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Autor Thema: Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?  (Gelesen 3737 mal)

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Thomas Kluchert

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Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
« Antwort #60 am: 05. September 2011 - 12:14:14 »

@ Andre
Ja, tut mir leid. Es juckte mir einfach so in den Fingern, aber ich bin durchaus bewusst, dass solche Aussagen bzw. Nachfragen meist eher kontraproduktiv sind. Aber wer bei welchem Wort auch immer durch die Decke gehen mag, sollte derjenige weiterhin selbst entscheiden dürfen.

Die \"neoliberale\" Marktwirtschaft mit der Wirtschaftspolitik im Dritten Reich zu vergleichen ist jedoch ein starkes Stück. Kennzeichen von totalitären Regimen ist auch die zentrale Kontrolle über die Wirtschaft (nach dem Modell von Friedrich und Brzezinski). Ich wüsste auch nicht, was wirtschaftliche Autarkiebestrebungen, Vier-Jahrespläne und massive Aufrüstung und Kriegsvorbereitung mit Marktwirtschaft zu tun haben. Bei solchen Vergleichen gehe ich tatsächlich durch die Decke!

Es gibt ja tatsächlich auch nicht eine einzige Marktwirtschaft, sondern ziemlich viele Modelle (man denke nur an die Differenzen zwischen Ländern wie Schweden und den USA). Aber Marktwirtschaft und Kapitalismus sind ja auch so unscharfe Begriffe wie Sozialismus und Kommunismus, die jeder für sich anders definiert. Ergebnis ist natürlich, dass man aneinander vorbei redet und andere Dinge meint, obwohl man den selben Begriff verwendet.
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AndréM

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Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
« Antwort #61 am: 05. September 2011 - 13:02:09 »

Zitat
Die \"neoliberale\" Marktwirtschaft mit der Wirtschaftspolitik im Dritten Reich zu vergleichen ist jedoch ein starkes Stück.

Nicht wirklich, beide zielen auf völlige Ausbeutung zum Wohl weniger ab. Und beide scheinen nicht grad wenig Skrupel zu haben dabei über Leichen zu gehen, nur geschieht das heute teilweise viel subtiler als damals.
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Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
« Antwort #62 am: 05. September 2011 - 14:10:46 »

Mich wundert bei dem Thema \"2. Weltkrieg\" immer, wie sehr Leute von konkreten, schubladenfertigen Plänen bei Regierungen ausgehen. Die Forschung, aber eigentlich auch das Betrachten des eigenen Lebens, zeigt doch viel mehr, dass viele Dinge ad hoc entschieden werden. Die französische und britische Entscheidung, Polen nicht kriegerisch zu verteidigen, sondern nur mit Krieg zu drohen und nach einer deutschen Invasion den Krieg zu erklären, aber nicht massiv anzugreifen, ist nicht Ausdruck des geplanten Verrates. Es ist Realpolitik und zeugt eher von dem Unvermögen und vielleicht auch Unwillen, der Realität ins Auge zu sehen. Die klassische Geschichtsforschung, über deren Richtigkeit ich kein Urteil abgeben mag, weil es nicht mein Gebiet ist, beurteilt Chamberlain immer als schwachen Ministerpräsidenten. Die Appeasement-Politik war sicherlich ein schwerer Fehler. Aber einen Krieg wollte man eben vermeiden. Keine Macht in Europa war kriegsbereit. Auch Deutschland war nur \"weniger unvorbereitet\". Die Aufrüstung war beileibe nicht beendet.

Der Angriff Deutschlands auf Polen kam nicht überraschend für das anglo-französische Bündnis, aber seine tatsächliche Ausführung war sicherlich ein Schock, musste er doch Krieg bedeuten. Dass die UdSSR sich dem Überfall drei Wochen später anschloss war indes zwar überraschend, aber für die künftige Kriegspolitik der \"Entente\" nicht relevant, weil sich daraus kein Nachteil für sie entwickeln sollte. Im Gegenteil, der folgende Krieg der UdSSR gegen Finnland zeigte die militärische Unzulänglichkeit der Roten Armee in einer Invasion, selbst gegen einen schwachen Feind. Der Sieg der Roten Armee in Polen lieferte ein verzerrtes Bild, da die Polen im Rücken angegriffen wurden, als sie gerade eine massive Gegenoffensive gegen die Wehrmacht starten wollten. In diesem Augenblick ist eine Streitkraft am verwundbarsten.

Für die Entente ergab sich aus dem Angriff der UdSSR zunächst zwar eine ungünstige Situation, die Sowjetunion schien ja mit Hitler zu paktieren, aber für den Sitzkrieg im Westen war das unerheblich. Ein Bündnis mit der UdSSR war ohnehin wenig wahrscheinlich und wurde nicht unwahrscheinlicher. Andererseits steuerte Deutschland gemäß der Ideologie in jedem Fall auf einen Krieg mit der UdSSR hin. Das war ja Parteiprogramm. Für die Zukunft konnte man sich also die Option offen halten, nun da im Osten keine Alliierten mehr zu verteidigen waren, musste die UdSSR zwangsläufig zum möglichen Partner werden. Die Vernichtung Polens und der CSR war also für den Westen Glück im Unglück. Es bedeute schwache Alliierte zu verlieren und einen neuen möglichen Verbündeten zu gewinnen. Dieser Verbündete, die Sowjetunion, wäre vorher nicht als Alliierter in Frage gekommen, weil dies die Polen verprellt hätte.

Realpolitik ist nicht stringent geplant, das verbietet schon der Umstand, dass alle Seiten ja zugleich und auch verdeckt planen. Selbst die besten Geheimdienste liefern nicht ständig ein akkurates Echtzeitbild aller Faktoren. Das wäre auch nicht handhabbar, da ihre Verarbeitungszeit eine Entscheidung verhindern würde. Es gibt meines Wissens keine Hinweise auf ein geplantes Opfern der östlichen Alliierten (Polen und CSR) vor der Münchner Konferenz von 1938. Die Dummheit der deutschen Planung treibt die UdSSR und die Entente zusammen. Moral bei Seite, wäre es klüger gewesen für die deutsche Führung, sich auf Frankreich und Großbritannien zu konzentrieren. Ob es dann zu einem Krieg mi der UdSSR gekommen wäre, weil der Westen darauf gedrängt hätte oder die Sowjetunion alleine eine Front eröffnet hätte, ist völlig hypothetisch und kann nur für \"What if\"-Szenarien im Hobby interessant sein.
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Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
« Antwort #63 am: 05. September 2011 - 14:36:02 »

Zitat
Die französische und britische Entscheidung, Polen nicht kriegerisch zu verteidigen, sondern nur mit Krieg zu drohen und nach einer deutschen Invasion den Krieg zu erklären, aber nicht massiv anzugreifen, ist nicht Ausdruck des geplanten Verrates.

Einem Land vertraglich auf den Tag genau eine Entlastungsoffensive zu versprechen und darauf zu drängen jegliche Verhandlungsversuche seitens der Deutschen abzuschlagen und DANN zuzusehen wie eben jenes Land verblutet.. das würde ich sehr wohl als vorsätzlichen Verrat auffassen. Polen wurde bewust ans Messer gelíefert; aber hey, das kann ja unter Umständen auch nur Realpolitik sein- sehr klug also von den Allierten, wie du schön ausgeführt hast.

Mehr werde ich zu diesem Thema auch nicht mehr sagen, dreht sich eh nur im Kreis.
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Mansfeld

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Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
« Antwort #64 am: 05. September 2011 - 15:49:19 »

Hmmm, auf was will diese ganz Diskussion jetzt hinaus?

Ich erwarte von den Alliierten nicht, eine lupenreine Koalition von Engeln gewesen zu sein, brutale und zynische Strategien sind auch bei denen zu finden. Aber keinen Holocaust, keine Judenstern am Revers, etcetera. Jetzt mal ehrlich, wer hier im Forum wäre lieber Bürger eines vom Dritten Reich als eines von den Briten besetzten Landes gewesen?

Jede Ermordung und Demütigung eines wehrlosen Menschen ist ein Verbrechen, egal unter welcher Flagge. Wenn ein Forscher Opfer der Allierten nennt, ist das auch an für sich völlig korrekt, auch diese Menschen sollen betrauert werden. Aber nicht dazu benutzt werden, um die Opfer des NS-Systems verschwinden zu lassen, und gerade das passiert in der öffentlichen Diskussion sehr oft. Dann fällt der Satz \"Da seht ihr, die Alliierten waren genauso schlimm...\", und das ist eben nicht wahr. Wären sie es gewesen, hätten Amerikaner und Briten beim Einmarsch ins Reich sich nicht um die Versorgung der Zivilbevölkerung gekümmert, sondern mal angefangen, zu entgermanisieren. Um etliches schlimmer ist das Wüten der Roten Armee, mir Massenvergewaltigungen und Ermordungen, aber nach 1945 wurde dann auch nicht die Sowjetzone systematisch entvölkert und mit Slawen neu besiedelt. Was hätte das Dritte Reich in der gleichen Situation getan?

Übrigens, ich bin kein Deutscher, der sich seiner Nationalität schämt, und der unter dem Bewußtsein dieses Grauens im Namen des eigenen Volkes jetzt Komplexe mit sich rumschleppt. Zum Teil bin ich sogar ganz stolz darauf, daß wir hier eben nicht den Kopf in den Sand stecken und rumjammern \"Das ist alles gar nicht wahr, und die anderen sind genauso schlimm\", wie ich es z.B. bei der Diskussion um die Mißhandlungen in Abu Ghraib bei so manchen Amerikanern erlebt habe.
All das ist so passiert, kann auch nicht durch noch so unmoralisches Handeln anderer Nationen entschuldigt werden, und verpflichtet mich nicht zum Knierutschen oder Scham, ich habs ja nicht getan. Aber ich bin verpflichtet, so was nicht zu meinen Lebzeiten zuzulassen.
Übrigens gibt es durch ein aktuelles Grassinterview eine ähnliche Diskussion, sehr interessant, wie sich der israelische Botschafter dazu äußert:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1546576/

Außerdem sollte man hier in der Diskussion mal zwischen der Person der Diskutanten und den von ihnen vorgetragenen Standpunkten klar unterscheiden. Letzteres darf man vehementest angreifen, ersteres nicht.
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AndréM

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Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
« Antwort #65 am: 05. September 2011 - 16:01:17 »

Zitat
Einem Land vertraglich auf den Tag genau eine Entlastungsoffensive zu versprechen und darauf zu drängen jegliche Verhandlungsversuche seitens der Deutschen abzuschlagen und DANN zuzusehen wie eben jenes Land verblutet.. das würde ich sehr wohl als vorsätzlichen Verrat auffassen. Polen wurde bewust ans Messer gelíefert; aber hey, das kann ja unter Umständen auch nur Realpolitik sein- sehr klug also von den Allierten, wie du schön ausgeführt hast.

Schau dir die Außenpolitik Westerwelles an und du siehst aktuell wie es zu solchen Entscheidungen kommen kann.
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« Antwort #66 am: 05. September 2011 - 16:23:27 »

@andre:sag ich doch die ganze Zeit  ;)

@Mansfeld: Eine Steilvorlage haste drin, aber seis drum. Im Grunde ist die Diskussion gut zu nen Ende gebracht und ich stimmte dir gerne zu!
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« Antwort #67 am: 05. September 2011 - 17:14:34 »

@AndreM
Danke, der Verweis auf die aktuelle Politik wollte noch in den Post, aber über eine Pause hab ich ihn dann vergessen.

@Mansfeld

Zitat
Wären sie es gewesen, hätten Amerikaner und Briten beim Einmarsch ins Reich sich nicht um die Versorgung der Zivilbevölkerung gekümmert, sondern mal angefangen, zu entgermanisieren. Um etliches schlimmer ist das Wüten der Roten Armee, mir Massenvergewaltigungen und Ermordungen, aber nach 1945 wurde dann auch nicht die Sowjetzone systematisch entvölkert und mit Slawen neu besiedelt. Was hätte das Dritte Reich in der gleichen Situation getan?

Danke, das fasst meine Auffassung gut zusammen!
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Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
« Antwort #68 am: 05. September 2011 - 17:27:56 »

Zitat
@Mansfeld

Zitat

  Zitat

 Wären sie es gewesen, hätten Amerikaner und Briten beim Einmarsch ins Reich sich nicht um die Versorgung der Zivilbevölkerung gekümmert, sondern mal angefangen, zu entgermanisieren. Um etliches schlimmer ist das Wüten der Roten Armee, mir Massenvergewaltigungen und Ermordungen, aber nach 1945 wurde dann auch nicht die Sowjetzone systematisch entvölkert und mit Slawen neu besiedelt. Was hätte das Dritte Reich in der gleichen Situation getan?

Danke, das fasst meine Auffassung gut zusammen!
War es nicht auch so, dass die Alliierten nicht zuletzt daran interessiert waren, eine Pufferzone gegenüber dem jeweils anderen aufzubauen? (Also die Westmächte gegenüber der SU und umgekehrt.)

Wollten Patton und einige andere westalliierte Generäle nicht sogar Teile der Wehrmacht unter Waffen halten/umgehend wiederbewaffnet um \"der roten Bedrohung\" besser gegenüber treten zu können?
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Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
« Antwort #69 am: 05. September 2011 - 18:42:38 »

Zumindest die Führungen der westlichen Armeen waren davon überzeugt, dass ein Krieg mit der UdSSR rasch folgen würden. In diesem Zusammenhang wurde auch an eine schnelle Remobilisierung Deutschlands gedacht, ja. Patton gehörte zu den Wortführern hinsichtlich eines Konfliktes mit der Sowjetunion. Die Sache mit der Pufferzone ist etwas komplizierter. Es gab jede Form von Vorstellung, was mit Deutschland zu geschehen habe. Der Pufferstaat war nur sehr kurz im Gespräch, weil viele im Westen befürchteten, eine Demilitarisierung und Zwangsneutralisierung, die ja auch auf diplomatischer Ebene hätte erfolgen müssen, würde de facto einem zweiten Versailler Vertrag gleichkommen. Außerdem wurde die deutsche Industrie (nach eine Wiederaufbau) als entscheidend für die europäische Wirtschaft erkannt. Man entschloss sich daher im Westen früh die drei Zonen sich vereinen zu lassen und die neue Nation in das westliche Bündnis zu integrieren. Die NATO wurde ja 1949 gegründet, Brüsseler Vertrag und European Conference on Federation waren schon 1948. Adenauer war da genau der richtige Mann für.

Der Weg der Neutralität wurde dann ab Mitte der 50er von Österreich beschritten, das zunächst auch geteilt war. Der Preis war die Bündnisfreiheit. Wirtschaftspolitisch war Österreich aber auch eine andere Nummer. Das Land blieb aber diplomatisch wichtig, weil es als Vermittler fungieren konnte.
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Florian

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Der Einfluss der Forschung auf die heutige Geschichtsschreibung, Existiert er?
« Antwort #70 am: 06. September 2011 - 01:36:01 »

Zitat von: \'Thomas Kluchert\',index.php?page=Thread&postID=93473#post93473
@ Florian

Zitat
Es gibt eine demokratische Form des Sozialismus [...].

Ach ja? Wo findet man diese denn praktisch verwirklicht?

Zitat
Und ein anderes wirtschaftliches System zu präferieren ist nicht verfassungsfeindlich, [...].

Nein, das ist es nicht. Sozialismus ist aber mitnichten nur ein anderes wirtschaftliches System, es ist ja viel mehr ein Gesellschaftsentwurf mit einem ganz eigenen Menschenbild. Und da wirds eben langsam kritisch.
:offtopic: Nun, wir kommen etwas vom Thema ab, aber ich würde z.B. die Skandinawischen Ländern- v.a. Schweden in den 60er u. 70er Jahren als sozialistische Gesellschaften betrachten. Und demokratisch waren die allemal. In der Tschechoslowakei hat man es versucht, wurde aber von den Stalinisten niedergemacht (wörtlich). In Deutschland, wie ich schon sagte, vertrat die SPD lange (und hat ihn noch im Programm) einen demokratischen Sozialismus und hat auch Teile eine sozialistischen Agenda in die Politik in der BRD eingebracht (Arbeitszeitverkürzung, Mitspracherechte der Belegschaften, Öffnung des Bildungssystems usw.).

Viele Amerikaner würden übrigens sicher auch behaupten, dass wir hier in Deutschland schon im Sozialismus leben. :D

Zur Sache mit dem Wirtschaftssystem: Sozialismus ist nicht zwangsläufig mehr als ein Wirtschaftssystem - sozialistische Theorien können mehr beinhalten, müssen sie aber nicht (Marx hat z.B. entgegen allem was so angenommen wird bei der Ausformung seiner Theorie im Kapital fast ausschließlich über Wirtschaftsformen - größtenteils die der Marktwirtschaft bzw. des Kapitalismus - geschrieben und fast nichtsüber irgendwelche Perspektiven oder Utopien). Zuerst und vor allem ist Sozialismus eine andere Form der Ökonomie.
Dass jedes Ökonomische System ein bestimmtes Menschenbild zugrunde legt ist natürlich wahr. Das gilt übrigens auch für die Marktwirtschaft, die in der Theorie den \"Homo Ökonomikus\", den immer rationalen Marktteilnehmer, dessen reale Existenz mehr als fraglich ist ,als notwendige Vorraussetzung hat. Da unterscheidet sich unsere heutige Wirtschaftsweise nicht von jeder anderen, auch nicht von einer sozialistischen. Wichtig ist, dass niemand unter Zwang in ein System gezwungen wird, sei es durch politischen oder (eher die heutige Variante) materiellen Zwang. Daher bedarf es der Demokratie in Staat/ Gesellschaft und Wirtschaft. Letzteres, also die Demokratie in der Wirtschaft wäre übrigens eine Grundvorraussetzung für Sozialismus, auch wenn das weder die Freunde der Marktwirtschaft noch die Freunde der Planwirtschaft je verstehen werden, weil sie sich Wirtschaft nur als hierarchische Veranstraltung denken können... so, genug des Exkurses. :wissenschaftler:
« Letzte Änderung: 01. Januar 1970 - 01:00:00 von 1315266482 »
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wir meinten alles ironisch, auch die ironie.

AndréM

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« Antwort #71 am: 06. September 2011 - 10:54:36 »

Der Witz ist ja, wenn ich ein soziales Wirtschaftssystem habe, dann profitieren auf Dauer alle davon. Man macht halt nur nicht so schnell Gewinne, dafür aber auf Dauer größere. Und gewisse Spekulationsarten wären dann wohl auch Geschichte. Nur dürfte das gewissen Leuten nicht passen, die haben lieber sofort die rat-on-a stick in der Hand, als auf das Spanferkel zu warten.
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« Antwort #72 am: 06. September 2011 - 14:58:29 »

@J.S.: Wenn du willst, kannst du mir die Steilvorlage ja per PM erläutern, jetzt hast du mich neugierig gemacht :D Ist halt ein extrem komplexes Thema, und keiner hier hat die nötige 500-Großrechner-KI- mit-IQ-20000-Denkkapazität, um jeden Aspekt korrekt gewichtet zu haben. Ist mir auch nicht peinlich, wenn man mir ne Lücke in der Argumentation nachweist, dadurch lernt man ja was.
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« Antwort #73 am: 06. September 2011 - 16:41:56 »

Igit, Neues? Du bist ja eklig? :D

@Israelischer Botschafter
Avi Primorwar von 93-99 Botschafter Israels in Deutschland. Mittlerweile ist er hauptsächlich publizistisch tätig. Ich schätze seine Standpunkte zur internationalen Politik und den bilateralen Beziehungen zwischen unseren Ländern sehr. Er nimmt bei heiklen Themen kein Blatt vor den Mund, kritisiert aber auch nicht taktlos oder im falschen Ton. Seine Kritik an der Politik des eigenen Landes zeigt, allen anderen Meinungen zum Trotze, wie vielschichtig die Politik Israels ist und, dass das Land ein echte, pluralistische Demokratie ist. Das ist für mich der wesentliche Unterschied zu seinen Nachbarstaaten. Auch wenn die schwierige Außen- und Innenpolitische Lage Israels häufig Ereignisse produziert, die uns falsch vorkommen mögen.
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« Antwort #74 am: 06. September 2011 - 23:59:24 »

Amen. Vor allem wenn man Freunde hat die dort auf beiden Seiten leben, merkt man, wie einseitig hier teilweise berichtet wird.
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