (also bis 1850), konnte man im quasi gemeinsamen Einverständnis an Kampfweisen festhalten, die eigentlich nicht so effizient waren, wie es möglich gewesen wäre.
John Keegan, die Kultur des Krieges, vertritt letztlich eine ähnliche Anschauung.
Keegan
Ich fand auch sehr anregend: Nicolson, Adam (2005). Men of Honour: Trafalgar and the Making of the English Hero. Der macht deutlich, dass für den Sieg bei Trafalgar weder Waffentechnik noch Ausbildungsstand entescheidend waren, sondern die grundsätzlich andere Mentalität der britischen Führung, die ganz bürgerlich auf Erfolg getrimmt war, während für die Franzosen (Marine noch als Rückszugsgebiet des Adels) entscheidender war, einen heldenhaften Kampf gekämpft zu haben.
--- Zitat ---Man darf nicht vergessen, dass der Wandel hin zu einer gemischteren Taktik eben nicht auf soziale Veränderungen zurückzuführen war, ganz gewiss auch nicht auf veränderte Waffentechnik, sondern aus dem Unvermögen der vielen Rekruten der diversen Revolutionen geboren wurde.
--- Ende Zitat ---
Also eine \"sozialere Veränderung\" als die Einführung der Wehrpflicht gibt es doch nicht. Dein Beispiel bestätigt doch die These und widerlegt sie nicht.
Zum 18. Jahrhundert habe ich nicht so viel Ahnung. Wie weit also tatsächlich hier kulturelle Argumente greifen, kann ich schwer beurteilen. Aber zumindest die Entscheidung vieler Fürsten ihr Geld nicht für Soldaten, sondern für Schlösserbau, Theater und Kunst auszugeben, hatte klar soziale und kulturelle Gründe.
Goltron:
Nur weil eine bestimmte Kriegstechnik zur Verfügung steht bedeutet das noch lange nicht das sie kurz- oder mittelfristig auch optimal eingesetzt wird. Ich denke das die Alliierten 1940 durchaus der Meinung waren ihre Kampfweise sei militärisch betrachtet die richtige oder zumindest nicht gravierend falsch. Genau so dürfte es 1805 oder 1806 gewesen sein.
Davout:
Keegan greift die Thematik der ritualisierten Kriegführung auf. Ich bin jedoch der Meinung, dass diese im europäischen Kontext längst keine Rolle mehr gespielt hat, denn gerade das brutal-effiziente Vorgehen der Europäer sicherte ihnen den Erfolg in den Kolonialkriegen. Bei den Römern war das nicht anders. Sicher ist es auch effizient, wenn man das gleiche Ergebnis durch eine reine Demonstration erreichen kann. Die Drohung mit massiver Gewalt muss auch dann immer glaubhaft sein, sonst verliert sie ihren Sinn.
Auch in Japan waren die Mächte erfolgreich, die sich nicht gegen alle neuartigen Techniken stemmten, wie z.B. Feuerwaffen. Der Erfolg der Zulus in Afrika beruhte auch nicht zuletzt auf deren Abkehr von ritualisierten und gemäßigten Kriegsformen.
Was 1806 betrifft, so bin ich der Meinung, dass einer der Gründe für die preußische Niederlage in ihrer erst kürzlich eingeführten Divisionsstruktur nach in Frankreich bereits veraltetem Vorbild zu suchen ist. Ähnliches gilt auch für die österreichische Armee von 1805 mit ihren Mackschen Reformen. Im Angesichts des Krieges sollte man eben keine grundlegenden Reformen in einer ansonsten funktionierenden Armee vornehmen, denn ein paar Jahre Zeit braucht man dafür in jedem Fall.
Das mit der Wehrpflicht sehe ich nicht so. Es gab doch bereits in absolutistischer Zeit eine Art Wehrpflicht. Was anderes als Wehrpflichtige waren denn Friedrichs Kantonisten? Von einer allgemeinen Wehrpflicht konnte freilich keine Rede sein, nur gibt es sowas konsequent betrachtet praktisch nie udn nirgends. Im Russland der Zaren wurden die Soldaten auch aus den Leibeigenen zwangsverpflichtet - und trotzdem funktionierte diese Armee auf dem Schlachtfeld des 18. Jh. nicht anders als die ggf. mehrheitlich aus Angeworbenen bestehenden Truppen anderer Mächte. Wo ist da also die Grenze zu ziehen? Der Unterschied liegt meiner Meinung nach keineswegs in der Frage der Rekrutierung, ob das nun Freiwillige, Söldner, Kantonisten oder Wehrpflichtige sind, sondern darin wie gut die Truppen ausgebildet sind. Das französische Revolutionsheer war in weiten Teilen genauso wenig professionell wie die Freiwilligen des ACWs und in beiden Fällen brachte das eben seine Defizite mit sich. Profitruppen zu formen und zu unterhalten ist eben teuer, weshalb ein Herrscher oder eine Regierung sie ungern verschwendet. Stehen stattdessen viele billige Wehrpflichtige oder Freiwillige zu Verfügung, dann fallen auch die Hemmungen die Leute zu opfern. Im Grunde ist das reine Ökonomie. Im 18. Jh. wurden eben die teuren Berufssoldaten geschont, später die billige Menschenmasse geradezu verschwendet, im Extrem bei der \"menschlichen Welle\" der Chinesen im Koreakrieg u.a.
Fürsten des 18. Jh. gaben alle in Geld für ihre Armee UND für Kunst und Kultur aus. Beides waren gleichermaßen Quellen des Prestiges, wenngleich die Armee natürlich zugleich den Nutzen unmittelbarer Machtentfaltung hatte. Das beste Beispiel dafür ist August der Starke. Er hat eben nicht nur lauter Schlösser und Gärten bauen lassen, sowie Kunst (und Frauen) gesammelt, nein, zumindest zum Ende seiner Regierungszeit gelang es ihm auch eine respektable Armee zu unterhalten. Das die Orientierung in Preußen einseitiger verlief, lag nicht zuletzt an der religiösen Ausrichtung des Herrscherhauses und der relativen Armut des Landes, die eben keine gleichzeitige aufwendige Hofhaltung und ein stehendes Heer ohne existenzbedrohende Schulden zu machen erlaubte.
Grüße
Gunter
preussischblau:
Hallo Gunter,
Ein interessantes Detail, das Schonen der professionellen Soldaten: Wenn ichs recht verstanden habe, dann waren zu der Zeit pro Aufstellung zwei Treffen, will heißen Schlachtreihen vorgesehen, die zweite 50-150 Meter hinter der ersten. Im zweiten Treffen standen aber die \"kürzeren\" Füsiliere, die erstens nicht so viel hermachten wie die großen Grenadiere (noch dazu mit Genadiersmütze) und zweitens auch weniger genau schießen konnten, da sie kürzere Musketen hatten.
Da scheint es einen Widerspruch zu geben, oder vielleicht doch nicht? Die schmucke große erste Reihe ist furchteinflößender, was einige der Theorien bestätigen würde. Andererseits ist sie auch besonders im Feuer und mehr gefährdet, was Ausfälle angeht. Jedoch bringt größere Reichweite und/oder Treffgenauigkeit militärische Vorteile.
Da scheinen sich die Gründe für die Aufstellungspraxis zu vermischen, wie es auch sonst glaube ich keinen alleinigen Grund für eine bestimmte Praxis in der Schlachtaufstellung gab, sondern eine Entscheidung aus der Summe vieler Faktoren getroffen wurde. Und ich glaube je nach Schlachtenlenker ist die durch den Zeitgeist beeinflusste Geisteshaltung schon ein Faktor. Wenn ich so an die poetischen Betrachtungen der Offiziere angesichts der exerzierenden Soldaten denke...
Mal ein Gedankenexperiment dazu (das man vielleicht auch mal durchspielen könnte): Was wäre, wenn einer klassischen Linieninfanterie nur die leichten Jäger in loser Aufstellung gegenüberstünden? Wenn also einige der Paradigmen der Zeit aufgegeben würden, vielleicht durch einen Offizier aus einem anderen Kulturkreis? Natürlich vorausgesetzt, die Frage der Disziplin und Loyalität stellte sich nicht. Wenn also ein größerer Verband Jäger mit ihren weit reichenden Waffen ausser Reichweite der Linieninfantrie blieben, könnten sie diese geradezu bequem dezimieren und demoralisieren, bei minimalen eigenen Verlusten. Sie brauchen nur genug Rückzugsraum, um einem eventuellen Sturmangriff ausweichen zu können. Und sie müssten von Kavallerie gedeckt werden, denn ein gegenerischer Kavallerieangriff wäre das Ende der Jäger.
Das wäre zwar keine Guerillataktik (die war da eh noch nicht erfunden), weil es sich schon um eine \"offizielle\" Schlachtaufstellung handelt, hätte aber Elemente davon, denn es gäbe keine definierte Schlachtreihe als Gegner, sondern einen \"weichen\", und zurückweichenden Gegener, der aber nichtsdestotrotz schwere Verluste anrichten kann. Wie sowas wohl ausgehen würde? Ob eine solche Schlacht überhaupt per Definitionem der damaligen Zeit als gewonnen bezeichnet werden könnte, selbst wenn die Taktik von Erfolg gekrönt wäre? Was würde passieren?
Gruß, Stefan
Goltron:
Das ist ja der Punkt: Diese Jäger würden von der Kavallerie niedergeritten. Wenn du sie im engen Verbund mit Linieninfanterie als \"sicheren Hafen\" einsetzt bist du bei den napoleonischen Taktiken.
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