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Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches

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Hanno Barka:
Die \"Transformationstheorie\" leugnet weder den Untergang des römischen Reiches, noch daß gewaltsame Ereignisse im Spiel waren. NIemand behauptet, daß die Lebensumstände im \"orbis terrarum\" um 300 die gleichen waren wie um 600. Die Frage ist ob es einen bestimmten Zeitpunkt gab wo sich Alles (oder zumindest das meiste) auf einen Schlag änderte. Wie gesagt der Unterschied zwischen 300 und 600 ist recht augenfällig, aber wie schaut der Unterschied zwischen 450 und 500 aus? hat sich da wirklich soviel geändert um 476 als \"die Zäsur\" hinzustellen? Heil  und friedlich war die römische Welt 476 schon lange nicht mehr und auch nach 500 war nicht alles zivilisationslose Barberei.

Auch wenns wieder mal ein Abschweifen ist aber es kommt mir ein bissl vor die Musikjahrzehnte der Popmusik. Die 70er - die 80er. Wir lieben es in Kategorien zu denken :) Ja 1975 hat sich die Hitparade anders angehört als 1985, aber ist ein Song von 1979 wirklich so anders als einer von 1981? Und hat die Ermordung John Lennons den Untergang des Disco verursacht? In wie weit war das Concert in Central Park ein \"major contributor\"?
Ok - nehmt das bitte cum magno grano Salo, aber manchmal sehe ich da gewisse Ähnlichkeiten im Denkmuster.

severus:
@ Greymouse. Dein Beispiel veranschaulicht gut, was das Problem mit Zäsuren ist. Sie sind nachträgliche Setzungen der Geschichtswissenschaft. Zumindest meistens. Und sie haben selten etws mit der Sciht der Zeitgenossen zu tun.

Deswegen sind Zäsuren nicht völlig sinnfrei. Sie helfen, die Chronologie zu strukturieren. Man sollte dabei immer im Hinterkopf haben, dass es sich nicht um reale Einschnitte handelt, sondern um Hilfsmittel.

Goltron:
So sehe ich das auch. Man sollte auch nicht vergessen das es sich beim ganzen \"Untergang\" Westroms ja nicht um einen kulturellen Kampf Römer gegen Barbaren gehandelt hat. Deshalb ist es in meinen Augen grundsätzlich falsch mit dem Datum ein plötzliches Umschlagen der Zivilisation in Barbarei zu verbinden. Es bringt die Entwicklungen in diesem Zeitraum in meinen Augen aber gut auf den Punkt, stellt wenn man so will so etwas wie einen Höhepunkt vor dem langsamen abflauen des Umbruchs dar.

Ich habe ein Buch das sich mit den Bajuwaren und deren Ethnogenese beschäftigt und ich erinnere mich vage das es dort so dargestellt wird das sich die Lebensumstände Ende des 5./Anfang des 6. Jhd tatsächlich stärker verändert haben als es davor oder danach der Fall war. Zurückzuführen ist das auf den Zusammenbruch der römisch-militärischen Ordnung deren Auswirkung lokal mehr oder weniger stark verzögert werden können.

WCT:
@ Goltron Handelt es sich dabei um Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern I, Herwig Wolfram[u.a.](Hgg.), Wien 1990 ?
Diesbezüglich kann ich empfehlen (da auch online abrufbar): Hörtl, Elisabeth: Burgundiones -Ethongenese und Ansiedlung, unveröffentlichte Diplomarbeit, Wien 2012

Thaddäus:
Hallo zusammen,

eine interessante Diskussion. Soweit ich die Diskussion verfolgt habe, stellt sich mir eher die Frage, ob es nicht schlicht darum geht, wie jeder Einzelne der Diskussion den Begriff „Untergang“ definiert. Es wird meiner Meinung nach eher darum gestritten, ob es nun ein Niedergang, Untergang oder eine Transformation sein soll.

Für mich steht eindeutig fest, dass es im Gebiet des Römischen Reiches (um es mal neutral zu formulieren) einige große Veränderungen gegeben hat und wäre uns eine Zeitreise möglich, sich dem „Besucher“ im 3 Jahrhundert ein deutlich anderes Bild zeigen würde, als im 6. Jahrhundert. Es hat sich also definitiv einiges getan und darüber streiten sich die Diskutanten hier auch offensichtlich nicht. Ein genaues Datum festzulegen, stellt für mich jedoch nicht zwingend diese starre Einordnung dar, wie es gerne in früheren Zeiten von Historikern gemacht wurde, sondern dient simpel und einfach dazu, gewisse Ereignisse besser definieren und einordnen zu können.

Was die Argumentation einiger Teilnehmer hier angeht, so möchte ich jedoch mal einen weiteren, neuen Blickwinkel in die Runde werfen. Für mich ist es immer wichtig, ob ein Argument – ob nun historisch oder in anderen Zusammenhängen – wirklich auch dann standhält, wenn man die einzelnen Teile des Argumentes ersetzt. Was möchte ich damit sagen? Angenommen, es wird die These vertreten, dass das römische Reich nicht untergegangen ist, sondern eher von einer Transformation gesprochen werden soll – denn für den einzelnen Bauern hat sich nahezu nichts geändert (höchstens über einen Zeitraum von Jahrhunderten) und lediglich für die adlige Oberschicht gab es diverse Transformationen des Systems, während Kultur und Verwaltung auf der unteren Ebene weitgehend unangetastet blieb. Ebenso waren die Gewalteinwirkungen einzelner kriegerischer Auseinandersetzungen immer lokal beschränkt und haben nicht dauerhaft das ganze Reich erfasst. Deshalb kann man also nicht von einem Untergang des römischen Reiches sprechen, sondern eher von einer Transformation. Ersetzt man nun die Elemente dieses Arguments mit Entsprechungen anderer Ereignisse und halten sie weiterhin stand, so wäre für mich das Argument als aussagekräftig anzusehen.

Um zeitlich keine zu großen Sprünge zu machen, gehen wir doch einfach ein paar hundert Jahre zurück – und sprechen nun von der Transformation der römischen Republik. Denn einen Untergang hat es nicht gegeben. Für die adlige Schicht hat sich zwar etwas geändert, die wirren der Kriege haben jedoch nicht alle Bauern im Reich getroffen, die Selbstverwaltung hat sich kaum geändert und kulturell hat sich sicherlich weiterhin jeder als Teil Roms gefühlt. Selbst das neue Staatsoberhaupt hat mit großen Mühen eine Kontinuität zur Republik gesucht. Ist also die Republik überhaupt nicht untergegangen? Für mich kann man durchaus den Begriff „Untergang“ bei der Republik anlegen und das Imperium Romanum und sein Untergang, ist für mich mit einem ähnlichen Blickwinkel zu betrachten. Auch wenn sich für den einzelnen „kleinen Bürger“ vielleicht nicht viel geändert hat, so wurden doch grundlegende Strukturen zerstört oder komplett verändert, so dass man das, was man vorher als A definiert hat, später nur noch als B wiedererkennt.

Für den ein oder anderen mag der Begriff Untergang dann jedoch vielleicht nicht passend sein, da der Zeitraum im Falle des Imperium Romanum zu groß ist – für mich spielt das jedoch keine große Rolle. Was den Untergang eines Reiches angeht, sollte man vielleicht nicht die Maßstäbe anlegen, die wir aus Mitte des 20. Jahrhunderts kennen. Ein Untergang kann durchaus langsam, schreitend voran gehen und muss nicht in einer allesvernichtenden Apokalypse münden!

Per Definition geht es bei der ganzen Diskussion um den „Untergang des Römischen Reiches“ – und auch wenn man in der Antike natürlich kein modernes Bild eines Staates anlegen kann, so geht es doch irgendwie am Ende darum, ob das Gebilde, welches man als „Staat“ benennen könnte, aufgehört hat zu existieren und ob die Gründe dafür eher destruktiv oder nicht waren. Im Falle Roms hat für mich dieses Gebilde definitiv auf destruktive Weise ein Ende gefunden und daher kann man durchaus von einem Untergang sprechen… vielleicht ist Niedergang auch ein passender Begriff. Transformation ist aber deutlich zu euphemistisch.

Auch wenn ich keine wirklichen Argumente zu dem Thema aus historischer Sicht beigetragen habe, halte ich es einfach für sehr wichtig, die ganze Diskussion zunächst einmal auf dieser Ebene zu führen.
Das der Untergang des Römischen Reiches vielschichtig war und man sicherlich nicht Tag X des Jahres Y als genaues Datum benennen kann, steht für mich außer Frage. Ein Datum als grobe Richtlinie zu nehmen, um dieses Thema einfach besser greifbar zu machen, halte ich jedoch für Sinnvoll und das Jahr 476 zu nehmen, birgt durchaus gute Argumente. Bei vielen Veränderungen gibt es einfach einen Punkt, ab dem man A nur noch als B erkennt und solch einen Punkt grob zu bestimmen, halte ich für absolut angebracht. Ansonsten könnte man sämtliche Epocheneinteilungen aufheben und sieht die Geschichte einfach als immerwährende Transformation (was sie wohl auch tatsächlich auf eine gewisse Weise ist). Da der Mensch jedoch in Kategorien und Schubladen denkt und unser ganzes Denken von Diskriminierungen (im eigentlichen Wortsinn) bestimmt ist – sind wir fast schon gezwungen, Dingen einen Namen zu geben und für eine Schublade passend zu Definieren. Die Ereignisse, die sich auf dem Gebiet des Imperium Romanum irgendwann zwischen 300 und 600 n. Chr. abgespielt haben, finden bei mir ganz gut in der Schublade „Untergang“ Platz und als grobes Datum der Orientierung ist das Jahr 476 schon eine ganz gute Wahl.

Ich hoffe mein Beitrag war nicht zu langatmig und vorbei am Thema – aber wenn man nicht auf dieser Ebene eine Einigung erzielt, wird man sich wohl nie einig bei dieser Diskussion.

Gruß,

Thaddäus

P.S.: Bitte folgendes nicht allzu ernst nehmen:
Ob man auch von der Transformation des Titanic sprechen kann? Schließlich wurde sie nicht aus unserem Raum-Zeit-Kontinuum gerissen, sondern liegt nun einfach an einem anderen Platz in einer anderen Form. Einen genauen Zeitpunkt kann man auch nicht definieren – denn beginnt der Untergang nun mit der Entscheidung des Kapitäns, zu schnell zu fahren, oder bereits bei der Fehlkonstruktion der Schwimmkammern oder erst als das Schiff in zwei Hälften zerbricht? Man sollte Dinge einfach durchaus mal beim Namen nennen und ein destruktives Ende einer Sache kann man gerne als „Untergang“ bezeichnen.

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