Epochen > Altertum
Diskussionsthema - Der Untergang des Weströmischen Reiches
Mansfeld:
Geschichtstheoretisch ist das durchaus okay, wenn man letztendliche Objektivität als unerreichbar ansieht, aber mal zur Fragestellung:
Wo konkret siehst du denn katastrophale, den Begriff \"Untergang\" rechtfertigende Vorgänge, die durch die bestehdne archäologische und historigrafische Überlieferung gedeckt sind?
Der Begriff \"Transformation\" wurde ja deswegen von der Forschung ins Spiel gebracht, weil bei genauerer Betrachtung eben nicht nachgewiesen werden konnte, daß hier ein Untergang stattgefunden hat. Die Städte bestanden weiter (in kleinerer Form, aber diese Schrumpfung begann schon Ende des 3. Jahrhunderts), ebenso die meisten Institutionen, bei denen sich nur die soziale Herkunft der wahrnehmenden Amtsträger wandelte. Z.B. gab es im 3. Jahrhundert ganz offiziell das Amt eines Magister Militum für Gallien, und die Merowinger führen diesen Titel auch weiter und das nicht nur aus propagnandistischen Gründen - man geht inzwischen davon aus, daß sowohl sie selber als auch die gallischen Untertanen in ihnen tatsächlich Magistres militum in klassischer spätrömischer Tradition sahen.
Es gibt viele weitere Beispiele, die gegen einen Epochenumbruch sprechen, wie er durch \"Untergang\" suggeriert wird. Denn dafür fände man dann genau so gültige Ansätze im Krisenjahrhundert der Soldatenkaiser (3. Jh.), da spricht man dennoch nicht vom Untergang.
Das ist jetzt etwas überspitzt, aber Transformation wurde in der Forschung ja nicht aus Jux und Dollerei als Begriff für diese Zeitschiene etabliert, und da habe ich bis jetzt noch keine Argumente gesehen, die dem eklatante Mängel nachweisen könnten.
Tumbertor:
Hi,
ich finde die Diskussion sehr anregend und eigentlich auf einem guten Niveau, Applaus.
Ich frage mich eigentlich immer, warum uns alle, egal mit welchem Ergebnis, dieses Thema so berührt.
Die dahinter liegende Grundfrage ist doch, ob die Geschichte der Menschheit einen stetigen Fortschritt zum Besseren ( politische Emanzipation, Minderheiten, Gender und so... ) darstellt oder z.B. ein zyklisches Wachsen und Vergehen. Wenn man an ersteres glaubt, dann sind 600 Jahre \"Verfall und Dunkles Zeitalter\" sicher ein kleines Problem.
Dazu sollte man mal Oswald Spengler lesen.
Gruß
Tumbertor:
Hi,
kleiner Scherz am Rande:
Bild: Gallo-Römische Senatoren huldigen dem neuen Magister Militum Chlodwig.
\" Z.B. gab es im 3. Jahrhundert ganz offiziell das Amt eines Magister Militum für Gallien, und die Merowinger führen diesen Titel auch weiter und das nicht nur aus propagnandistischen Gründen - man geht inzwischen davon aus, daß sowohl sie selber als auch die gallischen Untertanen in ihnen tatsächlich Magistres militum in klassischer spätrömischer Tradition sahen.\"
Gruß
Yogsothoth:
Hallo!
Ich finde diese Diskussion auch sehr anregend. Tolle Argumente auf allen Seiten!
Ich gebe in den meisten Punkten Thaddeus und Tumbertor Recht. Lustige Analogie, übrigens.
Zitat von WCT:
\"Jegliche moralische Bewertung ist nur durch Konstruktion alternativer Szenarien/Handlungsalternativen möglich. \"
Wenn man vom \"Untergang\" des Weströmischen Reiches spricht, ist das sicherlich ein Werturteil, aber kein moralisches. \"Ermordung\" wäre eines...
Auch der Begriff \"Transformation\", der an sich wertneutral ist, kann in seiner Verwendung euphemistisch sein. Nämlich dann, wenn man ihn verwendet, um einer Wertung auszuweichen, die sich eigentlich aufdrängt, die man aber vermeiden möchte, weil man sich in Bezug auf aktuelle Entwicklungen unangenehm davon berührt fühlt.
Genau das unterstelle ich Teilen der Geschichtswissenschaft im Hinblick auf den Umgang mit dem Thema \"Verfall bzw. Verschwinden des Römischen Reiches\".
Bezogen auf andere Themen (z.B. Nationalismus, Kolonialismus usw.) schrecken Historiker ja nicht gerade vor Werturteilen, auch moralischer Art, zurück, sondern betrachten ein gesellschaftspädagogisches Einwirken auf die Öffentlichkeit auf Basis solcher Urteile über die Vergangenheit ja geradezu als ihre Hauptaufgabe und Daseinsberechtigung. Warum dann die Hemmungen in Bezug auf die Antike?
Zur Quellenlage habe ich den Eindruck, dass selbst wenn man lokale zeitliche Verschiebung, topoi-beladene Schriftquellen und eine dürftige Gesamtzahl an Quellen berücksichtigt, sich ein Bild ergibt, das im Wesentlichen schon den Ausdruck Untergang rechtfertigt. In England z.B. fand fast exakt das selbe statt, wie in einigen südamerikanischen spanischen Kolonien. Die einheimischen Männer wurden, laut genetischer Untersuchung, fast komplett von der Fortpflanzung abgeschnitten, die Eroberer eigneten sich Land und Frauen im Rahmen einer sehr gründlichen Landnahme an. In Gallien blieb die romanische Bevölkerung zahlenmäßig interessanterweise in der Übermacht, wie schon die sprachliche Entwicklung zeigt, aber obwohl nur die Kriegerkaste und Herrscher ausgetauscht wurden, folgt die gallo-römische Oberschicht im Laufe von 1-2 Generationen deren Lebenswandel und die Enkel griffelschwingender Grammatik-Enthusiasten werden analphabetische Schlagetots. Im gallischen und germanischen Grenzbereich werden römische Gebäude bis zum Verfall bewohnt, dann aufgegeben und direkt daneben Hütten gebaut. Aus großen Prachtgebäuden werden Metallklammern und Steinblöcke gebrochen, Straßennetz und Wasserversorgung verkommen... also um zwischen dem allgemeinen Lebensstandard bis ca. 400, und dann dem um ca. 500, zumindest in weiten Teilen Europas, keinen Niedergang zu erkennen, muss man sich schon etwas mühen.
@ severus: Auch was die erwähnte Transformation der Republik angeht, würde ich die Kontinuitäten nicht überbetonen. Nach hundert Jahren Bürgerkrieg hatte sich die alte republikanische Führungsschicht selbst ausgerottet und der vollkommen müde gekämpften Bevölkerung war die Alleinherrschaft lieber, als fortgesetztes Chaos. Augustus sehe ich eher als das Vorbild für Senator Palpatine bei Star Wars und weniger als Retter der Republik.
Eine sehr faszinierende Frage in Bezug auf unser Thema ist für mich noch etwas anderes:
Die total durchmilitarisierte römische Bevölkerung der späten Republik, die in der hellenistischen Welt als barbarische Krieger gefürchtet waren, sind einige hundert Jahre später zu einer wehrunfähigen oder wehrunwilligen Bevölkerung geworden, die hilflos der Machtübernahme kleiner, eingewanderter Gruppen ausgeliefert ist. Wie ist das möglich? 20.000 Goten oder Wandalen setzen sich als neue Führungsschicht auf Millionen von Römern... hat die \"Pax Romana\" des Augustus und die weitgehende Professionalisierung und Abtrennung des Militärs von der Zivilbevölkerung zu einer Pazifizierung geführt, die in diesem Falle verhängnisvoll war? Im Sinne einer Domestizierung zu hilflosen Steuerzahler-Untertanen?
Viele Grüße,
Yogsothoth
Thaddäus:
@Mansfeld: Das interessante ist ja, dass Severus und Du eine ganz andere Vorstellung vom Begriff Transformation haben. Severus bezieht \"Transformation\" auf den Begriff \"Römisches Reich\" und Du siehst dabei, so wie ich es auch erst bei Severus angenommen habe, das Reich als solches in einer Transformation begriffen.
Severus gebe ich vollkommen Recht, dass man durchaus von einer Transformation sprechen kann, was den Begriff angeht. Das Reich als solches hat jedoch deutlich negative Entwicklungen gemacht, die ich getrost als Untergang bezeichnen möchte.
Was die Bezeichnung Untergang angeht, so scheinst Du damit auch das Ende jeglicher Existenz zu bezeichnen. Ich habe ja mehrfach geschrieben, dass für mich durchaus Kontinuitäten bei einem Untergang gegeben sein können und im Römischen Reich war das sicherlich der Fall. Der Unterschied zwischen dem Römischen Reich im 2. Jahrhundert und dem 6. Jahrhundert ist für mich jedoch so gravierend, dass ich tatsächlich infrage stelle, ob das Reich überhaupt noch wiederzuerkennen ist, oder doch eben untergegangen ist.
Yogsothoth hat ja auch einige Hinweise gegeben, die eine Untergangstheorie stützen und wenn man mal ehrlich ist - wenn die Bevölkerung der Haupstadt von einer Million auf vielleicht ein Zehntel gesunken ist... dann war etwas ganz im Argen! Natürlich sind die Römer nicht ausgestorben (das habe ich tatsächlich schonmal von jemanden gehört) - aber das Reich hat sicherlich nicht die Zeit unbeschadet überstanden. Viele Begriffe haben die Zeit überdauert - und in diesem Punkt gebe ich Severus absolut Recht.
Das Römische Reicih hat irgendwann jedoch auch komplett aufgehört zu existieren - und das Ende war nicht von Heiterkeit geprägt, sondern von wirtschaftlichem, kulturellen, militärischen, wissenschaftlichen Niedergang.
Natürlich kann man nun argumentieren, dass das, was um 700 existierte kulturell genau so hochwertig war, wie das was 200 existierte, denn alle Kulturen könnte man auch als gleichwertig ansehen (was ich nicht tue) - aus meiner Sicht war es jedoch ein Verfall und eine eigene Meinung steht jedem zu.
Interessant fände ich nun eine Erörterung von Dir (Manfeld) und Severus zu dem Thema \"Transformation\", denn ihr scheint beide doch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon zu haben. Einmal steht der Begriff im Raum und einmal das, was ich der Einfachheit halber als Staat bezeichnen möchte (auch wenn der Begriff natürlich nicht korrekt ist).
Kann man tatsächlich bei dem Staat lediglich von einer Transformation sprechen, oder gab es doch Ereignisse die man als Katastrophe, Untergang, Verfall, Zugrundegehen etc. beschreiben müsste? Das der Wertneutrale Begriff \"Transformation\" auf den \"Begriff\" angewendet werden kann, finde ich absolut vertretbar.
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