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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches

<< < (5/12) > >>

Tumbertor:

--- Zitat von: \'WCT\',\'index.php?page=Thread&postID=192444#post192444 ---Von der Fachwelt wurde das ganze jedoch eher verworfen.
--- Ende Zitat ---

Hi WTC,

danke für den link, Heather ist natürlich auch ein wichtiger Vertreter der \"Revisionisten\".

Ich glaube, die Diskussion über den \"Untergang des Weströmischen Reiches\" und den Ansturm der \"Migranten\" ( so werden sie neuerdings im Englischen genannt ) ist wohl auch deswegen so leidenschaftlich aufgeflammt, weil sich darin kryptisch Ängste und verzweifelter Zweckoptimismus der Gegenwart spiegeln.

Wer weiß, was uns in den nächsten 100 Jahren so blüht, Transformation wäre noch das angenehmste.

Gruß

Mansfeld:
Interessanter Buchtipp, werde ich mal reinschauen, aber wenn er tatsächlich hauptsächlich auf Keramikanalysen aufgebaute Theorien zur spätantiken Wirtschaft benutzt, bewegt er sich - milde gesagt - auf sehr dünnem Eis.
Archäologische Quellen sind immer nur Stichproben bestehender Gesellschaften, und die Deutung, was eine konkrete materielle Fundlage zum gesellschaftlichen Kontext aussagen kann, ist sehr sehr schwierig und sollte sehr vorsichtig betrieben werden.

Mal angesehen davon, daß die vorhandenen schriftlichen Quellen kein dermaßen katastrophales Bild zeichnen. Und auf die Meinung der Zeitgenossen sollte man eigentlich immer etwas geben.

Yogsothoth:
Hallo!

Dies ist wirklich eine extrem mitreißende Diskussion! Die Frage nach den Gründen für den Untergang des Weströmischen Reiches ist für mich eine der Schlüsselfragen in der Geschichte überhaupt.

Schon seit Gibbon ist die westliche Welt vollkommen zu Recht von der Frage fasziniert, ob man aus dem Zerfall der klassischen antiken Zivilisation nicht auch Rückschlüsse für die Betrachtung unserer Zeit ziehen kann oder sogar muss. Natürlich sind immer wieder allzu plumpe Analogien gezogen worden, aber bestimmte Muster drängen den Vergleich ja geradezu auf.

Der jeweilige Umgang mit dieser Frage zu verschiedenen Zeiten ist an sich wiederum sehr aussagekräftig bezüglich des jeweils gerade vorherrschenden Zeitgeistes. Während der Aufklärung war das Christentum die entscheidende Ursache, während des 19. Jahrhunderts fabulierte man von \"jungen germanischen Völkern\", die das morsche Rom hinweggefegt hätten und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Einwirkung barbarischer Invasionen immer weiter heruntergespielt.

Ich sehe auch eine aktuelle Neubewertung v.a. durch angelsächsische Historiker, allen voran Peter Heather. Nachdem zuletzt die Transformationsthese so weit zugespitzt wurde, dass man sich fragte, ob von einem \"Untergang\" überhaupt die Rede sein kann, sieht man jetzt wieder eine verstärkte Betonung der mitunter auch gewaltsamen Umbrüche.

Ich denke über zwei Dinge muss man sich nicht streiten, weil diese ohnehin klar sind. Erstens gab es geographisch und zeitlich viele unterschiedliche Entwicklungen in diesem Prozess, man kann nicht Afrika, England und Italien in einen Topf werfen. Zweitens gibt es nicht EINE Ursache, natürlich handelt es sich um eine extrem komplexe, multikausale Entwicklung.

Aber grundsätzlich stimme ich Heather in wesentlichen Punkten zu, man hat es wohl in der Tat mit einem massiven Zivilisationsbruch zu tun. Innerhalb relativ kurzer Zeit wandelte sich nicht nur die politische Struktur, sondern auch die gesamte Alltagskultur. Das v.a. in den 70er bis 90er Jahren vorherrschende Bild von \"weitgehend friedlicher Transformation\" halte ich für etwas euphemistisch.

Die entscheidende Phase liegt wohl im späten 5. Jahrhundert, ungefähr zur Zeit als Sidonius Apollinaris geschrieben hat. Ob man Odoaker nun noch mit als Weströmer rechnet, oder schon als barbarischen Nachfolger, macht eigentlich keinen großen Unterschied. Ich finde das traditionelle Datum von 476 n. Chr. daher als Richtwert ganz gut. Der justinianische Versuch der Rückeroberung konnte in Italien ja eben nicht an eine fortdauernde Identifikation der Italiker mit dem Imperium anknüpfen, daher würde ich sagen, dass das Weströmische Reich zu dieser Zeit bei den Zeitgenossen kein Thema mehr war.

Und Tumbertor hat etwas auch aus meiner Sicht sehr Wichtiges herausgestellt: Die Erforschung des Themas ist heute teilweise von deutlichen Befindlichkeiten aufgrund der aktuellen Migrationsproblematik überlagert. So wie für die Althistoriker der 30er Jahre jeder Gote ein \"arischer\" Vorfahr der modernen Deutschen war, ist heute für viele selbstverständlich der \"Barbar\" ein harmloser Migrant, der nur die Gesellschaft des Weströmischen Reiches multikulturell -oder als aufgrund eines demographischen Wandels dringend benötigte Fachkraft- bereichert hat. ;)

Gruß,


Yogsothoth

severus:

--- Zitat --- Grundsätzlich hat Tumbertor etwas auch aus meiner Sicht sehr Wichtiges
herausgestellt: Die Erforschung des Themas ist heute teilweise von
deutlichen Befindlichkeiten aufgrund der aktuellen Migrationsproblematik
überlagert. So wie für die Althistoriker der 30er Jahre jeder Gote ein
\"arischer\" Vorfahr der modernen Deutschen war, ist heute für viele
selbstverständlich der \"Barbar\" ein harmloser Migrant, der nur die
Gesellschaft des Weströmischen Reiches multikulturell -oder als aufgrund
eines demographischen Wandels dringend benötigte Fachkraft- bereichert
hat. ;)
--- Ende Zitat ---
Nicht nur heute. Das war schon immer so in der Geschichtsschreibung. ÜBrigens ist nicht allein das Bild des tatkräftigen Barbaren, der die erschlafften Römer hinweggefegt hat ein Bild der national geprägten Geschichtsschreibung des 19. Jh. Auch die Übertragung moderner Staatsbildngsprozesse ist so eines. Das mit den tatkräftigen Barbaren findet sich immerhin schon bei Tacitus.

Mommsen z.B. hat seine römische Geschichte so komponiert, dass sie analog zur deutschen Reichsgründung mit Augustus ihren Gipfel erreicht. Nachdem endlich über die Etappen Eroberung der Halbinsel und Bezwingung des Puniers, die Überwindung innerer Zwistigkeiten ( Bundesgenossenkrieg, Bürgerkriege) endlich unter Augustus die Pax Romana Einzug gehalten hat. Mommsen unterstellt den Italikern z.B. eine dringenden Wunsch nach nationaler Einheit analog zu den nationalistischen Strömungen in Deutschland im 19. Jh.

Meiner Meinung nach ergibt die Frage nach dem Untergang des römischen Reiches nur dann einen Sinn, wenn man genau diese Sicht wie Mommsen et al sie hatten, annimmt. Die ist aber unhistorisch. Denn das Lebenszentrum der antiken Menschen war die Polis im weitesten Sinne( damit man den Begriff auch im nichtgriechischen Raum anwenden kann). Noch nicht einmal Italien war völlig romanisiert, bis heute nicht. Noch heute gibt es griechischsprachige Dörfer in der Magna Grecia. Wen die Literaturquellen einen Untergang beschreiben, so ist dies die Sicht der römischen Aristokratie, die tatsächlich im Laufe der Jahrhunderte ihr Dominat zerbröseln sah.

Das heißt übrigens nicht, dass im Umkehrschluss alles friedlich verlief und es eine friedliche Einwanderungs -und Assimilierungswelle gegeben habe. Im Gegenteil. Aber genauso wie auch nicht während des Dreissigjährigen Krieges ganz Deutschland ständig von marodierenden Heeren heimgesucht wurde, wird das Gebiet des weströmischen Reiches überall gleichzeitig von marodierenden Barbarenhorden geplündert und besiedelt worden sein. Und nur weil auf einmal nicht mehr die gesamte römische Welt miteinander Handel getrieben hat, muss das lokal auch das Ende römischer Herrschaft und Kultur gewesen sein. Die Gemeinden haben sich, wo sie es konnten wieder autarker gemacht. Das geht selbstverständlich auch mit einer Abnahme der Warenqualität einher, wie sie hoch arbeitsteilige Kulturen hervorbringen können.

steffen1988:
Stimmt, in Süditalien gbt es noch die minderheitensprache \"Greko, da wurde früher vermutet es handle sich um überreste der Griechischen Bewohner in der Zeit nachdem Ostrom/Byzanz SÜditalien wieder zurückerobert hatte. Neueste Forschungen haben Hinweise gefunden wonach die Sprachreste aus Pre-Römischer Zeit stammen.

In der Schweiz und Norditalien gibt Heute übrigens noch die Rätoromanischen Sprachen. Diese Sprachen von denen es drei gibt sind voneinander Issoliert und weißen nur schwachen EInfluss des Lateins auf, was auf eine Geringe Romanisierung hinweist.


--- Zitat ---Und nur weil auf einmal nicht mehr die gesamte römische Welt miteinander
Handel getrieben hat, muss das lokal auch das Ende römischer Herrschaft
und Kultur gewesen sein. Die Gemeinden haben sich, wo sie es konnten
wieder autarker gemacht. Das geht selbstverständlich auch mit einer
Abnahme der Warenqualität einher, wie sie hoch arbeitsteilige Kulturen
hervorbringen können.


--- Ende Zitat ---
Das um 410 von Rom aufgegeben Britanien war zwar auch nicht zu 100 % romanisiert aber bei den Brito-Romanischen Königreichen sieht man die starke EInflüsse in Sprache und Namen. Die Briten im Süden (sofern sie von den Sachsen noch nicht Zwangsgermanisiert wurden) sahen sich noch im 6.Jahrhundert als Römer.

Die stark Romanisierten Berber und Mauren in Nordafrika waren auch noch zu Zeiten der Islamischen Expansion von römischer Kultur geprägt.

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