Auch auf die Gefahr hin, bereits erwähnte Argumente oder Punkte zu wiederholen, da ich die gesamte Diskussion zwar gelesen, aber nicht Satz für Satz seziert habe, möchte ich dieses Thema ebenfalls kurz kommentieren. Das liegt nicht an einem \"Ich muss jetzt unbedingt meinen Senf dazu geben!\"-Reflex, da ich mich als Neuling ansonsten eher zurückhalte, sondern da es sich hierbei tatsächlich um ein Thema handelt, über das ich mir selbst oft Gedanken mache.
Die anfängliche Diskussion schien sich um die Frage zu drehen, inwieweit Tabletops \"historisch\" sein müssen oder sein sollten. Wichtiger scheint mir jedoch zu sein, überhaupt erst einmal danach zu fragen,
ob ein Tabletop überhaupt \"historisch\" sein kann. Ich will keine Grundsatzdiskussion zur Definition des Begriffs \"historisch\" beginnen. Worauf ich hinaus will, und der Punkt wurde im Laufe dieses und des älteren Threads bereits angesprochen, ist: Im Grunde wird bereits vor der Debatte die Existenz einer \"Historie\" postuliert, sprich
einer Realität,
einer objektiven \"Wahrheit\", der es sich dann je nach Fall anzunähern gilt. Hier wird, denke ich, ein grundsätzliches Problem sichtbar, welches nicht nur unser Hobby betrifft, sondern jede Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sei es in Büchern, Filmen, Re-Enactment-Gruppen usw. \"Geschichte\" ist letztlich, und es spielt dabei keine Rolle um welche Epoche es sich handelt, immer eine (Re)Konstruktion, die auf der Grundlage subjektiver Kriterien und einer bestimmten Perspektive entsteht. Ich denke es ist bezeichnet, dass sogar zum Zweiten Weltkrieg, von dem heutzutage noch Zeitzeugen berichten können, weiterhin offene Debatten und Kontroversen in der Geschichtsschreibung existieren. Und dieses Ereignis liegt noch nicht einmal 100 Jahre zurück.
Ich finde die Forderung nach mehr \"historisch\" im historischen Tabletop daher schwierig. Die Frage ist nämlich: Wo fängt man an und wo hört man auf? SAGA ist ein gutes Beispeil. Das gesamte Spiel basiert darauf, dass man sich eine Fraktion, also ein \"Volk\" auswählt und dieses gegen das gegnerische Äquivalent ins Feld führt. Würde man \"historisch\" streng urteilen, dann müsste bereits dieses Prinzip in Frage gestellt werden. \"Die\" Franken, \"die Angelsachsen oder \"die\" Wikinger gab es nicht. Die viel verbreiteten Vorstellungen von den frühmittelalterlichen \"Völkern\" sind eine Mischung aus zeitgenössischer, politischer Propaganda und dem nationalstaatlichen Denken des 19. Jahrhunderts, in dem unsere Vorstellung eines \"Volkes\" immer noch fest verwurzelt ist. (Ich hoffe, dass dieser Verweis nicht als Möchtegern-Historiker-Arroganz gebrandmarkt wird, ich wollte lediglich ein passendes Beispiel zur Illustration wählen)
Gleichzeitig ist es aber extrem schwer, althergebrachte, fest verankerte Vorstellungen von der Geschichte zu revidieren. Die Forschung zeichnet heutzutage ein immer komplexeres Bild der Vergangenheit, in dem alte Vorstellungen zwar permament aufgelöst, aber nicht ersetzt werden. Sprich: Die Beschreibungen der Vergangenheit werden ähnlich unser heutigen Welt immer vager, immer komplexer, immer weniger greifbar. Diese \"Ungewissheit\" ist nur schwer einer weiteren Öffentlichkeit zu präsentieren, da sie kaum konkrete Anhaltspunkte bietet. Ausstellungen in Museen und historische Filmen/Serien boomen, aber gezeigt werden die alten Bilder: Schnauzbärtige Kelten, wilde Germanen, plündernde Wikinger, blaue Schotten. Diese Bilder beziehen ihre Wirkmächtigkeit aus ihrem konkreten und einprägsamen Charakter. Die Wissenschaft kann wenig tun außer die Entwicklung zu beobachten, da sie keine Alternativ-Wahrheiten bereit hält, sondern nur noch mehr Fragen und ungelöste Rätsel.
Worauf will ich hinaus? Man sollte sich die Frage stellen, ob die Suche nach
dem \"Historischen\" wirklich sinnvoll ist. Erstens, und das ist der einfachste aber auch beste Grund, handelt es sich um ein Hobby. Im Vordergrund sollen also Spaß und Kreativität stehen. Zweitens wird relativ schnell deutlich, dass die Suche nach
dem \"Historischen\" ein Fass ohne Boden darstellt. Selbst wenn man ein Maximum an verfügbaren Daten und Quellen zusammenführt, wird man sich der Vergangenheit immer nur annähern können, man wird sie nie \"erreichen\". Daher denke ich, dass der Anspruch ein anderer sein sollte. Man sollte versuchen, interessierte Hobbyisten stärker für den Umstand zu sensibilisieren, dass es sich bei ihrem Hobby um ein Annäherung an die Vergangenheit handelt und dass die historische \"Realität\" weder erreichbar noch erstrebenswert ist. Dies impliziert, offen mit den Mankos und Defiziten des jeweiligen Spielsystems umzugehen, so wie es die Jungs von Gripping Beast/Studio Tomahawk gemacht haben. Gefährlich wäre das Gegenteil, nämlich zu behaupten \"die Wahrheit\" darzustellen oder zu kennen. Bin ich mir aber den Grenzen von Geschichtsschreibung und Vergangenheitsrekonstruktion bewusst, dann kann ich auch ohne zu starke Gewissensbisse und mit viel Freude meine Angelsachsen ins Feld führen oder mir \"Braveheart\" anschauen und dabei großen, \"unhistorischen\" Spaß haben.