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Autor Thema: Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen  (Gelesen 8316 mal)

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preussischblau

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Moin
Gerade über einen sehr interessanten Aufsatz gestolpert:

Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen

An der Uni Potsdam veröffentlicht, von Erberhad Birk, 36 Seiten, für einen wissenschaftlichen Text recht gut zu lesen und sehr informativ. Quelle:
https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/index/index/docId/5986

pdf
https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/files/5986/mgfn16_h1.pdf

Wenn man nach dem Titel bei Gugel sucht, bekommt man auch das PDF mit dem Artikel ohne die anderen Artikle drumherum, geht mit weniger Klicks. Ich mache mich mal an eine zugegebenermaßen knappe und vielleicht provokative Zusammenfassung:

Gründe für die Lineartaktik:

1. Militärische (dem Aufsatz nach nicht unbedingt die wichtigsten Gründe)
  • Unpräzise Gewehre
  • Notwendigkeit schnellen Ladens --> harter Drill nötig
  • Notwendigkeit kurzer Distanz --> eiserne Disziplin nötig
  • Verhinderung von Desertion
2. Führungs- und Ordnungsanspruch der Oberen:
  • König und Adel sagen, wo es langgeht, es bleibt keine Raum für individuellen Bewegungsraum.
  • Absolutistischer Machtanspruch
  • Präzision, stoisches Ertragen, sogar Äthetik sind wichtige Kriterien.
  • Die Verhinderung von neuen Waffen (präzisere Gewehre, mit denen sich Offiziere und damit Adelige erschießen lassen) ist mittelbare Konsequenz.
3. Kriegsbild des Absolutismus
  • Ein stehendes Heer ist ein äußeres und inneres Zeichen der Macht. Das gilt es zu erhalten.
  • Der Souverän entscheidet allein über Gerechtigkeit seiner Kriegsgründe: Erbfolge, Ressourcen, Handelswege, etc.
  • Krieg ist der \"Sport der Könige\" und gilt, das Spielzeug herzuzeigen (andere Staatoberhäupter, fremde Besucher) und nicht leichtfertig durch eine Schlacht kaputt zu machen.
  • Schlachten wurden nach Möglichkeit nicht deshalb vermieden, weil sie nicht entscheidend waren, sondern darum, weil die Gefahr bestand, dass sie es waren.
  • Selbst gewonnene Schlachten konnten diplomatsich \"wegdiskutiert\" werden.
4. Der philosophisch-mathematische Aspekt
  • Die statische Schlachtaufstellung ist der stabilisierende Gegenentwurf zu humanistischen und freiheitlichen Überlegungen der damaligen Zeit.
  • Hof-, Garten- und Festungsbaukunst mit ihrer Ästhetik des Maßes, der Symmetrie, Ornamentik findet sich in den Ordnungen und Strukturen der Schlachtaufstellung wieder.
  • Das militärische Schauspiel ist Spiegel der höfischen Inszenierung und Dramaturgie des Theaters.
5. Der kultur- und sozialanthropologische Aspekt
  • Dem Tierreich entliehenes Imponiergehabe führt zu demonstrativer Kriegführung. Alles bunt, Grenadiermützen mit Messingschildern, etc.
  • Das stampfende Marschieren und die geschlossene Reihe vermitteln dem Einzelnen Stärke und Sicherheit.
  • Die Tadellosigkeit der Uniform war das Spiegelbild der Tadellosigkeit der wohlgeordneten Monarchie. Sie schafft eine kollektive Identität.
  • Das Gefecht als zeremonieller Akt ähnlich einem religiös-metaphysischen Gottesdienst mit weltlichem Schiedsspruch.
Das ist vielleicht nicht ganz akkurat wiedergegeben, daher empfehle ich Interessierte an der Zeit dringend die Lektüre. Kurzweilig und lehrreich ist es allemal. Und was den ästhetischen Aspekt angeht, da finde ich mich als Freund bunter Schlachtaufstellungn komplett wieder. Weiterpinseln...

Gruß, Stefan
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Pedivere

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #1 am: 12. Januar 2016 - 22:04:24 »

aufschlußreich...
überträgst Du das jetzt auf jenige, die dem Männchenschubsen in bunten Uniformen und geraden Linien anhängen?

wären die anderen mit den Indianerkriegen und skirmish-Taktiken dann eher .... aufklärerisch/anarchistisch unterwegs?  :D  :cool:
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preussischblau

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #2 am: 12. Januar 2016 - 22:17:54 »

Hi
Warum sollte das auf irgendwen übertragen werden? Ist halt ein bisschen Kontext für denjenigen, der sich dafür interessiert. Für mich als Figurenschubser zählt unter anderem die bunte, prachtvolle Darstellung. Ganz subjektiv. Und ich finds ebenso überraschend wie unteressant, dass sowas zu der Zeit im Krieg tatsächlich eine gar nicht so kleine Rolle gespielt hat. Aus der Sicht eines armen, in die Armee gepressten Kantonisten ist das eine ganz schön zynische Betrachtung. Aber das ist eine andere Geschichte. Und ja, die Plänkler und Jäger sind olle Anarchisten, kannst Du doch bei Sharpe nachlesen. 8o
Gruß, Stefan (der auch ein paar Anarchisten anpinseln will, grüne! :P )
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Pedivere

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #3 am: 12. Januar 2016 - 22:24:20 »

naja, ohne das allzu Ernst zu nehmen, aber die Übertragung
absolutistischer Herrscher - Figurenschubser mit Vorliebe für bunte Uniformen und Lineartaktik
bietet sich doch geradezu an.
nur daß die Figuren wirklich Objekte sind  ;)

davon angesehen ist der Artikel recht aufschlußreich - aber nicht wirklich überraschend
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Riothamus

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #4 am: 12. Januar 2016 - 23:09:35 »

Da bin ich aber froh, dass ich mich vor kurzem auf die Seite der aufgeklärten Kolonne geschlagen habe und die absolutistische Linie anderen überließ. :D
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Gruß

Riothamus

Razgor

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #5 am: 12. Januar 2016 - 23:57:07 »

Spielen die Berliner deshalb so gerne Skirmish, weil se alle kleine Anarchos sind ?  

 ;)  :D

Spaß beiseite...sehr interessante Thesen. Das PDF muss ich mir genauer anschauen.
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Goltron

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #6 am: 13. Januar 2016 - 00:00:38 »

Das klingt ja zunächst mal ganz interessant.
« Letzte Änderung: 01. Januar 1970 - 01:00:00 von 1452695075 »
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umbranoctis

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #7 am: 13. Januar 2016 - 01:35:34 »

Sehr interessant!
Danke für den Link. Auch die anderen Artikel der Zeitschrift finde ich lesenswert!
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Pedivere

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #8 am: 13. Januar 2016 - 08:54:01 »

Jedem sein eigenes historisches Wargaming
die Bandbreite reicht einerseits vom Minimalismus, daß nur die Aspekte der Recherche relevant sind, die sich auf dem Tabletop \"verwursten lassen\" - oft ist das nur die Uniform und die optische Wirkung des Schlachtfeldes - bis andererseits zum rollenspielartigen Einbeziehen von Taktiken, Biographien und gesellschaftlicher Aspekte der gespielten Epoche.

Ich bin dankbar für das letztere \"Extrem\", es bereichert und instruiert das Hobby, und meistens führt es zu besseren Regelwerken...
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vodnik

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #9 am: 13. Januar 2016 - 09:37:56 »

...mal ein verwegener Blick über den Rand der Suppenschüssel. Auch in Japan hat die Einführung von Feuerwaffen Unordnung ins Kriegswesen gebracht. Diesmal waren die Japaner aber etwas Früher dran...

...trotzdem wage ich zu bezweifeln, ob diese Erkenntnis uns Wargamern wirklich etwas bringt ?(  ;(  :D
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Dareios

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #10 am: 13. Januar 2016 - 09:43:06 »

Leute, das ist unser \'Fluff\'. Das macht die Sache doch erst interessant, Fantasyspieler schwoeren auf das bauen von phantastischen Universen, wir haben dafuer solch interessante Artikel.
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Pappenheimer

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #11 am: 13. Januar 2016 - 11:35:09 »

Danke für den Hinweis, auch wenn ich die Ansichten des Autors nicht so besonders teile. Aber das Zitat am Anfang ist sehr aussagekräftig und erklärt schon recht gut die teilw. enormen Unterschieden bei den Verlusten zweier Seiten. Auf einem idealen Schlachtfeld haben disziplinierte Truppen einen noch größeren Vorteil. Toll, wenn solche \"Entdeckungen\" geteilt werden, Preußischblau.  :thumbsup:
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MonsterDreizehn

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #12 am: 13. Januar 2016 - 11:50:46 »

Vielen Dank für den umfangreichen Aufsatz. Ist doch recht interessant. Ich glaube persönlich ebenfalls nicht, das man als Wargamer nun wirklich viel für sein Hobby aus dem Schrieb gewinnt. Hintergründe sind aber Teil vom historischen Gaming und ein wenig Interesse am \"Fluff\" gehört wohl dazu. Finde ich.
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Flotter_Otto

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #13 am: 13. Januar 2016 - 14:41:43 »

Die Gründe 1,2,3 und 5 sind bestimmt meistenteils lesenswert und interessant, weil das tief blicken läßt. Mit Punkt 4 kann ich gar nix anfangen. Unwissenschaftlich ausgedrückt, wirkt das ganz schön schräg auf mich und verspüre keine Lust solche Inhalte durchzukauen.

Hallo preussischblau,
probiers mal mit Black Powder und einigen Hausregeln inkl. denen der Border Reivers Wargames Society. Das ist Fine Tuning!

Gruß
Bernd
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Rohirrim

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Die Lineartaktik im Spiegel zeitgenössischer Ordnungsvorstellungen
« Antwort #14 am: 13. Januar 2016 - 15:43:03 »

Also vielen Dank für den Artikel! Ich habe das PDF noch nicht fertig gelesen aber ich finde den Hintergrund sehr interessant. Optisch finde ich die Linienaufstellung imm Tabletop immer sehr schön. Habe mich aber immer gefragt, warum man das so lange durchgezogen hat, statt besser Deckung zu suchen.

Ich sehe das wie Flotter_Otto: Teile von Punkt 4 halte ich von sehr sehr weit hergeholt. Aber ich habe, das PDF bis dahin noch nicht gelesen. Möglicherweise stehen da ja schlüssige Begründungen drin. Ich habe allerdings noch nie in einer geschichtlichen Abhandlung gehört, dass sich Militärtechnik von Hof- und Gartenbautechnik beeinflussen ließ :) Wäre mal was Neues.
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